Opposition gegen Neoliberalismus

Neoliberalismus und gewerkschaftlicher Widerstand

"Ist die IGM bei Daimler, VW ... eingeknickt? - Konsequenzen für die IGM" 40-Stundenwoche in der Handyproduktion bei Siemens, 500 Mio. Euro-Einsparung bei Daimler, Karstadt, Opel, VW, ...

"Ist die IGM bei Daimler, VW ... eingeknickt? - Konsequenzen für die IGM"
40-Stundenwoche in der Handyproduktion bei Siemens, 500 Mio. Euro-Einsparung bei Daimler, Karstadt, Opel, VW, ... die Gewerkschaften sind auf breiter Front in der Defensive. Das WSI hat kürzlich in einer Untersuchung der Tarifpolitik für das Jahr 2004 festgestellt, dass die "Tarifpolitik aus der Defensive" heraus geführt worden ist. Zwar konnte eine jahresbezogene Tarifsteigerung von 1,9 % im Westen und 2,5 % im Osten erzielt werden, aber 1. damit ist der verteilungspolitische Spielraum nicht ausgeschöpft worden, d.h. die Umverteilung von den Beschäftigten zu den Unternehmern, von der Arbeit zum Kapital, hat sich auch 2004 fortgesetzt; 2. die effektiven Bruttoeinkommen stagnieren, d.h. Tariflohn- und Reallohn-Entwicklung klafft weiter auseinander.
Die Gründe:
- sinkende Tarifbindung,
- Zunahme betrieblicher Öffnungsklauseln,
- Mini-Jobs
Eine parallele Entwicklung gibt es bei den Arbeitszeiten. Das WSI: die tariflichen Arbeitszeiten seine oftmals kaum mehr als eine "Referenzgröße".
Das WSI sieht eine Ursache dieser Entwicklung in der Verbetrieblichung der Tarifpolitik; und hält den Tarifabschluss der IGM mit der Öffnungsklausel, mit der nicht nur in wirtschaftlich stark gefährdeten Unternehmen, sondern auch zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit vom Tarifvertrag abgewichen werden kann, für einen "qualitativen Wechsel" in der Tarifpolitik.

Die andere Seite: Superprofite
Im Jahr 2004 sind die "Gewinn- und Vermögenseinkommen" geradezu explodiert. Sie schossen um fast elf (10,7) Prozent in die Höhe. Ein Rekord. Dabei handelt sich bei dieser Kategorie um eine pauschale Durchschnittsgröße, in den der Mini"gewinn" des Ich-AGlers wie der fette Gewinnzuwachs des Großunternehmers eingeht. Die Superprofite der Konzerne (Aktiengesellschaften, GmbHs) sind in dieser Kategorie noch gar nicht enthalten. Allein die Profite der Dax-30-Konzerne stiegen im vergangenen Jahr um über 60 Prozent. Sie verfügten Ende September über liquide Mittel von zusammen knapp 102 Mrd. Euro - ein Drittel mehr als vor zwei Jahren.
Geld für Investitionen wäre also im Übermaß vorhanden. Doch trotz Rekordprofite gingen die Investitionen im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent zurück. Sie sanken damit das vierte Jahr in Folge und lagen um 13 Prozent unter dem Niveau vom Jahr 2000. Auf der Basis der Rekordprofite rechnen Finanzanalysten mit einem Dividendenplus von über 40 Prozent in diesem Jahr. Es wird Rekordausschüttung von weit über zehn Milliarden Euro erwartet, die selbst das bisherige Spitzenjahr 2000 in den Schatten stellt.
