Ein stiller Rohrbruch

in (15.03.2004)

Im Hochland von Papua-Neuguinea, unweit der Grenze zum indonesischen Westpapua, liegt ein gebrochenes Rohr. In den Medien findet sich darüber - soweit ich feststellen kann - bisher nichts.

Nun könnte man fragen, warum ausgerechnet über einen Rohrbruch in Papua-Neuguinea berichtet werden muß, zumal gar nicht klar ist, wem das Rohr gehört, und auch sonst vieles an der Sache unklar ist. Aber gerade diese Unklarheiten wecken Verdacht, verlangen nach Aufklärung. Ein stiller Rohrbruch kann tiefe Ursachen und weitreichende Folgen haben.
Die Andrew Duang's People, der im papuanischen Hochland lebende Stamm des Awin-Volkes, verlangen 20 Millionen Kina Schadenersatz, weil sie die Betreiberin der Rohrleitung, die OkTediMining Ltd. (OTML), für schuldig halten, den Ok Smack, einen Bach, der die hier lebenden Menschen mit Wasser versorgt, vergiftet zu haben.
Für die OTML, die zum BHP-Billiton-Konzern gehört, dem in London ansässigen größten Bergbau-Unternehmen der Welt, ist eine solche Forderung nicht sehr aufregend - zumal die Company den Hochlandbewohnern sofort entgegenhalten konnte: "Leute, euer Prozeß gegen uns ist vorüber. Findet euch damit ab, daß ihr verloren habt. Das Gericht in Melbourne, im australischen Bundesstaat Victoria, hat eure Klage Mitte Januar 2004 endgültig abgewiesen."
Anfangs, vor etlichen Jahren schon, hatten nicht weniger als 48 000 Menschen aus 180 Dörfern, Anrainer des Ok Tedi, eines Flusses im Hochland, und des Fly-Stromes, des größten in Papua, 1000 Kilometer lang, gegen die damals noch australische Firma BHP geklagt: Seit 1984 seien aus der Ok-Tedi-Grube Millionen Tonnen Abwässer und Schlämme in den Fluß geleitet worden, der dadurch total vergiftet worden sei. Niemand bestreitet das. Der Ok Tedi ist in seinem ganzen Lauf "tot".
Die schwarzhäutigen Kläger berichteten dem Melbourner Gericht, auch der Fly-Strom sei schon weitgehend vergiftet: Das Wasser sei nicht mehr trinkbar, der Fisch - wenn man überhaupt noch einen lebendigen fange - nicht mehr eßbar, und das Überschwemmungsgebiet des Fly, Hauptanbaugebiet für ihr Gemüse, werde allmählich unfruchtbar. Die Grubenabwässer brächten nicht nur Kupfer, sondern auch Cadmium, Blei, Arsenik mit sich, und all diese Gifte lagerten sich in ihren Gärten ab. Außerdem hebe sich das Bett des Stromes, der Wasserspiegel steige, und die Qualität des Grundwassers verschlechtere sich, auch weitab vom Fluß.
Ursprünglich hatten die Grubenbesitzer einen Rückhaltedamm im Hochland geplant. Dagegen erhoben sich Bedenken wegen der extremen Regenfälle in dieser Gegend, die zudem seismisch äußerst unstabil ist. Nachdem ein erster Damm wie vorhergesagt gebrochen war, redete kaum jemand mehr von dieser Lösung. Der Grubenschlamm ergoß sich weiterhin den Ok Tedi und den Fly hinunter. Nach den Vorstellungen der Company sollte er sich im weiten Delta des Fly verteilen, in den Boden einsickern, aus den Augen verschwinden. Wie das den Fischen und den Anrainern bekommen würde, war nur ein Problem unter anderen.
Wenn die Giftstoffe aus den Kupferminen nicht im Delta bleiben, gelangen sie in den Golf von Papua und bedrohen das Great-Barrier-Riff, ein Naturwunder, das zu den wichtigsten Touristenattraktionen Australiens gehört. Auch die Korallen vertragen die Gifte nicht.
Da die Company kaum bestreiten konnte, was sie anrichtete, aber auch keine technische Lösung fand, die sie sich finanziell leisten konnte oder wollte, verfiel sie auf eine ganz andere Idee: Sie machte ein großzügiges Geschenk. 52 Prozent der OMTL-Aktien aus dem Besitz des BHP-Billiton-Konzerns wurden auf einen "Trust Fund" übertragen, der "dem Volk von Papua-Neuguinea" gehört. Die Firma BHP zog sich zu einer in Singapur ansässigen Holding-Gesellschaft zurück und läßt sich seitdem dafür bezahlen, daß sie die Geschäfte des Grubenbetriebs OMTL führt. Den Anrainern wurde ein Drittel der künftigen Profite eines "Community Development Trust" versprochen. Alle künftigen Beschwerden müssen an die Regierung in Port Moresby gerichtet werden.
