Umweltpolitik - Impulse für technologische Innovation und Regionalentwicklung

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag im Workshop der RLS "Forschung und Technologie für nachhaltige Entwicklung: Innovation, Regionalentwicklung, Politik - Perspektiven gestalten" am 28. und 29.11.0

Wie soll ausgerechnet die Umweltpolitik Impulse für technologische Innovationen liefern, von der Regionalentwicklung ganz zu schweigen? Weit verbreitet ist die Auffassung: Für Technologieentwicklung ist das Wirtschaftsministerium zuständig, allenfalls noch das Bildungsministerium, und für die Regionalentwicklung haben wir die Abteilung "Raumplanung und Landesentwicklung" im Arbeits- und Bauministerium. Umweltpolitik steht in dem dauernden Verdacht, Innovationen zu bremsen. Erst kürzlich unterstellte mir eine große deutsche Boulevardzeitung, ich wollte das ganze Land zu einem Naturschutzreservat machen. Wobei selbst dies nicht gleichbedeutend mit einem innovativen Stillstand wäre.

Eine erste Innovation sollte darin bestehen, dieses Ressortdenken aufzugeben. Bemühungen um einen effizienten Umweltschutz können sehr gut zu technologischen Innovationen führen und mit ihren landesspezifischen Auswirkungen auch die Regionalentwicklung mitbestimmen. Ich meine damit selbstverständlich nicht nur die technischen Errungenschaften des nachsorgenden Umweltschutzes, wie z. B. Rauchgasfilter oder Kläranlagen. Moderner Umweltschutz, also in die Prozesse integrierter Umweltschutz, ist vielfach als solcher gar nicht mehr wahrnehmbar und beinhaltet dennoch ein großes Potenzial für nachhaltige Entwicklung. Das bedeutet vor allem: Naturvernichtung und Arbeitsplatzvernichtung haben häufig dieselben Ursachen. Wirtschaftsformen, die die Natur als frei verfügbares Gut betrachten, welches sich beliebig ausbeuten, manipulieren und substituieren lässt, sind nicht länger zeitgemäß. Nachhaltige Entwicklung beinhaltet auch die Bereiche

  • Wirtschaftlichkeit,
  • Produkte und Produktmuster,
  • Konsummuster,
  • Verfahren zur Rohstoffgewinnung bzw. deren Recycling und der Produktverteilung.

Ein Bereich ist besonders hervorzuheben: Das sind die Anforderungen an Produkte und Produkteigenschaften. Ein weitestgehend schonender Verbrauch an Energie, Rohstoffen und Flächen sowie die größtmögliche Nutzung erneuerbarer Ressourcen sind die Kriterien, welche Produkte, Verfahren und Dienstleistungen zukünftig aufweisen müssen. Sie bilden gleichzeitig die Grundlagen für einen vorsorgenden, integrierten Umweltschutz.

Dies erfordert z. B. einen Effizienzsprung beim Materialverbrauch, der u. a. erreichbar ist durch:

  • die Steigerung der Lebensdauer der Produkte,
  • die Steigerung der Reparaturfreundlichkeit der Produkte,
  • die intensivere Nutzung und Wiederverwertung (Recycling),
  • die Miniaturisierung der Produkte,
  • ein ökologisches Produktdesign,
  • eine zunehmende Nutzung erneuerbarer Rohstoffe.

Zum Erreichen dieser ehrgeizigen Anforderungen werden eine ganze Reihe von Innovationen notwendig sein. Mittlerweile gibt es viele Beispiele für einen gelungenen Rekurs auf erneuerbare Rohstoffe, zu verweisen ist auf die Verwendung von Seegras. Moderner Umweltschutz ist daher durchaus auch ein Motor für Innovationen.