Z.B. verzeichnet Siemens einen Gewinnsprung von satten 39 Prozent auf einen Rekordgewinn von 3,4 Mrd. Euro (nach Steuern). Das Bemerkenswerte und typische für viele andere Konzerne an dem Ergebnis: Es wurde bei stagnierendem Umsatz erzielt. Deshalb müssen Finanzamt und Belegschaft verstärkt ran. So hat Siemens fast ein Viertel weniger an Ertragssteuern abgeführt, als im Jahr davor: magere 661 Mio. Euro. Steueranteil am Gewinn: 15 Prozent. Mit mehr Stress, Lohnsenkung, unbezahlter Verlängerung der Arbeitszeit und der Vernichtung von fast 4.000 Arbeitsplätzen im Inland wurde der Supergewinn aus der Belegschaft herausgepresst.
Fazit: Die Gewerkschaften sind in ihrem "Kerngeschäft", der Tarifpolitik, in der Defensive.
Da verwundert es nicht, dass sie das in ihren übrigen Aufgabenfeldern ebenfalls sind.
Damit lässt sich jedoch nicht das Umschwenken des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer begründen. Am 14.2.05 wird er in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift "DGB akzeptiert Reformpolitik - Kurswechsel nach erfolglosem Protest" (Da muss einiges an uns vorübergegangen sein, denn von gewerkschaftlichen Protesten war im Sommer, Herbst und Winter nichts zu bemerken) zitiert:
"Wir können und müssen Sozialabgaben senken ... ", "Ich akzeptiere, dass ich die Grundlagen des Sozialstaates durch die demografische Entwicklung und die Globalisierung stark verändert haben. Deshalb müssen wir intensiv darüber diskutieren, welche Aufgaben der Sozialstaat künftig noch übernehmen kann ... welche Leistungen wir künftig solidarisch über Beiträge, welche wir über Steuern und welche wir privat finanzieren." Seinen Schwenk begründet er damit, "dass die Organisation ihre Positionen im vergangenen Jahr wohl nicht verständlich genug vermittelt hätte". (alle Zitate SZ, 14.2.05) Das Problem ist aber weniger die Vermittlung, sondern die Indifferenz der Positionen und das ständige Einknicken der Gewerkschaften.
Wieso sollen auf einmal die Sozialabgaben gesenkt werden müssen? Die Sozialabgaben bzw. Lohnnebenkosten sind keine Nebenkosten, sondern Lohnbestandteil. Jede Senkung ist eine Lohnsenkung. Gerade ist veröffentlicht worden, dass Deutschland im Jahr 2004 wieder Weltmeister im Güterexport geworden ist. Die deutsche Wirtschaft ist trotz der relativ hohen Löhne hoch konkurrenzfähig, weil die Produktivität ebenfalls außerordentlich hoch ist, und deshalb die Lohnstückkosten relativ niedrig sind. In den Lohnstückkosten sind die sog. Lohnnebenkosten eingerechnet. Also was will uns der DGB-Vorsitzende sagen, außer dass er voll auf die neoliberale Leier eingeschwenkt ist?
Demografische Entwicklung? Bei einem Produktivitätszuwachs von 1,8% je Jahr (das ist die Annahme der Rürup-Kommission) wird sich die Produktivität bis zum Jahr 2050 um 135% erhöhen. Jeder Beschäftigte wird somit fast das 2,5-fache von heute produzieren. Die Finanzierungsmöglichkeiten des Sozialstaates nehmen also trotz Alterung nicht ab, sondern zu. Allerdings nur wenn die Gewerkschaften den Verteilungskampf führen und nicht der ganze zusätzliche gesellschaftliche Reichtum auf den Konten des Kapitals verschwindet. Das Hauptproblem der Finanzierung liegt nicht in der "demografischen Entwicklung" sondern in der Massenarbeitslosigkeit und darin, dass die Arbeitnehmer die Verlierer im Verteilungskampf waren.
Was will uns also der DGB-Vorsitzende mitteilen, außer, dass er vor dem neoliberalem Zeitgeist eingenickt und die neoliberalen Litaneien nachbetet. So werden die Gewerkschaften ihre Glaubwürdigkeitskrise nicht überwinden und nicht an Einfluss gewinnen!

Wo liegen die Probleme?
