Linkssozialist in der SPD zu sein

Gedanken über den 75. Todestag von Paul Levi hinaus

Am 8. Februar 2005 jährte sich der Todestag von Paul Levi, dem Begründer der ersten spw (1923-1928) zum 75. Mal. Seine politische Biographie hatte ihn an den Rand der SPD und darüber hinaus gebrach

Am 8. Februar 2005 jährte sich der Todestag von Paul Levi, dem Begründer der ersten spw (1923-1928) zum 75. Mal. Im Nachruf von Carl von Ossietzky in der "Weltbühne" vom 18. Februar 1930 heißt es"(...) Die Kommunisten taten Unrecht, ihn einen Abtrünnigen, die Sozialdemokraten, ihn einen Bekehrten zu nennen. Er war internationaler revolutionärer Sozialist aus Rosa Luxemburgs Schule, hat es nie verleugnet. Er brachte in den Schrebergarten der SPD-Reichstagsfraktion ein Fünkchen Moskauer Fegefeuer, den Brandgeruch der Oktoberrevolution. (...) Er war seine eigne Macht, mit seinen Widersprüchen und Irrtümern seine eigene Fahne, und diese Fahne ist gesunken. (...)". Mit seinem Tod verlor die Linke in der Weimarer Republik eine ihrer zentralen Persönlichkeiten.
Seine politische Biographie hatte Levi stets an den Rand der SPD, teilweise auch darüber hinaus gebracht.
Diese Stellung - innerhalb der Sozialdemokratie, aber eben doch in seinen Zielen deutlich über den Mainstream der Partei hinausgehend - motiviert zum Nachdenken über die Rahmenbedingungen
der Arbeit von Linkssozialisten in der SPD (vgl. Gransow/Krätke 1983, Krätke 1998). Offensichtlich ist, dass der Spagat im Spannungsverhältnis zwischen der Perspektive, die augenblicklichen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse hinter sich lassen zu wollen, und dem tagespolitischen Kampf um eine Verbesserung der Situation sozial Benachteiligter, schwierig ist und oft nicht gelang.
In neuerer Zeit wurde im Umfeld der PDS darüber diskutiert, ob Paul Levi in die Ahnengalerie der Begründer eines "demokratischen Sozialismus" in Sinne der PDS aufgenommen werden kann. (vgl. Niemann 2004, Schütrumpf 2003, Schöler 2004). Die Interpretation des Werkes von Paul Levi ist aufgrund seiner wechselhaften politischer Biografie naturgemäß nicht unumstritten. Uns wird es auch nicht darum gehen, im Folgenden mit einer Fülle von Quellen und Zitaten Paul Levi für dieses zu kritisieren oder jenes zu vereinnahmen. Wir wollen vielmehr darlegen, in wie weit wir uns auch 75 Jahre nach seinem Tod von Paul Levi inspirieren lassen - dies nicht zuletzt in einer Zeitschrift, die 1978 in der Tradition von Paul Levis Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft begründet wurde. Schon die Legitimation dieser Bezugnahme für ein linkssozialistisches Zeitschriftenprojekt war in den 1980er Jahren in der sozialdemokratischen Linken nicht unumstritten, worauf Uli Schöler ebenfalls hinweist (Schöler 2004)
Wer war Paul Levi?
Paul Levi wurde 1883 als Sohn einer bürgerlichen jüdischen Familie im schwäbischen Hechingen geboren. Nach Jura-Studium und Promotion in Heidelberg und Genf ließ er sich im Jahr 1909 in Frankfurt am Main als Rechtsanwalt nieder. Im gleichen Jahr in die SPD eingetreten, begann er bald, sich auf kommunaler Ebene in der Partei zu engagieren. Für seinen weiteren politischen und persönlichen Lebensweg entscheidend war wohl seine Freundschaft mit Rosa Luxemburg, die im Jahr 1914 vor dem Landgericht Frankfurt wegen "Aufforderung zum Ungehorsam" angeklagt worden war. Paul Levi übernahm gemeinsam mit Kurt Rosenfeld die Verteidigung. Er konnte eine Verurteilung zwar nicht verhindern, geboren war aber eine sehr enge persönliche und politische Freundschaft.