Aber nicht nur das: einige der genannten Kriterien, wie beispielsweise die Reparaturfähigkeit der Produkte, berühren unmittelbar die Interessen der für Mecklenburg-Vorpommern typischen kleinen Handwerksbetriebe. Vor wenigen Tagen schrieb die Pasewalker Zeitung: "Die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft verleiten die Menschen dazu, lieber bei Billiganbietern zu kaufen und kaum etwas reparieren zu lassen." Diese Aussage kommt meiner Sicht der Dinge sehr nahe. Moderner Umweltschutz ist also auch im Interesse des Handwerks und damit sind nicht allein die Solarteure und andere Berufsfelder gemeint, die sich unmittelbar mit regenerativen Energien befassen.

Welche Faktoren sind für die Fragen der möglichen technologischen Innovation und der Regionalentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bestimmend?

  • Flächenland mit hoher naturräumlicher Ausstattung,
  • Tourismus als Wachstumsfaktor,
  • geringe Industrialisierung,
  • Landwirtschaft mit steigender Tendenz im ökologischen Landbau.

Davon abgeleitet bestimmt jedes Ressort zunächst einmal seine spezifischen Entwicklungsziele, die dann in einen Zusammenhang gebracht werden müssen. Um Konflikte dabei möglichst klein zu halten oder gar zu vermeiden, müssen die verbindenden Elemente zwischen Naturschutz, Tourismus, Landwirtschaft und technologischer Entwicklung für die regionale Wertschöpfung gefunden und genutzt werden.

Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien kann ein solches verbindendes Element sein. Die Notwendigkeit zur Umstrukturierung der Energiewirtschaft ergibt sich nicht nur aus den vor uns liegenden Problemen eines drohenden Klimawandels, sondern auch aus den zunehmenden Abhängigkeiten von Energieimporten und den damit verbundenen volkswirtschaftlichen und politischen Risiken. Im übrigen sind die fossilen Energieressourcen, auch Uranvorkommen begrenzt. Bei der Diskussion um Produktionsstandorte, um Steuereinnahmen und um Wertschöpfung in Mecklenburg-Vorpommern werden die sich dafür bietenden Möglichkeiten durch Energieproduktion noch immer unterbewertet. Dabei sind wir, trotz aller zu verzeichnenden Erfolge bei der Nutzung der Potenziale erneuerbarer Energiequellen, noch immer am Anfang. Gerade im zukunftsträchtigen Bereich der regenerativen Energien besitzt Mecklenburg-Vorpommern erhebliche Potenziale:

Als küstennaher Standort verfügen wir über ausgezeichnete Voraussetzungen hinsichtlich der Nutzung von Windenergien. In diesem Bereich gibt es auch bereits eine erfreuliche Entwicklung bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der weitere Ausbau dieser Nutzungsform muß aber auch mit Augenmaß betrieben werden.

Mit 1600 bis 1800 Sonnenstunden pro Jahr gehört Mecklenburg- Vorpommern zu den sonnenreichsten Standorten Deutschlands, was nicht nur für den Tourismus sondern auch für die verschiedenen Möglichkeiten der Solarenergienutzung von Bedeutung ist.

Veränderte Rahmenbedingungen im Agrarbereich erfordern eine Neuorientierung bei der Flächennutzung. Die energetische, aber auch stoffliche Nutzung der Biomasse kann zu einem besonderen Schwerpunkt für Mecklenburg-Vorpommern werden. Neben den dafür notwendigen technischen Innovationen ergeben sich auch erhebliche Beschäftigungspotenziale für Land- und Forstwirtschaft. Die Wettbewerbsfähigkeit entsprechender Produkte kann sich allerdings nicht allein aus ökologischen Vorteilen tragen, es gilt eine Vielzahl von Problemen im logistischen und technologischen Bereich zu lösen. Aber auch darin besteht eine Chance für Innovationen, Technologien und regionale Strukturen.