Die Probleme liegen meiner Meinung nach:
1. die Realität der Globalisierung ist jahrelang verdrängt worden. Entweder wurde sie zum Mythos und zur Propagandafloskel der Unternehmer erklärt oder sie wird quasi naturgesetzlich hingestellt. Es gibt keine Analyse der kapitalistischen Globalisierung in der Hinsicht, dass
a.) zwar ein historisch objektiver Prozess ist,
b.) aber die Art und Weise wie sie verläuft, ein politisches Projekt ist, mit dem das Kapital, und vor allem die Multis, das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zu ihren Gunsten verschoben hat.
Der entscheidende Aspekt für gewerkschaftliche Politik ist: Die Multis gehen zunehmend dazu über, ihren gesamten Produktionsprozess aufzubrechen und in einem globalen Entwicklungs- und Produktionsnetzwerk so über die Welt zu verteilen, dass die jeweiligen regionalen Vorteile bestmöglich genutzt werden können. Über die Welt verstreut verbinden sie in einem konzerninternen Netzwerk die technologischen Vorteile mit Niedriglohn in auswärtigen Standorten und organisieren Zulieferungen und Produktion über verschiedene Unternehmen in der ganzen Welt. Ent-Industrialisierung und gleichzeitiger Aufbau modernster Fertigung wird zu einer globalen Erscheinung. Auf dieser Basis wird Druck auf die besser bezahlte und geschützte Arbeit ausgeübt. Die schlechtesten Bedingungen, die niedrigsten Löhne werden zum Maßstab für alle. Die Belegschaften in der Handyfertigung in Kamp-Lintfort bzw. bei Opel wissen, dass es sich bei den Verlagerungsplänen nicht um leere Drohungen handelt. Aufgabe der Gewerkschaften ist, die Konkurrenz unter den Arbeitern aufzuheben. In einem zunehmend globalen Arbeitsmarkt wird die Konkurrenz unter den Arbeitern aber wieder voll wirksam. Die Gewerkschaften haben noch nicht die Kraft entwickelt, sich dem entgegenzustemmen.
2. Dies zusammen hat dazu geführt, dass dem Modell des Nachkriegskapitalismus (soziale Marktwirtschaft, Sozialstaat, Rheinischer Kapitalismus, Deutschland AG, ...) der Boden entzogen worden ist. In den Gewerkschaften ist zwar des öfteren die Rede vom "Systemwechsel", aber wirklich untersucht und Schlussfolgerungen wurden nicht gezogen. Im Gegenteil, der tote Gaul "Sozialpartnerschaft" wird immer weiter geritten.
3. Franz Steinkühler, damals IGM-Vorsitzender, hat 1990 gesagt, dass wir uns auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa nicht damit abfinden werden, dass Kapitalismus das Ende der Geschichte sein soll. Wir werden auch in Zukunft für eine solidarische, demokratische, friedliche Gesellschaft kämpfen. Nur, in der Realität - und sogar in den Sonntagsreden am 1. Mai - ist alles aufgegeben, was nur in Ansätzen über den Kapitalismus hinausgeht.

Neoliberale Hegemonie
Albrecht Müller entlarvt und widerlegt auf exzellente Weise in seinem Buch "Die Reformlüge" die neoliberalen Lügen. Nicht zum erstenmal. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen ähnlichen Inhalts. Und trotzdem: Wir kommen nicht voran. Wir stehen als Nein-Sager da.
Vor allem steht die Frage: Wer soll das durchsetzen? Die Gewerkschaften waren die einzige relevante Opposition gegen die neoliberale Politik. Aber den Großdemonstrationen vom 3. April 2004 ist der schwerste Rückfall gefolgt. Nun haben auch die Gewerkschaften die Opposition gegen den Neoliberalismus aufgegeben. Rot-Grün hat die Basis des Neoliberalismus so verbreitert, dass die Opposition gegen den Neoliberalismus nur noch aus unverbesserlichen Traditionalisten oder aus Linksradikalen bestehen kann. Obwohl die Zerstörungen durch den Neoliberalismus immer größer werden, ist die Opposition gegen den Neoliberalismus nach wie vor marginalisiert. Dies hängt auch damit zusammen, dass es kein alternatives Projekt zum Neoliberalismus als Gesamtkonzept (Ökonomie, Macht, Politik, Kultur, Arbeitsbeziehungen) gibt.
