Cops on the Top

Die Hymne auf die europäisierte Strafverfolgung ist ein Abgesang auf die Freiheitsrechte

"Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte geachtet und die verschiedenen Rechtstraditionen und -ordnungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt ...

"Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte geachtet und die verschiedenen Rechtstraditionen und -ordnungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden." (Art. III - 158 Abs.1)1
Mit diesen hehren Worten wird das Kapitel über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit im dritten Teil des Verfassungsentwurfs für die Europäische Union eingeleitet. Wer der Sprache der europäischen BürokratInnen nicht mächtig ist, wird dies als deutliches Bekenntnis zu einem harmonisierten rechtsstaatlichen System verstehen wollen, wird hier doch ausdrücklich die Achtung der Grundrechte betont.
Nun sind wesentliche Prinzipien des bürgerlichen Verfassungsstaates die Gewaltenteilung und die Rechtsstaatlichkeit. Während die Gewaltenteilung bewirken soll, dass im Parlament Maßnahmen legislativ beraten und verabschiedet werden, die die Exekutive später umsetzt, soll das Rechtsstaatsprinzip garantieren, dass die von den Behörden durchgeführte Umsetzung jener Gesetzesinhalte gerichtlich überprüft werden kann. Mit Blick auf die Geschichte der europäischen Polizeikooperation sind Zweifel angebracht, dass diesen Prinzipien bei der Errichtung der Sicherheitsbehörden, der Zuweisung ihrer Aufgaben sowie bei ihrer Kontrolle Geltung verschafft wurde:

TREVI
Die polizeiliche Kooperation in Europa begann zu einem Zeitpunkt, als sich nahezu alle nationalen Regierungen der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) in Auseinandersetzungen mit teils militant agierenden linken Bewegungen in ihren Ländern befanden. Die repressive Bekämpfung der diversen Widerstandsgruppen sollte sich auch auf der Gemeinschaftsebene fortsetzen. Bereits 1974 forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Vereinheitlichung des EG-Strafrechts und die Schaffung einer europäischen Polizei. Dieses Ansinnen wurde von Deutschland aus erfolgreich in die EG getragen: 1976 beschlossen die Innen- und PolizeiministerInnen der Mitgliedsstaaten die Einrichtung eines informellen Gremiums namens TREVI. Bis heute ist unklar, ob dies als richtungsweisende Abkürzung für "Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence International" steht oder lediglich für den damaligen Tagungsort "Fontana di Trevi".2 Das entsprechend undurchsichtige Gremium verfolgte einen in zwei Arbeitsgruppen organisierten Austausch von Ermittlungsergebnissen (TREVI I) und von Erkenntnissen in Fragen der Polizeipraxis und -ausbildung (TREVI II).
Die EG war zu jener Zeit allerdings eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, die nach ihren Verträgen keine Zuständigkeit für eine gemeinsame Innenpolitik der Mitgliedsstaaten vorsah. Die zunächst lediglich informative Kooperation in TREVI basierte somit auf herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen, entzog sich gleichzeitig aber auch einer nennenswerten parlamentarische Kontrolle. Dies änderte sich auch nicht, als in den achtziger Jahren TREVI maßgeblichen Einfluss beim Aufbau des EG-Binnenmarktes in Fragen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit ausübte und eine weitere Arbeitsgruppe für den Bereich des illegalisierten Drogenhandels und der so genannten Organisierten Kriminalität erhielt (TREVI III). Mit der Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1993 erhielt das informelle Netzwerk um TREVI als so genannte Dritte Säule für Recht und Inneres schließlich formellen Charakter. Unter eine effektive legislative Aufsicht wurde diese Kooperation der Sicherheitsbehörden in der Dritten Säule indes nicht gestellt, das Europäische Parlament wurde lediglich über die Vorgänge informiert.3