Sibylle Quack geht sogar so weit zu behaupten, dass die Begegnung mit Luxemburg das dominierende Element in der politischen und theoretischen Arbeit Levis war. Zwar überdauert die Liebesbeziehung wohl nicht den Sommer 1914, doch bleiben sie bis zur Ermordung Rosas im Januar 1919 stets in einem engen Arbeits- und Freundschaftsverhältnis. Und auch der Tod Paul Levis steht in einem direkten Zusammenhang mit seiner Beziehung zu Rosa Luxemburg, nämlich dem Wiederaufnahmeverfahren des "Jorns Prozess" 1928. Staatsanwalt Paul Jorns vertrat 1919 in den Verfahren gegen die Mörder Luxemburgs und Liebknechts die Anklage und hatte sich dabei vor allem um die Vertuschung der wahren Vorgänge verdient gemacht. Die Mörder kamen damals - wenn überhaupt - mit geringen Haftstrafen davon, die zum Teil nicht verbüßt wurden.
In einer Verleumdungsklage, die Jorns 1928 gegen den verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift "Das Tagebuch", Josef Bornstein, anstrengte, der das Verhalten Jorns offen legte, vertrat Levi den Redakteur. Endlich konnte er die Verstrickung von Paramilitär und Justiz in den Mordanschlag auf Luxemburg und Liebknecht nachweisen. Im Berufungsverfahren verausgabte sich Levi dann gesundheitlich derart, dass er in der Nacht zum 08. Februar 1930 mit hohem Fieber aufgrund einer verschleppten Grippe aus dem Fenster seiner Berliner Wohnung stürzte.
Der erste Prozess, den Levi 1914 für Luxemburg führte, und dem weitere folgten, bedeutete, dass Levi selbst in der antimilitaristischen Kampagne der SPD-Linken um Rosa Luxemburg aktiv und so über die Frankfurter Parteigrenzen hinaus bekannt wurde. Vom Kriegskurs der SPD-Führung abgestoßen, orientierte sich Levi immer weiter hinaus auf den linken Flügel der Partei. Zeitweilig im Exil in der Schweiz entwickelte er auch eine gute Beziehung zu Lenin und den dort versammelten russischen Revolutionären. Gemeinsam mit Luxemburg gehörte Levi zu den Gründern der Spartakusgruppe, später der KPD. Nach der Ermordung von Luxemburg, Liebknecht, und des später ebenfalls ermordeten KPD-Vorsitzenden Leo Jogiches übernahm Levi notgedrungen den Vorsitz der Partei, weil er sich dem Erbe Luxemburgs verpflichtet fühlte. Schnell gerät er aber in Widerspruch zur Mehrheit der Parteiführung und vor allem auch zu den Direktiven, die zunehmend aus Moskau kommen. Obwohl es ihm zunächst gelungen war, beim Heidelberger Parteitag die sich später in der Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD) sammelnde "linksradikale" Opposition aus der Partei zu drängen und durch die Spaltung der USPD die KPD überhaupt erst zu einer Massenpartei zu machen, ist Paul Levi
bald isoliert.
Zur Mehrheit der Partei stand er bereits 1919 im Widerspruch, in dem er sich für eine Teilnahme an den Parlamentswahlen aussprach und für eine nüchterne Analyse der politischen und gesellschaftlichen Lage eintrat. Aus dieser Einsicht heraus wandte er sich vor allem gegen den stark an Moskau orientierten putschistischen Kurs der Parteileitung. So kritisierte er die Passivität der KPD, während des Kapp-Putsches die Republik erst zu spät verteidigt zu haben. Zum endgültigen Bruch mit der Partei kam es nach den gescheiterten Aufstandsversuchen in Sachsen und Thüringen im Jahr 1921. Mit der Broschüre "Unser Weg. Wider den Putschismus" zeichnet Levi ein katastrophales Bild des Realitätsbezuges der KPD und der gescheiterten Politik, woraufhin ihn die KPD kurze Zeit später ausschließt, auch wenn Lenin selbst noch eine Zeitlang auf eine Rückkehr Levis hoffte. Mit seinen Anhängern bildete Levi zunächst die "Kommunistische Arbeitsgemeinschaft", ehe sie sich im Laufe des Jahres 1922 der USPD anschließen. Als sich die verbliebenen Teile der USPD im September 1922 wieder mit der Mehrheitssozialdemokratie vereinigen, geht auch Paul Levi mit zurück in die Partei. Dort wird er vom Parteiestablishment kritisch ob seiner Vergangenheit beäugt, avanciert aber schnell zur Galionsfigur des linken Parteiflügels. Im Reichstag, wo er ab 1924 den Wahlkreis Chemnitz-Zwickau vertritt, zeichnet sich Levi vor allem mit Initiativen zur Justizreform sowie zur Aufklärung reaktionärer Umtriebe in Armee und Staatsverwaltung aus. Zu den großen wirtschaftspolitischen Debatten der Zeit darf er sich seltener zu Wort melden. Trotzdem erreicht er einen großen Kreis an Interessierten innerhalb und außerhalb der SPD mittels eigener Publikation wie der Zeitschrift "Sozialistische Politik und Wirtschaft", die vor allem in der sozialdemokratischen Provinzpresse nachgedruckt wurde.
