Rede auf der Abschlusskundgebung

Demonstration gegen Sozialkahlschlag am 1.11.2003 in Berlin

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Freundinnen, liebe Freunde, wir stehen heute hier, weil wir nicht länger hinnehmen wollen, dass in einer dreisten Art unsere erkämpften und aufgebauten ...

... sozialen Sicherungssysteme umgebaut, ausgehöhlt und zerstört werden.
Wir stehen hier weil wir nicht länger akzeptieren, dass Arbeitslose bekämpft werden und nicht die Arbeitslosigkeit, dass Arbeitslose gezwungen werden jede Arbeit anzunehmen. Wir sind gegen Arbeitszwang - das hatten wir letztes mal im Faschismus und die Bilder von Menschen mit dem Schild "ich nehme jede Arbeit an" sind uns als abschreckende Beispiele der Weimarer Republik in Erinnerung. Wir haben unsere Arbeitslosenversicherung erkämpft, damit wir bei Arbeitslosigkeit vor Armut geschützt sind. Arbeitslosengeld ist kein Almosen, über das Politiker verfügen dürfen, deren Lebensstandard mit den der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger soviel Ähnlichkeit hat wie ein Elefant mit einer Maus. Deswegen sagen wir: Hände weg von der Arbeitslosenversicherung.
Wir stehen hier weil wir nicht wollen, dass unsere Gesundheit zur Ware wird, die sich nur die leisten können, die einen dicken Geldbeutel haben. Unsere Gesundheit darf weder dem Profit, noch dem Wettbewerb geopfert werden. Wir kämpfen nach wie vor für ein paritätisch finanziertes und solidarisches Gesundheitssystem.
Wir protestieren heute dagegen, dass diejenigen die durchschnittlich von 978 Euro Rente leben müssen, wenn sie Männer sind und von gerade mal 570 Euro wenn sie Frauen sind ihre Rente gekürzt wird. Wir müssen heute 34 Jahre arbeiten, um eine Rente in Höhe des Sozialhilfesatzes zu bekommen. Diejenigen, die diese Rente kürzen bekommen nach zwei Parlamentsperioden schon eine gute Pension mit tausenden Euro.
Deswegen sagen wir: Hände weg von unserer Rentenversicherung und ich sage ganz deutlich: Stoppt diese Wahnsinnigen, die das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen wollen.
Wir protestieren und demonstrieren heute gegen den Angriff auf die Tarifautonomie. Wer den Gewerkschaften das alleinige Recht auf Abschluss von Tarifverträgen abspricht, der will in Wirklichkeit Löhne und Gehälter absenken, Arbeitsbedingungen verschlechtern und eine Lawine nach unten in Gang setzen. Wer wie Arbeitgeberpräsident Hundt fordert, dass Warnstreiks verboten werden, ist ein Antidemokrat. Ihm gehört auf die Finger geklopft. Streiks sind nur in Diktaturen verboten.
Deshalb sagen wir: Hände weg von der Tarifautonomie Hände weg vom Streikrecht
Wir stehen aber auch heute hier, weil wir euren Götzen Profit, euren Heiligen Markt und Euren Gott Wettbewerb nicht anbeten und weil wir diesen Göttern, Götzen und Heiligen keine Opfer darbringen wollen, damit sie gnädig gestimmt werden. Wir wollen, dass in einem reichen Land alle Menschen unter sozialen Bedingungen und in Würde leben können und nicht die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lassen es uns nicht mehr länger gefallen, dass die Reichen und Vermögenden in diesem Land, die ohnehin keine oder kaum noch Steuern zahlen, mit Steuerflucht drohen und noch mehr Steuersenkungen fordern. Es ist ein Skandal, dass DaimlerChrysler seit über 10 Jahren in Stuttgart keinen müden Euro Gewerbesteuer bezahlt. Es ist ein Skandal, dass jeder Hundebesitzer in München mehr Steuern bezahlt als Siemens. Deshalb sagen wir Schluss mit den Steuergeschenken, Reiche und Vermögende müssen mehr Steuern bezahlen. Her mit der Vermögensteuer - her mit einer Gemeindefinanzreform, die ihren Namen auch verdient.
