Weltmacht USA

Bis vor kurzem spaltete vor allem der Israel-Palästina-Konflikt die deutsche Linke. Doch seit dem 11. September 2001 - und noch einmal verstärkt seit dem Irakkrieg ...

... - ist es auch das Verhältnis zu den USA, das die Gemüter erhitzt. Die einen werfen den anderen Antiamerikanismus vor, diese kontern mit einer Kritik des Anti-Antiamerikanismus, woraufhin der Anti-Anti-Antiamerikanismus gegeißelt wird usw...
Selbst wenn es oft den Anschein hat, sind derlei Diskussionen nicht nur dem Bedürfnis nach szene-interner Identitätspolitik geschuldet. Denn die Wahrnehmung "Amerikas" ist schon seit Jahrhunderten extrem polarisiert, und zwar keineswegs nur innerhalb der Linken oder nur in Deutschland. Verdammung oder Verherrlichung - dazwischen scheint weltweit nicht viel Platz zu sein. Die USA stehen im Bewusstsein der allermeisten Menschen entweder für Modernität, Wohlstand, Technologie und Demokratie - oder für Imperialismus, Krieg, Kapitalismus und Kulturlosigkeit. "Amerika" ist eine Chiffre, und zwar für nahezu alle Weltbilder, so gegensätzlich diese sein mögen.
Die von den Vereinigten Staaten ausgehende "ungeheure Reizung" - wie es der US-Politologe Andrei S. Markovits formuliert (siehe S. 30) - beruht selbstverständlich nicht nur auf ideologischen Konstrukten, sondern hat auch konkret benennbare Ursachen. Diese variieren allerdings von Kontinent zu Kontinent und selbst von Land zu Land erheblich. In Europa ist entscheidend, dass die USA ein Kind das "alten Kontinents" sind. Und mit dem eigenen Nachwuchs beschäftigt man sich eben besonders intensiv, gleich ob er als Nachkomme, der etwas aus sich gemacht hat, oder als vollkommen missraten empfunden wird. Hinzu kommt, was einst Max Horkheimer notierte: "Amerika hat, aus welchen Motiven auch immer, Europa von völliger Versklavung gerettet. Die Antwort ist heute überall, nicht bloß in Deutschland, eine weitverbreitete und tiefgehende Amerika-Feindlichkeit." In Lateinamerika hingegen spielt eine große Rolle, dass es als "Hinterhof" des nördlichen Amerika die Schattenseiten postkolonialer kapitalistischer Expansion besonders deutlich zu spüren bekommen hat. Bei vielen Asiaten haben die US-Amerikaner wiederum einen guten Ruf als Handelspartner, während andere ihnen den Vietnamkrieg nicht verzeihen. In Afrika ist vor allem die düstere Geschichte der Sklaverei ausschlaggebend. So ambivalent wie das Verhalten vieler weißer US-Amerikaner - die sich lange Zeit nicht recht zwischen Antikolonialismus und Rassismus entscheiden konnten - ist auch das afrikanische Bild von den USA.
Es gibt viele gute Gründe, die USA wegen ihrer Politik zu kritisieren. Als staatlich verfasste Führungsmacht des weltweiten Kapitalismus sind sie zwangsläufig in erheblichem Ausmaß mitverantwortlich für dessen Abscheulichkeiten. Deswegen kommt es einer Aufgabe kritischer Vernunft gleich, wenn die USA von ihren linken Apologeten zum Garanten einer vernünftigen Weltordnung stilisiert werden. Doch wer in George W. Bush einen "Man of Peace" zu erkennen glaubt, der wird wohl auch Samuel Huntington zustimmen, wenn er den US-amerikanischen Führungsanspruch festklopft: "Ohne die Vorherrschaft der USA wird es auf der Welt mehr Gewalt und Unordnung und weniger Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geben (...) Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentraler Bedeutung."
Ähnlich ideologisch - wenn auch seitenverkehrt - argumentieren viele Kritiker der Weltmacht USA. Sie tendieren dazu, alle Übel der Welt den US-Amerikanern anzulasten: Wenn beispielsweise Iraker aus welchen Gründen auch immer Museen in Bagdad plündern, dann ist natürlich die Kulturlosigkeit der Yankees dran schuld. Anstatt sich in politischen Begrifflichkeiten mit politischen Aktivitäten von US-Amerikanern zu befassen, werden den "Amis" allzu oft wesenhafte Eigenschaften nachgesagt, die mehr über den eigenen Dünkel Zeugnis ablegen als über die komplexe Realität in den Vereinigten Staaten. Was Wolfgang Pohrt schon 1984 den Antiimperialisten ins Stammbuch schrieb, hat sich bis heute eher noch zugespitzt: "[Der Anti-Amerikanismus] ist Ausdruck nicht einer durchdachten, kontinuierlichen politischen Gegnerschaft, sondern Anti-Amerikanismus ist die eine Seite einer Hassliebe und darin dem Anti-Semitismus verwandt, der den Juden in wechselnder Folge alles Gute und alles Schlechte nachsagt, und sie, dabei nur den eigenen triebökonomischen Bedürfnissen gehorchend, je nach Bedarf mystifiziert oder dämonisiert."
Die starken Emotionen, von denen die derzeitigen Debatten über US-Weltpolitik geprägt sind, verhindern eine nüchterne Befassung mit ihr. Und sie behindern die nicht mehr ganz neue Einsicht, dass für jede Linke der "Hauptfeind" vor allem im eigenen Land stehen sollte. Insofern hat es schon seine Richtigkeit, wenn in den USA die derzeitige US-Administration schonungslos kritisiert wird. Wenn aber in Deutschland allein die "Bush-Krieger" ins Visier genommen werden, nicht aber die deutschen Waffen- und Technologielieferungen an das Saddam-Hussein-Regime, ist dies als Ausdruck nationaler Borniertheit strikt zurückzuweisen.

aus iz3w 269 seite 13