Der Zusammenhang zwischen sozialen und ökologischen Problemen

Führt das Leitbild der Nachhaltigkeit zu trügerischer Harmonie?

Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 verabschiedete ein Programm zur "nachhaltigen Entwicklung", das auf einen Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung...

Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 verabschiedete ein Programm zur "nachhaltigen Entwicklung", das auf einen Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung zurückgeht.1 Die nachhaltige Entwicklung ist eine "Entwicklung, in der die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden sollen, ohne die Bedürfnisse der kommenden Generation zu gefährden". Seitdem werden dieses Schlagwort und das dahinter liegende Konzept vermehrt diskutiert.
Die politische Funktion dieses Konzeptes ist, viele unterschiedliche Interessen zu integrieren und an den Verhandlungstisch zu bekommen und nicht, eindeutige Leitlinien zu definieren. Bei dem Versuch, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung attraktiv und praktikabel zu gestalten, wurde dieser Begriff von den verschiedenen Interessengruppen sehr frei interpretiert und auf strenge Reduktionsziele verzichtet. In typisch ökonomischer Lesart wird die Betonung auf "Entwicklung" gelegt statt auf "Nachhaltigkeit" und ökonomische Entwicklung mit Wachstum gleichgesetzt. Mit dem euphemistischen Schlagwort der "Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung" wird suggeriert, dass es sowohl für die Industrienationen als auch für die Entwicklungsländer noch Spielraum für Wirtschaftswachstum gebe und sich das ökonomische und soziale Ziel der Wohlstandssteigerung einerseits und das ökologische Ziel der Nachhaltigkeit andererseits nicht widersprächen.
Tatsächlich werden aber ökologische Verbesserungen im Bereich des individuellen Umweltverhaltens oder der Technik in der Regel durch Steigerung des Konsums, d.h. durch bewusst forciertes Wirtschaftswachstum, überkompensiert.2 Das Argument, dass Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern notwendig sei, um Transferzahlungen für Entwicklungshilfe in den armen Ländern zu leisten, erinnert stark an den "Münchhausen-Effekt", der sich an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht, und steht im krassen Widerspruch zur Empfehlung, "der Dritten Welt ein anderes als unser derzeitiges Entwicklungsmodell zu empfehlen und gleichzeitig vorzuleben".3
Im Gegensatz zu diesem Vorsatz ist eben gerade nicht zu erkennen, dass sich die sogenannten Schwellenländer ökologischer oder nachhaltiger entwickeln als die Industrienationen (z.B. beim Individualverkehr und der Kernenergie), oder dass die Entwicklung der reichen Länder Vorbildcharakter angenommen hätte.
Dabei liegt das Hauptproblem gerade in den Industrienationen, die bei Debatten um globale Nachhaltigkeit von den ärmeren Ländern deshalb mit Recht aufgefordert werden, vor ihrer eigenen Tür zu kehren, bevor sie globale Zukunftspläne entwerfen. 4
Viele der Widersprüche bei der Interpretation des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung lassen sich auf den Unterschied zwischen Effizienz und Suffizienz reduzieren. Die Effizienzstrategie versucht, beim gleichen Einsatz von Ressourcen mehr Wohlstand zu erzielen, indem diese effizienter genutzt werden. Der Suffizienzgedanke besteht darin, dass ein Wohlstandsniveau oder bestimmte Errungenschaften als ausreichend betrachtet werden. Je nach Ideologie wird das eine oder andere zur Lösung der Zukunftsaufgaben vorgezogen.
Auch wenn der Glaube, dass sich ökonomische, soziale und ökologische Ziele nicht widersprechen, der sich im gemeinen Verständnis des Begriffs Nachhaltigkeit offenbart, falsch ist, ist die dahinter stehende Grundidee einer gegenseitigen Beeinflussung der drei Bereiche umso wichtiger. Diese Idee ist im Prinzip problemorientiert. Es ist aber fraglich, ob dieses Leitbild zu einer Verbesserung der Umweltpolitik oder zu tatsächlichen Verhaltensänderungen geführt hat. In jedem Fall hat das Konzept aber dazu geführt, dass der Zusammenhang von sozialen und ökologischen Problemen besser bekannt wurde, um den es im Folgenden geht. Zur Vereinfachung des komplexen Themas werden im Folgenden ökonomische und soziale Ziele nicht weiter unterschieden, denn bei den meisten sozialen Forderungen handelt es sich um Forderungen nach mehr Wohlstand zumindest eines Teils der Bevölkerung.