EUROPOL
Derweil hatte TREVI bereits den entscheidenden Schritt zu einer gemeinsamen Strafverfolgung getätigt, als es zur Bekämpfung des illegalisierten Drogenhandels den Aufbau einer European Drug Intelligence Unit initiierte und damit das Fundament der heutigen europäischen Polizeibehörde EUROPOL schuf. In der Drogeneinheit standen VerbindungsbeamtInnen der Mitgliedsstaaten mit ihren heimischen Behörden im ständigen Kontakt und ermöglichten so einen umfangreichen und umstandslosen Datenaustausch. Sehr schnell übernahm diese Polizeieinheit die logistische Führung in der grenzüberschreitenden Observation und Kontrolle von Drogenlieferungen im Raum der EU.
Als dürftige rechtliche Basis dienten zunächst nur das jeweilige nationale Recht und die entsprechenden Rechtshilfeverträge zwischen den Staaten. Erst 1999 wurde mit der EUROPOL-Konvention eine entsprechende Rechtsgrundlage nachgeschoben, die allerdings erhebliche rechtsstaatliche Mängel aufwies. Der Behörde wurden nicht nur umfassende Kompetenzen zur Speicherung und Weitergabe von Personendaten zugesprochen, die zudem nur durch rhetorische Datenschutzbestimmungen eingegrenzt waren, ihre BeamtInnen erhielten außerdem strafrechtliche Immunität für ihr Handeln.4

Datenschätze
Die Erhebung und Weitergabe von Daten innerhalb einer solchen Institution hat mehr Konsequenzen, als es auf den ersten Blick scheint. Denn die peniblen EUROPOL-BeamtInnen in Den Haag sammeln nicht nur Daten von verurteilten StraftäterInnen, Beschuldigten und Verdächtigen, sondern u.a. auch von Kontakt- und Begleitpersonen, ZeugInnen, Opfern oder ganzen Risikogruppen, ohne dass dem wirksame Kontroll- und Datenschutzmechanismen zur Seite stehen. Dabei enthalten die Datensätze neben Angaben zu den jeweiligen Straftaten auch höchstpersönliche Hinweise über die "rassische Herkunft", die politische und religiöse Orientierung, das Sexualverhalten oder die Gesundheit.5 Solcherlei Datenerfassungen stellen damit einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches den Einzelnen das Recht auf die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten und Lebenssachverhalte garantiert.
Auf europäischer Ebene beschleunigte sich so ein Prozess, der in den Mitgliedsstaaten bereits verklausuliert als "proactive investigation" bzw. als "Vorbeugende Verbrechensbekämpfung" angelaufen war. Mit der Übertragung weit reichender informationeller Befugnisse an die Polizei werden ihre Tätigkeiten weit in das Vorfeld von konkreten Gefahren und Straftaten gerückt. Im Ergebnis löst sich sowohl die für den Rechtsstaat elementare Grenzziehung zwischen präventiver Gefahrenabwehr und repressiver Strafverfolgung als auch das Trennungsgebot für polizeiliche und geheimdienstliche Tätigkeiten auf.