Von Zeitgenossen wie Carl von Ossietzky ist Levi entgegengehalten worden, nicht konsequent genug seine Möglichkeiten genutzt zu haben, die SPD weiter nach links zu rücken. Zugleich sah er sich erbittern Angriffen sowohl von Seiten der Faschisten wie auch der Kommunisten ausgesetzt.
Die Auseinandersetzung mit Paul Levi
Eine Auseinandersetzung mit Leben und Werk Paul Levis begann erst Ende der 1960er Jahre im Umfeld von Studentenbewegung und Sozialdemokratie (vgl. Krätke 1998). Eine Rezeption in der DDR war nur unter den Vorgaben der SED möglich, die Levi bis in die späten 1980er Jahre hinein vor allem als Abtrünnigen und Verräter brandmarkte, und seinen Beitrag zur Entwicklung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik schlicht ignorierte. Die politische Schaffensperiode Paul Levis war verhältnismäßig kurz und fand in Zeit großer gesellschaftlicher Unwälzungsprozesse - 1. Weltkrieg, Oktoberrevolution, Revolution von 1918, Weimarer Republik und beständiger Kampf gegen Reaktion und aufkommenden Faschismus- statt. Der Schwerpunkt seines publizistischen Werkes liegt tatsächlich in kurzen Texten, tagespolitischen Analysen und Kommentaren. Aus dem schlichten Fehlen eines größeren zusammenhängenden theoretischen Buches lässt sich jedoch nicht ableiten, Paul Levi habe keine eigenen Konzeptionen besessen. Paul Levis politische Ansichten stehen in engem Zusammenhang mit dem Denken und Handeln Rosa Luxemburgs. Levi war Marxist. Konkret bedeutete dies für ihn jedoch weder einen nur oberflächlich rezepierten und auf Parteitagen zur Schau getragenen Habitus, noch machte er sich den "Marxismus-Leninismus" Moskaus zu eigen, auch wenn er (bei Ettinger, S. 287) als "zuverlässiger Anhänger der Bolschewiken" bezeichnet wird. Die Oktoberrevolution hatte er stets als für das kollektive Bewusstsein der Arbeiterbewegung wichtig bewertet, unkritisch gegenüber der Sowjetunion war er gerade in seiner Zeit als Vorsitzender der KPD nicht.
Festmachen lässt sich diese Position unter anderem an der Auseinandersetzung Levis mit der Staatstheorie Lenins, die Levi im Vorwort zur von ihm im Jahr 1922 herausgegebenen Schrift Rosa Luxemburgs "Zur russischen Revolution" skizzierte. Darin differenzierte er zwischen "politischer Form" und "sozialem Inhalt", sowie zwischen "Staatsform" und "Regierungsform". Diese Unterscheidung eröffnete sowohl die Möglichkeit, Gestaltungspotentiale innerhalb der Weimarer Republik auszuloten, wie auch, die Verhältnisse in der Sowjetunion trotz ihrer formellen Aufstellung als "sozialistisches" Staatswesen auf ihre tatsächliche Ausprägung zu untersuchen. Der revolutionäre Charakter einer Zielsetzung ergibt sich aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang - auch das eine Erkenntnis die Spielräume auch für gesellschaftliche Veränderungen im bürgerlichen Staat zumindest grundsätzlich öffnet. In Fragen der Parteitheorie folgte er im wesentlichen Rosa Luxemburg. In scharfer Abgrenzung zu Lenin befand Levi eben auch, dass die Partei nicht Vorhut der Massen, sondern eben Teil der Massen selbst sein müsse, um dem Ziel des Sozialismus tatsächlich näher zu kommen. Paul Levi ob dieser Ansichten als "Urvater" des demokratischen Sozialismus zu bezeichnen (so Schütrumpf) geht sicherlich zu weit. Dazu hat die Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert viele Denker hervorgebracht (vgl. die umfangreiche und quellenkundige Kritik von Uli Schöler an Schütrumpf).