Nur ein Problem war noch übrig: die Schadenersatzklagen vor dem Gericht in Melbourne. Mit Hubschraubern, die mit Geschenken beladen waren, auch mit viel Geld, flog die Company den Fly hinauf und hinab. In jedem Dorf fand sich ein gefügiger Häuptling; falls nicht, wurde irgendwer zum Dorfobersten ernannt. Man machte ihm klar, daß er, wenn er und seine Leute schnell zu Geld kommen wollten, sofort etwas unterschreiben mußte. Wer unterschrieb, nahm damit die Klagen zurück.
Die Klage-Befürworter hatten keine Hubschrauber. Sie fuhren mit einem kleinen Motorboot von Dorf zu Dorf, öfters ging ihnen das Benzin aus, immer war die Company schon vor ihnen dagewesen, und es ließ sich schwer feststellen, wer was unterschrieben hatte.
Am 23. Dezember 2003 meldete die beklagte Gesellschaft dem Melbourner Gericht: Mit Ausnahme von neun Dörfern mit 2000 Einwohnern hätten alle Kläger die Klagen zurückgezogen. Für Bestätigung oder Widerspruch setzte das Gericht eine Frist von drei Wochen. Die Nachricht ging über OTML ins papuanische Hochland. Wieviele der Betroffenen sie erhielten und wann, ist unbekannt.
Bekannt ist, daß die Melbourner Anwaltskanzlei Slater & Gordon, die bis dahin die mittellosen Anrainer vertreten hatte, Mitte Januar das Handtuch warf: Sie erkannte an, daß der Rechtstreit verloren sei. Dem Vernehmen nach war sie finanziell am Ende, bekam nun aber vertraglich von OMTL einen Ausgleich für einen Teil ihrer Kosten zugesprochen.
Doch kaum durfte die Company hoffen, nun sei alles - außer der fortschreitenden Vergiftung - vorbei und es herrsche Ruhe in Papua-Neuguinea, gerät sie doch wieder in Schwierigkeiten. Am 27. Januar kam aus Singapur die Nachricht von einer mechanischen Panne im Kupferwerk Kiunga. An diesem Ort am oberen Fly endet das 130 Kilometer lange Rohr, durch das von der Ok-Tedi-Grube bei Abubil das "Slurry" (mit Wasser gemischtes Kupfer) herunterfließt. In Kiunga wird das Kupferkonzentrat getrocknet und dann normalerweise über den Fly und das Meer zu den Abnehmern verschifft, zum Beispiel zur Norddeutschen Affinerie in Hamburg. Nach Angaben der OMTL war damit zu rechnen, daß im Februar und März etwa 40 Prozent ihrer normalen Produktion ausfallen. Von Freunden höre ich, daß seit Wochen gar nichts mehr verladen wird. In den Zeitungen steht nichts darüber.
Wie kam es zu dem Rohrbruch? Durch Sabotage? Oder war es nur ein Betriebsunfall? Komisch: 20 Jahre trat - soweit wir feststellen konnten - keine Störung im Rohr auf, und jetzt, nachdem den Anrainern der Rechtsweg verstellt ist, ereignet sich zwei Wochen später eine Panne?
Recherchen sind erschwert. Der Versuch einer befreundeten Australierin, an dem Rohr entlangzufahren und zu fotografieren, wurde von OMTL-Wachleuten energisch unterbunden. Sie sah, wie sich entlang dem Rohr, entlang der Straße das Kupfer-Konzentrat seinen Weg bahnt. Die Anrainer fordern von der Company wegen Vergiftung des Smack-Baches 20 Millionen Kina (fünf Millionen Euro) Schadenersatz - sonst könnte es krachen. Die Antwort der Company, sie müsse nichts zahlen, weil die Anrainer ja für das Verfahren in Melbourne schon unterschrieben hätten, daß sie keine weiteren Forderungen stellen würden, heizt die Gemüter auf. Eingeborene antworten: "Wir haben nur die großen Flüsse, den Ok Tedi und den Fly, aufgegeben. Von dem höher fließenden Ok Smack war keine Rede. Zahlt - oder..."
Jetzt kommt eine Meldung aus Kiunga: Die Pumpe am Rohr in Apushta, auf halber Stecke zwischen Tabubil und Kiunga, ist gleichfalls kaputt. Reparaturen sind schwierig.
Das alles wäre schon beunruhigend genug. Noch komplizierter wird die Lage, weil seit einigen Tagen australische Polizisten wieder in Papua-Neuguinea landen. Achtzig Jahre, bis 1975, war Papua australische Kolonie gewesen. Dann wurde es unabhängig. "Um die Probleme von Recht und Ordnung zu lösen", die anscheinend der Regierung in Port Moresby über den Kopf wachsen, kommen die Australier wieder. Ob sie auch in die Western Highlands, nach Tedi, geschickt werden? Um gebrochene Rohre zu reparieren?

aus: Ossietzky 05-2004