Sozial-ökologische Probleme

Die Erkenntnis, dass global betrachtet die Lösung der ökologischen Frage nur gemeinsam mit der Lösung der sozialen Frage gelingen kann, stellt einen wichtigen Fortschritt im Verständnis der globalen Problemzusammenhänge dar. Andererseits ist diese Botschaft zum billigen Kernsatz progressiver Sonntagsreden geworden. Im Folgenden möchte ich den sozial-ökologischen Zusammenhang diskutieren und auf einige Missverständnisse hinweisen.
Zweifellos untermauern die Mehrzahl der konkreten Probleme und die daraus abzuleitenden Argumente diesen Zusammenhang. Zum Beispiel ist die Beendigung von Kriegen in vielen afrikanischen Staaten eine Voraussetzung für den Aufbau einer Landwirtschaft. Gleichzeitig brauchen diese Regionen ein funktionierendes Ökosystem, um die Menschen zu ernähren. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass es sich beim Ökosystem und der Gesellschaft um völlig verschiedene Systeme handelt, z.B. weil die Natur keine Werte kennt und ohne die Menschen überleben kann, die Menschen aber nicht ohne die Natur. Das Ökosystem kann trotz Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Hunger und gewaltsamem Tod von Menschen gut funktionieren. Andererseits kann es Teilen der Menschheit aber auch gelingen, ihre sozialen Probleme zu lösen und dabei die Natur zu zerstören. Diese Zuspitzung macht deutlich, dass Aussagen über den Zusammenhang von sozialen und ökologischen Problemen zumindest einer groben raum-zeitlichen Einordnung bedürfen. Dabei ist die regionale und kurzfristige Ebene hervorzuheben, denn hier kann die Lösung sozialer unabhängig von der Lösung ökologischer Probleme sein: Eine große Minderheit der Weltbevölkerung hat soziale Probleme durch Wohlstandssteigerung und technischen Fortschritt gelöst, ohne dass auf ökologische Probleme geachtet werden musste.
Diese Überlegungen zeigen, dass die enge Verknüpfung sozialer und ökologischer Probleme nicht falsch ist, aber dennoch eine wesentliche Eigenschaft kultureller Entwicklung ignoriert: die Trennung von sozialen und ökologischen Problemen durch Externalisierung, also Verlagerung im weitesten Sinne; zeitlich, räumlich oder sozial. Auch kann von der Lösung sozialer oder ökologischer Probleme nicht automatisch eine Besserung der Situation im jeweils anderen Bereich erwartet werden, denn immerhin ist das historisch dominante Gegenbeispiel gegen solchen Optimismus die bekannte Schaffung von Wohlstand und materieller Sicherheit zu Lasten der Umwelt.