LinkssozialistInnen in der SPD
Aus Paul Levis Leben und Wirken lassen sich heute wenig konkrete "Handlungsanleitungen" oder dergleichen ableiten, auch nicht, wie sich eine linkssozialistische Zeitschrift aufstellen könnte. Zu sehr unterscheiden sich die gesellschaftlichen, polit-ökonomischen Rahmenbedingungen, zu unvergleichlich sind auch die Bedingungen, unter denen heute eine linkssozialistische Zeitschrift wirken kann. Es stellt sich im Kern aber die Frage, wie sich tagespolitisches Handeln und die Perspektive einer völligen gesellschaftlichen Umwälzung in Einklang bringen lassen. Dieser Weg ist anstrengend, und wird nicht oft gegangen. Zumindest für diese Fragestellung bietet das Leben Paul Levis ein interessantes Beispiel. Innerhalb der SPD war und ist oft zu beobachten, dass ob der notwendigen Erringung von Regierungsfunktionen für die Ermöglichung praktischer Reformpolitik der notwendige gesellschaftliche Kontext und das über den Tag hinaus Weisende verloren geht. Meist ist dies die Entscheidung für ein selbst als pragmatisch wahrgenommenes Vorgehen, das die konkrete Lebenssituation der Menschen verbessern helfen will, und sich selbst zum Teil sogar in Abgrenzung zu vermeintlich weltfremden Träumern und Theoretikern sieht. Es hat sich sogar so etwas wie eine "Theoriefeindlichkeit" entwickelt, die sich besonders gerne im "68er-Bashing" übt. Zudem ist aber gerade unter jüngeren SPD-Mandatsträgern und Funktionären, aber auch an anderen Stellen in der Partei die Tendenz zu beobachten, zwar Abends gemeinsam Arbeiterlieder zu singen und zur "Internationale" die Faust zu recken, am nächsten Tag aber in bester neoliberaler Manier eine weitere Beschneidung des Sozialstaates zu fordern, oder zumindest zu verteidigen oder zu legitimieren.
Dass der Spagat zwischen Perspektive und Tagespolitik nicht einfach ist, ist offensichtlich. Notwendig ist nicht nur ein gefestigtes Instrumentarium, das sowohl eine genaue Analyse aktueller Strukturen ermöglicht, als auch zusätzlich Hinweise für den Weg in die Zukunft bietet, sondern vor allem auch die Fähigkeit, die Auseinandersetzung darum produktiv zu organisieren.
Die spezifische Tradition, Grenzgänger zwischen "Mainstream-Sozialdemokratie" und marxistischer Theorie und luxemburgianischer Praxis zu sein, hat für LinkssozialistInnen immer bedeutet, sich stärker als andere linke Strömungen in der Sozialdemokratie eines eigenen Platzes vergewissern zu müssen. Die linkssozialistische Tradition in der SPD (auf die wir, d.h. die spw, auch gar keinen Alleinvertretungsanspruch erheben können und wollen) ist keine naturwüchsige. Immer wieder hat es in der Vergangenheit und wird es auch in Zukunft prominente und weniger prominente AktivistInnen geben, die (wie eben auch damals Paul Levi), ernsthafte Gründe formulieren, die SPD verlassen zu müssen. Letztlich glauben wir aber, dass es der Linken insgesamt eher schadet, wenn sie sich in unterschiedlichsten Gruppen organisiert (das mag vielleicht noch angehen nach dem Motto "getrennt marschieren, vereint schlagen") und sich dann auch noch gegenseitig ausgrenzt. Wir für unseren Teil halten daran fest, dass wir unseren Platz innerhalb der Sozialdemokratie behalten und in ihr wirken wollen (vgl. Rünker/Nahles/Peter 2003). Dies ist auch eines der durchgängigen Motive der "neuen spw".