Kontrollierte Lieferungen
Zudem ist die Rolle, die EUROPOL bei grenzüberschreitenden Polizeioperationen spielt, für die Garantie eines rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahrens äußerst prekär. EUROPOL wirkt maßgeblich an der verdeckten Ermittlungsmethode der "kontrollierten Lieferung" mit, bei der beispielsweise ein Drogentransport grenzüberschreitend vom Herkunftsort bis zur Auslieferung observiert wird. Erst am Ende werden die mutmaßlichen SchmugglerInnen und HändlerInnen dingfest gemacht und die Rauschmittel beschlagnahmt. Die Dokumentationen solcher "kontrollierten Lieferungen" sind in den Ermittlungsakten, so berichten StrafverteidigerInnen, hingegen nur lückenhaft geführt.6 Bestenfalls fänden sich Hinweise darauf, von wem der jeweilige Tipp für den späteren erfolgreichen Zugriff kam. Unter solchen Umständen bleibt stets unklar, wie der Verdacht zustande kam, ob verdeckte ErmittlerInnen beteiligt waren oder gar agents provocateurs agierten - essentielle Angaben für die Durchführung eines fairen Strafprozesses.
Die mangelhaft dokumentierte und intransparente Zusammenarbeit der europäischen Polizeibehörden führt zur einer undurchschaubaren Ansammlung, wenn nicht regelrechten Produktion von Verdachtsmomenten und Beweisen gegen eine Vielzahl von Personen. In den späteren Strafverfahren ist es den Betroffenen und den Rechtsbeiständen sowie den Gerichten kaum mehr möglich, den Entstehungszusammenhang nachzuvollziehen und ihn bei der Verteidigung oder der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass den ExpertInnen von EUROPOL nicht nur eine koordinierende Funktion zukommt, sondern auch eine dirigierende. Oftmals wählen sie bewusst diejenigen Orte zur Festnahme aus, bei deren zuständigen Gerichtsständen sie für die Strafverfolgungsbehörden günstige strafrechtliche und strafprozessuale Regelungen verorten.7

Strategische Lieferungen
Über die kriminalistische Arbeit mit personenbezogenen Daten hinaus betätigt sich EUROPOL auch als Lieferantin von Berichten und so genannten strategischen Analysen zur Kriminalitätslage. Ausgehend von der in der Konvention festgehaltenen Aufgabe, nicht näher definierte kriminelle Organisationsstrukturen zu bekämpfen, erhebt EUROPOL regelmäßig Lageberichte zur so genannten Organisierten Kriminalität. Da unter diesem unbestimmten Begriff quasi jede halbwegs durchdachte illegale Handlung gefasst werden kann, ist es möglich, eine derartige Bedrohung über den Drogenhandel hinaus auch auf andere Bereiche auszudehnen.8
Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Zuständigkeiten der vormaligen Drogeneinheit schon Mitte der neunziger Jahre auf Autoverschiebungen, den Handel mit radioaktiven Substanzen, den Menschenhandel und die Fluchthilfe ausgedehnt wurden. Mittels dieser Mitwirkung an der Konstruktion der diversen Bedrohungsszenarien initiiert die Polizeibehörde selbst jene Rechtfertigungs- und Legitimationsdiskurse, die nicht nur ihren Bestand sichern, sondern auch ihre Kompetenzen wachsen lassen. Auf diese Weise trägt EUROPOL entscheidend dazu bei, dass die Ausrichtung der Kriminalpolitik zunehmend von den Lagebildern der zentralen Polizeistellen und den Vorgaben der Exekutive abhängig gemacht und der notwendigen öffentlichen und demokratischen Auseinandersetzung entzogen wird.9

Verfassungsrechte
Die bisherige Entwicklung der europäischen Polizeiarbeit zeigt, dass den Prinzipien des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung allenfalls marginal nachgekommen wurde. Die nationalen Regierungen und die europäischen Sicherheitsbehörden begannen lange vor den Ratifikationen der EU-Verträge von Maastricht und Amsterdam und mithin ohne gesicherte Rechtsgrundlage mit der polizeilichen Kooperation. Diese bauten sie solange in informeller und weder von Parlamenten noch Gerichten kontrollierter Zusammenarbeit aus, bis sie schließlich nachträglich legitimiert wurden. Dabei wurden die entsprechenden Rechtsakte durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten durchgesetzt, die sich oftmals an akuten Bedürfnissen orientierten.10 Eine parlamentarische Diskussion fand hingegen kaum statt. Es wird versucht, dieser Form der Rechsetzung mit dem Begriff der "gubernativen Rechtsetzung" ein legitimierendes Modell zu verpassen, das sich aus der Notwendigkeit der europäischen Gemeinschaft ergebe.11
Tatsächlich bewirkt diese Dominanz der Exekutive im europäischen Strafverfahrensrecht eine Erosion des Grundrechtsbestands. So werden bis heute beträchtliche Datenmengen gesammelt, die in erheblicher Weise die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen tangieren. In Lageberichten werden regelrechte Feindbilder produziert, die die Kriminalpolitik der Unionsländer beeinflussen. Und es werden undurchschaubare polizeiliche Operationen durchgeführt, die die Grundsätze eines fairen Strafverfahrens torpedieren.12