Interpretation des Zusammenhangs

Der bisher geäußerte Zweifel am Zusammenhang von ökologischen und sozialen Problemen sollte nicht missverstanden werden: Grundsätzlich besteht dieser Zusammenhang und er bildet den Hintergrund zum Verständnis ökologischer Probleme. Die erwähnte Schaffung von Wohlstand und materieller Sicherheit in den reichen Ländern ist nicht wirklich eine umfassende Lösung sozialer Probleme, denn viele Probleme wurden nur in die armen Länder abgeschoben. Aber aus dem sozial-ökologischen Zusammenhang sollte deshalb nicht auf eine Art übergeordneter, natürlicher Ordnung oder gar Gerechtigkeit geschlossen werden in dem Sinne, dass alle Menschen in Bezug auf ihre Abhängigkeit von der Natur "im gleichen Boot" sitzen. Das hört sich gut an, aber endgültige Szenarien wie "eine heile Welt für alle" oder "der gemeinsame Untergang" sind eben unrealistisch. Es ist viel realistischer, dass die oben erwähnte Externalisierung das Naturverhältnis der reichen Gesellschaften schon jetzt und in Zukunft noch mehr bestimmt.
Das Beispiel der sozialen Externalisierung oder einfach "Ungerechtigkeit" zeigt, dass der Zusammenhang von ökologischen und sozialen Problemen doch immerhin so veränderbar ist, dass er innerhalb der reichen Welt praktisch keine Bedeutung hat. Für die armen Länder besteht er hauptsächlich darin, dass sie oft gleichzeitig große ökologische und soziale Probleme haben, ohne die Chance, die einen mit den anderen lösen zu können.
Für die weitere Betrachtung des Verhältnisses von sozialer und ökologischer Problematik ist das Verhältnis von Wohlstand und Umweltzerstörung bedeutsam. Im nächsten Abschnitt soll dieser Zusammenhang auf internationaler Ebene am Modell der Kuznets-Kurve und am Beispiel des CO²-Ausstoßes diskutiert werden, bevor dann im übernächsten Abschnitt die nationale Ebene behandelt wird.

Der Zusammenhang von Wohlstand und Umweltzerstörung

Die meisten Umweltprobleme wurden durch die Wohlstandssteigerung der letzten Jahrhunderte verursacht. Bei der Produktion dieses Wohlstandes wurden Ressourcen ausgebeutet, Energie verbraucht und Schadstoffe produziert, so dass wichtige Stoffkreiskäufe stark und teilweise irreversibel geschädigt sind. Diese Kausalität ist klarer als allgemein und in politischen Debatten zu vernehmen ist. Zugegeben, es ist für die KonsumentInnen und für Regierungen gleichermaßen unattraktiv, Wohlstand als Regelgröße zum Schutz der Umwelt pauschal zu vermindern. Deshalb wird darüber diskutiert, wie eng der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Umweltzerstörung denn wirklich ist und ob Wohlstand mit weniger Umweltschäden zu erreichen ist. Die meisten derartigen Überlegungen folgen der Vorstellung, die in der Kuznets-Kurve5 deutlich wird, nämlich dass der Zusammenhang von Bruttosozialprodukt pro Kopf und Umweltzerstörung auf internationaler Ebene nicht linear ist, sondern der Umweltverbrauch ab einem gewissen Wohlstandsniveau wieder sinkt. Diese Effizienzsteigerung bei der Erzeugung von Wohlstand wird vor allem von technischen Entwicklungen (alternative Energien, Schadstoffreduktion) und Verhaltensänderungen (nachhaltiger Konsum, immaterielle Konsumgüter) erwartet, zusammen mit einem entwickelten System von Normen, Strafen und Anreizen.
