Ketzer & Freibeuter

Am 2.November jährte sich zum 30. Mal der Tod des Dichters und Filmregisseurs Pier Paolo Pasolini.

Der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini lässt sich nicht einordnen. Den einen war er zu ketzerisch, den anderen ein willkommener Freibeuter, die Gegner von links bezeichneten ihn als Moralisten, die von rechts bezichtigten ihn der Libertinage. Ein Marxist, aber kein Kommunist, ein Christ, aber kein Katholik, ein Atheist, aber gottesfürchtig. Seine Filme wurden als zu symbolistisch von den einen und als zu realistisch von den anderen kritisiert. Ein Barbar, der Archetypen schuf, oder gar ein Genie.

Mit Profischauspielern arbeitete er nicht gerne, deshalb nahm er Laien unter Vertrag, aber er engagierte auch international bekannte Stars wie Totò, der Franziskanerbruder aus Uccellacci e Uccellini, die Callas als Medea im gleichnamigen Film, die Magnani, die Hure aus Mamma Roma, und Terence Stamp, der Engel in Teorema. Aber seine wirklichen Stars waren Franco Citti und Ninetto Davoli, die mit Pasolini gemeinsam das Filmemachen erlernten und zahlreiche Rollen bereicherten.

Eisenstein, Chaplin, Mizoguchi und Dreyer hat er einmal als wichtige Regisseure erwähnt, doch seine wahren Vorbilder sind die Verdammten dieser Erde, die Bewohner der Borgate, der Vororte von Rom ("Ragazzi di vita"), des Mezzogiorno, des italienischen Südens (Il Decameron), und der Dritten Welt (Il fiore delle mille e una notte), ohne die er der Erde keine Chance mehr gibt. Ihre Subkultur stellt für ihn die einzige Chance dar, der Kultur des Konsumismus zu trotzen, ihre Traditionen bevorzugt er gegenüber der modernen Informationsgesellschaft.

Die Großen des Neorealismus - Rossellini, Visconti und de Sica - begannen sich zu etablieren, als Pasolini mit 39 Jahren das Filmemachen begann. Seinen Erstling Accattone wollte nicht einmal sein Freund Fellini produzieren, weil so keine Filme gemacht werden können, wie dieser meinte. Mit dem Produzenten Alfredo Bini und dem Kameramann Tonino Delli Colli fand er dennoch zwei Weggefährten, die ihm auch beistanden, als sich Richter als Filmkritiker aufspielten, was nach Pasolinis Premieren nicht selten passierte. Er verfilmte Leiden und Leidenschaft und wählte lieber die geschlossene Form der Passion als das Fabulieren der Neorealisten der ersten Stunde. Pasolini brachte Bach und Vivaldi in die Hütten der Subproletarier. Pasolini ist aus der Asche des Gründers und Chefideologen der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, erstanden. Seine Filmkunst, populär im Sinne Gramscis, droht verstanden zu werden, sonst wäre Pasolini nicht so oft vor den Richter zitiert worden.

Es gab schon ein cinematografisches Leben Pasolinis vor Accattone. So schrieb Pasolini Il prigioniero della montagna (Regie: Luis Trenker) und Le notti di Cabiria (Regie: Federico Fellini). Seine Prosa zeigte filmische Perspektiven, auch wenn er angeblich nicht wusste, was ein Panoramaschwenk ist, machte er ihn. Pasolini hatte den Film genau im Kopf, wie seine Storyboards beweisen, und so assistierte er auch oft hinter der Kamera und am Schnittpult. Auf der Suche nach einer neuen Sprache ist er zum Film gekommen, eine Sprache, die international verständlich ist. Und trotzdem ist den Kritikern die Deutung von Filmen wie Uccellacci e Uccellini und Teorema immer wieder entglitten.

In Pasolinis Filmen ist nichts dem Zufall überlassen. Die Poetik der Dialoge, die Ikonografie des Bildaufbaus, die mathematische Montage, die Komposition des Soundtrack, die Herkunft der Maske und der Garderobe, die soziale Stellung der Darsteller, die Kamerarecherche nach geeigneten Drehorten folgen nicht einer artifiziellen Story, sondern dem Widersinn pasolinischen Denkens. Pasolinis Filme spielen zwischen Lust und Leiden in einer hoffnungslosen Welt. Der Weg der Figuren ist vorbestimmt, durch den Karren der Ideologien geschient. Der Rabe in Uccellacci e Uccellini spricht davon solange, bis er von den Protagonisten aufgefressen wird.

Triebfeder in Pasolinis Schaffen ist der Zorn, der sich gegen das Verwerfliche im Menschen wendet. Augenscheinlichstes Beispiel ist der Dokumentarfilm La rabbia. Ein zweiteiliger Film, der von widersprüchlicher Ideologie geprägt ist. Pasolini und der Regisseur des zweiten Teils, Giovanni Guareschi, lassen Bilder aus dem Archiv sprechen. Faszinierend wie ähnliche Bilder durch Schnitt und Kommentar die Welt verschieden kommentieren.

Das Aufeinandertreffen von de Sade und der letzten Bastion des italienischen Faschismus, Salò, hat die Fans von Pasolini endgültig beunruhigt und verwirrt. In Salò o Le 120 giornate di Sodoma, Pasolinis letztem Film, werden die erlesensten Körper extremen Grauslichkeiten ausgesetzt, die in der Trilogie des Lebens (Il Decameron, I Racconti di Canterbury und Il fiore delle mille e una notte) noch die Hoffnung Pasolinis versinnbildlichen. Eine Skurrilität, die enttäuscht aufgenommen und als vulgärer Sex mit dem Blick auf den Kassenerfolg gewertet wurde.

Wie Pasolini mit seinem Publikum über die Leinwand kommunizierte, hat er dies mit seinen Mördern gemacht. Die Ermordung in Ostia ist die Konsequenz einer Radikalität, die in den gewaltsamen Tod führen musste, und erinnert an den Tod Accattones, aber auch an jenen von Ettore in Mamma Roma. Konstruktiver Pessimismus oder der inszenierte Tod. Pier Paolo Pasolini ist wie Ernesto Che Guevara jung geblieben, nur ist er kein Idol geworden und blieb ohne Nachfolger.

Sein Gesamtwerk wird im neuen Jahrtausend eine neue Rezeption erhalten. Dies ermöglicht Pasolinis Freundin und Schauspielerin Laura Betti, die sein filmisches Schaffen konserviert und für kommende Generationen zugänglich macht.