Ökologisches Bauen ist nicht nur eine Zukunftsoption und ein Erfordernis im Sinne des Klimaschutzes, sondern ein verbindendes Element zwischen den verschiedenen Interessen. Die Einmaligkeit touristischer Regionen kann dadurch aufgewertet werden und der Anspruch auf eine nachhaltige Entwicklung unmittelbar dokumentiert werden. Mit den Möglichkeiten der Energieeinsparung, des Einsatzes ökologischer Baustoffe und der Nutzung erneuerbarer Energiequellen können die Betriebskosten gesenkt und ein neuer Imagefaktor entwickelt werden. Das heißt, eine nachhaltige touristische und wirtschaftliche Entwicklung wird ermöglicht.

In den letzten Jahren ist es gelungen, in diesem Land Pilotvorhaben auf den Weg zu bringen und beispielgebend in vielen Lebensbereichen Maßnahmen zu initiieren, die den oben genannten Möglichkeiten bereits Rechnung tragen. Beispielhaft seien genannt:

Erstens: Im Heizkraftwerk Friedland wird erstmals in Deutschland das Organic-Rankine-Cycle-Verfahren (Möglichkeit der Nutzung der Niedertemperaturwärme für die Stromerzeugung - ORC-Verfahren) bei der Biomasseverwertung angewendet; Planung und Begleitung liegen bei der Gesellschaft für Motoren und Kraftanlagen mbH (GMK) aus Bargeshagen.

Zweitens: Das erste ORC-Verfahren in Deutschland im Bereich Geothermie kommt in Neustadt-Glewe zur Anwendung; Planung und Begleitung liegen bei Geothermie Neubrandenburg GmbH (GTN).

Drittens: In Rostock wurde ein großer Wohnblock mit Solaranlagen ausgerüstet, die Wohnungen mit Wärme versorgen, die überschüssige Wärme wird im Grundwasser gespeichert. Nach dem gleichen Prinzip soll in Neubrandenburg demnächst überschüssige Sommerwärme des GuD-Kraftwerks der Stadtwerke im Untergrund für eine Nutzung im Winter gespeichert werden, Planungen für dieses System erfolgten ebenfalls von GTN.

Viertens: Mecklenburg-Vorpommern ist inzwischen Vorreiter bei der Anwendung multifunktioneller Photovoltaikanlagen, z. B. bei fassadenintegrierter Anlagen-Verschattung, Wetterschutz und photovoltaische Energiewandlung, die größte Anlage im Land ging am 8. Dezember 2003 am Klinikum Süd in Rostock ans Netz.

Fünftens: Den Umweltpreis des Landtages Mecklenburg-Vorpommern zum Gedenken an Ernst Boll 2001/2002 erhielt das Amt Klützer Winkel für das Projekt "Entsorgung durch Verwertung von Seegras und Algen". In der Begründung der Jury hieß es: "...das damit ein hervorragendes Beispiel für die Verknüpfung von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten im Sinne einer nachhaltigen und zukunftsbeständigen Entwicklung liefert. Projekt- Gegenstand ist ein typisches Umweltproblem von Küstengebieten: Durch Verwertung des angespülten organischen Treibgutes wird nicht nur die Umwelt entlastet, sondern zugleich die regionale Wertschöpfung erhöht. Bemerkenswert ist der Einsatz der Projektinitiatoren, der weit über das übliche Maß hinausgeht. Im Amtsbereich auf einer Anregung einer Diplomarbeit entstanden, wird das Projekt mittlerweile von einem Verbund mit neun Partnern aus drei europäischen Ländern getragen und finanziell mit Mitteln der Europäischen Union im Rahmen der Initiative "Life Umwelt" gefördert. Das innovative Pilotvorhaben hat Modellcharakter für europäische Küstenregionen. "

Sechstens: Das Pilotvorhaben zur Wasserstofferzeugung und Nutzung auf der Kläranlage Barth hat inzwischen auch international Beachtung gefunden und dies, obwohl der vorgesehene Wasserstoffbus erst 2004 geliefert werden kann.

