Warum wählen wir?

Überlegungen zu Schuessler "A Logic of Expressive Choice."

Die Teilnahme an politischen Wahlen wird gemeinhin als eine moralische Verpflichtung thematisiert; stehen Wahlen an, wird man dazu aufgefordert, dieser Verpflichtung nachzukommen.

Die Teilnahme an politischen Wahlen wird gemeinhin als eine moralische Verpflichtung thematisiert; stehen Wahlen an, wird man dazu aufgefordert, dieser Verpflichtung nachzukommen: "Am 22.09. wählen gehen!" mahnte eine der Postkartenaktionen der SPD vor der letzten Bundestagswahl. Solche Bemühungen weisen darauf hin, dass die Beteilung an Wahlen alles andere als selbstverständlich ist; Demokratinnen und Demokraten müssen ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger anscheinend dazu anhalten. Fällt die Wahlbeteiligung trotz der Ermahnungen gering aus, gibt man sich enttäuscht über das zu geringe Interesse mancher Zeitgenossen an Mitbestimmung.
Ein entscheidungstheoretischer Erklärungsansatz für die Teilnahme an politischen Wahlen
Entscheidungstheoretiker indes stehen vor dem umgekehrten Problem. Sie haben Schwierigkeiten damit, zu erklären, warum überhaupt jemand an politischen Wahlen teilnimmt. Denn ihren Voraussagen nach sollte die Wahlbeteiligung viel niedriger sein als sie es tatsächlich ist. Sie wollen menschliches Handeln erklären, indem sie Handlungsmodelle benutzen, an deren Basis rationale Akteure stehen; diese, so wird angenommen, entscheiden sich für diejenige Handlung, von der sie sich den besten Nutzen versprechen - den besten Nutzen für sich selbst. Aufgrund dieser Grundausstattung bekommen solche Akteure jede Menge Probleme. Eines dieser Probleme ist die Erstellung öffentlicher Güter: Ein rationaler Akteur wird erst einmal keine Motivation haben, hierzu einen Beitrag zu leisten. Denn öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch derjenige nutzen kann, der nichts zu ihrer Erstellung beigetragen hat; einmal produziert, stehen sie allen zur Verfügung, und niemand kann von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden. Solche Güter sind etwa eine saubere Umwelt, aber auch eine funktionierende Demokratie. Das Interesse an einem solchen Gut reicht noch lange nicht dazu hin, dass man sich an seiner Produktion beteiligt: Denn da diese Beteiligung mit Kosten verbunden ist, besteht die beste Option für rationale Akteure darin, die anderen stellten das Gut her und sie selbst müssten nichts dazu tun. Wie man am Umweltverhalten sieht, ist eine solche Annahme nicht unplausibel: Obschon man an einer sauberen Umwelt interessiert ist, fährt man selber gerne ein schnelles Auto, verzichtet auf die umständliche Mülltrennung und kauft Produkte schmutziger Industrien. Gelegentlich soll es auch vorkommen, dass man seine Coladose in der Grünanlage deponiert - oder Sondermüll im Atlantik löscht. Handeln alle so, wird es natürlich keine saubere Umwelt geben. Und auch dann, wenn unser rationaler Aktor so weit denkt, wird er den Schluss ziehen, dass er im Falle seiner Beteiligung in einer solchen Situation ganz sicher der Dumme ist - er wird der "sucker" sein, wie die Spieltheorie das nennt, wenn er Kosten auf sich nimmt, sein Ziel aber nicht erreicht, weil die anderen nicht kooperieren. Es macht hier keinen Sinn, den Helden zu spielen.
Glücklicherweise sieht die Wirklichkeit aber doch etwas anders aus: Zumindest einige Bürger verhalten sich umweltbewusst, und zumindest in der Bundesrepublik Deutschland ist die Wahlbeteiligung in der Regel hoch.
Warum ist das so? Es kann sein, dass wir so vernünftig sind und von selbst auf die Realisierung unserer ersten Präferenz verzichten. Es kann sein, dass wir den Mahnern gehorchen; es kann auch sein, dass wir einfach gerne wählen gehen - ganz egal, wie viel es uns kostet, uns politisch zu informieren und wie hoch die Opportunitätskosten am Wahlsonntag sein werden, was uns also entgeht, wenn wir beispielsweise gerne Bergwandern und gerade heute eine Jahrhundertfernsicht herrscht. Und es kann sein, dass wir einfach umweltbewusste Bürger und gute Demokraten sind. Und wenn jemand die Umwelt verschmutzt oder nicht zur Wahl geht, bleibt als Erklärung nur der Vorwurf der Uneinsichtigkeit.