Die Menschen wissen mehr oder weniger instinktiv, dass die kapitalistische Globalisierung die Grundlagen des Sozialstaats unterminiert hat. Deshalb ist ein "Nein" zum Neoliberalismus schwach, wenn es auf die Wiederherstellung des alten Sozialstaates orientiert (z.B. besonders ausgeprägt bei A. Müller).
Zweitens: Immer mehr Menschen werden von unseren Verteidigungspositionen gar nicht mehr erfasst.
Bei Siemens, Daimler, etc, gibt es wenigstens noch eine Debatte, wenn die Arbeitszeit verlängert wird. Aber erreicht das Thema der Verteidigung der 35-Stundenwoche (wobei ich ganz stark dafür bin, den Kampf um die Verteidigung der 35 Stundenwoche aufzunehmen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es dazu einer betrieblichen und gesellschaftlichen Mobilisierung bedarf, vergleichbar derjenigen, die zu ihrer Durchsetzung erforderlich war) noch die Arbeitsrealität der Beschäftigten in den Klein- und Mittelbetrieben?
Drittens: Mit der rasanten Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse werden immer mehr Beschäftigte - auch ohne Öffnungsklauseln - aus dem Tarifvertrag herausgezogen. Die Verteidigung des Normal-Arbeitsverhältnisses geht an der Lebensrealität von immer mehr Menschen vorüber.
Mit Hartz IV wird ein Niedriglohnsektor geschaffen, der so einen Druck auf die Beschäftigten ausübt, dass diese bereit sind, für weniger Geld länger zu arbeitenlänger
Viertens: Die SPD hat sich zu einer neoliberalen Partei gewandelt. Und sie hat die soziale Kompetenz und die Kraft verloren, diese Politik zu korrigieren. Da bleibt der Opposition nahezu kein Spielraum mehr, außer zu sagen: mit uns ginge das noch schneller und noch radikaler. Was dann dazu führt, dass in der SPD das geringere Übel gesehen wird. Aber wenn sich die Gewerkschaften nicht aus dem Händedruck mit der SPD lösen, werden sie mit in den Abgrund gerissen werden.
Fünftens: Der Neoliberalismus ist tief in das Alltagsdenken der Menschen eingedrungen und die neoliberale Kritik am Sozialstaat wird aufgenommen: der Staat muss sparen; es gibt keine Alternative zum Kampf um die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt; die Sozialsysteme sind nicht mehr finanzierbar, Sparen für die Altersversorgung ist notwendig (Was individuell sinnvoll ist, wird auf die Gesellschaft übertragen. Hier ist es aber falsch. Denn auch das größte Geld- oder Aktienpaket ist wertlos, wenn dem kein aktuell produzierter Gegenwert gegenübersteht. Aller Sozialaufwand, unabhängig ob als Umlageverfahren oder über ein Kapitaldeckungsverfahren organisiert, muss aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden. Es kann nicht "erspart" sein. Aber so funktioniert die neoliberale Hegemonie: mit dem "Alltagsverstand", der das private Leben erklärt, werden volkswirtschaftliche Zusammenhänge plausibel gemacht. Aber eben verrückt).
