Euromilitarismus

Kein Thema für die Friedensbewegung?

Hunderttausende sind im letzten Frühjahr in Deutschland undanderen EU-Staaten gegen den Irak-Krieg auf die Straße gegangen.Die Friedensbewegung war "wieder da" - allerdings ...

... einmal mehr als anti-amerikanische Antikriegsbewegung, und als es schon (fast) zu spät war. Unvorstellbar heute, dass man auch nur ein paar Tausend
Friedensbewegte zu einer Demo gegen die in Brüssel beschlossenen Schritte der EU-Militarisierung auf die Beine bringen könnte.
Hunderttausende sind im letzten Frühjahr in Deutschland und anderen EU-Staaten gegen den Irak-Krieg auf die Straße gegangen. Die Friedensbewegung war "wieder da" - allerdings einmal mehr als anti-amerikanische Antikriegsbewegung, und als es schon (fast) zu spät war. Unvorstellbar heute, dass man auch nur ein paar Tausend Friedensbewegte zu einer Demo gegen die in Brüssel beschlossenen Schritte der EU-Militarisierung auf die Beine bringen könnte.

Woran liegt das? Der Irak-Krieg war ein Krieg "der Amerikaner", und gegen die ist aus guter alter linker und friedensbewegter Tradition immer gut demonstrieren. Und im Falle Irak konnte man sich sogar auf Seiten der Mehrheit der eigenen Bevölkerung und im Schulterschluss mit der eigenen Regierung wähnen. Es gab nicht wenige DemonstrantInnen, die es "gut" fanden, wie Schröder und Fischer dem US-Präsidenten Widerworte gaben (dass faktisch Deutschland durch Gewährung von Überflugrechten, Zurverfügungstellung der US-Militärbasen usw. faktisch am Krieg beteiligt war, wurde großzügig verziehen, weil das ja deutlich weniger an Kriegsbeteiligung war als etwa bei den Briten). Dies gut zu finden und zu "verstehen", dass die EU eine eigene sicherheitspolitische Kompetenz aufbauen müsse, liegt nicht gar so weit auseinander.

In der Tat wird die EU-Militarisierung ja - nicht zuletzt von der rot-grünen Bundesregierung - der Öffentlichkeit friedenspolitisch verbrämt mit anti-amerikanischen Untertönen schmackhaft gemacht: In den USA herrsche wie bekannt eine militärische "Hau-drauf"-Mentalität vor, die sich aus der Arroganz der - militärischen - Macht speise; demgegenüber seien "wir Europäer" (und vor allem "wir Deutsche") sehr viel zurückhaltender, sehr viel stärker auf zivile Konfliktbearbeitung orientiert und militärischem Draufschlagen eher abhold. Um dieser zivilisierten europäischen Haltung künftig mehr weltpolitisches Gewicht zu verleihen, müssten "wir" allerdings auch gewisse Anstrengungen unternehmen, um unabhängig(er) von den USA (auch militärisch) handlungsfähig zu sein und mehr Einfluss auf die USA und das Weltgeschehen zu bekommen.

Wenn dann auch noch, wie in der neuen EU-Strategie, sehr viel von ziviler Krisenprävention und zivil-militärischer Zusammenarbeit gesülzt wird - ohne allerdings auf die Keule kriegerischer Intervention(sfähigkeit) zu verzichten! -, dann wird es schwer, gegen die Militarisierung der EU zu mobilisieren, schließt der EU-offizielle Diskurs damit doch an die Diskurse über "Krisenprävention" und "zivile Konfliktbearbeitung" (prima Sachen, gewiss, nur nicht von und mit den Herrschenden in der EU zu haben) in großen Teilen der europäischen "Zivilgesellschaft" an. US-Präventivkriegsstrategien eignen sich für lautstarken Protest offensichtlich besser. Und so werden die für den 20.3.2004, den Jahrestag des Beginns des Irak-Kriegs, von der Friedensbewegung geplanten Großaktionen wohl wieder ganz im Zeichen anti-amerikanischen Kriegsengagements stehen.

So rufen IPPNW und andere zu einem "großen gemeinsamen Protestmarsch" zum US-Atomwaffenlager Ramstein in der Pfalz auf, um damit gegen die 65 noch auf deutschem Boden lagernden US-Atomwaffen zu protestieren. Sicher: Auch 65 Atomwaffen sind noch furchtbar und zu viel, und dagegen zu protestieren ist ehrenwert und löblich. Doch sei die Frage erlaubt, ob es angesichts des real existierenden Kriegsgeschehens, der realen Aufrüstung und der realen Interventionsvorbereitungen nicht drängendere Probleme gibt. Die EU-Militarisierung zum Beispiel. Erinnert sei auch daran, dass mit Frankreich und Großbritannien zwei Nachbarn und enge EU-Partner ebenfalls immense Nuklearwaffenarsenale besitzen, von denen nur wenig die Rede ist.

Wenn schon nicht zu erwarten ist, dass die Menschen gegenwärtig gegen den Euromilitarismus auf die Straße gehen, so ist es doch Aufgabe von Friedensorganisationen und antimilitaristischen Kräften, verstärkt Aufklärung über die Gefahren der Militarisierung der EU zu leisten und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der "Hauptfeind im eigenen (EU-)Land" steht (Karl Liebknecht). Vielleicht ist ja der ansonsten wohl wieder erwartbar gähnend langweilige Wahlkampf zum Europäischen Parlament, der in den nächsten Wochen über uns kommen wird, eine Gelegenheit, gewisse öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Da könnte man sich Sozis und insbesondere Grüne, die in den 80er und 90er Jahren heftigst gegen die Gefahren des Euromilitarismus agitiert haben (die entsprechenden Broschüren und Flugblätter müssten sich im Parteiarchiv finden lassen), einmal richtig zur Brust nehmen.

aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 480 / 16.01.2004