Von solchen Annahmen geht die Entscheidungstheorie jedoch nicht aus; vielmehr stellt sie die gängige Argumentation auf den Kopf - oder eher auf die Beine: An die Stelle des Beklagens geringer Wahlbeteiligung tritt die Erkenntnis, dass es erklärungsbedürftig sei, warum jemand überhaupt zur Wahl geht. Man muss hier also nach den Gründen dafür suchen, warum das überhaupt so viele Leute tun - nicht danach, warum es einige nicht tun.
Wer den letzten Wahlkampf in diesem Lande verfolgt hat, wird bemerkt haben, dass sich neben den politischen Inhalten, die die Kanzlerkandidaten vertraten, auch andere Merkmale besonderer Aufmerksamkeit erfreuten: die sogenannte persönliche Ausstrahlung der Kandidaten, ihre Vertrauenswürdigkeit, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, ihre Schlagfertigkeit, der Stil ihrer Garderobe und die Frage, ob sich einer von ihnen die Haare färbt. Zu begutachten waren diese Fähigkeiten in einer uns bislang nur aus den USA bekannten Veranstaltung: den Fernsehduellen.
Expressive Rationalität als erweiternder Faktor des Aktormodells
Alexander A. Schuessler, Assistent Professor am Department of Politics der New York University, bietet uns einen verblüffenden und beunruhigenden Grund für die Entscheidung, zur Wahl zu gehen an, und ich denke, dass seine Analyse auch die im letzten bundesdeutschen Wahlkampf zu beobachtenden Phänomene erklärt. Schuessler vergleicht in seinem Buch "A Logic of Expressive Choice" die Wahlkampfstrategien amerikanischer Präsidentschaftskandidaten mit den Werbekampagnen für Softdrinks und arbeitet Gemeinsamkeiten heraus, die zu denken geben.
Auch Schuessler arbeitet mit dem oben beschriebenen Aktormodell, stellt aber neben die instrumentelle Rationalität auch eine expressive:
"Â… das vorliegende Werk versucht, den sogenannten positivistischen Standpunkt auszubauen, indem sie etwas hegelianisches Aroma hinzugibt bzw. den ökonomischen Standpunkt auszubauen, indem sie einige soziologische Überlegungen einfließen lässt ... das Ziel ist es, eine theoretische Mikrofundierung zu konstruieren, die zu der Dimension des ‚TunsÂ’ die tiefer liegende Dimension des ‚SeinsÂ’ addiert, um die Motivation zur Partizipation erklären zu können" (Schuessler, S. 29; Übersetzung dieses und aller weiteren Zitate von Margit Weihrich).
Einer der von Schuessler zitierten Slogans aus einer Werbung für Softdrinks bringt auf den Punkt, was Schuessler mit "Sein" meint: "Be original: drink Dr Pepper!" Man solle, so die Botschaft dieser Werbung, das Getränk nicht vordringlich deshalb zu sich nehmen, weil es gut schmeckt und dabei den Durst löscht: Man soll es trinken, um unverwechselbar zu sein.
Ziel seiner Analyse ist es zu zeigen, dass derselbe Mechanismus auch als eine Erklärung für die Beteilung an Wahlen gelten kann. Wahlkampfstrategen verlassen sich ganz offensichtlich nicht darauf, dass es der erwartete Einfluss meiner Stimme auf die Herstellung eines bestimmten Wahlergebnisses ist, weswegen ich zur Wahl gehe. Deshalb setzen sie auf die Dr. Pepper-Verkaufsstrategie: Denn aus denselben Gründen, aus denen man einen Softdrink einem anderen (geschmacksgleichen) Softdrink vorzieht, wählt man (in den USA) z.B. die Republikaner anstelle der Demokraten. Man tut dies, um seine Identität auszudrücken und nicht um eines spezifischen instrumentellen Ergebnisses wegen, sei es die beste Art, den Durst zu löschen oder die Durchsetzung der Politik eines bestimmten Kandidaten. Man wird vielmehr zum Ziel haben, seine Identität als (z.B.) Republikaner auszudrücken: sich selbst gegenüber und gegenüber anderen. Neben der "rational choice" gibt es demnach eine "expressive choice", eine expressive Wahl "als eine Quelle von Identität." Die theoretische Grundlegung von "Sein" ist bei Schuessler allerdings eher kursorisch; wichtig ist ihm, dass die Symbolik, mit der ich glaube, mein "Sein" bzw. meine Identität authentisch auszudrücken, nichts anderes ist als ein Angebot der Wahlkampfstrategen und Produktmarketing-Leute - und das ist nicht gerade eine beruhigende Erkenntnis.