Wir haben zu lange den Neoliberalismus nur als Ideologie betrachtet, und nicht verarbeitet,
- wie die Arbeits- und Lebensweise umgewälzt wird,
- wie Ansprüche der Beschäftigten aufgenommen (z.B. Zeitsouveränität), und umgedreht (Flexibilisierung und totale Unterordnung der Zeit unter das Kapital) werden
- wie sich die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit,
- aber auch innerhalb des herrschenden Blocks zu den mit den Multis verbundenen Kräften, verschoben haben. Mit einer beispiellosen Dreistigkeit haben sie sich des Staates bemächtigt, der nur noch eine Aufgabe kennt: die Konkurrenzfähigkeit der global operierenden Unternehmen zu fördern und die Reichen zu entlasten. (die Einführung von Hartz IV wurde von einer weiteren Senkung des Spitzensteuersatzes begleitet. Die Körperschaftssteuer ist zur Restgröße verkommen. Die Arbeitnehmer finanzieren die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze ins Ausland. Jetzt ist schon wieder Steuerreform zur Entlastung der Unternehmen angekündigt.)
In den "Bündnissen für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeit" kommt die Kräfteverschiebung zum Ausdruck. Die Sozialpartnerschaft ist noch von der Parität von Kapital und Arbeit ausgegangen. Zumindest die Fiktion der Gleichberechtigung war die Grundlage dafür.
Im Unterschied dazu wird mit dem "Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeit" die Priorität des Kapitals anerkannt. Der Konkurrenzfähigkeit, d.h. der Profitabilität des Kapitals, hat sich alles unterzuordnen. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, dies möglichst widerstandsfrei (und wenn es dem Kapital nichts kostet auch "sozialverträglich", z.B. Transfergesellschaften) durchzusetzen. An die Stelle, die Konkurrenz unter den Beschäftigten abzubauen, tritt die Mitgestaltung der Konkurrenz zur Verbesserung der Standortbedingungen. Die Gewerkschaften dürfen die Absenkung der Löhne mitorganisieren.
Nach dem erfolgreichen Angriff auf die Sozialsysteme mit der Agenda 2010 sind nun die Tarifverträge ins Visier genommen worden. Die Arbeitszeit bildet das Einfallstor. Es geht aber nicht nur um die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit, sondern zusätzlich um die Absenkung der Löhne. Mit dem Tarifabschluss für die Handy-Fertigung bei Siemens (40 Std. ohne Lohnausgleich und zusätzliche Lohnkürzung um 11 - 15%) ist der Damm gebrochen. Was bei einem hochprofitablen Unternehmen (mit einer Gewinnsteigerung im Geschäftsjahr 2003/2004 von 39% auf 3,4 Mrd. Euro) recht ist, kann der Konkurrenz und v.a. dem Mittelständler, dem das Wasser bis zum Halse steht, nur billig sein.
Das wirkliche Fanal war aber DaimlerChrysler: Das Daimler-Management wollte in einem profitablen Unternehmen 500 Mio. von den Beschäftigten und hat sie in der Hochburg der IGM auch bekommen. Logisch, dass die anderen Unternehmen ähnliches wollen. Das Schlimme ist nicht, dass unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen solche Vereinbarungen geschlossen werden, sondern dass kein Versuch gemacht wurde, überbetriebliche Solidarität gegen die Erpressungen zu organisieren.
Wieso wird die Gegenwehr nicht organisiert? Ist es die Angst vor der Niederlage, wenn Gegenwehr organisiert wird? Ist es die Hoffnung, dass es sich bei der Kapitaloffensive um eine vorübergehende Erscheinung handelt?
Fakt ist: Kapital und die politische Elite haben Kooperation und Sozialpartnerschaft bereits vor mehr als 15 Jahren aufgekündigt.
Gescheitert ist der Versuch,
- soziale Verbesserungen zu erwirken, ohne dem Kapital wirklich etwas zu nehmen (ist in einer enormen Staatsverschuldung steckengeblieben, für die die Banken jetzt die Rechnung aufmachen);
- die Verteilungsfrage zu lösen, ohne die Eigentumsfrage zu thematisieren;
- ein Politikkonzept, das auf Stellvertreterpolitik beruht.
Aber das Politikverständnis aus dieser Zeit wirkt immer noch dominierend in weiten Teilen der Gewerkschaft und Betriebsräte. Es besteht immer noch die Hoffnung, etwas unterhalb des früheren Niveaus einen neuen sozialen Kompromiss erzielen zu können.