Verfassungskonvent
In diesem Zusammenhang erhofften sich viele Bürgerrechtsgruppen von der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung eine Abhilfe für das undemokratische und grundrechtsfeindliche Kompetenzgeflecht der europäischen Strafverfolgung. Suggeriert der bürgerliche Verfassungsbegriff doch, dass die Staatsgewalt rechtsstaatlich begrenzt und insbesondere die Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger gesichert werden. Ihre Hoffnung stützte sich insbesondere auf die in Nizza im Jahr 2001 verabschiedete und 54 Artikel umfassende Grundrechte-Charta, die im zweiten Teil der Verfassung aufgenommen werden soll und damit Rechtsverbindlichkeit erhalten wird. Inwiefern diese Bürgerrechte vor dem Europäischen Gerichtshof dann durchgesetzt werden können, bleibt vorsichtig abzuwarten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der entsprechende Verfassungsartikel im zweiten Teil des Entwurfs die Freiheit und die Sicherheit in einem Atemzug nennt: "Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit." (II-6), und so eine wohlgefällige Abwägung zugunsten sicherheitspolitischer Aspekte geradezu aufdrängt. Skepsis ergibt sich daher vor allem bei näherer Betrachtung des eingangs erwähnten vierten Kapitels im dritten Teil des Verfassungsentwurfs über die europäische Zusammenarbeit der Polizei und Justiz im so genannten "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts".

Raum der Sicherheitsbehörden
Danach sollen in der Europäischen Union die Tätigkeiten der nationalen Justizbehörden stärker koordiniert und einige ihrer Kompetenzen zusammengeführt werden. Nach diesen Vorgaben wird der Europäische Rat die strategischen Leitlinien für die gemeinsame Innen- und Rechtspolitik setzen, aus denen sich eigene Europäische Gesetze oder Rahmengesetze zur Bekämpfung grenzüberschreitender Delikte u. a. in den Bereichen des Menschen-, Waffen- und Drogenhandels, der Geldwäsche, der Computerkriminalität und schließlich des Terrorismus sowie der Organisierten Kriminalität entwickeln können. Diese EU-Gesetze sollen die Straftaten einheitlich kodifizieren und auch Mindestvorschriften für das Strafmaß festlegen. Auch die europäische Verfassung hantiert demzufolge mit der Beschreibung allgemeiner Kriminalitätsphänomene, deren Unbestimmtheit einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedsstaaten zuwider läuft.
Bei der Verfolgung jener Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension sollen nicht nur die nationalen Sicherheitsbehörden ihre Zusammenarbeit nochmals intensivieren. Ebenso soll sich die bislang kaum kontrollierte europäische Polizeibehörde EUROPOL demnächst eigener, uneingeschränkter Befugnissen zu "operativen Ermittlungen und Maßnahmen" erfreuen können.
Auch nach den Konventsvorschlägen werden die Parlamente an den entsprechenden Gesetzen und nachfolgenden Maßnahmen für die europäische Praxis der Strafverfolgung im wesentlichen nicht mit zu entscheiden haben. Ihnen kommt allenfalls eine begleitende Funktion in der Rechtssetzung zu, indem sie in die Ausarbeitung einiger Gesetzesvorhaben einbezogen werden. Ansonsten verbleibt ihnen lediglich die Möglichkeit, sich an den "Bewertungsmechanismen" (Art. III-160) der Maßnahmen des Ministerrates und an der politischen Kontrolle der Strafverfolgungsbehörden zu beteiligen.
Das Defizit an Gewaltenteilung, dem der Konvent hier mit Achtung des Parlamentsvorbehalts hätte begegnen können, ist demnach nicht behoben. Unter diesen Umständen wird die Ausgestaltung des Strafrechts zunehmend die alleinige Angelegenheit der Regierungen.