Die politische Wahl als Ausdruck der eigen Identität
Auf unsere Verhältnisse bezogen würde die Wahl der SPD demnach bedeuten, mich für ein "Produkt" zu entscheiden, mit dem ich meiner Identität Ausdruck verleihen kann: vor mir selbst und vor anderen. Die oben beschriebene Performance unserer Kandidaten bekäme damit ihren Sinn: Wir glauben, unsere Identität auszudrücken, indem wir einem dieser Angebote folgen.
Um uns sein Modell ganz klar zu machen, führt uns Schuessler in ein gut besuchtes Café im Bostoner North End und beschreibt, wie die dortige Jukebox bedient wird. Auch hier werden expressive Wahlen getroffen, und der Mechanismus ist bei politischen Wahlen derselbe.
Will man ein bestimmtes Musikstück hören, wirft man Geld ein und tippt seinen Wunsch; freilich muss man eine Weile warten, bis er sich realisiert, denn die Jukebox spielt erst mal die Auswahl anderer Gäste. Einige Aspekte verhindern indes, dass ich meine individuelle Wahl dem zurechnen kann, was die Jukebox spielt: Erstens erfahre ich nicht, ob der Song, den ich wünsche, schon in der Plattenschlange wartet, so dass es sein kann, dass mein Song gar nicht deshalb gespielt wird, weil ich ihn mir gewünscht und für ihn bezahlt habe - er wäre auch so drangekommen. Zweitens spielt die Jukebox einen Song ohnehin nur einmal, ungeachtet dessen, wie oft er gewählt worden ist. Nichts desto trotz kann ich natürlich im Glauben sein, dass es meiner Handlung zuzuschreiben ist, wenn schließlich Sinatras "New York, New York" gespielt wird. Denn ich weiß - drittens - nicht, was die anderen gewählt haben. Ich sehe zwar, dass mein Nachbar zur Jukebox geht und sie bedient, aber was er wählt, das sehe ich nicht und kann es auch über die Folge der Musikstücke nicht erschließen, denn die Jukebox arbeitet die Wünsche nicht der Reihe nach ab. Dieses "Abschirmen" verbirgt die Identität derer, die zusammen eine bestimmte Wahl getroffen haben, voreinander.
Man könnte nun meinen, Benutzer bedienten die Jukebox, weil sie so die Wahrscheinlichkeit, ihren gewünschten Song zu hören, steigern können, denn schließlich wissen sie ja nicht, ob er bereits gewählt worden ist. (Das wäre analog zu der Annahme, ich wählte die SPD, um sie zum Gewinner zu machen.) Nur leider spricht die Empirie gegen diese Erklärung, zeigt doch die Jukebox den an diesem Tag meistgewählten Song auch noch extra an. "New York, New York" ist im Caffè Vittoria - so weist es die Jukebox aus - der am meisten gewählte Song der letzten Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Song auch ohne mein Zutun gespielt wird, ist also sehr groß (auf Schröder bezogen, heißt das, er wird ohnehin gewinnen), aber anstatt mir diese Tatsache zu verbergen, tut es die Jukebox extra kund, und das kann nur heißen, dass diese Information offensichtlich die Wahl dieses Songs verstärkt, anstatt sie zu vermindern. (Auch Schröder wurde ja nicht müde zu behaupten, seine SPD würde es schaffen.)
Das ist rätselhaft: Wenn es doch so ist, dass meine Stimme gerade im Falle eines sicheren Gewinns keinesfalls eine Rolle spielen wird und ich also bequem Trittbrettfahren kann, warum betont der Politiker, den ich wählen soll, noch extra, dass er gewinnen wird? Warum sagt man mir, dass das Musikstück, das ich wählen soll, ohnehin schon gewählt ist?