Linkssozialistische Analysen und Politikfähigkeit
Im Editorial zur "neuen" spw schrieb 1978 Klaus-Peter Wolf, damals stellv. Juso-Bundesvorsitzender, für Herausgeber und Redaktion: "Die Linke kann nur offensiv gemeinsam handeln und somit an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen, wenn es gelingt, unterschiedliche Standpunkte schrittweise zu vereinheitlichen. Marxisten arbeiten auch deshalb in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, weil sie meinen, daß die Überwindung der Zersplitterung und Bedeutungslosigkeit der Linkskräfte von der sozialdemokratischen Linken [...) eingeleitet werden muss." (Wolf 1978)
Das zweite Gründungsdatum lässt erahnen, dass die spw ein Kind jener Zeit ist, in der in Westdeutschland die politische Kultur vorherrschte, dass jede mehr oder weniger linkssozialistische Strömung oder Gruppe, die etwas auf sich hielt, eine Zeitschrift vorweisen musste. Tatsächlich waren es vor allem die politische Vorgänge innerhalb der SPD rund um den Parteiausschluss des damaligen Juso-Bundesvorsitzenden Klaus-Uwe Benneter, die die damaligen Gründungsmitglieder dazu bewogen, mit der spw eine politisch-analytische Orientierungsbasis anzubieten, um auch jenen, die von der restriktiven Politik der Parteiführung maßlos enttäuscht waren, eine inhaltliche Perspektive jenseits der Grabenkämpfe anzubieten. Das Projekt spw war immer geleitet von dem Gedanken, die Zersplitterung der Linkskräfte zu überwinden, auch wenn der 1978 formulierte Anspruch, dass die sozialdemokratische Linke der Orientierungspunkt hierfür sei, heute verwegen erscheint. Es waren aber schließlich eben oft die Impulse und Angebote der sozialdemokratischen Linken, Strategien und Politikkonzepte gemeinsam mit anderen Gruppen, Initiativen und Bewegungen innerhalb und außerhalb der SPD kontrovers und konstruktiv diskutieren zu können. Dafür wurden eigene theoretische Beiträge und Richtungsorientierungen eingebracht, um so mitzuhelfen, die linkssozialistische gesellschaftliche Analysekraft und Politikfähigkeit auf der Höhe der Zeit zu halten. Die spw war ihrem Selbstverständnis nach nie ein einfaches argumentatives Munitionsdepot für die innerlinken Richtungsstreiterein der 70er Jahre. (vgl. Westphal/Rünker).
In den zurückliegenden siebenundzwanzig Jahren spw hat es dabei drei Markierungs- und Wendepunkte gegeben, die dieses politische Selbstverständnis verdeutlichen:
1. Anfang der achtziger Jahre entstanden aus der Arbeit der spw die "Herforder Thesen zur Arbeit von Marxisten in der SPD". Die Thesen waren der erste Versuch, nach der Verabschiedung des Godesberger Programms wieder eine Basis für klassenbewusste Politikansätze in der SPD zu schaffen.
2. Ende der achtziger Jahre formulierte eine junge Generation aus den Reihen der aktiven Jusos "53 Thesen" für eine moderne sozialistische Politikkonzeption. Der Leitgedanke dieser Arbeit war die soziale Formierung der zukünftigen Klassenlandschaft und das Mitwirken an der Entstehung eines Bündnisses von Arbeit, Wissenschaft und Kultur.
Im Oktober 1993 wurde die Herausgeberschaft der Zeitschrift spw auf eine neue politische Basis gestellt. Wichtige VertreterInnen unterschiedlicher politischer Ansätze und Traditionen, die sich in den 70er Jahren zum Teil schroff ablehnend gegenüberstanden, haben sich unter dem Dach der spw zusammengefunden. Ihr Anspruch ist es, dabei mitzuhelfen, den provozierenden Widerspruch zwischen dem Ausmaß des gesellschaftlichen Problemdrucks und dem Grad der Zersplitterung der radikalen Reformkräfte in unserem Land zu überwinden.
3. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden die Gespräche mit den radikalreformerischen Kräften aus dem Umfeld von Bündnis 90/Die Grünen und PDS im Rahmen von "crossover"-Konferenzen, öffentlichen Diskussionsreihen in Berlin und gemeinsamen Buchprojekten intensiviert. Zum Jahreswechsel 2000/2001 erfolgte erneut eine Ausweitung des HerausgeberInnenkreises, mit dem eine jüngere Generation aus Politik und Wissenschaft Verantwortung für das politische Projekt spw übernimmt.