Realität ist: Wir kommen mit diesem Politikmodell immer weiter in die Defensive. Unsere organisatorische Schwäche vertieft sich. Es ist zu einfach gemacht, die stark rückläufigen Mitgliederzahlen auf den Arbeitsplatzabbau zurückzuführen. Dieser Zusammenhang ist nicht gesetzmäßig. Es gibt die Gegenbeweise, dass die Gewerkschaft Mitglieder gewinnt, wenn sie den Widerstand gegen die Arbeitplatzvernichtung organisiert. Bestimmte Vorteile des Tarifvertrages nur für die Mitglieder zu vereinbaren, wird m. M. diese Krise vertiefen. Wir geben freiwillig den Anspruch auf, die Interessenvertretung aller Lohnabhängigen zu sein. Daraus leiten wir aber doch auch den Anspruch auf ein politisches Mandat der Gewerkschaften her. Ein ADAC für Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf ein politisches Mandat.
Wir müssen uns aber das politische Mandat wieder erkämpfen, denn
- wir haben den politischen Partner verloren, und
- wir haben uns nicht auf "etwas" Sozialabbau und auf ein "etwas niedrigeres" Tarifniveau einzustellen, sondern wir haben es mit einem grundlegenden Angriff auf die Grundlagen der sozialen Regulierung zu tun.
Tarifvertragssystem, Rechte der Belegschaften und der Betriebsräte, solidarische Sozialsysteme, ein Steuersystem, das auch die Unternehmen und Reichen besteuert, öffentliche Dienstleistung - all das steht auf der Abschussliste, weil es zum Hindernis für die Kapitalexpansion geworden ist.
Es geht nicht mehr um "sozialverträgliche Lösungen", sondern darum, die Ware Arbeitskraft soll vereinzelt, schutzlos den Marktbedingungen, den konjunkturellen und betrieblichen Anforderungen unterworfen werden. Insofern geht es ja auch nicht einfach um eine Rückkehr zur 40 Stundenwoche, sondern um die totale Flexibilisierung der Arbeitszeit. Und wir können auch nicht darauf setzen, dass wieder höhere Wachstumsraten zurückkehren würden und der Verteilungsspielraum dadurch größer würde. Weder wird es höhere Wachstumsraten geben, noch eine Rückkehr zur Binnenmarktorientierung, noch wird das Kapital freiwillig etwas abtreten. Die Gewerkschaften müssen sich auf eine dauerhafte Gegenwehr gegen die Kapitaloffensive einstellen.
Dabei spricht sehr viel dafür, dass die Zeit vorbei ist, wo gewerkschaftliche Kämpfe nahezu gesetzmäßig mit akzeptablen Kompromissen beendet werden konnten und die Verhandlungsposition der Gewerkschaft verbessert haben. Soziale Rechte mussten immer gegen die Unternehmer erkämpft werden. Aber wenn sie erkämpft waren, dann konnten sie eingebaut werden in das Regulierungsmodell bzw. in die Logik des Nachkriegskapitalismus. Und sie waren damit Ausgangspunkt in den weiteren Auseinandersetzungen für weitere Verbesserungen. Die Logik des heutigen, globalen Kapitalismus ist inkompatibel mit sozialen Zugeständnissen. Jeder Cent, jede Minute Arbeitszeitverkürzung muss nicht nur gegen die Unternehmer, sondern auch gegen die Logik des globalen Kapitalismus durchgesetzt werden. Daher sind erkämpfte Errungenschaften nicht mehr Ausgangsbasis für weitere Kämpfe, sondern ständigen Angriffen ausgesetzt. Für ihre Verteidigung sind heute härteste Kämpfe mit offenem Ausgang notwendig.
