Wohlabgerichteter Hund, nutzbare Maschine

"Qualität" und "Standardisierung" als Krämerpolitik

Wo die kritische Funktion von Wissenschaft bei QM bleibt, fragt Morus Markard

Auf die Frage, ob Qualität überhaupt messbar ist, würde ich sagen "ja" - aber." Zum Beispiel kann man messen, dass der in Florenz stehende marmorne David von Michelangelo voluminöser, schwerer und weniger leitfähig ist als der in Paris sitzende bronzene "Denker" von Rodin. Für einen Fuhrunternehmer sind das potenziell relevante Informationen. Den Wert der beiden Figuren kann man über die Versicherungssumme ermessen, die beim Transport fällig wird. Man könnte auch sagen, dass die Versicherungssumme etwas mit der irgendwie sozial definierten Qualität der beiden Kunstwerke zu tun hat. Jedenfalls, wenn man "Qualität" in Maßzahlen ausdrücken will, was man ja kann, wäre die Versicherungssumme ein hübscher Index für "Qualität".
Der Gedanke einer gewissen Einheit von Qualität und Preis liegt wohl auch der Überlegung zu Grunde, Forschungsqualität über die Höhe eingeworbener Drittmittel zu bestimmen, womit, was im sog. realen Sozialismus als "Tonnenideologie" abgewertet wurde, im realen Kapitalismus eine Aufwertung erfährt: ziemlich egal was, die Masse machtÂ’s. In dem Maße, in dem man sich auf diese Quantifizierung von Qualitätsvorstellungen einlässt, darf man sich nicht wundern, wenn die von Adorno analysierten "Händlerqualitäten" eines Wissenschaftler- und Praktikertyps hegemonial werden, der sich "unentbehrlich" macht durch "Kenntnis aller Kanäle und Abzugslöcher der Macht", deren "geheimste Urteilssprüche" errät und von deren "behender Kommunikation" lebt. Eine sich nicht zuvörderst aufs Quantitative reduzierende Qualitätssicherung dagegen darf die Strukturmerk-male der Gesellschaft, die darin herrschenden Machtverhältnisse, nicht ausblenden.
Sicher ist richtig, wie Herr Dr. Barz vom CHE meint, dass Qualitätssicherung auch der Rechenschaftslegung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft zu dienen habe , aber es handelt sich nicht um ein reines Dienstleistungsverhältnis: Zur kritischen Funktion der Hochschule gehört auch, gesellschaftliche Anforderungen und Verhältnisse zu analysieren - ein Gedanke, der in der Evaluationsdebatte kaum vorkommt. In einer Pressemitteilung vom 12. November des letzten Jahres lobt sich eine Elektronikfirma namens Rohde & Schwarz dafür, dass sie mittels einer Umfrage "Wirtschaft und Wissenschaft in den Dialog" "führt". Unter der Führung dieses Unternehmens gewinnt dieser vermeintliche Dialog allerdings Befehlscharakter mit dem Resultat: "Die Hochschulen können so zeit- und praxisnah auf die aktuellen Bedürfnisse der Unternehmen eingehen." Was bei dieser Konzeption wirklich "eingeht", ist eben die kritische Funktion der Hochschule. Maßstab der Kritik sind dann nur systemfunktionale Effektivitätskriterien. Eine Art Restkritik hat dann nur aufzuweisen, wo diesen Effektivitätskriterien nicht hinreichend Genüge getan wird. Gesellschaftliche Anforderungen sind der Kritik enthoben.
Ähnlich verhält es sich, um ein zweites Beispiel anzuführen, mit der Qualitätssicherung der Praxisrelevanz des Studiums. In einem Band über Psychologie an Fachhochschulen (Günther 1999 a) heißt es zu dieser Frage: "Wer am Marktgeschehen teilnehmen will, muss etwas für den Geschäftspartner Verwertbares anbieten." (Günther 1999 b, 25) Dabei habe sich als wichtige Ausbildungsfrage herauskristallisiert: "(W)ie organisiert sich Frau Müller selber, um den gestellten Aufgabenumfang in der vorgegeben Zeit effizient und erfolgreich zu bewältigen?" (Weßling 1999, 72) Die Antwort auf diese Frage sei ein Beispiel für die "Förderung sozialer Handlungskompetenz" (73). Man beachte die Begriffsverschiebung: Es geht gar nicht um soziale Handlungskompetenz, sondern um individuelles Bestehen in fremdbestimmt-asozialen Verhältnissen in im Übrigen gewerkschaftsfreien Zonen. Und: Das Qualitätsmanagement ist reines Quantitätsmanagement. Kritisches Nachfragen fällt unangenehm auf. Aber: Was Praxisrelevanz und deren Qualität sein soll, ist in Wirklichkeit in höchstem Maße strittig und damit nicht eindimensional quantifizierbar.