Wir stehen auch hier, weil wir genug von euren Lügen und falschen Behauptungen, von eurer Propaganda haben. Es ist einfach nicht wahr, dass unsere Sozialsysteme nicht mehr finanzierbar sind. Es ist einfach nicht wahr, dass unsere Löhne und Gehälter zu hoch sind. Es ist einfach nicht wahr und gelogen, dass wir uns eine vernünftige Erziehung, Bildung, eine gute Gesundheitsversorgung, einen ordentlichen Personennahverkehr und vieles andere nicht mehr leisten können. Wir leben in einem reichen Land und dieser Reichtum wird von Jahr zu Jahr größer. Es ist nur so, dass Ihr, die Reichen und Kapitalbesitzer, zu viel davon bekommen habt in den letzten 20 Jahren und wir zu wenig.
Deshalb unsere Forderung: Umverteilung jetzt, aber von oben nach unten und nicht umgekehrt. Und: Wir haben genug davon, als Bremser und Blockierer, Betonköpfe und Besitzstandswahrer diffamiert zu werden. Nur weil wir einen Arbeitsplatz, anständige Bezahlung, Bildung, und ein vernünftiges Sozialsystem brauchen, um leben zu können. Wer aber Millionen besitzt, darf diese Besitzstände verteidigen und mehren und sich als Modernisierer bezeichnen. Von euch lassen wir uns nicht länger in die Irre führen. Die wirklichen Betonköpfe und Blockierer sind diejenigen, die nichts von ihrem gesellschaftlichen Reichtum, den andere geschaffen haben, von ihrer Macht und ihren Privilegien abgeben wollen. Die wirklichen Blockierer sind die, die jeden sozialen Fortschritt und jedes Streben nach Gleichbehandlung und sozialer Gerechtigkeit blockieren. Diejenigen, die Millionen-Abfindungen kassieren, wenn sie ihre Firma in den Ruin getrieben haben, diejenigen, die hunderte von Millionen in den Steuerparadiesen auf den Kaymanninseln, auf den Bahamas deponieren, den Staat betrügen, diejenigen, die wie DaimlerChrysler und andere seit Jahren keine müde Mark bzw. keinen müden Euro Gewerbesteuer mehr bezahlen, diejenigen Manager, die Millionenverträge haben und denen noch weitere Millionen in ihre Pensionskassen einbezahlt werden und gleichzeitig Rentenkürzungen fordern, das sind die wirklichen Blockierer des sozialen Fortschritts. Wer redet denn davon, dass wir über unsere Verhältnisse leben: Josef Ackermann, Vorstand Deutsche Bank, 7 Millionen Euro im Jahr Jürgen Schrempp, DaimlerChrysler, 5,6 Millionen Euro im Jahr Herr Blatter, SAP, 1,75 Millionen Euro im Jahr und wie sie alle heißen. Von euch und den 800.000 Euromillionären in diesem Lande lassen wir uns nicht länger sagen, dass wir über unsere Verhältnisse leben.
Wir stehen aber auch heute hier, weil wir gelernt haben, dass Protest unverzichtbar ist. Wir stehen hier, weil wir gelernt haben, dass Sommerpausen und ähnliches die Gegenseite nicht zum Einlenken bringen, sondern nur zu noch stärkeren Angriffen verleiten. Wir wissen, dass die wirtschaftliche und politische Elite in diesem Land am liebsten alle sozialen und tariflichen Errungenschaften über Bord werfen würde oder wie BDI-Präsident Rogowski vor der amerikanischen Handelskammer sagte: Ich würde gern ein großes Lagerfeuer anzünden, das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge verbrennen und noch einmal von vorne anfangen.
Wir wissen, dass sie keine Ruhe geben, wenn wir ruhig bleiben. Deshalb müssen wir wie bei Daimler, Bosch und Porsche in Stuttgart und wie in 16 Betrieben von ver.di in Stuttgart die Proteste in die Betriebe tragen und zwar bundesweit. Wir müssen aber auch den Protest aus seiner nationalen Beschränktheit heraus holen. Deshalb sind wir für einen europäischen Protesttag im März nächsten Jahres. Wir, die Beschäftigten und Arbeitslosen in Europa, wollen uns nicht länger gegeneinander ausspielen lassen. Deshalb kämpfen wir gemeinsam in Europa gegen Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung, kämpfen wir für sozialen Fortschritt, für Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich, für gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, für unsere demokratischen Rechte, für Tarifautonomie und Streikrecht.
Zeigen wir, dass die internationale Solidarität stärker ist als die Gier nach Profit und Reichtum einiger weniger.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.