Bildung á la bolognaise

Europäische Hochschulpolitik

in (10.07.2004)

Der "Bologna-Prozess" ist Anlass für die größten Umstrukturierung im deutschen Bildungswesen seit den 70er Jahren...

...Trotzdem ist er hier nur Wenigen ein Begriff. Es handelt sich um einen 1998 mit der "Sorbonne Deklaration" eingeleiteten Prozess zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums.

Um dies zu erreichen, sollten die nationalen universitären Strukturen einander angeglichen, verstärkt Abschlüsse gegenseitig anerkannt und die nationalen Studiensysteme in zwei Studienzyklen gegliedert werden. 1998 ging die Initiative von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien aus. Heute sind über 40 europäische Staaten beteiligt. Die Zielsetzung änderte sich von der oben genannten Harmonisierung, hin zu einer Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der globalen Attraktivität des europäischen Hochschulraums. Dieser soll nicht nur der Förderung der Mobilität, sondern auch der arbeitsmarktbezogenen Qualifikation der HochschulabsolventInnen dienen sowie die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit Europas als Ganzes steigern.
Obwohl einige der Ideen, wie Mobilität und die Anerkennung von Abschlüssen, die mit Hilfe des Bologna Prozesses verwirklicht werden sollen, begrüßenswert sind, ist der Prozess zu kritisieren und muss vorerst als Ganzes abgelehnt werden. Die Erklärungen der Bildungsminister sind politische Willensbekundungen ohne die Einbindung der Parlamente. Sie beinhalten wenig Konkretes außer der Zahl 2010, dem Datum der geplanten Vollendung des Europäischen Hochschulraums. Dennoch werden sie auf nationaler Ebene wie Richtlinien oder Gesetze behandelt, die nach Umsetzung verlangen. In Deutschland bestimmt die Umsetzung vor allem die Kultusministerkonferenz (KMK) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Denen ist es gelungen, sich die Interpretationshoheit über die vagen Texte anzueignen. Um die Zielsetzung des Bologna-Prozesses zu erreichen, gab es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die nicht zwangsläufig auf eine Einführung von Bachelor und Master hätte hinauslaufen müssen.
Die KMK nutzt den Bologna-Prozess, um alte konservative Ideen umzusetzen. Mit der Einführung von Bachelor/Master wird es möglich, ein kurzes berufsqualifizierendes Studium für die Masse und ein wissenschaftliches weiterführendes für eine Elite einzuführen. Ersteres führt die Mehrzahl der Studierenden zum Berufseintritt, während der Zugang zum Master von weiteren "besonderen Zugangsvoraussetzungen" abhängig gemacht wird. Diese ‚besonderen Zugangsvoraussetzungen‘ - hervorragende Abschlusszeugnisse, Berufserfahrung - wird daran geknüpft, dass zwei Studiengänge inhaltlich und zeitlich aufeinander aufbauen (Konsekutivität). Ein nicht konsekutiver Master-Studiengang wird vermutlich als Zweitstudium gewertet. So ergibt sich zum einen die Option, für diesen Studiengebühren zu erheben. Zum anderen ist zu erwarten, dass nur ein kleiner Teil der Bafög-EmpfängerInnen während ihres Master-Studiums gefördert wird.
Die Universitäten hätten die Möglichkeit gehabt, die Einführung von Bachelor/Master hinauszuzögern oder sogar zu verhindern. Dass sich in ihren Führungsetagen schnell Befürworter gefunden haben, liegt an ihren eigenen finanziellen Interessen. In den stringent organisierten Bachelor-Studiengängen ist ein Langzeitstudium beinahe unmöglich. Dadurch sollen große Sparpotentiale geschaffen werden. So hat die Einführung von Bachelor/Master aber eine deutliche Verengung und Verschulung des Studiums zur Folge.
Der Bologna Prozess ist heute ein konservatives bis neoliberales Projekt und viele Handlungsoptionen für Studierende sind angesichts der fortgeschrittenen Umsetzung verbaut. Die Möglichkeit, sich zu Beginn einzuklinken und auf den Prozess und seine deutsche Umsetzung einzuwirken, wurde verpasst. Die Interpretationshoheit liegt bei Gruppen, die nicht im Interesse von Studierenden handeln, und wird dort vorerst bleiben. Die übrigen Handlungsoptionen liegen in den Hochschulinstituten. Dort muss man sich jetzt in den Gremien engagieren, um studentische Forderungen zu vertreten und umzusetzen. Da Studierende in diesen Gremien in der Minderheit sind, muss man die dort vorgestellten Konzepte und studentischen Gegenentwürfe einem größeren Publikum bekannt machen. Nur dann lässt sich studentischer Protest organisieren, der Änderungen erzwingen kann. Daneben muss man auf Landes- und Bundesebene dafür sorgen, dass der Fortbestand von Magister und Diplom festgeschrieben wird und die Zugangsbeschränkungen zum Master aufgehoben werden.