A free paper for free people

The Indypendent - eine Alternative im New Yorker Mediendschungel

Die Redaktionsräume liegen zentral in Manhattan. Es herrscht reges Treiben in den Räumen des Indypendent, der linken Zeitung in New York City. Es ist Dienstagabend, und es kommen ...

... die Menschen zusammen, die die nächste Ausgabe des "indy" vorbereiten und sich auch darüber unterhalten, wie das Projekt längerfristig finanziell abgesichert werden kann. 20-mal im Jahr gibt es die Zeitung, die kostenlos in New York City verteilt wird. Und obwohl prekär produziert, macht The Indypendent einen sehr professionellen Eindruck. Die Diskussionen sind denen in der deutschen linken Zeitungslandschaft nicht unähnlich. Für ak sprach Georg Wissmeier mit Ellen Davidson einer Mitarbeiterin des Indypendent und in den 1980er Jahren Redakteurin bei der linken Wochenzeitung The Guardian.

ak: Du bist Mitarbeiterin des Indypendent. Im Untertitel der Zeitung steht "a free paper for free people". Wofür steht das?

Ellen Davidson: Free heißt zum einen kostenlos und zum anderen, dass wir unabhängig sind. Das ist für uns sehr wichtig. Indymedia heißt für uns Unabhängigkeit. Alle Medien in den USA haben irgendeine Form von Abhängigkeit, sei es durch Werbung oder indem sie zu einem großen Medienkonzern gehören, was natürlich Auswirkungen auf die Inhalte hat. Und im Gegensatz zu anderen Medien haben wir bei uns keine Hierarchie, sondern wir sind ein Kollektiv, das die Zeitung macht.

ak: Was war der Grund, den Indypendent zu gründen?

Ellen Davidson: Es gab einfach keine unabhängige linke Zeitung in New York. Und so haben ein paar Leute 2001 mit dem Indypendent angefangen. Das war zeitgleich mit dem Start von Indymedia, der unabhängigen Website. Seit zwei Jahren versuchen wir 20 Ausgaben jährlich zu produzieren. Wir kommen im Wechsel alle zwei oder drei Wochen raus, und das gelingt uns auch regelmäßig, und mit einer Auflage von 10.000 sind wir nicht ganz klein.

ak: Zeitung machen ist teuer. Wie wird das Projekt finanziert?

Ellen Davidson: Nun, das ist ein ständiges und großes Problem. Wir haben einige wenige bezahlten Anzeigen von kleinen Verlagen und von Buchhandlungen. Dann haben wir rund 200 Menschen, die uns durch ein Abo unterstützen. Wir machen viel Fundraising, und unsere großen Partys sind berühmt. Dann haben wir vor dem Beginn des Irakkriegs ein Poster gedruckt, auf dem alle militärischen Waffenstandorte in den USA zu sehen sind. Dieses Poster hat eine irre Verbreitung und hat uns eine große Geldsumme gebracht, die unser Erscheinen für einige Jahre absichert.

ak: Ihr deckt eine erstaunliche Themenpalette auf euren 16 Seiten ab.

Ellen Davidson: Der Schwerpunkt liegt aber auf der lokalen Berichterstattung. Wir schreiben z.B. über Mietentwicklungen, ein riesiges Problem in NYC, wie du dir vorstellen kannst, oder über Umweltprobleme in den Stadtteilen. Wir gehen vor allem in die anderen Stadtteile von New York City, also nach Brooklyn, Queens und in die Bronx. Die anderen großen Zeitungen sind sehr auf Manhattan zentriert. Unsere Leute suchen nach Themen in den anderen Stadtteilen und Themen, die die anderen Medien nicht berücksichtigen. Manchmal gelingt es uns auch Themen zu bringen, die dann von den großen Zeitungen aufgegriffen werden. So haben wir letztens über einen Soldaten geschrieben, der aus dem Irakkrieg zurückkam und in der Zwischenzeit obdachlos wurde. Die New York Post hat diese Story aufgegriffen und sie zwei Wochen später als ihre Exklusivstory verkauft. Das können sie hervorragend, gnadenlos von uns abschreiben und es als Exklusivstory verkaufen.

ak: Großes Thema in allen Medien zur Zeit sind die Neubaupläne für ein neues Stadion in Brooklyn.

Ellen Davidson: Ja, das ist ein wichtiges Thema in der Stadt. In Brooklyn sollen viele Menschen vertrieben werden und viele alte Gebäude und Wohnsubstanz platt gemacht werden. Der Plan ist, zusätzlich eine riesige Kaufhausmeile zu errichten. Nur, wir brauchen absolut kein neues Sportstadion. Für Brooklyn ist darüber hinaus wieder im Gespräch bzw. in der Planung, neue Wolkenkratzer hinzustellen, was das besondere Flair von Brooklyn radikal verändern würde.

ak: Die Pläne schwirrten im Hinblick auf die Bewerbung von NYC für die Olympiade 2012 herum. Nun hat London den Zuschlag bekommen. Was hat das für Auswirkungen auf die Stadionpläne?

