Weltmeister, die wir sind

Vor langer Zeit, so wird beharrlich behauptet, seien wir alle sehr glücklich gewesen im Wissen: Wir sind Weltmeister. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und inzwischen sind wir nun also Papst. ...

... Neuerdings wird von mir verlangt zu akzeptieren, ich sei so wie alle anderen neben mir Deutschland, und von einem Plakat schaut mich Herr Professor Ludwig Erhard, der einstens seinen Wahlkampf gegen Frahm alias Brandt geführt hatte, an und verlangt, ich sei er. Bald erliege ich einer Plakatphobie mit meiner Angst, die nächste Anschlagsäule teile mir mit: Du bist Merkel! Was mache ich dann?

Die stille Hoffnung, mit stattgehabter Wahl käme das Politgeblödel zum wohlverdienten Ende, erfüllt sich demnach nicht. Obwohl man sagen muß, daß schon vor dem berühmt gewordenen suboptimalen Auftritt des Kanzlers so manche vorher kaum vorstellbaren Blüten wuchsen. Manche waren so abseitig, daß sie, eben erblüht, schon nicht mehr wahrgenommen wurden. Aber ich habe gesehen und gehört, wie unser Wir sind Nobelpreisträger Grass kurz die Pfeife aus dem Mund nahm und murmelte, unser Kanzler verdiene wegen seines Einsatzes gegen den Irakkrieg den Friedensnobelpreis. Das erwartete Gebrüll: Wir sind Friedensnobelpreisträger erscholl zwar nicht, aber gesagt ist gesagt, und da wird man ja wohl antworten dürfen.

Nun ist gewiß unbestritten, daß die Vergabe so manchen Nobelpreises nur schwer nachzuvollziehen ist, warum sollte also Gerhard Schröder nicht auch einen bekommen? Und unbestritten sollte sein, daß der auch von Schröder herbeigeführte Riß in der atlantischen Allianz in einem von den USA als essentiell gewerteten Fall nachhaltig wirksam ist. Nur ist zu diesem Faktum mehr zu sagen, und: Es ist auch gesagt worden, vom Bundesverwaltungsgericht nämlich. Und das haben die Medien auch ordnungsgemäß vermeldet. Aber das warÂ’s dann.

Es muß also daran erinnert werden, daß ein Major der Bundeswehr im April 2004 die Ausführung eines Befehls mit der Begründung verweigerte, daß die Befolgung des Befehls geeignet sei, Kriegshandlungen im Irak zu unterstützen. Das Bundesverwaltungsgericht sprach den Major im Juni 2005 frei und traf dabei zwei folgenschwere Feststellungen. Einmal erklärte es den Irakkrieg der USA und ihrer Verbündeten aus den bekannten Gründen zu einem völkerrechtswidrigen Delikt. Daneben aber erkannte es auch die Rechtmäßigkeit der Bedenken des Majors an, daß Deutschland zu diesem völkerrechtswidrigen Krieg Beihilfe leiste, da deutsche Truppen in Kuwait stationiert und deutsche Soldaten an AWACS-Flügen beteiligt seien. Außerden werde den USA und Großbritannien die unbegrenzte Nutzung ihrer militärischen Einrichtungen in Deutschland für ihren Krieg gegen den Irak und die Bewachung dieser Einrichtungen durch deutsches Militär gewährt. Das Gericht schlußfolgerte: "Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt ist selbst ein völkerrechtswidriges Delikt." Das Bundesverwaltungsgericht befaßte sich seiner Aufgabe entsprechend nur mit dem Fall des Majors. Der Fall der Regierung, die Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt gewährte und weiter gewährt, steht bei keinem Gericht zur Verhandlung an. Wenn an Friedensnobelpreise gedacht wird, sollte man ein solches, bislang nicht aktiv gewordenes Gericht im Sinne haben.

Es sollte auch nicht vergessen werden, daß es die gegenwärtige Regierung des "Friedenskanzlers" war, die Deutschland in die Kriege in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan führte, in Kriege also, die eines gemein haben: keine Chance für die Erreichung der verkündeten Ziele. Und es sollte auch nicht vergessen werden, daß die Bundesregierung trotz aller Distanzierung vom Irakkrieg sich stets hütete, diesen Krieg das zu nennen, was er war, völkerrechtswidrig, fürchtete sie doch, dann ihre vom Bundesverwaltungsgericht nun verhandelte Beihilfe für diesen Krieg beenden zu müssen.

Nun könnte man sagen: Was soll das Nachdenken über den kalten Kaffee Schröders? Doch die Außen- und Sicherheitspolitik der neuen Großen Koalition wird sich kaum von der der rot-grünen unterscheiden. So geht zum Beispiel eine Analyse der Informationsstelle Militarisierung e.V. vom 29. März 2005 unter dem Titel Vorankündigungen zur Außen- und Militärpolitik der CDU/CSU nach der Bundestagswahl 2006 von der Fortsetzung der bisherigen Politik in wesentlichen Teilen aus und zitiert dazu unter anderem aus der Rede Angela Merkels auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2005: "Die Fähigkeit, deutsche Interessen durchzusetzen, auch militärische Kapazitäten aufzubauen, hängt ganz wesentlich von unserer Wirtschaftskraft ab. Deshalb muß deutsche Politik den Prozeß der wirtschaftlichen Reformen entschieden fortsetzen, weil daraus auch die Kraft für außen- und sicherheitspolitischen Gestaltungsraum erwächst."

Die neoliberale Neuordnung der sozioökonomischen Strukturen der Gesellschaft wird also in den Zusammenhang zum machtpolitischen Aufstieg Deutschlands und zur Durchsetzung sicherheitspolitischer Ziele gesetzt wie von der rot-grünen Koalition Schröders.

Der Staatsanwalt muß wohl erst noch geboren werden, der eine Bundesregierung wegen ihres Vergehens gegen das Völkerrecht verklagt.

in: Des Blättchens 6. Jahrgang (VI) Berlin, 7. November 2005, Heft 23