Neues von der Arbeitsfront

Am 18. Dezember 2003 hat der Deutsche Bundestag mit überwältigender Mehrheit aller vier Parteien der Nationalen Einheitsfront die sog. Agenda 2010 in ihren wesentlichen Teilen beschlossen. ...

... Gerhard Schröder äußerte sich befriedigt und betonte, damit sei sein Wahlversprechen eines kurzfristigen Abbaus der Massenarbeitslosigkeit eingelöst. Die Bundesregierung könne jetzt jedem Arbeitslosen einen sicheren Arbeitsplatz spätestens nach einer gesetzlichen Wartefrist von 2010 Jahren verbindlich garantieren.
Als ersten Schritt in die richtige marktwirtschaftliche Richtung begrüßte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Vorhaben ihres Büroleiters Gerhard Schröder, schon am 1. April 2004 unter den 4,3 Millionen Arbeitslosen 2010 Minijobs meistbietend zu versteigern Hier werde, sagte Merkel, endlich Eigeninitiative gefordert. Niemand dürfe sich dann mehr auf die faule Haut legen, sondern jeder Arbeitslose müsse zukünftig ordentlich arbeiten, um Geld für ein konkurrenzfähiges Gebot zu erwirtschaften.
Sprecher aller vier Blockparteien würdigten übereinstimmend die Leistung des Vermittlungsausschusses. Positiv werten müsse man jedoch auch das starke Stück Arbeit der Medien, denen es in bewundernswerter Weise gelungen sei, der Bevölkerung sogar noch den Ausschuß von Bundestag und Bundesrat als seriöses Gremium zu vermitteln.
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Zur Anpassung an die neue Eintrittsgeld-Regelung bei Arztbesuchen tritt auch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung in Kraft. Autoverbandskästen müssen neben der schon bisher vorgeschriebenen Grundausstattung zukünftig auch einen 10-Euro-Schein enthalten. Fußgänger und Radfahrer sollen diese Erste-Hilfe-Grundausstattung zusammen mit der Chipkarte in Brustbeuteln mit sich führen.
Zur Vereinfachung des Verfahrens im Einzelfall werden an allen größeren Straßenkreuzungen und sonstigen Unfallschwerpunkten feste Kassenhäuschen errichtet.
Von einer elektronischen Kassierung via Satellit ähnlich der geplanten LKW-Maut will Verkehrsminister Stolpe aus Zeit- und Kostengründen einstweilen absehen. Der Minister kündigte jedoch Stichproben durch die Polizei bei allen Verkehrsteilnehmern an. Auf Betreiben der Länderinnenminister werden die Kontrollen ähnlich wie beim TÜV kostenpflichtig. Die Gebühr zur Überprüfung des 10-Euro-Notfall-Scheins soll mit EUR 9,92 zunächst maßvoll ausfallen.
Gerüchte, denenzufolge schon für nächstes Jahr eine Anhebung der Praxisgebühr auf 20 Euro geplant sei, hat Bundesgesundheitsministerin Schmidt dementiert: Da man die Gestaltung der medizynischen Zugangsentgelte grundsätzlich an die Fahrpreise der DB AG zu koppeln beabsichtige, sei noch nicht sicher, ob 20 Euro tatsächlich ausreichten.
Der Deutsche Bankenverein will schon nächste Woche Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung aufnehmen, mit dem Ziel, die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung durch Aufstellen von Bankomaten in Arztpraxen zu sichern.
Die Einzelhandelskette Aldi hat inzwischen die Einrichtung medizinischer Schnell-Behandlungs-Räume in ihren Supermärkten angekündigt, in denen eine erste Diagnose durch in Sonderkursen ausgebildetes Verkaufspersonal schon zum Schnäppchenpreis von EUR 7,99 erhältlich sein soll. Branchengerüchten zufolge will die Konkurrenzfirma Lidl mit einem Pauschalpreis von EUR 7,49 inklusive einer einmaligen Bluttransfusion ins Rennen gehen.
Bundesinnenminister Otto Schily will im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Umkreis von 500 Metern um Arztpraxen eine Bannmeile errichten lassen, innerhalb derer mittellosen Möchtegern-Patienten das Anbetteln von Passanten verboten sein soll. Der linke Flügel der SPD-Fraktion hat gegen diese Pläne protestiert und erklärt, man werde dem Gesetz nur dann zustimmen, wenn es eine Ausnahmeregelung für Patienten mit frischem Herzinfarkt enthalte, denen aus humanitären Gründen die Almosenbeschaffung für eine ärztliche Erstversorgung auch innerhalb der Bannmeile gestattet sein müsse.
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Der bayerische Ministerpräsident Stoiber hat heute Bundesbildungsministerin Bulmahn aufgefordert, zukünftig mehr als bisher auf eine praxisorientierte Ausbildung an Universitäten und Hochschulen hinzuwirken.
Aus Gründen einer größeren Effektivität und Kostendämpfung sollten einander verwandte Studiengänge gestrafft und zusammengelegt werden, meinte Stoiber. So könne man beispielsweise das Abschlußexamen für Soziologen an die Fachprüfung zum Erwerb des Taxiführerscheins koppeln.
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Die vorstehenden Meldungen sind - teilweise - noch fiktiv. Unumstößliche Tatsache jedoch ist das nachfolgende unglaublichste Ereignis des Jahres 2003.
Die Firma Degussa (s. Ossietzky 17/99: "Von Krieg zu Krieg") übernimmt nun doch den Schutzanstrich für das Berliner Holocaust-Denkmal. Gegen Bezahlung, versteht sich. Ein geschäftlicher Geniestreich. Schließlich hatte der Konzern über eine Tochterfirma schon vor Jahrzehnten Zyklon B nach Auschwitz geliefert. Gegen Rechnung natürlich.
Den heutigen Auftrag darf man also getrost als Folgegeschäft betrachten. Zwei Aufträge mit einer Klappe, der eine nicht ohne den anderen. Doppelverdiener. Es geht aufwärts mit der Wirtschaft.

Aus Ossietzky 1/2004