Terrorism Roadmap
Wie gravierend eine solche rein gouvernementale Rechtssetzung sein kann, zeigte sich nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die europäischen Sicherheitsbehörden entsannen sich eines alten Bedrohungsszenarios, das seinerzeit ihre Gründung legitimierte: den Terrorismus. In den eiligst präsentierten Lagebildern fand sich eine neue Gefahrenbeschreibung über vermeintliche und tatsächliche internationale terroristische Aktivitäten. Nur wenige Tage nach den Überfällen auf die USA berieten und verabschiedeten die Innen- und JustizministerInnen eine von der Europäischen Kommission vorgeschlagene "terrorism roadmap".
Diesem Fahrplan entsprang später u.a. der im Juni 2002 in Kraft getretene Rahmenbeschluss für die gemeinsame Terrorismus-Definition. Neben den gängigen, als terroristisch eingestuften Handlungen von Mord über Geiselnahme bis hin zu Sprengstoffanschlägen fasst der Beschluss auch Tatbestandsmerkmale wie die "schwerwiegende Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen, einem Transportsystem" oder "einer Infrastruktureinrichtung" als Terrorismus auf und zählt zu dessen Zielen, die "Bevölkerung schwerwiegend einzuschüchtern", Regierungen und internationale Organisationen "unangemessen" zu nötigen oder die "politischen, verfassungsmäßigen, ökonomischen und sozialen Strukturen" eines Staates oder einer internationalen Organisation zu destabilisieren oder zu zerstören. Es ist offensichtlich, dass mit derlei dehnbaren Begriffsfindungen ein materiellrechtliches Instrumentarium gestaltet wurde, unter das nahezu problemlos nicht ganz friedvolle Demonstrationen oder auch Streiks subsumiert werden können, und mit dem die europäischen Repressionsapparate die im Polizeijargon als "violent troublemakers" titulierten GlobalisierungskritikerInnen kriminalisieren können.

Europäischer Haftbefehl
Auch der Europäische Haftbefehl ist eine jener Hauptstrecken der roadmap. Dieser soll bei bestimmten, in einer Positivliste geführten Delikten die vollständige richterliche Überprüfung der bisherigen Rechtshilfe- und Auslieferungsverfahren umgehen und die einfache Überstellung der mutmaßlichen StraftäterInnen ermöglichen. Die Liste arbeitet ebenfalls mit vagen Kriminalitätskomplexen, fast gebetsmühlenartig werden auch hier Schlagworte wie Terrorismus, Cybercrimes oder Sabotage bemüht.
Gleichwohl ist anzumerken, dass ein solches Verfahren, das übrigens auch nicht mehr das Auslieferungshindernis wegen einer politischen Tat kennt,13 erhebliche Konsequenzen für den effektiven Rechtsschutz der Betroffenen hat. Die jeweiligen RichterInnen des ersuchten Staates, die die Zulässigkeit der Auslieferung überprüfen, sind selbst nicht berechtigt, die inhaltlichen Voraussetzungen des Haftbefehls zu hinterfragen. Sie kontrollieren lediglich, ob die formellen Vorgaben erfüllt sind. Die Betroffenen sind also auf einen zumindest zweistaatlichen, komplexen und teuren Rechtsbeistand angewiesen, der ihnen durch den Rahmenbeschluss allerdings nicht genügend zugesichert wird.14 Gleichfalls ist zu befürchten, dass sich die Strafverfolgungsbehörden einer ähnlichen Praxis bedienen wie bereits EUROPOL und den Europäischen Haftbefehls nutzen, um die Überstellung von Personen in einen Mitgliedsstaat organisieren, der ihnen für den jeweiligen Fall günstige strafrechtliche wie strafprozessuale Voraussetzungen bietet.15

