Je nach Geldbeutel der Eltern

Die Umgestaltung des Bildungssystems.

Am 3.Februar 2005 gingen, ein Jahr nach den letzten Protesten, erneut 30000 Studierende in fünf deutschen Städten auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die Einführung von Studiengebühren, nachdem das Verfassungsgericht kurz davor in ihrem Urteil das Gebührenverbot gekippt hatte. Nun geisterte die Zahl von 500 Euro pro Semester durch die Unihörsäle und viele mussten feststellen, dass sie und ihre Eltern sich dann kein Studium mehr leisten können. Diese vorerst letzte Niederlage auf studentischer Seite ist ein Höhepunkt in den Umstrukturierungsprozessen innerhalb der Universitäten und in der Bildungspolitik insgesamt.
Wollen wir den Gesamtkontext betrachten, in dem diese "Reformen" vonstatten gehen, müssen wir zur EU-Bildungskonferenz von 1999 in Bologna zurückkehren. Unter anderem beinhaltet die Erklärung von Bologna als Kernpunkt die "Einführung eines europaweiten Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse": im Bologna-Prozess werden nun alle Studiengänge in den Mitgliedstaaten der EU in Bachelor (BA) und Master (MA) Abschlüsse umgewandelt. Dies bedeutet nun nicht, dass Magister und Diplom einfach umbenannt werden, die Umstrukturierung nach marktwirtschaftlichen Regeln geht sehr viel weiter. Die Studierenden sollen in einem relativ kurzen Studium (6-8 Semester) eine berufsqualifizierende Ausbildung, stark praxisbezogen, erlangen.
Nach dem Bachelor kann man entweder in den Beruf einsteigen oder ein ein- bis zweijähriges wissenschaftliches Studium, ein Master, anstreben. Allerdings entscheidet die Abschlussnote des Bachelor-Studiengangs über den Zugang zu den weiterführenden Studien. Ein Master-Studiengang kann auch noch nach einiger Zeit im Berufsleben im Sinne des lebenslangen Lernens angeschlossen werden. Ein Master-Abschluss berechtigt zur Promotion.

Module, Creditpoints und Maluspunkte
Das entscheidende Merkmal der BA/MA-Studiengänge ist die Einteilung in Module. Ein Modul stellt ein Bauelement dar, mit denen man sich seinen Abschluss aufbaut. Im ersten Jahr belegt man die Module des Fundaments, der Fachbereich gibt die Module vor, schließlich entscheiden sie über die Stabilität des Hauses, und legen die Weichen für die zukünftige Studienplanung. Dann wird die Auswahl in den nächsten Jahren etwas erweitert, die Zimmereinteilung erfolgt demnach zwar nach Plan, aber mit eigenen Entscheidungen.
Ein Modul besteht aus einer Vorlesung und Übung oder einer Seminar- und Projektarbeitsgruppe. Ein Modul wird mit einer Prüfungsleistung, Klausur oder Hausarbeit abgeschlossen. Für den erfolgreichen Abschluss eines Moduls erhält man Creditpoints, die man sich gegebenenfalls bei einem Hochschulwechsel oder einem Auslandssemester anrechnen lassen kann.
In der bisherigen Umsetzung des Bologna- Prozesses ging es nur um die bürokratische Umstrukturierung des deutschen Hochschulsystems, um den Anforderungen des globalen Marktes zu entsprechen, wenig wurde über Inhalte, Ausrichtungen und Curricula der Studiengänge diskutiert. Dafür fehlt das Geld.
Die Finanzierung des öffentlichen Hochschulsystems ist die andere Seite der Medaille der neoliberalen Globalisierung. Die Studierenden werden ihr Studium in einer bestimmten Zeit beenden, schaffen sie dies nicht, werden sie exmatrikuliert, das System sieht nämlich auch Malus-Punkte (Strafpunkte für Fehlstunden oder nicht geleistete Modulelemente) vor, die eine permanente Studienüberwachung erlauben.
Die Studierenden stehen also dem Arbeitsmarkt früher, weniger qualifiziert (also billiger) zur Verfügung. Für ein Master-Studium können problemlos (auch ohne das Urteil vom Bundesgerichtshof) Studiengebühren erhoben werden, da sie als Zweitstudium angesehen werden. Bereits jetzt gibt es das Phänomen, dass neben dir im Seminar eine Studentin sitzt, die einige hundert Euro bezahlt hat, da sie an der öffentlichen Uni eine kostenpflichtige Weiterbildung macht. Nicht erwähnen brauche ich, dass diese Menschen sich am letzten Studistreik nicht beteiligen konnten, es wäre für sie zu teuer geworden.
Im Rahmen von BA/MA kriegen die Lehrenden befristete Lehraufträge für bestimmte Module und werden nach Leistung bezahlt. Das Angebot für die Studierenden könnte sich demnach auch nach der Finanzlage der Fachbereiche richten. Das Einwerben von Drittmittel für die Forschung wird immer wichtiger, bereits jetzt machen sie ein Drittel der Mittel der Fachbereiche aus.
Die Geldgeber entscheiden über den Inhalt der Forschung, die Methode muss effizient sein und gegebenenfalls dürfen die Ergebnisse nicht publiziert werden, wenn sie den Finanziers schaden würden. Die Idee der freien Lehre und Forschung ist damit obsolet geworden.

Der Kampf muss weitergehen
Im letzten Winter waren die Studierendenproteste in Berlin nicht zu übersehen. Durch den Fokus auf die Öffentlichkeit in der Stadt waren immer wieder große Kreuzungen und Plätze, U-Bahnen und öffentliche Bibliotheken Schauplatz für Seminare und Demonstrationen. Die Studierenden suchten den Kontakt zu allen anderen Menschen, die von dem Sozial- und Bildungskahlschlag betroffen waren.
Es gab Gespräche und Solidaritätsaktionen mit KITA-Erziehern, mit Schülerinnen, mit Mitgliedern der Gewerkschaften. Die Studierenden sammelten in ihren Vollversammlungen und auf den Straßen Unterschriften für das Volksbegehren gegen den Berliner Bankenskandal, ohne den Studistreik wäre die erste Hürde der 60000 Unterschriften kaum zu schaffen gewesen. Dieser wichtige und gute Ansatz, mit allen Betroffenen gemeinsam zu kämpfen, fand sein jähes Ende, als die PDS-Berlin das Studienkontenmodell und die Studiengebühren definitiv ablehnte. Die Proteste flauten ab, die Studierenden kehrten in die Seminare zurück, die Kürzungen in der Stadt gingen weiter.
Nun kündigt der fsz (Freier zusammenschluss der Studierenden) für den Sommer weitere Proteste an. "Gemeinsam mit Bündnispartnern werden wir uns lautstark für eine soziale und demokratische Gestaltung der Bildung einsetzen", meint Stefanie Geyer vom fsz.
Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass nicht nur die freie Bildung auf dem Spiel steht, auch Kahlschlagpolitik im Gesundheitswesen, im Sozialbereich und in der Arbeitsmarktpolitik muss von den Studierenden angegriffen werden. Nur so kann man ein breites Bündnis schaffen, sich in den Kämpfen gegenseitig unterstützen und Veränderungen bewirken.