Oh Mutter aller Bomben

in (28.03.2003)

Ein Name nur - ein Land der Bibel, östlich des Toten Meeres - ein Stamm aus der Wurzel Lots. Kämpfe, Kriege um Land, um den Glauben, den rechten. ...

... Die Bewohner: "Sie wurden aber zuletzt von Assyrien verschlungen, und ihr Name verging unter den Arabern", weiß das Lexikon für das katholische Deutschland aus dem 19. Jahrhundert. Der Name Moab - woher kommt er? Er weht heran von den Kanzeln, der Prophet Jeremia ist wohlfeil, immer präsent, wenn es um Kriege geht. Man bedient sich bei ihm, schlachtet ihn aus. Seine Sprache: gewaltig, wie Schläge. Doch nicht ohne Poesie: "Darum jammert mein Herz um Moab wie eine Flöte." Der Prophet Jeremia - ist er nicht brand-aktuell, heute? Wer denkt so? Prediger oder Berater? Ein Kind braucht einen Namen.
"Der Untergang Moabs rückt heran, schnell eilt sein Unglück herbei." Un-Glück ist Fatum oder nicht doch: selbstverschuldet? "Ein Gericht kam über das Land, über alle seine Städte des Landes Moab." Ein Gericht spricht Recht, das Gericht des Herrn. "Wir", sagt die Bibel, "haben von Moabs Stolz gehört, von seinem Dünkel... sein Geschwätz ist nicht wahr." Wie kann es schwätzen, das Land? Das Land ist das Volk ist sein Herrscher.
"Sein Tun ist nicht recht", sagt der Herr. Welcher Herr? "Kommt, wir rotten es aus, so daß es kein Volk mehr ist." Wir? Er, "der Verwüster kommt über jede Stadt...verheert wird das Tal, verwüstet die Ebene. Seine Städte werden zur Wüste, niemand wohnt mehr darin." So tönte, so tönt es von Kanzeln und geifert: "Steig herab von deiner Würde, setz dich in den Kot."
Wer spricht? Wer schäumt? "So stürze Moab in sein eigenes Gespei und verfalle nun selbst dem Gespött." Der Aufruf von den Kanzeln "Verflucht, wer sein Schwert abhält vom Blutvergießen" wird elegant verpackt heute - wer kämpft noch mit dem Schwert? Und doch, ein Schlag soll reichen. Die Poesie der Worte ist wahr: "Ja, ich zerschlage Moab wie ein Gefäß, das niemand mehr will." Niemand mehr - danach, wenn "alle Wasserquellen" zugeschüttet wurden und wenn Moab "zu einem Bild des Entsetzens wird für all seine Nachbarn".
Moab - ein Name nur. Poesie? "Seht, wie ein Adler schwebt es heran und breitet seine Schwingen über Moab aus." Was ist es? Es trägt etwas, das "Moab" genannt wird in diesen Tagen. Moab - die Bombe, die Mutter aller Bomben. Nichts sei vergleichbar mit ihr, ist zu hören. "Die Städte werden erobert, die Festungen eingenommen, vernichtet wird Moab, so daß es kein Volk mehr ist." Wer versteht? Moab, die Bombe, vernichtet Moab, das Land? Heißt: Es vernichtet sich selbst. Heißt: Niemand ist Schuld, nur Moab, "denn es hat geprahlt gegen den Herrn".
Zeitungsmeldung vom 13. März 2003: "Das US-Militär hat im Vorfeld eines Kriegs gegen Irak erfolgreich ihre bislang stärkste nichtnukleare Bombe getestet. Nach Angaben von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist die neue Superbombe mit fast 10 000 Kilogramm Sprengstoff gefüllt... Ihre offizielle Bezeichnung MOAB (Massive Ordnance Air Blast) wurde wegen der gleichen Anfangsbuchstaben vom US-Militär bereits in ›Mother of All Bombs‹ (Mutter aller Bomben) umgewandelt. Es gehe darum, der irakischen Armee die ›enormen Nachteile‹ eines Kriegs deutlich vor Augen zu führen, sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld... Sie kann nicht nur Menschen zerfetzen, sondern auch Bäume fällen und Häuser in großem Umkreis dem Erdboden gleich machen." (Financial Times Deutschland)

aus: Ossietzky, 06/2003