EUROJUST
Im Zuge dieser Entwicklung wurde im Übrigen auch das insbesondere von Deutschland angetriebene Projekt der justizbehördlichen Verbindungsstelle EUROJUST abgeschlossen. Die seit Ende 2002 dort arbeitenden JustizvertreterInnen aus den 15 EU-Staaten dienen als Anlaufstelle für nationale Behörden, um Kompetenzen, Ermittlungen und Verfahren bei internationalen Delikten in den gängigen, unbestimmten Bereichen der schweren und organisierten Kriminalität zu koordinieren. EUROJUST soll insbesondere Fachwissen zur Anwendung und Auslegung der jeweiligen Rechtshilfeabkommen bereitstellen und bei Ersuchen um gemeinsame Strafverfolgungsmaßnahmen behilflich sein. EUROJUST sind allerdings weder Weisungs- noch Kontrollbefugnisse gegenüber EUROPOL übertragen worden. Ihr obliegt es vielmehr, die Analyseergebnisse der Polizeibehörde in effiziente nationale Ermittlungen umzusetzen. Dabei wird die Behörde der Staatsanwaltschaften auch selbst Datensammlungen vornehmen können.16

Europäische Staatsanwaltschaft
Die mit der vorgeblichen Terrorismusbekämpfung in beschleunigten Gang gesetzte justizielle Zusammenarbeit wird in dem Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents fortgeschrieben. Ausgehend von EUROJUST soll nach den Vorstellungen des Verfassungskonvents eine europäische Staatsanwaltschaft nun stellenweise die polizeilichen Tätigkeiten begleiten. Dabei wird die Strafverfolgungsbehörde zunächst bei schweren Vergehen gegen die finanziellen Interessen der EU die grenzüberschreitenden Ermittlungen leiten (Art. III-175).
Mit Blick auf eine solche kommende Europäische Staatsanwaltschaft hat die Europäische Kommission bereits 2001 das "Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft" vorgelegt, mit dem sie den oft beklagten Schwierigkeiten mit den unterschiedlichen Rechtssystemen begegnen will. Danach soll die EU-Staatsanwaltschaft dezentral innerhalb der Mitgliedsstaaten agieren, dort die jeweiligen strafprozessualen Regelungen anwenden und die Anklagen auch vor den einzelstaatlichen Gerichten erheben. StrafverteidigerInnen befürchten mit dieser Form der europäisierten Strafverfolgung einen noch katastrophaleren Effekt für die Rechte der Beschuldigten als bereits bei den Tätigkeiten von EUROPOL: Die StrafverfolgerInnen können ihre Ermittlungsverfahren mit einer geschickten Kombination aus den isolierten nationalen Regelungen so gestalten, dass eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsrechte stellenweise unmöglich wird.17 Wie eine solche Zusammenarbeit aussehen kann, für die die StrafrechtlerInnen den Begriff "Forum Shopping" geprägt haben, beschreibt der Kölner Rechtsanwalt Ulrich Sommer:
"Die Realität der Arbeit der europäischen Staatsanwaltschaft wird geprägt sein von der Effektivität. Ist primäre Aufgabe die Verbrechensbekämpfung, wird die Staatsanwaltschaft den nützlichsten Weg wählen, Sachverhalte zu ermitteln und ein gerichtliches Verfahren weitgehend im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Verurteilung des Beschuldigten zu strukturieren. Die erste Vernehmung wird man nicht in Spanien durchführen, wenn man auf die Anwesenheit des Verteidigers keinen großen Wert legt. Stattdessen würden sich Frankreich, Österreich oder die Niederlande anbieten, die den Verteidiger bei der polizeilichen Vernehmung ausschließen und sogar jegliche Belehrung des Beschuldigten in dieser Richtung für entbehrlich erachten. Zur Schaltung einer - europaweiten - Telefonüberwachung bietet sich eine Rückkehr zum spanischen Ermittlungsrichter an, der eine solche Maßnahme nicht vom Vorliegen einer Katalogtat oder der Definition besonders schwerer Kriminalität abhängig macht, sondern dies bei jeder Straftat anordnen kann. Soll eine zwangsweise körperliche Untersuchung des Beschuldigten zu Beweismitteln führen, empfiehlt sich abzuwarten, bis der Beschuldigte die Niederlande verlassen hat; dort wäre eine solche Maßnahme nicht zulässig. Die englischen Gerichte erscheinen als optimales Feld für den europäischen Staatsanwalt zur Anklageerhebung, wenn dem Gericht negative Schlussfolgerungen aus dem bisherigen Schweigen des Beschuldigten nahe gelegt werden sollen. Sollte demgegenüber ein Zeuge vom Hörensagen maßgebliches Beweismittel darstellen, wird die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage die Flucht zum Festland antreten, da nur dort ein solches Beweismittel Grundlage für die Überzeugungsbildung eines Gerichts sein kann."18