Siebtens: Ein Solarzentrum, welches als Informations-, Demonstrations- und Weiterbildungszentrum dient, ist am Standort Wietow entstanden. Es ist eingebunden in das Projekt "100 Prozent regenerativ versorgte Region Lübow-Krassow" im Rahmen des EU-Forschungsprojektes "100 PERCENT RENET" und gleichzeitig ein hervorragendes Beispiel für ökologisches Bauen.

Achtens: Beispiel "ProWinSun" in Wismar: eine kleine Firma, die durch die gleichzeitige Nutzung von Wind und Sonne vom Stromnetz völlig autarke Beleuchtung für Buswartehäuschen, Straßenlaternen, Informationstafeln, Werbeträgern bieten kann.

Neuntens: Die Firma "Saria" (Rethmann) entwickelte in Malchin ein Verfahren zur Erzeugung von Biodiesel aus tierischen Fetten. Zehntens: An der Universität Rostock wurde in Zusammenarbeit mit der OVVD Rosenow ein Verfahren zur Verwertung von Deponiegas mit niedrigem Methangehalt entwickelt.

Neben der beispielhaften Anwendung entsprechender Verfahren im Lande selbst sind auch Anstrengungen zur Weiterentwicklung entsprechender Technologien und Praktiken zu nennen. Vor allem im Bereich der Verstätigung der Energiebereitstellung aus erneuerbaren Energiequellen besteht noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf, z. B. bei der Speicherung und Umwandlung der regenerativen Energien (Wärme, Elektroenergie, Wasserstoff).

Herausforderungen und Anregungen ergeben sich hier nicht nur für die Absolventen unserer Universitäten und Fachhochschulen, sondern auch für kleine und mittlere Unternehmen hinsichtlich interessanter und zukunftsträchtiger Arbeitsplätze. Es ist ein Gebot der Stunde, dass trotz aller konkurrierenden wirtschaftlichen Interessen eine gemeinsame Strategie zwischen den Bereichen Wirtschaft, Forschung und Entwicklung sowie Politik entwickelt wird, aus der die Gesellschaft auch ihre Möglichkeiten zur sozialen Stabilität schöpfen kann. Indikator für den Erfolg einer nachhaltigen Entwicklung ist die Sicherung der Entwicklungsmöglichkeiten der heutigen sowie auch zukünftiger Generationen.

Die verschiedenen Förderinstrumente, so auch die Klimaschutz-Förderrichtlinie des Umweltministeriums, bieten finanzielle Anreize zur Unterstützung von Maßnahmen, die der Nutzung erneuerbarer Energiequellen und der Energieeinsparung dienen. Für eine breit angelegte Strategie muß es aber gelingen, die verschiedensten Synergien insbesondere im Bau- und Technologiebereich effektiv zu nutzen, da die spezifischen Förderinstrumente allein nicht ausreichen werden, um die notwendigen Schritte im Sinne der Reduzierung von Treibhausgasemissionen einzuleiten.

Die naturräumliche Ausstattung und die Siedlungsstrukturen, die Verbindung zwischen Naturschutz und Tourismus und der damit verbundene Anspruch an einen sorgsamen Umgang mit den Ressourcen erfordern geradezu eine komplexe Strategie für ökologisches Bauen und erneuerbare Energien. Dezentrale Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien ist eine Chance für regionale Wertschöpfung, für Innovation, neue Produkte und Verfahren.

All das wird sich allerdings nicht kurzfristig einstellen und bedarf einer Untersetzung in allen gesellschaftlichen Ebenen. Ich erinnere an das eingangs dargestellte Ressortdenken. Akteure verschiedener Herkunft und Fachrichtungen müssen Möglichkeiten zur Kooperation bekommen. Hierzu sind Plattformen und Netzwerke notwendig, die geschaffen werden müssen, um Akteuren verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ein Zusammentreffen und ein gemeinsames Wirken zu ermöglichen. Dazu einige Beispiele:

Mit den etwa 200 Lokalen Agenden wurden auf kommunaler Ebene Foren für eine übergreifende Zusammenarbeit geschaffen. Dafür haben wir Fördermöglichkeiten geschaffen und in einigen Bereichen beachtliche Erfolge erzielt. Der nächste Schritt muß die Abstimmung mehrerer Kommunen zu regionalen Agenden sein. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Stadt-Umland-Beziehungen.

