Drei Kreuze für ein Kopftuch?

Debatte

in (10.08.2004)

Ein Kopftuchverbot kann sich nicht auf das Neutralitätsgebot stützen

Am 24. September 2003 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde von Fereshta Ludin, der die Oberschulbehörde Stuttgart den Eintritt in den Schuldienst wegen ihres Kopftuches verweigert hatte. Für einen solchen Eingriff in die Glaubensfreiheit existiere keine gesetzliche Grundlage, die Frage des Verbots von Kopftüchern obliege den Bundesländern, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Nun planen mehrere Länder Gesetze für ein Kopftuchverbot.
Die Debatte um das Kopftuch von Lehrerinnen dreht sich um das Neutralitätsgebot des Staates, die Grundrechte von SchülerInnen und LehrerInnen und die Emanzipation muslimischer Frauen. Es ist jedoch überraschend, dass auf einmal katholische Erzbischöfe mit der Unterdrückung der Frau, VerfechterInnen von Kruzifixen in Schulen mit dem Neutralitätsgebot argumentieren. Vielen BefürworterInnen eines Kopftuchverbots gelingt es nicht so recht, die rassistische Motivation ihrer Position zu verbergen. Den rassistischen oder zumindest chauvinistischen Kern der Debatte zeigen die konkreten Ausformulierungen der Gesetzesentwürfe, in denen das Verbot religiöser Symbole das christliche Kreuz ausdrücklich ausnimmt. Eine Positionierung ohne rassistische Konnotation kann nur die gleichberechtigte Behandlung aller religiösen Symbole beinhalten. Zwischen dem allgemeinen Verbot oder der allgemeinen Zulassung muss abgewogen werden.
Das Neutralitätsgebot schreibt dem Staat die Gleichbehandlung verschiedener Bekenntnisse vor und untersagt ihm, sich mit bestimmten Religionsgemeinschaften zu identifizieren. Die Trennung von Kirche und Staat ist in Deutschland keine strikt vollzogene., was durchaus kritikwürdig ist. Aber auch bei der Forderung nach einer strikten staatlichen Neutralität muss zwischen dem von der Schulbehörde im Schulgebäude aufgehängten religiösen Symbol und dem Symbol, das eine Lehrperson aus individueller Entscheidung heraus trägt, unterschieden werden. Denn das religiöse Symbol der einzelnen Lehrperson fällt unter die Religionsfreiheit gemäß Art. 4 GG. Wenn eine Lehrerin ihre Zugehörigkeit zu einer Religion ausdrückt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sich der Staat diese Zugehörigkeit anrechnen lassen muss. Einzelne LehrerInnen können ihre Religionszugehörigkeit differenziert erläutern, ohne den Eindruck zu vermitteln, ihre Religion sei die einzig Richtige. Die Vielfalt von Religionsangehörigkeiten und Weltanschauungen im LehrerInnenkollegium bedeutet kein einseitiges Bekenntnis des Staates.
Die offenkundige Religionszugehörigkeit von LehrerInnen ist im Grunde nur in einer Schule, die darauf beruht, Autoritäten kritiklos anzuerkennen, ein Problem. In einer demokratischeren Schule als der jetzigen hätte der gefürchtete religiöse Vorbildcharakter von LehrerInnen eine weitaus geringere Bedeutung, da Aussagen von LehrerInnen als subjektive, hinterfragbare Stellungnahmen vermittelt würden. Auch der negativen Religionsfreiheit der SchülerInnen würde so gerecht, da die derzeitige völlige Auslieferung an die Lehrperson nicht gegeben wäre.
Das Verbot aller Religionssymbole ist ohnehin faktisch unmöglich, da die Unterscheidung zwischen religiösen und beispielsweise modischen Symbolen nicht immer eindeutig ist. Um die subtile Erweiterung des Repertoires an religiösen Symbolen zu verhindern, müsste eine Art Uniformisierung des Lehrpersonals stattfinden. Weiterhin hätte die Einschränkung der Religionsfreiheit der Lehrenden eine starke Ungleichheit zur Folge, da Symbolik in jeder Religion eine andere Bedeutung hat. Bei einer kopftuchtragenden Muslimin ist damit zu rechnen, dass sie durch das Verbot völlig auf den Beruf als Lehrerin verzichtet, während dies bei kreuztragenden ChristInnen nicht zu erwarten ist.
Als weiteres Argument für ein Verbot wird angeführt, das muslimische Kopftuch stehe für die Unterdrückung der Frau. Insbesondere muslimische Schülerinnen würden vom Vorbild kopftuchtragender Lehrerinnen negativ beeinflusst. Hier wird sich hier ein - in seiner Verallgemeinerung - schlicht falsches Urteil über die Motive kopftuchtragender Frauen angemaßt. Denn selbst wenn das Kopftuch im Einzelfall tatsächlich für die Unterordnung der betroffenen Frau steht, fördert eine gesetzliche Regelung von Kopfbedeckungen die Selbstbestimmung nicht. Im Gegenteil: Ein Verbot wirkt der Emanzipation kopftuchtragender Frauen entgegen, da es sie faktisch von der Ausübung ihres Berufes ausschließt.
Zu hoffen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Gesetze der Länder, die christliche Symbole privilegieren, für verfassungswidrig befindet. Eine gleichberechtigte Handhabung kann nur bedeuten, alle individuellen religiösen Symbole von LehrerInnen gleichermaßen zuzulassen!

[Debatte: Kopftuchverbot
Vor dem Hintergrund der aktuellen öffentlichen Debatte um ein Kopftuchverbot im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall Ludin erscheinen in dieser Ausgabe der tendenz zwei Debattenbeiträge zum Thema. Diese Beiträge stellen keine Verbandspositionen von JD/JL dar. Eine Beschlussfassung zum Thema erfolgt aller Voraussicht nach auf der Bundesdelegiertenkonferenz der JD/JL Ende März 2004, und ist ab Mitte April über die Homepage www.jdjl.org einsehbar.]