Verbraucher müssen also von etwas anderem motiviert werden als vom zu erzielenden Ergebnis. Was ist das? "Partizipation ist nicht nur ein Mittel, um im Ergebnis zu erreichen, dass Frank Sinatra von der Jukebox gespielt wird - sie ist auch Weg, um meine ‘Frank SinatranessÂ’ herzustellen, zu bestärken, zu demonstrieren und auszudrücken, sowohl gegenüber dem Rest der Welt als auch gegenüber mir selbst" (Schuessler, S. 15). Meine Motivation, zu partizipieren, so Schuessler (S. 15), "ist nicht in dem kalkulativen Bereich angesiedelt, in dem man bestimmte Zustände der Welt strategisch herstellen will, sondern in dem interpretativen Bereich, indem ich mich selbst diesen Zuständen anhefte." Individuen sind nicht nur durch ihre Wünsche nach "Doing" motiviert; sie sind es auch durch ihre Wünsche nach "Being". "Partizipation - das Durchführen von x - ist in diesem Kontext nicht dadurch motiviert, y zu tun, sondern durch den Wunsch, ein x-performer zu sein." Die Partizipation selbst ist es also, die einen positiven Ertrag für den Teilnehmer bringt.
Analog zum Jukebox-Szenario geht es auch bei politischen Wahlen darum, mein "Being" zu demonstrieren, indem ich z.B. meine "Democateness" zeige oder, auf unsere Verhältnisse bezogen, meine "Socialdemocratness", mein "Sozialdemokrat-Sein": Auch hier, so die These, ist Partizipation ein Mittel, mich selbst an einen Zustand anzuhängen. Wenn das so ist, werden öffentliche Güter in private Güter umgewandelt, und es besteht kein Anreiz zum Trittbrettfahren mehr: Will ich meine Identität ausdrücken, muss ich zur Wahl gehen.
Potentielle Partizipierer und Produzenten von Partizipation
Juke-Box-Hersteller, Wahlkampfmanager und die Produktwerbung bewirtschaften solche Tatsachen; Schuessler untersucht nun, wie eine solche "Ökonomie expressiver Anreize" funktioniert. Zwei Gruppen von Akteuren sind demnach im Spiel: die potentiellen Partizipierer und die Produzenten von Partizipation. Letztere arbeiten natürlich output-orientiert und strategisch: Sie "locken die Partizipation der ersteren hervor, indem sie deren expressive Wünsche systematisch anzielen und manipulieren".
Ihre Strategien sind aus dem Jukebox-Modell ableitbar: Zum Ersten ist es wichtig, zu signalisieren (bzw. vorzutäuschen), dass viele andere den jeweiligen Kandidaten oder die jeweilige Marke ebenfalls wählen werden. Schließlich muss ich mich einem Kollektiv zuordnen können. Zum Zweiten darf ich aber nicht erkennen, aus welchen Mitgliedern dieses Kollektiv genau besteht. Diese Funktion übernimmt das "Abschirmen". Denn vielleicht sind unter den Mitunterstützern Personen, mit denen ich niemals in einem Atemzug genannt werden möchte. Zum Dritten sollte ein Kandidat oder ein Produkt nicht allzu sehr auf seine spezifischen Eigenschaften pochen, sondern sich ambivalent zeigen; das vergrault niemanden und hält eine Projektionsfläche bereit. Und zum Vierten kann das Pochen auf Qualitätsmerkmale gefährlich werden: Man wird dann auch daran gemessen. Können die Versprechen nicht eingehalten werden, laufen Kunden wie Wähler umstandslos zur Konkurrenz über.