Mit der Koalitionsvereinbarung wurde im Herbst 2002 der Auftrag an die Verwaltung ausgegeben, eine Landesagenda für Mecklenburg-Vorpommern zu erarbeiten. Unter der Federführung des Umweltministeriums hat eine interministerielle Arbeitsgruppe unlängst mit den Arbeiten hierzu begonnen.

Neben den Kommunen ist die Wirtschaft mit ihren Kammern und Verbänden ein sehr wichtiger Akteur hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung. Es erscheint wenig zukunftsfähig, wenn der Dialog zwischen der Wirtschaft und der Umweltverwaltung allein aus gesetzlichen Vorschriften besteht. Partner hingegen versuchen, einen Konsens herzustellen, bevor sie sich Vorschriften machen.

Genau dies ist mit der im August 2001 geschlossenen "Umweltallianz Mecklenburg-Vorpommern" beabsichtigt, die auch der Wirtschaftsminister und die Präsidenten der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern und der Vereinigung der Unternehmensverbände Mecklenburg-Vorpommern unterzeichnet haben. Besondere Anstrengungen der Unternehmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes werden durch die Behörden im Gegenzug durch weniger Bürokratie und Kontrollen belohnt, wo immer dies möglich ist. Das hilft der Umwelt, hilft den Unternehmen und führt gleichzeitig zu einer Entlastung unserer Behörden. Derzeit sind u. a. folgende ausgewählte Schwerpunktthemen Inhalt der Sitzungen der Umweltallianz:

  1. Verfahrenserleichterungen und Gebührenermäßigungen für Unternehmen: Das Umweltministerium prüft den Ermessensspielraum des Landes zur rechtlichen Umsetzung von Erleichterungen, so dass im Ergebnis ein überarbeiteter Erleichterungserlass vorliegen und in Kraft gesetzt werden soll.
  2. Bürokratieabbau: Hier soll in einem ersten Schritt der bürokratische Aufwand in ausgewählten Unternehmen untersucht werden, der durch Berichtspflichten u. a. entsteht. Dabei wird eine Zusammenarbeit mit der Wissenschaft (Uni Rostock) entwickelt.
  3. Verbesserung der Kommunikation zwischen Behörden und Wirtschaft: Zu bestimmten Schwerpunktthemen werden Konferenzen durchgeführt, zu denen Vertreter von (Vollzugs-)Behörden und der Wirtschaft geladen werden. Den Auftakt machte Ende August eine Veranstaltung zur EU-Wasserrahmenrichtlinie, im Oktober erfolgte eine zweite Veranstaltung zur Störfallverordnung. Beide Veranstaltungen waren mit insgesamt etwa 170 Teilnehmern sehr gut besucht.

Ähnlich den lokalen Agenden ist auch die Umweltallianz kein statisches Gebilde, sie lebt durch die Personen, die sich für sie engagieren. Sie bietet den Unternehmern die Möglichkeit, sich in diesen Prozess einzubringen und ihren Status als Unternehmer auch dazu zu nutzen, die Gesellschaft mitzugestalten, etwas zu unternehmen. Ich sehe hier durchaus auch ein bürgerschaftliches Engagement, denn die Unternehmer sind freiwillig aktiv.

Eine gerade für unser Land wichtige Fachallianz habe ich im September des vergangenen Jahres unterzeichnet: die Allianz "Umwelt und Landwirtschaft". Zusammen mit dem Landwirtschaftsminister und dem Landesbauernverband u. a. sollen im Rahmen dieser Allianz ganz konkrete und wichtige Fragestellungen bei der Umsetzung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik bearbeitet und Lösungen möglichst im Konsens entwickelt werden. Ziel ist die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft, also einer umweltverträglichen und gleichzeitig betriebswirtschaftlich und sozial stabilen Landwirtschaft mit möglichst günstigen volkswirtschaftlichen Effekten für das Land. Die Ergebnisse der Allianz sollen auch die weitere finanzielle Förderung der Landwirtschaft im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik unter Beachtung der Umweltbelange sicherstellen. Hierbei steht im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung der langfristige Erhalt einer gewinnbringenden Landwirtschaft im Vordergrund und nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung.