Grünbuch
Es ist bezeichnend, dass das 2003 von der Kommission nachgeschobene "Grünbuch der Kommission, Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union" hauptsächlich die in Art. 6 Abs. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgehaltenen Mindeststandards ("minimal rights") behandelt. Das Grünbuch verliert sich in Detailausführungen über unentgeltliche Rechtsbeistände und DolmetscherInnen, während es elementare Prinzipien des Strafprozesses wie beispielsweise das Legalitäts- und das Offizialprinzip, das Recht auf Aussageverweigerung oder die Gestaltungsprinzipien der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit nicht benennt oder nur unzureichend begründet.19 Dass sich das Grünbuch ebenfalls nicht zu der staatsanwaltschaftlichen Vorgehensweise des Forum Shoppings äußert, ist getreue Konsequenz.20
Auch die justizielle Zusammenarbeit und die Aufgaben einer europäischen Staatsanwaltschaft sind nicht geprägt von der Aufgabe, die polizeilichen Ermittlungstätigkeiten zu lenken und zu kontrollieren. Vielmehr scheinen EUROJUST und die europäische Staatsanwaltschaft Ausdruck einer hastigen Nacheile der Justiz hinter dem schon intensiv ausgebauten europäischen Polizeiapparat zu sein. Gleichwohl strebt auch die Justiz einen regen Datenaustausch mittels kurzer und informeller Wege an, um das europäisierte Strafverfahren in ihrem Sinne effizient zu gestalten. Die bürgerlichen Freiheitsrechte der Menschen in der Europäischen Union und der in ihnen implizierte Rechtsstaat bleiben nach diesem Fahrplan auf der Strecke.

Verfassungsfeinde
Mit dem vielgestaltigen Ausbau der Europäischen Union wurden und werden zunehmend wesentliche Eigenschaften und Inhalte des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts dem nationalstaatlichen Souveränitätsvorbehalt entzogen. Das ist für sich genommen nicht zu bedauern. Doch in Ermangelung jedweder Einsprüche der Parlamente und der europäischen Öffentlichkeit geschieht dies nach unbeeinträchtigter Gutsherrenart. Mit entsprechendem Ergebnis: Die nicht zuletzt von deutschen Behörden maßgeblich initiierten innen- und rechtspolitischen Rechtsakte des Staatenverbundes etablieren ein autoritäres Polizei- und Strafverfolgungsregime, das neben dem mit den bekannten Ressentiments beladenen Schreckgespenst des Organisierten Verbrechens vermehrt auch die Protestbewegungen in Europa ins Visier nimmt. Das darf nicht allein die um ihre Arbeitsgrundlage fürchtenden Strafverteidigungsvereinigungen auf den Plan rufen. Auch die europäische Linke sollte sich - zumindest solange sie es noch straflos kann - als verfassungsfeindlich bekennen und die kommende europäische Verfassung als das ablehnen, was sie als "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" nicht ist: Eine Grundordnung, die die Freiheitsrechte der Menschen garantiert.