Mir ist kein überzeugender empirischer Versuch bekannt, diesen geringeren Umweltverbrauch sehr reicher Länder nachzuweisen. Das Hauptproblem dabei ist sicherlich, die Ökobilanz eines Landes zu erstellen, dessen Wirtschafts- und Stoffkreisläufe die ganze Welt umspannen. In Ermangelung einer solchen Bilanz wird häufig die Entwicklung einzelner Parameter pro Kopf oder in der Gesamtsumme angegeben, die in einigen Fällen tatsächlich positive Entwicklungen zeigen (z.B. Gewässerverunreinigungen oder der CO²-Austoß pro Kopf in der BRD).
Das Kuznets-Modell bleibt aber abstrakt, optimistisch und wohl nur in Teilbereichen der Umweltbelastung zutreffend. Wie stark der in der Kurve angedeutete positive Effekt eines sehr hohen Wohlstandsniveaus sein müsste, um zum Umweltschutz beizutragen, soll am Beispiel des CO²-Reduktionsziels verdeutlicht werden. Bei der CO²-Emission, wie auch bei zahlreichen anderen Umweltgefährdungen, liegt der pro Kopf Beitrag in den Industrienationen ungefähr zehnmal höher als in den Entwicklungsländern.
Werden die oben erwähnten Prinzipien der Nachhaltigkeit auf den Ausstoß des Treibhausgases CO² angewendet, entsteht ein Reduktionsszenario, das von drei Variablen abhängt. Dies sind die Aufnahmekapazität der Ozeane und der terrestrischen Biomasse für CO², die Entwicklung der Weltbevölkerung sowie die CO²-Produktion pro Kopf.
Um die Halbierung der CO²-Produktion bis zum Jahr 2050, die auch von der deutschen Politik als Klimaschutzziel festgelegt wurde, zu erreichen, müsste sich die utopisch anmutende Veränderung einstellen, dass in den Entwicklungsländern weiterhin eine Tonne CO² pro Kopf und Jahr emittiert wird und in den Industrienationen der Ausstoß von 16 auf 1 Tonne reduziert wird. Aus dieser Reduktion ergäbe sich beispielsweise ein Kontingent von einem Liter Treibstoff pro Tag und Person für die gesamten Fortbewegungszwecke.6
Als weiteres Argument für die positive Wirkung eines hohen Entwicklungsstandes wird häufig angeführt, dass aufgrund von Armut oder mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die Umwelt zerstört wird, z.B. die Abholzung von Regenwäldern oder verschiedene spektakuläre Umweltkatastrophen im ehemaligen Ostblock (Aralsee, Tschernobyl etc.). Dass solche Katastrophen von den reichen und besser organisierten Staaten vor allem im Inland vermieden werden können, heißt nicht, dass diese Staaten umweltfreundlicher wirtschaften.

