Wie Krankheit gesundprivatisiert wird

Die Privatisierungspolitk im Gesundheitswesen am Beispiel der Rhön AG.

Martin Menger, Manager der Rhön AG, die mittlerweile über 30 Kliniken in Deutschland ihr eigen nennt, ist für den Norden, Westen und Niedersachsen verantwortlich und seit einem Jahr zusätzlich Geschäftsführer des Klinikums in Hildesheim. Das allein sei ein "Fulltime-Job", stellt er freundlich lächelnd fest.

"Ich will am Ende des Jahres eine schwarze Null in Hildesheim schreiben, das erfordert harte Arbeit" sagt der zwischen Osnabrück und Hildesheim pendelnde Kenner der deutschen Krankenhauslandschaft. Vor einem Jahr kaufte die Rhön AG das Städtische Krankenhaus, das ohne diesen Kauf Konkurs hätte anmelden müssen, so jedenfalls die Statements der Ratsmitglieder. Bevor Martin Menger präziser seine Pläne erläutert, wie er die Arbeitsplätze der 1300 Beschäftigten retten will, muss er zum Telefonhörer greifen, um sich aus der Konzernzentrale, von Gerald Meder, Redeerlaubnis erteilen zu lassen.

Schwarze Nullen in Hildesheim

Das Hildesheimer Krankenhaus war, als sich der Stadtrat im Juli 2004 für Rhön als Käufer entschied, mit 35 Millionen Euro verschuldet, keine Bank sei mehr ins Risiko gegangen. Nun führe nicht allein die Verbesserung der Erlöse zum Ziel, sagt Menger, sondern gleichzeitig müsse die Reduzierung der Sach-, Zins- und Personalkosten forciert werden.

"Dass wir als Eigentümer von über dreißig Kliniken günstiger einkaufen können als ein einzelnes Krankenhaus, ist doch klar. Schwieriger gestaltet sich die Reduzierung der Personalkosten. Ein Beispiel: Ich habe gemeinsam mit dem Betriebsrat die Situation unserer Küche analysiert und festgestellt, dass dort nichtqualifizierte Kräfte 2000 Euro verdienen! Wenn ich die Küche, wo jetzt noch 60 Beschäftigte sind, schließe und an einen Dienstleister abtrete, könnte ich sofort 500.000 einsparen. Die 60 Beschäftigten würden nicht alle übernommen, dazu kommt, dass ihnen nur um die 1000 Euro gezahlt würden. Also habe ich zum Betriebsrat gesagt: ›Wenn ich 350.000 einsparen kann, mache ich die Küche nicht dicht.‹ Der Betriebsrat hat sofort mitgezogen. So entstand ein neuer Haustarifvertrag, der das Küchenpersonal weit runterstuft. Der Status quo der bestehenden Verträge bleibt erhalten. Neueinstellungen, das betrifft natürlich die anderen Arbeitsbereiche auch, werden nach dem neuen Haustarifvertrag eingestellt, der den BAT- Vertrag ablöst."

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickt er auf die Fotos seiner zwei Kinder, die ihn von der Fensterbank liebevoll anschauen, und fast etwas schuldbewusst wirkend fragt er: "Was soll ich denn machen? Ich muss, wenn es die Umstände erfordern, auch Gehälter kürzen, um das Ganze erhalten zu können. Das ist meine Aufgabe, dafür werde ich bezahlt." Schnell ist er wieder ganz sachlich und schildert seinen nächsten Plan, dessen Realisierung allerdings einige Jahre benötigen werde, die "Privatisierung der Röntgenabteilung".

Da er den Begriff "Outsourcen" nicht mag, spricht Martin Menger lieber von Privatisierung. Die Pathologie, in der 15 Beschäftigte arbeiteten, sei bereits privatisiert. Und dieses Konzept solle nun in der Röntgenabteilung fortgesetzt werden. Der Chefarzt der Pathologie sei selbstständiger Unternehmer geworden, von dem das Klinikum Dienstleistungen kaufe. Der Pathologe zahle für seine Räume Miete. In diese Richtung sei der Weg auch im Falle der Röntgenabteilung bereits beschritten worden. Er stehe mit einer großen Praxis in engem Kontakt, die über einen enormen Gerätepark verfüge. Es mache doch Sinn, die Gerätekapazitäten des Klinikums mit denen des niedergelassenen Röntgenologen zu verbinden. Gemeinsam stünden dann zwei Kernspintomografen zur Verfügung, die auf diese Weise wesentlich effektiver ausgenutzt werden könnten. Die Privatisierung der Röntgenabteilung sei auch deshalb sinnvoll, weil die Patienten dann direkt ins Klinikum kommen könnten, was jetzt, da diese Abteilung keine KV-Zulassung habe, nicht möglich sei. "Das Labor wird diesem Weg der Privatisierung folgen."