Ein weiterer wichtiger Partner auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist die Wissenschaft. Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess. Immer neue Erkenntnisse aus den Wissenschaften führen zur notwendigen Überprüfung der Zielstellungen und Wege. Sind unsere Visionen kompatibel mit der Tragfähigkeit unserer natürlichen Systeme? Und wenn ja: Wie können wir diese Visionen am schnellsten und erfolgreichsten realisieren?

Die aufgeworfenen Fragen können nicht allein in Amtsstuben entschieden werden, sie müssen vorher und hinterher wissenschaftlich geklärt und erläutert werden. Kurz: es muss eine Plattform geben, auf der sich Vertreter von Wissenschaft und Verwaltung austauschen können. Deshalb habe ich Ende 1999 den Wissenschaftlichen Beirat des Umweltministeriums (WBU) ins Leben gerufen. Über 60 Wissenschaftler aus nahezu allen wissenschaftlichen Institutionen des Landes haben hier drei Jahre engagiert mitgearbeitet und das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung vor dem Hintergrund der von ihnen vertretenen Disziplinen interpretiert.

Als ein wesentliches Ergebnis der Arbeiten des Beirates nenne ich hier die "Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates für ökologische Grundlagen einer Nachhaltigen Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern". Hier finden sich selbstverständlich auch Hinweise für Maßnahmen, die den ländlichen Raum betreffen. Ich nannte bereits die Stadt-Land-Partnerschaften.

Andere Empfehlungen thematisieren beispielsweise die Rolle der Baukultur als Identitätsstifter. Die baulich-architektonische Kulturlandschaft ist sicher ein tragendes Element der Identität ländlicher Regionen, besonders in Mecklenburg-Vorpommern.

Wie ein roter Faden zieht sich der Bereich Umweltbildung/Bildung für Nachhaltigkeit durch nahezu alle Empfehlungen. Gerade die jungen Menschen sind einerseits hoch sensibel, wenn ihnen Nachhaltigkeit als Aufruf zum Verzicht vorgestellt wird, andererseits kann man sie leicht für Engagement begeistern, wenn sie von einer Sache überzeugt sind. Schutz von Umwelt und Natur rangieren in der Werteskala von Jugendlichen sehr weit oben. Das Freiwillige Ökologische Jahr ist ein Instrument, welches zum Mitmachen einlädt und über praktische Arbeit Einsichten vermittelt. Wir möchten möglichst vielen jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich im Bereich der Ökologie und des Umweltschutzes umzuschauen und zu bewähren. Glaubt man den Rückmeldungen, die uns erreichen, so macht es den meisten auch noch sehr viel Spaß. Das Umweltministerium hat die Zahl der Stellen für das Freiwillige Ökologische Jahr von 80 (1998) auf heute 132 erhöht. Dabei sind mittlerweile Jugendliche aus Polen und den baltischen Staaten. Seit seiner Einführung im Jahr 1993 haben mehr als 1000 Jugendliche das Freiwillige Ökologische Jahr absolviert.

Ebenso wichtig wie das Freiwillige Ökologische Jahr ist die tagtägliche Umweltbildung in Schulen, Hochschulen und außerschulischen Einrichtungen, in Verbänden, Vereinen und Kirchen. Auch in diesem Bereich engagiert sich das Umweltministerium außerordentlich, z. B. durch die Förderung von Projekten, von Wettbewerben oder der Erarbeitung von Informationsmaterialien.