Die alte Weisheit des fordistischen Zeitalters, dass Autos keine Autos kaufen, hat für die hierzulande dominierenden Konzerne und die politikbestimmenden Wirtschaftseliten tatsächlich jeden Wert verloren. Für die Konzerne ist der Produktionsstandort zum ausschließlichen Kostenfaktor geworden; je erfolgreicher man diese zu minimieren versteht, desto höher die Chance, auf anderen Märkten andere Konkurrenten niederzuzwingen, um so selbst dort zu wachsen, wo die Nachfrage stagniert.
Nach dem 3. April 2004 hat das Handelsblatt geschrieben: "Der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen um die Zukunft Deutschlands wird sich nun für eine Weile in die Unternehmen selbst verlagern. Was in Jahrzehnten nicht nur durch Tarifverträge, sondern auch durch Betriebsvereinbarungen in vielen Unternehmen festgezurrt wurde, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands oft fast genauso stark wie der mangelnde Mut zu politischen Reformen."

Schlussfolgerungen:
1. Die Gewerkschaften werden sich auf weitere Niederlagen einstellen müssen. Diese werden die Krise der Gewerkschaft weiter vertiefen. Es sei denn, es werden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Niederlagen als Erfolg zu werten, das ist die schlechteste Art, sich auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen vorzubereiten. Wir brauchen eine solidarische und kritische Diskussion. Und wir müssen schneller von anderen lernen, sonst werden wir im gnadenlosen Monopoly der Konzerne untergehen.
2. müssen ihre Mobilisierungsfähigkeit verstärken (der 3. April 2004 hat gezeigt: Wir können das, und wir müssen das gemeinsam mit anderen tun)
3. Die Gewerkschaften müssen die betrieblichen Strukturen festigen und demokratisieren (gerade auch vor der Aussage des Handelsblatt, dass "der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen um die Zukunft Deutschlands sich nun für eine Weile in die Unternehmen selbst verlagern" wird). Im "Häuserkampf" werden wir jedoch verlieren. Nur wenn es uns gelingt überbetrieblich zu mobilisieren, haben wir Aussicht auf akzeptable Ergebnisse. Dafür ist die Zeit vielleicht noch nicht reif (obwohl der Siemens-Aktionstag, der Aktionstag der Daimler-Beschäftigten oder der Opel-Kollegen schon in die richtige Richtung zeigen).
4. Die 35-Stundenwoche ist mit einer breiten gesellschaftlichen Bewegung und mit Streik erkämpft worden. Die gleichen Mittel werden wohl zu ihrer Verteidigung notwendig werden. Die 35-Stundenwoche ist von der gesamten Gewerkschaft erkämpft worden. Es darf nicht sein, dass jetzt einzelne Funktionäre oder einzelne Betrieb die Tore aufmachen für eine Rückkehr zur 40 Stundenwoche. Die französischen Gewerkschaften haben gerade wieder vorgemacht, wie die Verteidigung der 35-Stundenwoche angegangen werden müsste. Wieso wird von den Gewerkschaften nicht europaweit eine langfristig angelegte Kampagne zur Verteidigung der 35-Std-Woche durchgeführt?
5. Die Gewerkschaften brauchen eine Repolitisierung der gewerkschaftlichen und betrieblichen Arbeit.
Der Abtrennungsprozess zwischen SPD und Gewerkschaften eröffnet auch eine Chance: die Arbeitsteilung zwischen SPD und Gewerkschaften war eine der Stützen der "Stellvertreterpolitik" und damit der Entpolitisierung von sozialen Auseinandersetzungen. Angesichts der Krise der Parteien und der repräsentativen Politik müssen wir uns als Gewerkschaften die Politik wieder direkt aneignen. Allerdings sind die Verbindungen zwischen Gewerkschaften und SPD und damit der Einfluss der Regierung auf die Gewerkschaft nach wie vor außerordentlich fest. (auch wenn sich die SPD als politischer Arm der Gewerkschaft definitiv verabschiedet hat.)
6. Die Gewerkschaften brauchen eine eigene Öffentlichkeitsarbeit, um zu durchbrechen, dass es keine Alternativen gäbe, und dass man nichts machen könne.