Im Übergang zum 21. Jahrhundert rückte schließlich die Frage der kapitalistischen Regulierung und der gesellschaftlichen Transformationen in den Vordergrund der Debatte. "Globalisierung", "New Economy" oder auch "Ich- AG" sind nur einige Stichworte, die in spw kritisch diskutiert werden. Die Herausbildung eines neuen gesellschaftlichen Reproduktionsmodells unter den Bedingungen sozialer und räumlicher Entgrenzung bei gleichzeitiger Zuspitzung des Verhältnisses von "arm" und "reich" fordert mehr denn je zu radikalreformerischen Denkansätzen und politischen Initiativen auf.
Der Reformierungsprozess der sozialdemokratischen Linken vom "Frankfurter Kreis" zum Forum DL 21 e. V. wurden von AktivistInnen des spw-Zusammenhangs aktiv unterstützt und vorangetrieben. Heute ist spw u. a. auch die publizistische Plattform des Forum DL21 und es gibt vielfältige Überschneidungen in Herausgeberschaft und Redaktion von spw sowie den TrägerInnen der Arbeit des Forum DL21.
Die Zukunft von spw
spw lässt sich aber nicht darauf reduzieren, allein Sprachrohr eines innerparteilichen, auf tages- und programmpolitische Eingriffsmöglichkeit orientierende Struktur zu sein, auch wenn hier noch viel Ausbau-Potenzial besteht, was wir in der Zukunft noch stärker entwickeln wollen. spw braucht diese und weitere PartnerInnen in der Sozialdemokratie, wenn sie nicht den Weg einer randständigen Postille gehen will. Gleichzeitig brauchen wir - und braucht auch die Linke, ja die SPD insgesamt - den kontinuierlichen Austausch mit kritischen Kräften in Wissenschaft, Gewerkschaften und sozialer Bewegung - und sogar auch mit denjenigen, die der SPD enttäuscht den Rücken gekehrt haben. Nötig ist auch eine Verständigung über und Diskussion der grundlegenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Dies ist zu organisieren und wieder in einen konstruktiven Austausch zu treten. Wenn es gelingt, den Diskurs auf der Linken weg von der schlichten Verteidigung erreichter Errungenschaften oder der Skandalisierung aktueller Auswüchse des Kapitalismus wieder hin auf die Diskussion und Verständigung über zukünftige politische Projekte zu richten, werden sich auch wieder Handlungsoptionen für LinkssozialistInnen in der SPD erweitern. Das wird nicht leicht, aber es zeichnet sich ab, dass es eine neue politische Generation in der SPD und vor allem bei den Jusos gibt, die gewillt ist, diese Herausforderung anzunehmen.
Literaturhinweise
Beradt, Charlotte, Paul Levi - Ein demokratischer Sozialist in der Weimarer Republik, Frankfurt/ Main, 1969
Ettinger, Elzbieta, Rosa Luxemburg - ein Leben, Bonn 1990
Gransow, Volker/Krätke, Michael, Paul Levi oder das Problem, Linkssozialist in der Sozialdemokratie zu sein, in: spw 18, Berlin 1983, S. 101-104
Krätke, Michael R., Paul Levi (1883-1930): Der letzte Ritter, in: spw 100, Dortmund 1998, S. 31-38
Levi, Paul, Zwischen Spartakus und Sozialdemokratie, Frankfurt/ Main, 1969
Niemann, Heinz, Paul Levi in unserer Zeit, in: Geschichts-Korrespondenz. Mitteilungsblatt des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der Arbeiterbewegung bei der PDS, 10/2004 Nr. 1, S. 17ff.
Quack, Sibylle, Geistig frei und niemandes Knecht - Paul Levi/Rosa Luxemburg, politische Arbeit und persönliche Beziehung, Frankfurt/Berlin 1986
Rünker, Reinhold/Nahles, Andrea/Peter, Horst, Zum Standort der sozialistischen Linken in der SPD, in: spw 132, Dortmund 2003, S. 17-20
Schöler, Uli, Der unbekannte Paul Levi?, in: utopie kreativ, 165/166, Berlin 2004, S. 737-751
Schütrumpf, Jörn, Unabgegoltenes. Politikverständnis bei Paul Levi, in: utopie kreativ 150, Berlin 2003, S. 330-342
Westphal, Thomas/Rünker, Reinhold, Selbstdarstellung der spw im Internet: http://www.spw.on.spirito.de/xd/public/ content/index.html?pid=28 (stand 24.03.2005)
Wolf, Klaus-Peter, Editorial - Unsere Zeitschrift, in: spw 1, Berlin 1978, S: 4-8