Natürlich kostet vieles von dem, was ich nannte, auch Geld, aber ich betone ausdrücklich: es kostet weniger Geld als nichts zu tun. Denn nichtnachhaltiges Wirtschaften ist auf Dauer erheblich teurer und die Hauptlast dieser Kosten haben die nachfolgenden Generationen zu tragen.

Allerdings ist auch nicht alles, was für den Zusammenhalt einer Gesellschaft wertvoll ist, wirklich teuer. Nach einer Aufstellung der Münchener Rückversicherungsgesellschaft wurden im Jahre 2002 weltweit fast 700 versicherungsrelevante Naturkatastrophen gezählt. Dabei kamen über 10.000 Menschen ums Leben. Die volkswirtschaftlichen Schäden betrugen rund 55 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: die Kosten für die Umsetzung aller in der Agenda 21 genannten Ziele wurden auf etwa 600 Milliarden Dollar, verteilt auf sieben Jahre, geschätzt.

Dennoch leiden viele Agenda-21-Projekte an den knappen Kassen. Es kann aber nicht allein die Aufgabe der öffentlichen Hand sein, Projekte zur Nachhaltigen Entwicklung finanziell zu unterstützen. Ebenso ist privates Kapital gefragt. Aus diesem Grunde ist es erfreulich, dass es gelungen ist, mit der Stiftung Akademie für Nachhaltige Entwicklung Mecklenburg-Vorpommern (ANE) eine Institution zu gründen, die Projektgelder zur Unterstützung der Nachhaltigkeit bereit hält. Der Kapitalstock wird kontinuierlich weiter erhöht, so dass - beeinflusst durch die Entwicklungen an den Kapitalmärkten - hoffentlich steigende Zinserträge zur Verfügung stehen.

Nachhaltige Entwicklung kennt keine Insellösungen. Diese Aussage hat jedoch selbstverständlich auch auf internationaler Ebene Bedeutung. Mit der "Regionalen Agenda 21 Stettiner Haff - Region zweier Nationen" haben wir begonnen, bei der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit auf der internationalen Ebene neue Wege zu gehen. Ich sehe in dieser Vereinbarung mit der Wojewodschaft Westpommern auch einen wichtigen Schritt in Richtung einer konkreten EU-Osterweiterung. Diese Kooperation wird nicht allein dem Umweltschutz zugute kommen, sie wird auch helfen, die ökonomische und soziale Situation der Menschen im Grenzgebiet zu verbessern.

Sehr wichtig ist es m. E., kommunale Akteure aus den Orten im Grenzgebiet zusammenzuführen und ihnen Möglichkeiten eines gemeinsamen Engagements zu geben. Wenn diese gemeinsamen Aktivitäten beispielsweise für den Umweltschutz dazu führen, dass vielleicht vorhandene gegenseitige Vorurteile über Polen oder Deutsche abgebaut werden, so hat die Agenda 21 abermals die rein ökologische Dimension überschritten.

Ich habe versucht, einige Eckpunkte meiner Umweltpolitik als Teil der Nachhaltigkeitspolitik für Mecklenburg-Vorpommern vorzustellen. Ich möchte damit ausdrücken, dass ich selbstverständlich die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung bei der Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung sehe. Hierfür muss durch die Europäische Union, durch den Bund, aber auch durch die Länder ein Kontext geschaffen werden, der eine nachhaltige Entwicklung fördert. Ich möchte es eine "Politik des Ermöglichens" nennen, die bürgerschaftliches Engagement nicht nur zulässt, sondern die Menschen zur Mitgestaltung anregt und auffordert. Umweltpolitik ist kein Hindernis, sondern geradezu ein Motor für Innovation, Wissenschafts- und Technologieentwicklung sowie nachhaltige - ökologische, ökonomische und soziale - Regionalentwicklung.

Wolfgang Methling - Jg. 1947, Prof. Dr., Veterinärmediziner; Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Umwelt des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag im Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung "Forschung und Technologie für nachhaltige Entwicklung: Innovation, Regionalentwicklung, Politik - Perspektiven gestalten", 28. und 29. November 2003 in Rostock-Warnemünde.

