Teamplay für Überwachungstechnik

Das Sicherheitskonzept der WM 2006

in (28.01.2006)

"Die Nelke im Knopfloch meines Ministeriums" war für Otto Schily - der Sport. Welche Blüten die Sicherheitspolitik Schilys im Schatten der nahenden Fußball-Weltmeisterschaft getrieben hat...

"Die Nelke im Knopfloch meines Ministeriums" war für Otto Schily - der Sport. Welche Blüten die Sicherheitspolitik Schilys im Schatten der nahenden Fußball-Weltmeisterschaft getrieben hat, erfuhr die Öffentlichkeit am 25. Mai 2005. Im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion stellte der damalige Bundesinnenminister mit Länderkollegen das "Nationale Sicherheitskonzept" zur WM 2006 vor. Nach dem Konzept blüht SportsfreundInnen vor allem die Durchleuchtung: Bund und Länder setzen auf personalisierte Eintrittskarten mit Funkchip, mobile Fingerabdrucksysteme und biometriegestützte Videoüberwachung. Nachdem bereits in zahlreichen Landes-Polizeigesetzen unter Hinweis auf "Hooligan-Touristen" Verschärfungen v.a. in Richtung Präventiv-Haft durchgesetzt worden sind, kündigt sich nun die große Stunde der Überwachungstechnik an. Dabei kooperieren die Sicherheitsbehörden eng mit dem Deutschen Fußballbund (DFB).

Fans unter Generalverdacht

Wer ein WM-Spiel besuchen oder per Großleinwand verfolgen will, wird gescannt. Viele WM-Städte, die Überwachungskameras bisher nicht großflächig installiert hatten, ergreifen nun die Gelegenheit. Das "Nationale Sicherheitskonzept" sieht Spezialkameras vor, die in der Umgebung von Stadien, an öffentlichen Plätzen und an Verkehrsknotenpunkten die Gesichter von PassantInnen biometrisch erfassen und mit Polizei-Daten vergleichen. Unklar ist, wie lange die Aufnahmen gespeichert und mit welchen Datenbanken die Bilder abgeglichen werden sollen - die bundesweite Polizei-Datei "Gewalttäter Sport" könnte nur eine von vielen sein, die dabei zum Einsatz kommen.
Erfahrungen mit biometrischen Massen-Scans gibt es in Deutschland bisher nicht. Die WM wird dafür ein erster Testlauf sein, nicht nur in technischer Hinsicht. Denn der Einsatz der biometrischen Überwachungstechnik ist politisch noch keineswegs durchgesetzt. Die Polizeigesetze der Länder erlauben zwar die Videoüberwachung öffentlicher Räume, es fehlt jedoch bislang eine Rechtsgrundlage für den viel tieferen Einschnitt in das Persönlichkeitsrecht durch eine biometrische Erkennung im öffentlichen Raum.
Für Erfolgsmeldungen über die neue biometrische Technik bietet die WM die besten Voraussetzungen, schließlich dürfte bei mehreren Millionen gescannten Personen selbst eine magere "Ausbeute" in absoluten Zahlen noch eindrucksvoll aussehen. Beim Super Bowl 2001 mit 75.000 BesucherInnen verwies die US-Polizei am Ende eines biometrischen Massen-Scans stolz auf 19 Personen, die sie in Datenbanken gefunden hatte, von denen aber keine verhaftet wurde.

"Mann-Deckung" per WM-Ticket

Auch der kommerzielle Veranstalter der WM, der DFB, hat im diffusen "Bedrohungspotential" einer Großveranstaltung mit über 3 Millionen BesucherInnen eine günstige Gelegenheit erkannt. Bereits bei der Bestellung der Tickets über das Internet wurde von KaufinteressentInnen ein kompletter Datensatz verlangt: Name, Geburtstag, Anschrift, Nationalität, Kreditkarten- und Personalausweisnummer sowie bevorzugte Mannschaft. Auf diese Weise kamen ca. 30 Millionen Datensätze allein aus Deutschland zusammen. Deren Übermittlung an "Sicherheitsbehörden" sowie "für Werbezwecke an offizielle Partner/Nationale Förderer und an die FIFA" behielt sich der DFB im Bestellformular vor.
Die Tickets werden mit einem sog. RFID-Chip (Radio Frequency Identification) bedruckt, auf dem die sensiblen personenbezogenen Daten in verschlüsselter Form gespeichert sind. Der Chip muss nicht größer sein als der Punkt am Ende dieses Satzes und kann aus kurzer Entfernung per Funk gelesen werden, auch unbemerkt, z.B. an Drehkreuzen. Die Menschenströme in und aus den Stadien werden für den DFB damit transparent.
Für dieses KundInnen-"Tracking" wird die WM ein Feldversuch sein. Die High-Tech-Industrie wirbt schon seit längerem für die Etablierung der RFID-Technik, gegen den Protest von BürgerrechtlerInnen. Herstellerfirmen wie Siemens oder Philips (übrigens "Offizieller Partner" der WM) planen, herkömmliche Barcodes durch die Chips zu ersetzen.
Bereits heute dient die RFID-Technik in der Logistik dazu, lange Lagerketten durchschaubar zu machen; mit einer Ausweitung der Technik auf den Konsumbereich könnte das Konsumverhalten Einzelner ähnlich transparent werden. Besonders die Kombination von Waren- und Personendaten eröffnet dabei profitable Möglichkeiten: Der Mensch hinter der Kaufkraft wird sichtbar, seine Bedürfnisse werden durch den gezielten Einsatz von Werbung lenkbar.

Absage an Datenschutz

Für die Vermarktung der Funkchip-Technik wird die WM womöglich - ähnlich wie für die Biometrie - einen entscheidenden Schub bringen. Widerstand gegen die "Schnüffeltechnik" regt sich bislang nur von Seiten der Verbraucherzentralen und von kritischen Fangruppen. Der DFB besitzt nun einmal ein Monopol. Wer mit seiner Datenschutzpolitik nicht einverstanden ist, kann die WM nur boykottieren - wie es das "Bündnis Aktiver Fußballfans" auch tatsächlich empfiehlt. Alle anderen BesucherInnen werden nach der WM wohl als Beleg für die "breite Akzeptanz" der neuen Techniken herhalten müssen.
Als Argumente für den Einsatz der Funkchips nennt der DFB die "absolute Fälschungssicherheit" der Tickets und die Verhinderung eines Schwarzhandels. Warum diese beiden Ziele eine derart umfangreiche Datensammlung oder ein Personen-"Tracking" per Funkchip notwendig machen, ist vom DFB nicht zu erfahren. Es gehe allein um die Sicherheit, erklärt der Sprecher des halbstaatlichen WM-Organisationskomitees, Jens Grittner. Und, unverblümter als Schily: "Datenschützer helfen uns in diesem Punkt nicht weiter".

Ron Steinke studiert Jura in Hamburg.