Dass die Wäscherei, in der 13 Beschäftigte arbeiten, nicht schon vor Jahren geschlossen worden sei, kann Martin Menger nicht verstehen. "Also wird es jetzt gemacht und das Altenheim, das die Stadt seinerzeit dem Eigentum des Krankenhauses zuschlug, muss weg. Wir suchen dafür einen Betreiber!"

Dieser Privatisierungskurs entspricht der Strategie der Rhön AG. Martin Menger ist nur einer der treuen Assistenten des Eugen Münch. "Früher", so sagt Münch, Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG, habe er die Häuser binnen eines Jahres "in den Gewinn saniert". Heute benötige er ein oder zwei Jahre bis zur "schwarzen Null", während die Durchschnittsmargen sinken. Es gebe zwar durchaus Geschäftsführer in öffentlichen Häusern, die sehr professionell seien, aber: "Die Politik bremst sie. Die Wahrheit ist so, aber keiner spricht sie aus."

Sicher wird ein öffentliches Krankenhaus nicht auf die Idee kommen, das Gesamtunternehmen in einzelne Immobilien zu zerlegen, um diese Stück für Stück lukrativ, dazu noch mit Personal, zu vermieten oder gar zu verkaufen. Ein Aufschrei würde durch die Rathäuser ziehen. Jeder Abgeordnete will ja wiedergewählt werden! Diesem Debakel sind die privaten Betreiber natürlich nicht ausgesetzt. Sie können sich ganz auf ihre Strategie konzentrieren.

Leistungsverdichtung von Fall zu Fall

Damit das Personal künftig genau dort eingesetzt werden kann, wo es benötigt wird, analysiert Menger alle Funktionsbereiche des Krankenhauses. Im Hildesheimer Klinikum wurde eine Intermediate-Care-Station (IMC) eingerichtet, die sich als Bindeglied zwischen Intensivstation und Normalstation versteht. Ein pflegeintensiver Patient wird zunächst auf dieser IMC-Station gepflegt, bevor er auf die Normalstation kommt. Das Personal könne so sinnvoller eingesetzt werden, stellt Menger nüchtern fest und fügt lächelnd hinzu, das Stöhnen vieler Krankenschwestern auf den Normalstationen würde ebenfalls im Keim erstickt. "Die können dann nicht mehr sagen, ihre Arbeit sei nicht zu bewältigen, weil sie zuviel pflegeintensive Patienten zu betreuen hätten." Die Normalstation wird entlastet, deshalb wird eine Schicht statt mit sechs Schwestern mit fünf auskommen müssen und die Nachtschichtbesetzungen lassen sich auch noch reduzieren, da die intensiv zu Betreuenden sich ja alle auf der IMC- und Intensivstation befänden.

Menger nennt diesen Prozess Leistungsverdichtung. Diese spüren natürlich auch die Ärzte auf den Stationen. Hier müssen überall die Fallzahlen in Relation zur Anzahl der Ärzte gebracht werden. Passt dieses Verhältnis nicht, werden Stellen gestrichen. Die Chefärzte stuft er wie leitende Angestellte ein, die einen erheblichen Teil ihres privat liquidierten Geldes an das Klinikum abführen. Da diese Gelder in der Vergangenheit häufig Millionenbeträge pro Chefarzt erreichten, werden zwölf Chefärzte den Sanierungsplan Mengers bestens unterstützen.

Die Chefärzte sollen durch erhöhte Fallzahlen ihre privaten Kassen auffüllen können. Leistung ist gefragt! Bislang sei die Verdienstspanne zwischen Chefarzt und, oft fast gleichaltrigem, Oberarzt völlig irrational gewesen. Das will Menger korrigieren und den Oberärzten das Gehalt aufbessern. Ein interessanter Nebeneffekt dieser Aufwertung der Oberärzte ist die damit verbundene strategische Führung der Klinik. Immerhin sind 60 Oberärzte der Dreh- und Angelpunkt des Klinikums. Wer die Oberärzte zu motivieren versteht, der hält das Zepter fest in seiner Hand.

Martin Menger weist noch auf einen sehr wesentlichen Punkt hin, der helfen soll die Erlösseite des Klinikums zu verbessern, das seien die Verhandlungen mit den Krankenkassen.

Das Abrechnungsprinzip, das seit Januar 2005 in den Krankenhäusern gilt, rechnet mit Fallpauschalen. Für jeden "Fall" gibt es einen Basiswert, der mit dem entsprechendem Eingriff multipliziert wird. So wird eine Hüftoperation mit dem Faktor 2,3 multipliziert. Dieser Basiswert ist in den Krankenhäusern aber sehr unterschiedlich. Hier gibt es eine Spanne, die von 2300 Euro bis 3500 Euro (Unikliniken) reicht. Diese Spanne erkläre sich aus der Vergangenheit, wo politischer Lobbyismus diese Schere produziert habe. Dies soll, so die politischen Entscheidungen, die allerdings immer wieder um ein weiteres Jahr von den Krankenkassen verschoben würden, zu einem Durchschnittswert führen, der in Niedersachsen auf 2738 Euro festgelegt worden sei. Da das Klinikum Hildesheim bislang nur einen Basiswert von 2480 Euro zugesprochen bekommen habe, erhofft sich der Geschäftsführer eine Nachzahlung für das Jahr 2005 von über 5 Millionen. Keine schlechten Aussichten!