"Am 31. 8. 2001 wurde durch den Umweltminister, den Wirtschaftsminister, die Präsidenten der drei Industrie- und Handelskammern, der beiden Handwerkskammern sowie der Vereinigung der Unternehmensverbände M-V die "Umweltallianz Mecklenburg-Vorpommern" unterzeichnet. Diese Vereinbarung dient dem Ziel einer freiwilligen, langfristig angelegten Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine umweltverträgliche Wirtschaftsentwicklung." www.um.mv-regierung.de/bericht/pages/01.htm. "Mit der Umweltallianz Mecklenburg-Vorpommern gehen die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und die unterzeichnende mecklenburg-vorpommersche Wirtschaft eine freiwillige und langfristig angelegte Vereinbarung ein, deren Ziel die ständige Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und umweltverträgliche Wirtschaftsentwicklung in Mecklenburg- Vorpommern ist." Beitrag der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zur Nachhaltigen Entwicklung. Industrie- und Handelskammern Mecklenburg- Vorpommern (2001), S. 8.

"Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wird bei der Erarbeitung bzw. Fortschreibung bundesrechtlicher und landesrechtlicher Umweltvorschriften die Ziele der Umweltallianz Mecklenburg- Vorpommern im Sinne einer umweltverträglichen und nachhaltigen Entwicklung der mecklenburg-vorpommerschen Wirtschaft vertreten." Ebenda, S. 10.

"Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern setzt sich für eine anschauliche Umweltberatung auch zu betrieblichen Umweltmanagementsystemen mit Hilfe von Modellprojekten und entsprechenden Handreichungen ein." Ebenda, S. 11.

"Die mecklenburg-vorpommersche Wirtschaft sieht in der Weiterentwicklung des betrieblichen Umweltschutzes einen wesentlichen Baustein der Umweltallianz Mecklenburg-Vorpommern. Sie wird sich daher für die Verbesserung der Kenntnisse der Umweltvorschriften in Unternehmen einsetzen." Ebenda.

"Eine besondere Initiative ist hierbei die "Regionale Agenda 21 Stettiner Haff - Region zweier Nationen", die im September 2002 durch den Umweltminister Prof. Dr. Methling und seinem polnischen Amtskollegen unterzeichnet wurde. Ziel ist die nachhaltige Entwicklung des deutsch-polnischen Grenzgebietes." www.um.mv-regierung.de/bericht/pages/01.htm.

 

in: UTOPIE kreativ, H. 162 (April 2004), S. 364-371

aus dem Inhalt

VorSatz Essay MATTHIAS KÄTHER: Über Marxens Rezeptionsmethoden Demokratischer Sozialismus EVELIN WITTICH: Debatte um ein Denkmal für Rosa Luxemburg Reproduktion von Vorurteilen oder Beginn einer differenzierten Geschichtsaneignung? MICHAEL BRIE: Rosa Luxemburg und Alexandra Kollontai - Parteinahme für einen demokratischen Sozialismus Stalinismus-Diskussion OTTO LACIS: Woran ist die KPdSU gescheitert? Europa im Umbruch WILHELM ERSIL: Kerneuropa: Drohungen und Tendenzen ASSIA TEODOSSIEVA: Bulgarien zwischen Jahrtausendgeschichte und Globalisierung Standorte WOLFGANG METHLING: Umweltpolitik - Impulse für technologische Innovation und Regionalentwicklung Bücher & Zeitschriften Torsten Bewernitz: Global X. Kritik, Stand und Perspektiven der Antiglobalisierungsbewegung (FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER); Jay Y. Gonen: The Roots of Nazi Psychology. Hitlers Utopian Barbarism (RICHARD SAAGE); Karl Mannheim: Konservatismus (ULRICH BUSCH); Jean Ziegler: Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher (MARIO CANDEIAS); Peter Bender: Weltmacht Amerika. Das Neue Rom (JÖRG ROESLER)