Quantitäten - Qualitäten

Die Quantifizierung des Qualitativen impliziert eine gewisse Interpretationshoheit derer, die quantifizieren - die Kritik daran ist der Hauptgrund für die Konzeption und Durchführung qualitativer Forschung: über quantitative Kenndaten hinaus (wie etwa Lehrenden-Studierenden-Relation, Zahl von Bewerbungen) die subjektiven Relevanzsysteme und Sinnhorizonte der Individuen zu verdeutlichen. Handlungsforschung geht hier noch einen Schritt weiter: Erkenntnisse durch praktische Eingriffe - zusammen mit den Betroffenen als Mitforscherinnen mit Mitforschern - zu erreichen: hochschulpraktisch formuliert: Mitbestimmung gegen selbstherrliche Miet-Forscher/innen. Die üblich gewordenen Umfragen bei Studierenden, die deren Mitbestimmung ersetzen, bleiben hinter diesen Diskursen zurück.
Adorno (1957) meinte, dass die "Meinungsforschung" zu Menschen passe, die "unter dem Druck der Verhältnisse ... auf die ‚Reaktionsweise von LurchenÂ’ (hier verweist Adorno auf die "Dialektik der Aufklärung", M.M.) heruntergebracht werden" . Ich gehe - im Unterschied zu Adorno - nicht davon aus, dass das Realität ist, sondern nur im Modus des Als-ob geschieht, und in diesem Sinne habe ich selber in einem Buch über Einstellungsforschung analysiert, welcher Stumpfsinn Menschen bei der Beantwortung von Fragebögen zugemutet wird.
Mir geht es keineswegs darum, eine Art antistatistischen Schutzwalls zu errichten, wohl aber darum, die Reduktion von Qualität aufs Quantitative zu problematisieren. Klammer aller Kritiken dieser Art ist das Geltendmachen von Diskursivität und demokratischer Praxis. Diese wiederum erfordert demokratische Verhältnisse. Hochschulverhältnisse, in denen sich eine Gruppe - die Professoren - schon aus strukturellen Gründen nicht um die Auffassung anderer Gruppen kümmern muss, lassen Demokratie und Qualitätsdiskurse verkümmern, sozusagen eine Parallelgesellschaft der Professoren entstehen, die sich einer demokratischen Integration entzieht.
Demokratisierung und Diskursivität würden übrigens auch dazu beitragen zu überwinden, was Max Planck in seiner "Wissenschaftlichen Selbstbiographie" in Auswertung der Kämpfe um die theoretische Bestimmung des Verhältnisses von Wärmeleitungen und rein mechanischen Vorgängen feststellte: "Dabei hatte ich Gelegenheit, eine, wie ich glaube, bemerkenswerte Tatsache festzustellen. Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht wird." (22)
Qualitätssicherung ist von der Demokratisierung der Hochschulen nicht zu trennen, auch wenn neoliberale Hassprediger nicht müde werden, das Gegenteil und damit ein Ausschließungsverhältnis von Demokratie und Effektivität / Qualität zu behaupten. Sie wollen dazu beitragen, die Hochschulen jener demokratiefreien Zonen dieser Gesellschaft anzugleichen, der sie meist auch materiell verbunden sind: der sog. freien Wirtschaft, deren als Elite sich bezeichnenden Oberfunktionäre ganze Landstriche in Angst und Schrecken versetzen und sozial ruinieren können.
Es ist die mit dem Begriff des Paradigmas verbundene Historisierung von Objektivität, die eine vereindeutigende Verdinglichung von Qualität bzw. "Standardisierung" obsolet macht. Das gilt aber nicht nur für Forschung, sondern auch für die Lehre. Wieso ist eigentlich nicht Pluralität der Zentralbegriff, mit dem die Qualität in den Hochschulen entwickelt werden soll? Weil das nicht in das Bertelsmann-Buchclub-Weltbild der Funktionäre des CHE passt? Weil, mit Adorno gesprochen, "(w)as nicht verdinglicht ist, sich zählen und messen lässt, (ausfällt)" (1993, 52). Wettbewerb und Konkurrenz sind die Krämer-Varianten von Pluralität. Der Konkurrenz geht es um Ausstechen und Ruinieren der Anderen, um in diesem Sinne die "Besten" zu ermitteln. Wissenschaftliche Pluralität hingegen dient der Gewinnung von Erkenntnis und deren Verallgemeinerung zum Nutzen aller.
Ich komme zum Schluss: Dem Drang zu quantifizierender Standardisierung korrespondiert die gegenwärtige Tendenz zu Verschulung und zu Curricula, die Studierende letztlich zu Objekten der Stoffvermittlung machen, eine Lehre, die die Tendenz enthält, Kritik abzukanzeln, Alternatives als Luxus und Girlande abzutun. Sog. Curricula haben die Tendenz zu Spezialfach, trockenem Fachwissen und dessen häppchenhaft abfragbarer Aufbereitung. Curriculum macht alle dumm. Den "Menschen ein Spezialfach zu lehren", ihm "trockenes Fachwissen" anzudienen, ihn permanent nach Punkten zu bewerten, macht ihn zu einer "Art benutzbarer Maschine", lässt ihn im Resultat eher einem "wohlabgerichteten Hund" als einem kritischen Menschen ähneln. Diese Vergleiche stammen nicht von mir, ich habe sie mir - im Jahre dieses Herrn - von Einstein geborgt.

Dr. Morus Markard ist apl. Professor für Psychologie an der FU Berlin. Er ist Mitglied im Bundesvorstand des BdWi. Den Beitrag hielt er zum Podium Ist Qualität überhaupt messbar? Die Rolle der Qualitätssicherung in der aktuellen Studienreformdebatte der fzs-Tagung Standardisierung oder Qualitätsentwicklung?, die vom 21.-23.01. 2005 stattfand.

Aus: Forum Wissenschaft 1/2005