Rollback im Klassenzimmer

in (05.12.2004)

"Angeknackste Helden", so titelte der Spiegel 2004 und steht dabei prototypisch für eine neue Diskussion in der Bildungspolitik. Männerbenachteiligun wird gewittert - und die von Frauen ignoriert.

"Angeknackste Helden", so übertitelt der Spiegel im Mai 2004 einen Artikel, in dem (erneut) der Bildungsnotstand ausgerufen wird, wobei nach gestressten LehrerInnen (46/2003) nun die Jungen im Zentrum des Interesses stehen. Die haben nämlich ihre "Männlichkeit" verloren, die "Kerle manövrieren sich ins Abseits". Auf breiter Front wird problematisiert, dass Mädchen in der Schule, insbesondere in den privilegierteren Schulformen, die besseren Noten bekommen und sich sozial genehmer verhalten, während bei den Jungen eine "handfeste Versagerquote" entwickelt.

Dementsprechend wird auch die zunehmende Teilnahme von Frauen an früher als "männerdominiert" angesehenen Studiengängen wie Maschinenbau oder Elektrotechnik nicht als Fortschritt, sondern als Bedrohung für die männliche Identität der nicht-weiblichen Teilnehmer entschlüsselt: Diese nur allzu geläufige Konstruktion von Männlichkeit geht schlussendlich davon aus, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn Jungs hinter Mädels zurückbleiben, wobei dies nicht auf Erziehung und soziale Verhältnisse, sondern unbedingt auf die Gene zurückgeführt wird; so kommt man vom Klassenzimmer ganz schnell zum Jäger und Sammler.

Was hier beobachtet werden kann, ist ein Rollback sowohl im Bereich der Geschlechterverhältnisse als auch eine Verstärkung des ökonomistischen Blicks auf Schule und Bildung: So wird einerseits beklagt, dass die "Versager" von heute nicht zu den Spitzenverdienern von morgen werden können ("die eine Gesellschaft so dringend nötig hat"), und andererseits auch auf dem Heirats"markt" wenig Chancen hätten.
Gänzlich unterbleibt bei dem beschränkten Blick der Spiegel-AutorInnen der Blick über den eigenen Tellerrand, bzw. über die deutschen Grenzen hinaus: Ihre vorschnellen Schlüsse würden im Angesicht von gerechteren Bildungssystemen wahrscheinlich zerschellen. Aus emanzipatorischer Perspektive kann dieser Versuch, über die geschlechtsspezifischen Diskriminierungsmechanismen und Prozesse im Bildungssystem hinwegzusehen, nicht zufrieden stellend sein. Denn die Frage, warum trotz der anscheinend Gott gegebenen Überlegenheit der Mädchen in der Schule in der Privatwirtschaft und im Staatsapparat dennoch nicht die besser dotierten Posten bekleiden werden, nur kurz angeschnitten; hier bleibt man gänzlich auf der Oberfläche des Problems sitzen.