Doch warum, fragt man sich, konnte der Stadtrat nicht so positiv in die Zukunft schauen, wie dies Martin Menger tut? Weil ihm die Kredite für die erforderlichen Investitionen fehlten, antworten die Ratsmitglieder im Chor, denn es seien, neben der Schuldenlast, die laufend hohe Zinsen schluckte, bauliche Investitionen von 50 und mehr Millionen im Krankenhaus erforderlich gewesen.

Tatsächlich will die Rhön AG diese baulichen Investitionen über die nötigen Sanierungen hinaustreiben. Sie will das siebenstöckige Bettenhaus abreißen und völlig neu bauen. "Es ist ein kompakter Pflegeneubau mit Sanierung des Funktionsbaus vorgesehen, aus 15 solitären Gebäuden soll ein funktionstechnisch, ablauforganisatorisch optimaler Krankenhausbau entstehen. Lediglich die denkmalgeschützten Gebäude sollen stehen bleiben", sagt Menger stolz.

Die Rhön AG zahlte also nicht nur die mit den Bankschulden denkungsgleiche Kaufsumme von 35 Millionen, sondern sie will zusätzlich viel Geld investieren. Das sieht allerdings problematischer aus, als es tatsächlich ist. Wenn die bei der öffentlichen Hand beantragten Fördermittel von 35 Millionen für den Neubau im niedersächsischen Ministerium bewilligt werden sollten, was Menger hofft, dann hätte die Rhön AG die Klinik quasi von der Stadt geschenkt bekommen.

Der flexible Kredithahn

Natürlich müssen Gelder für den Neubau beschafft werden, woran die Stadt ja kläglich scheiterte, da ihr keine Kredite mehr von den Banken zur Verfügung gestellt wurden. Kreditbeschaffung ist dagegen für die Rhön AG kein Problem.

Schaut man genauer in den Geschäftsbericht, ist zu erfahren, dass es sich bei allen Rhön-Kliniken um Filialen deutscher Banken zu handeln scheint. Hier wird die bayrische Hypo-Vereins-Bank mit 27% der Stammaktien ausgewiesen, und die Deutsche Bank, die sich hinter den "Institutionellen Anlegern" (DWS-Fonds) verbirgt, hält weitere 26% der Stammaktien. Deshalb dürften die "Peanuts" für die Investitionen des Neubaus keine Probleme bereiten, denn schließlich geht das Risiko, das die Fondseigner der Bank eingehen, gegen Null. Die Neubauten werden als Parzellen ja so geplant, dass sie im Bedarfsfall, wie heute schon die Pathologie, einfach noch einmal "privatisiert" werden. Die Privatisierung des öffentlichen Krankenhauses, das über viele Jahre durch öffentliche Gelder gebaut und erhalten wurde, würde auf diese Weise von den Privatisierern noch einmal privatisiert, diesmal als Immobilie mit der Option der Gewinnbeteiligung.

Dass sich dieser Weg nicht nur für die Aktionäre, sondern auch für die Topmanager des Rhön-Konzerns lohnt, macht ein weiterer Blick in den Geschäftsbericht deutlich. Dort steht zu lesen, dass der Konzernchef Eugen Münch im Jahre 2003 ein Jahresgehalt von über 2 Millionen Euro erhielt. Das Vorstandsmitglied Gerald Meder wurde für die operative Führung, wie er sie all seinen Managern auf der "Strukturebene" von Martin Menger angedeihen lässt, immerhin noch mit 1,11 Millionen Euro belohnt.

Den finanziellen Erfolgskurs des Konzerns kann sicher auch das Kartellamt nicht trüben, das den Kauf weiterer Kliniken im Raum Neustadt/Saale und Mellrichstadt zunächst verhinderte, da der Konzern in diesen Regionen sonst über einen Marktanteil von über 60% verfügen würde. Der wirtschaftliche Erfolg der Rhön AG ist ohnehin nicht gefährdet, ist er doch Bestandteil eines Systems, das in erster Linie Rentabilität fordert. Deshalb laufen Ende 2005 die BAT-Verträge aus - es wird abgebaut: Gehälter, Zulagen und auch Personal. Dem Labor, der Physiotherapie und einzelnen Stationen wurde im Juli mitgeteilt, dass 20-30% der Arbeitsplätze gestrichen werden müssen! Der Privatisierungsprozess setzt nach einem Jahr erst richtig ein. Statt Humanisierung heißt es jetzt Profitmaximierung!