Stephen Rehmke studiert Jura in Hamburg.

Anmerkungen:

1 Wenn nicht anders bezeichnet, stehen alle zitierten Artikel des Verfassungsentwurfs im Teil III, Titel III, Kapitel IV des Entwurfs "Vertrag über eine Verfassung für Europa" des Europäischen Konvents vom 18.Juli 2003 (CONV 850/03).
2 So zumindest: Mokros, Reinhard, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage 2001, 1207.
3 Vgl. Busch, Heiner, Grenzenlose Polizei? 1995, 285; Gössner, Rolf, "Big Brother" & Co. 2000, 77.
4 Busch, Heiner / Kaleck, Wolfgang, Europas Polizei, in: EDA u.a. (Hg.), Europa - "Raum von Freiheit, Sicherheit und Recht?" 2003, 14.
5 Vgl. Mokros, Reinhard, aaO., 1222f.; Lisken, Hans / Mokros, Reinhard, Europol - eine "entfesselte" Polizeimacht, in: Müller-Heidelberg u.a. (Hg.), Grundrechte-Report 1998, 200.
6 Busch / Kaleck, a.a.O., 20.
7 Hierzu ausführlich Tolmein, Oliver, Europol, in: Der Strafverteidiger (StV) 1999, 108.
8 Hierzu Luczak, Anna, Mafiakraken, in: Forum Recht 2002, 44, mit weiteren Literaturhinweisen.
9 Vgl. Hayes, Ben / Busch, Heiner, Europol und Eurojust, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP (CILIP) 2/2001, 17 ff; Fiesahn, Andreas, Europol - Probleme der Kontrolle, in: Kritische Justiz, 359, 363.
10 Stefan Braum spricht von einem "Strafrecht in actio": Aufbruch oder Abbruch europäischer Strafverfolgung, in: StV, 2003, 576.
11 Vgl. v. Bogdandy, Armin, Gubernative Rechtsetzung, 2000.
12 Einen Ausblick gewährt Hayes, Ben, Änderung der Europol-Konvention, in: CILIP 3/2002, 47.
13 Hierzu insb. Kaleck, Wolfgang, Der Europäische Haftbefehl - Ein Schritt zu früh in den gemeinsamen Strafprozess?, in: Grundrechte-Report 2003 (a.a.O.), 142 ff.
14 Vgl. Bendler, Wolfgang, Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Europa, insbesondere der europäische Haftbefehl, 2003; Wegner, Carsten, Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Europäischen Haftbefehl, in: StV 2003, 105.
15 So u.a. Schünemann, Bernd, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, 185.
16 Ausführlich Knelangen, Wilhelm / Hilbrans, Sönke, EUROJUST - Ein Instrument auf dem Weg zu parastaatlicher Justiz, in: EDA u.a. (Hg.), aao., 26; Schomburg, Wolfgang, EUROJUST neben EUROPOL. Kooperation bei der Kooperation in Europa, in: Kriminalistik 2000, 13.
17 Diskutiert von diversen Autoren in: Der Strafverteidiger (Red.), Verteidigung in einem geplanten europäischen Strafverfahrensrecht für europarelevante Straftatbestände, in: StV 2003, 115 (Beilage).
18 Sommer, Ulrich, Die Europäische Staatsanwaltschaft, in: StV 2003, 126.
19 Hierzu Stefan Braum, a.a.O., 576, 580.
20 Vgl. ebenso die Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen vom 27.03.2003 unter www.strafverteidigervereinigungen.org.