7. Die Gewerkschaften müssen ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen: Es trägt nicht zu unserer Glaubwürdigkeit bei, wenn wir auf der großen Ebene argumentieren, dass Verzicht und Verlängerung der Arbeitszeit keine Arbeitsplätze sichert, sondern im Gegenteil Arbeitsplätze vernichtet und die Krise verschärft. Und auf der betrieblichen Ebene oder in Ergänzungstarifverträgen machen wir das aber dann, aus Angst um den Arbeitsplatz in "unserem" Unternehmen.
Mit Funktionären, die die neoliberalen Litaneien nachbeten, werden wir nicht an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft gewinnen. Dem Eindruck, dass sie nicht nur Ordnungsfaktoren, sondern inzwischen Teil des Staatsapparates geworden sind, müssen die Gewerkschaften widersprechen, indem sie in den neuen sozialen Bewegungen, vor allem in der globalisierungskritischen Bewegung und der Friedensbewegung, gleichberechtigte Verbündete sehen und selbst wieder weithin zur Bewegung werden.
8. Wenn die Unternehmen die Verlängerung der Arbeitszeit und die Senkung der Löhne mit der Drohung der Verlagerung in Niedriglohnländer erpressen, dann nützt es natürlich nichts, die Augen vor den Realitäten der kapitalistischen Globalisierung zu verschließen.
Sondern bedeutet, dass wir den
- Kampf gegen Betriebsverlagerungen intensivieren und verbinden müssen,
- mit dem Kampf um die Kontrolle des Kapitals (das Kapital darf eben nicht "frei" sein, dort hin zu gehen, wo die höchsten Profite winken),
- für wirksame Mitbestimmung der Belegschaften und der Gewerkschaft über Investitionen,
- für staatliche Kapitalverkehrskontrollen,
- für eine staatliche Politik, die sich den Anforderungen der Multis widersetzt und für die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung und der arbeitenden Klasse Priorität haben. D.h. wir müssen Widerstand mit Reformvorschlägen verbinden, die die Interessen der Belegschaften aufgreifen und gegen die Macht des Kapitals gerichtet sind.
9. Um aus der Defensive herauszukommen, müssen wir unsere Kräfte auf zwei oder drei zentrale Felder fokussieren:
- Verteidigung des Tarifvertrages, der Arbeitszeit, der Löhne, kein Niedriglohnsektor
Wobei Tarifpolitik zu einem gesellschaftlichen Thema gemacht werden und mit unseren Forderungen nach einem grundlegenden Politikwechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik verknüpft werden muss.
- Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums (es ist doch aberwitzig, dass unsere Arbeit immer produktiver wird, aber geradezu naturgesetzlich wir gleichzeitig ärmer werden und uns eine soziale Sicherung nicht mehr leisten können; wir erleben erstmals, dass es der nächsten Generation schlechter geht als der vorherigen, dass die Unsicherheit zum prägenden Lebensmerkmal wird)
- ein Alternativprojekt, das auch Ansätze von grundlegender Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise enthält und klar macht, dass für uns der Mensch vor den Profit geht. Für dieses Alternativprojekt brauchen die Gewerkschaften die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Kultur, und mit anderen fortschrittlichen Organisationen und Bewegungen. Und gerade in den multinationalen Konzernen merken wir hautnah: wir brauchen eine grenzüberscheitende Koordinierung der gewerkschaftlichen Arbeit. Viktor Agartz, Anfang der 50-er Jahre Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes der Gewerkschaften über die Gewerkschaften in der Restaurationsphase der BRD: "Die Gewerkschaften sahen sich in einen Entwicklungsprozess hineingestellt, den sie nicht begriffen und in dem sie sich orientierungslos treiben ließen." Das soll es nicht über die Gewerkschaften des Jahres 2005 heißen.
Das Referat hielt Leo Mayer bei einer IGM Vertrauensleute-Versammlung in Hanau