Ellen Davidson: Die Entscheidung für London war hoffentlich gut für uns - schlecht für London. Es gibt aber tatsächlich Pläne für mindestens zwei neue Stadien. Eines in Brooklyn und ein weiteres, das Westsidestadion, in Manhattan. Das Westsidestadion in Manhattan dürfte mit der Olympia-Entscheidung aus dem Spiel sein. Aber für Brooklyn existieren die Vorhaben weiter.

ak: Neben der lokalen Berichterstattung ist ein großer Schwerpunkt der Irakkrieg. Habt ihr dazu in der Redaktion eine gemeinsame Position?

Ellen Davidson: Ja. Wir sind dagegen, das ist klar. (lacht) Viele von uns in der Redaktion, haben neben der Zeitungsarbeit noch andere politische Aktivitätsfelder. Ich selbst bin in der War Resistance League aktiv, andere sind in der Mieterbewegung oder in Gewerkschaften aktiv, aber als Redaktion machen wir keine gemeinsame antimilitaristische Arbeit, außer eben, und das hat einen großen Stellenwert, durch die Zeitung. Wir bringen im Indypendent ganz viel über konkrete Widerstandsaktionen und lokale Proteste gegen den Krieg im Irak. Wir berichten z.B. über die Kampagnen und Aktivitäten gegen die Rekrutierungsversuche der Army an den Highschools. Dagegen gibt es ganz viele Aktivitäten, und die unterstützen wir, indem wir darüber schreiben.

ak: Wie kommen die Leute an die Zeitung? Wie ist euer Vertriebssystem?

Ellen Davidson: Auch da läuft viel durch Eigeninitiative. Die Menschen aus der Redaktion verteilen Exemplare auf Veranstaltungen, Demos, in ihren Stadtteilen. Und wir nutzen die noch existierende linke Infrastruktur wie Buchhandlungen und Kneipen etc.

ak: Und die Verteilung klappt? Bei 20 Ausgaben im Jahr ist das ein erheblicher Aufwand.

Ellen Davidson: Manchmal klappt es, manchmal nicht so. Wie es halt so ist in freiwilligen linken Kollektiven. Wir versuchen das zu verbessern. Aber der Vertrieb ist von so banalen Dingen abhängig, ob jemand ein Auto und gerade Freizeit hat. Na ja, und dann ist es so, alle lieben es zu schreiben, aber beim Vertrieb hapert es dann manchmal.

ak: Immerhin habt ihr auch schon Auflagen von über 100.000 gehabt.

Ellen Davidson: Ja, letztes Jahr beim Kongress der Republikaner in NYC hatten wir so eine hohe Auflage. Da war das mit der Verteilung gar kein Problem. Alle waren motiviert, und bei jeder Demo wurde der Indypendent verteilt. Diese Woche hat richtig Spaß gemacht. Dort kam das Indymedia-Prinzip richtig zum Tragen. Wir haben ein eigenes Mediencenter aufgebaut und haben es bei diesem Event umsetzen können, dass jede/r berichten und seine Eindrücke vermitteln kann. Alle möglichen Medienformen wurden genutzt, und so kam eine unglaubliche Vielfalt zu Stande. Wir hatten die exklusivsten Bilder, und wir waren im Prinzip überall, wo die normalen Berichterstatter nicht hingehen. Die Mainstream-Zeitungen sind damals zu uns gekommen, weil es bei uns Informationen gab, die sie sonst nicht bekamen. Was noch viel wichtiger war: Es gab unglaublich viele positive Rückmeldungen von den NutzerInnen und danach von den LeserInnen des Indypendent.

ak: The Indypendent erscheint nur in New York City?

Ellen Davidson: Im Prinzip ja. Ein paar hundert Exemplare verschicken wir in andere Städte, wo FreundInnen die Zeitung verteilen, aber halt nur ganz wenig.

ak: Gibt es noch ähnliche Zeitungsprojekte in den USA?

Ellen Davidson: Meines Wissens nur noch in Washington D.C. Vielleicht gibt es noch welche in Kalifornien, aber ich weiß es leider nicht. Daran siehst du, dass die Vernetzung nicht sehr gut ist.

ak: Ihr entscheidet alles gemeinsam im Kollektiv. Ein zeitaufwendiger Prozess ...

Ellen Davidson: Wir versuchen alles im Konsens zu regeln. Aber wir haben zur Sicherheit, damit es keine Blockade gibt, eine Regelung, dass Entscheidungen mit mindestens zwei Drittel Mehrheit getroffen werden müssen. Unser größtes Problem ist, dass wir zu wenig Platz bzw. zu viele Artikel haben. Wir diskutieren darüber, was wir bringen, und es kommt fast nie vor, dass wir uns nicht einigen können.

ak: Wie ist euer Arbeitsrhythmus?