Empirisch-historische Betrachtung des expressiven Wahlverhaltens
Diese Strategien der "Bewirtschaftung" der Tatsache, dass die Nachfrager expressiv wählen und nicht (nur) instrumentell-rational, werden im empirisch-historischen Teil von Schuesslers Arbeit beschrieben. Wahlkämpfe und Softdrink-Vermarktung in den USA verliefen, so das Ergebnis, in ähnlichen Phasen: Die erste Phase war die der "whistlestop fragmentation": Ende des 19. Jahrhunderts fuhr der Wahlkämpfer mit dem Zug über Land und versprach dem jeweiligen Publikum am Bahnhof jeweils genau das, was (nur) eben diesem nützte; zur selben Zeit bediente auch die Softdrink-Wirtschaft noch lokale Märkte. Die zweite Phase beginnt mit der zunehmenden Verbreitung von Radios in den 20er Jahren: Man konnte nun nicht mehr jedem etwas Spezielles versprechen (oder mixen), sondern musste sein Programm (und seine Drinks) für viele passend machen. Dem folgte die Phase der "expressive segmentation", in der ein "feel-good"-Image für die Produkte entwickelt, Ambiguität gepflegt und "Abschirmung" praktiziert wurde. Über Nixon bis Clinton wird nachgezeichnet, wie das ging: Die Wahlkampfslogans lauteten jetzt positiv, unaussagekräftig und für alle gültig "Morning Again in America" und "Building a Bridge to the Twenty-first century" (S. 84), und auch Pepsi Cola hat aus dem katastrophalen Einbruch gelernt, als es damit warb, billiger als Coca Cola zu sein: Als die Zuckerpreise stiegen, liefen Pepsi (ganz im Gegensatz zu Coca Cola) die Kunden massenweise davon; das änderte sich mit der Strategie der "Pepsi-Generation": Dass man dazugehören will, zählte nun mehr als Preis und Qualität. Doch wer alles zu dieser Generation gehört, muss versteckt werden: So wie Fan-Clubs eine Bedrohung für Popstars darstellen - die Fans könnten erschrecken, wenn sie sich gegenseitig erkennen -, kann es auch Präsidentschaftskandidaten ergehen. Die Unterstützung der American Rifle Association hat George Bush sen. nicht gefreut. Eine aktuelle Kampagne von Coca Cola versammelt Eisbären um eine Colaflasche und vermeidet damit gleich jede Assoziation mit konkreten anderen Menschen. Wie der Sinatra-Gemeinde in der Bostoner Kneipe kann ich mich der Anhängerschaft für einen bestimmten Kandidaten oder einer Softdrink-Marke dann umso eher anschließen, je weniger ich darüber Bescheid weiß, welche lieben Zeitgenossen sich da tatsächlich angeschlossen haben.
Das spieltheoretische Ende des Buches zeichnet die Dynamiken solcher Verläufe nach. So sind frühe Siege bei den amerikanischen Primaries wichtig, weil damit signalisiert wird, wer der Gewinner sein wird und wem ich mich demzufolge anschließen werde. Natürlich lässt sich auch aus der Suche nach Distinktionsgewinnen Profit schlagen: So wie für Camel Filter mit dem Slogan "They´re not for everybody" Werbung gemacht wird, kann auch die Wahl einer kleinen, aber feinen Partei das Ergebnis meiner "expressive choice" sein - und letztendlich steht die eine oder der andere auch mal vor dem Groucho Marx-Dilemma, das lautet: "Ich möchte keinem Club beitreten, der mich als Mitglied aufnehmen würde" (zitiert nach Schuessler, S. 141).
Hatte es der amerikanische Präsidentschaftskandidat Dewey 1948 noch abgelehnt, sich von einer kommerziellen Werbeagentur "als eine Zahnpasta portraitieren zu lassen", hatte Eisenhower diese Agentur vier Jahre später verpflichtet. Sein Medienberater hatte verstanden, worum es geht: "Die beste Wahlwerbung ist wie ein Rorschach-Muster. Sie erzählt dem Betrachter überhaupt nichts. Sie lässt seine Gefühle auftauchen und bietet ihm einen Kontext, in dem er diese Gefühle ausdrücken kann" (Tony Schwartz, zitiert nach Schuessler, S. 67).
Fazit
Auch unsere Politikerinnen und Politiker wissen, dass sie das Bedürfnis nach einer "expressive choice" bedienen müssen, um potentielle Wählerinnen und Wähler dazu zu bringen, ihre Stimme abzugeben. Eine Analyse der Wahlkampagnen der letzten Bundestagswahl würde mit Sicherheit viele Anhaltspunkte hierfür finden. So warb die SPD für ihre "Politik der Mitte" mit einem Plakat, auf dem sich drei Delphine unter dem schlichten Schriftzug "Zusammenhalt" tummeln.
Das hier vorgestellte Modell kann uns erklären, warum das so ist.
Alexander A. Schuessler (2000). A Logic of Expressive Choice. Princeton and London: Princeton University Press