Die Luxusgut- oder Postmaterialismus-These

Auch auf nationaler Ebene gibt es Theorien, die der Kuznets-Kurve entsprechen. Die Luxusgut-These7 oder auch Wohlstands-/Postmaterialismus-These8 besagt, dass ab einem gewissen individuellen Wohlstandsniveau eine Sättigung materieller Bedürfnisse auftritt und unter anderem durch ein hohes Bildungsniveau die Selbstverwirklichung und die Suche nach sozialer Partizipation in den Vordergrund treten. Damit verbunden sei eine zunehmende Sorge und Verantwortung für die Umwelt. Folgende Zitate nennen weitere Argumente:
Da umweltfreundliches Verhalten oft mit konkreten monetären Kosten verbunden ist, liegt die Vermutung nahe, dass ein geringeres Einkommen eher auf ein weniger umweltfreundliches Verhalten schließen lässt. [...] Personen [sind] nur dann dazu bereit sind, sich mit Umweltproblematiken zu beschäftigen, wenn primäre Bedürfnisse bereits erfüllt sind.9
Personen aus höheren sozialen Klassen [...] kümmern sich ausgehend von der Motivationstheorie von Maslow eher um den Luxus der Umweltqualität als Personen aus niedrigeren sozialen Klassen. [...] Außerdem sprechen empirische Ergebnisse dafür, dass sich Personen aus einer höheren sozialen Klasse für effektiver in ihrem Handeln [...] halten als Personen aus einer niedrigeren Klasse.10
Diese Einschätzungen halte ich für abwegig, denn womit Menschen sich beschäftigen oder wofür sie sich halten, sagt wenig über die Nachhaltigkeit ihres Verhaltens aus. Der Fehler liegt darin, dass Umweltbewusstsein als umweltfreundlich aufgefasst wird. Hier täuscht die Wortwahl einen Zusammenhang vor, den es nicht gibt, denn wie unten gezeigt wird, hat umweltbewusstes Verhalten viel weniger ökologische Relevanz als z.B. Verzicht aus Armut.
Zum Konsum auf hohem Wohlstandsniveau kann gesagt werden, dass bei herkömmlichen Gütern, die in den Nachkriegsjahrzehnten Symbole für Wohlstand waren (Kühlschrank, Haus, Auto) eine Sättigung möglich ist. Aber in Zukunft ist eine Sättigung kaum zu erwarten, denn neue Konsumbereiche mit einer anderen Konsumlogik lösten die alten ab. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwar postmaterialistisch, aber eben nicht antimaterialistisch sind: Reisen und der gesamte Bereich der Mobilität dienen der Selbstverwirklichung, sind immateriell aber in hohem Maße umweltschädlich. Die Sozialforschung im Bereich von Konsum und Lebensstilen hat herausgestellt, dass das Marketing die Entstehung neuer Lebensstile eng verfolgt, ihr teilweise vorauseilt und erfolgreich abstrakte, immaterielle Endzwecke wie Gesundheit, Schönheit, Freiheit und Glück definiert. Auf dem Weg zu diesen Idealen werden KundInnen dann eine Vielzahl materieller Symbole verkauft, die prinzipiell allein schon deshalb unerschöpflich sind, weil ihre Hauptfunktion das Erlebnis ist und nicht ihr Gebrauch.
Der Grund dafür, dass trotz der eindeutig materiellen Konsumorientierung reicher Menschen die Luxusgut-These aufrecht erhalten wird, liegt darin, dass die Konstrukte Umweltbewusstsein und Umweltverhalten verwechselt werden. Die Luxusgut-These trifft insofern zu, als sich Umweltbewusstsein, so wie es in Industrienationen verstanden wird, erst auf hohem Wohlstandsniveau ausbildet. Insgesamt ist die Sorge um die Umwelt in Deutschland aber schwach ausgeprägt und unterliegt häufig in der Konkurrenz mit anderen Sorgen. Der Anteil der BundesbürgerInnen, der sich große Sorgen um den Schutz der Umwelt macht, ist von 61 % im Jahre 1990 auf 27 % im Jahr 2000 gefallen.11 Zwei Gründe wurden für diesen Rückgang festgestellt: Bereits erfolgter und erfolgreicher Umweltschutz wirkt beruhigend und andere Sorgen, vor allem um die wirtschaftliche Situation und den Arbeitsplatz, drängen in den Vordergrund. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich Sorgen um die wirtschaftliche Situation machen, ist von 22 % 1990 auf 50 % im Jahre 1997 gestiegen. Die sozialstrukturelle Verteilung zeigt, dass junge Menschen, Frauen, Akademikerinnen, Deutsche, GroßstadtbewohnerInnen und Menschen mit mittlerem Einkommen häufiger Umweltsorgen haben.12
Der entscheidende Kritikpunkt an den obigen Zitaten ist aber wie gesagt, dass Umweltverhalten für die Natur wichtiger ist als das Umweltbewusstsein. Interessanterweise verhalten sich Menschen mit größerem Umweltbewusstsein oder Umweltsorgen nämlich weniger umweltfreundlich. Das liegt nicht daran, dass Umweltbewusstsein das Verhalten etwa negativ beeinflussen würde, sondern daran, dass die wichtigste Variable für die Bestimmung von Umweltverhalten im Sinne von nachhaltigem Konsum das Einkommen ist. Da das Einkommen mit der Bildung korreliert, ergibt sich eine Art Widerspruch zwischen dem negativen Einfluss des materiellen Wohlstands und dem positiven der Bildung. Leider ist der Einfluss des Einkommens auf unseren Konsum viel größer als der Einfluss der Bildung, so dass letztere allenfalls kleine Korrekturen bei der Umsetzung des Einkommens in Konsum und damit Umweltbelastung bewirken kann. Konkret sind dies Möglichkeiten des Umweltschutzes, die sich besonders den Reichen anbieten: Langlebige Gebrauchsgüter, Konsum von ökologischen und fair gehandelten Produkten und fortschrittliche Technik zum Energiesparen. Der Effekt eines solchen nur wenig praktizierten Konsums auf die Umwelt ist wesentlich geringer als der eher unfreiwillige Beitrag zum Umweltschutz, den ärmere Menschen dadurch leisten, dass sie weniger Wohnraum und Gegenstände haben, weniger konsumieren und verreisen.13