Ellen Davidson: Jeden Dienstag haben wir ein offenes Redaktionstreffen, und wenn wir ein Schwerpunktthema in einer Ausgabe haben, treffen wir uns gesondert noch an einem Freitag, um über das Thema zu diskutieren und die Inhalte festzulegen. Wenn die Themen für die Artikel festgelegt sind, entscheidet das verantwortliche Redaktionsteam, wie viel Platz für jeden Artikel zur Verfügung steht. An einem Wochenende wird dann redigiert, korrigiert und am Wochenanfang das Layout gemacht.

ak: Die ganze Arbeit wird von unbezahlten Menschen geleistet, nur ein Mensch hat eine halbe, schlecht bezahlte Stelle.

Ellen Davidson: Wobei diese Stelle keine Redaktionsstelle ist, sondern die Bezahlung ist für die Koordination, Organisation, Verwaltung, Vertrieb etc.

ak: Das ist eine enorme Leistung, seit fast fünf Jahren auf diesem Level das Erscheinen des Indypendent abzusichern. Und ihr habt noch keine Ermüdungserscheinung?

Ellen Davidson: Gar nicht. Mein persönliches Ziel ist es, die Zeitung noch viel besser zu machen, so in Richtung des früheren Guardian, bei dem ich Redakteurin war. Weißt du, das war eine richtige Zeitung. Der Guardian wurde 1948 gegründet und war eine seriöse linke Wochenzeitung mit 20 bis 24 Seiten. Der Guardian bezog sich auf die diversen Bewegungen und hatte eine hervorragende internationale Berichterstattung. Wenn es zum Beispiel eine Kampagne gegen Apartheid gab, hatten die Leute ihre Informationen aus dem Guardian. Als der Guardian 1992 eingestellt wurde, gab es ein riesig großes Loch auf der Linken. The Indypendent ist nicht der Guardian, aber es ist die Zeitung, die dieser guten alten linken Wochenzeitung am nächsten kommt. Eine Zeitung, die die AktivistInnen unterstützt, aber auch offen ist für Debatten. Wobei mir schon sehr daran gelegen wäre, wenn wir im Indypendent mehr Debattenbeiträge hätten und dies Angebot von den AktivistInnen der verschiedenen Bewegungen mehr genutzt werden würde.

ak: Was war dafür verantwortlich, dass es den Guardian nicht mehr gibt?

Ellen Davidson: Das Geld, um es verkürzt zu sagen. Aber teilweise waren wir auch etwas leer gelaufen. Der Guardian wurde ja von der "alten" Linken gegründet und ging dann auf die "neue" Linke in den 1960er/70er Jahre über. Und wir wurden Ende der 1980er logischerweise ebenso wie anderswo in der Welt von der Krise der Linken erfasst, wir waren ein Bestandteil davon.
Die Angestellten des Guardian ab Ende der 1960er Jahre repräsentierten die verschiedenen Strömungen der Linken in den USA. Der Guardian hatte trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen eine "Linie". Das fehlt heute beim Indypendent, da sind die Positionen etwas beliebiger. Die Linie beim Guardian war übrigens nicht die Linie einer Partei, sondern das war die Linie der dort Beschäftigten, und das fehlt mir beim Indypendent.

ak: Deswegen gibt es wahrscheinlich auch wenig Streit, weil man gar keine Perspektive in einer Veränderung sieht?

Ellen Davidson: Ja, mir kommt das manchmal etwas verrückt vor. Das sieht man auch daran, dass wir kein gemeinsames redaktionelles Editorial haben. Logisch, dass alle Menschen beim Indypendent eine Meinung haben, aber wir haben keine Redaktionsmeinung.

ak: Wie willst du dann Debatten organisieren. Mehr extern?

Ellen Davidson: Nun, wir wollen gezielt Menschen ansprechen, die an solchen Diskussionen interessiert sind. Wir wollen gezielt Positionen abdrucken, die innerhalb der Linken unterschiedliche Sichtweisen haben, wie z.B. zu den bevorstehenden Bürgermeisterwahlen in NYC oder zu den unterschiedlichen Vorgehensweisen von Gruppen in der Bewegung gegen den Irakkrieg.
Da sind wir dabei, und ich glaube, dass wir das hinbekommen.

ak: Welche Zukunft gibst du dem Indypendent?

Ellen Davidson: Nun, ich hoffe, dass es uns zunächst gelingt, die finanzielle Situation zu stabilisieren und wir mehr Seiten produzieren können. Der "indy" ist für die New Yorker Linke wichtig, und die Arbeit der jungen GenossInnen und aller Beteiligten im Indypendent ist einfach erstaunlich. Mit dieser Energie werden wir noch lange eine gute Zeitung machen können.

Anmerkung:
The Indypendent online: http://indypendent.org

aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 498/16.9.2005