Nachhaltigkeit so nicht erreichbar

Die Darstellung des national wie international sehr engen Zusammenhangs von Wohlstand und Umweltzerstörung ist von Bedeutung für die oben behandelte Frage nach dem Verhältnis von ökologischen und sozialen Problemen. Wenn von diesen zusammenhängenden Problemen die Rede ist, sollte deutlich gemacht werden, dass es dabei nicht in erster Linie um soziale Probleme geht, die wir alle gern lösen würden (Krieg, Hunger, Gewalt oder Krankheit), sondern um das soziale Problem unseres Wohlstands, das so betrachtet niemand in den reichen Ländern "lösen" möchte. Wenn von reichen BefürworterInnen einer nachhaltigen Entwicklung die Lösung dieses Problems darin gesehen wird, dass für arme Menschen der Wohlstand vergrößert wird, dann lügen sie sich in die Tasche oder glauben wirklich, dass eine Effizienzsteigerung solche Spielräume eröffnet.
Ich glaube eher, dass die Lösung sozialer Probleme durch Wohlstandssteigerung auf Kosten der Umwelt geht. Eine Lösung ist nur dann umweltneutral, wenn sich Reiche und Arme beide in Bezug auf das Wohlstandsniveau auf einander zu bewegen und zwar in gleichem Tempo!
Die Zustimmung für diese Perspektive dürfte in den reichen Ländern nahe Null liegen. Dort überwiegt die Hoffnung, dass die armen Länder ihre sozialen und ökologischen Probleme gemeinsam lösen können und die reichen Länder auf viel höherem Niveau das gleiche tun. Unabhängig davon, ob dieses falsche Ziel erreicht wird: Die beiden wichtigsten Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen und gerechte Verteilung von Ressourcen, werden mit der heute dominierenden Auffassung von Nachhaltigkeit verfehlt.

Rasmus Hoffmann ist Doktorand am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock.

Anmerkungen:
1 Brundtland-Bericht 1987.
2 Bodenstein, Gerhard et al., Strategische Konsumentscheidungen: Langfristige Weichenstellungen für das Umwelthandeln, 1997, 82.
3 Sibum, Doris, Zwischen Mythen und wünschbaren Zukünften. Zur Diskussion über ökologisch nachhaltige Lebensstile, in: Zukünfte 1994, 12-16.
4 Larrère 1997, 218.
5 Siehe Abbildung; vgl. Dasgupta, Susmita et al., Confronting the environmental Kuznets curve, in: The Journal of Economic Perspectives 2003, 147-168.
6 Milieudefensie, Sustainable Netherlands. Aktionsplan für eine nachhaltige Entwicklung der Niederlande, deutsch: Institut für sozial-ökologische Forschung (Hrsg.), 1994.
7 Baumol, William J. / Oates, Wallace E., Economics, Environmental Policy and the Quality of Life, 1979.
8 Dunlap / Mertig 1996.
9 Luber, Silvia / Scherer, Stefani: Umweltbewusstsein und Umweltverhalten in den alten und neuen Bundesländern, in: Müller, Walter: Soziale Ungleichheit, 1996, 235-265.
10 Herker, Armin, Eine Erklärung des umweltbewussten Konsumverhaltens: Eine internationale Studie, 1992, 60.
11 Preisendörfer 1999 und Sozial-Ökonomisches Panel (SOEP) 2001.
12 Citlak, Banu / Kreyenfeld, Michaela, Wahrnehmung von Umweltrisiken - Empirische Ergebnisse für die Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 1999, 112-119.
13 Hoffmann 2000.

Literatur:
Brundtland-Bericht: Unsere gemeinsame Zukunft. Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, deutsch: Hauff, Volker (Hrsg.) 1987.
Dunlap, Riley E. / Mertig, Angela G., Weltweites Umweltbewusstsein. Eine Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Theorie, in: Diekmann, Andreas / Jaeger, Carlo C. (Hrsg.), Umweltsoziologie, Sonderheft 36 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1996, 193-218.
Hoffmann, Rasmus, Nachhaltiger Konsum nur für Reiche? Zum Zusammenhang von Wohlstandsniveau und Konsumverhalten, Magisterarbeit an der Universität Freiburg, 2000.
Larrère, Catherine / Larrère, Raphaël, Du bon usage de la Nature. Pour une philosophie de la Nature, 1997.
Preisendörfer, Peter, Umwelteinstellungen und Umweltverhalten in Deutschland, 1999.
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, BUND / Misereor (Hrsg.), 1996.