Frühlingserwachen?

Bringt dieses Jahr, dieser Monat gar, weil wir mitten im Frühling sind, den Aufschwung für die Frauen? Wenn nicht die Jahreszeit uns behilflich sein kann, so vielleicht der Blick auf die Geschichte?

Am 14. April 1986 starb Simone de Beauvoir. Heute, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, liegt die feministische Bewegung im Dornröschenschlaf. Von Feminismus spricht heute niemand mehr. Wie bereits 1998 in einem Gespräch zwischen der Schauspielerin Katja Riemann und der Schriftstellerin Benoîte Groult über Männer deutlich wurde, scheut man sich heute, das Wort Feminismus überhaupt noch in den Mund zu nehmen, allenfalls geriert die Frau sich emanzipiert, indem sie das Vorgefundene als selbstverständlich nimmt.

Benoîte Groult schrieb in Romanform eine Autobiographie unter dem Titel Leben heißt frei sein, erschienen in Deutsch 1998 - der Anlaß für das Gespräch mit Katja Riemann. Über Simone de Beauvoir gibt es von Deirdre Bair eine wunderbare Biographie. Der Altersunterschied zwischen den beiden französischen Kämpferinnen für die Frauenemanzipation beträgt nur elf Jahre, sie wuchsen beide in den frauenfeindlichen Verhältnissen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf, doch konnte sich Benoît Groult, die jüngere von beiden, erst viel später als die Beauvoir aus den überkommenen Konventionen befreien.

Simone de Beauvoir nahm ihr Leben sehr früh in die eigene Hand, begegnete einem Mann, mit dem sie einen ganz neuen Stil von Partnerschaft kreierte, lebte mit ihm das, was Benoîte Groult als Fazit aus ihren Erfahrungen erst spät zog: daß das Zusammenleben von Mann und Frau, wenn es halten soll, auf geistige Partnerschaft gegründet sein muß.

Beide Frauen sahen es als unabdingbar für die Emanzipation der Frauen an, daß sie arbeiten müssen, als Voraussetzung für ein eigenes Einkommen, nur das allein schaffe Unabhängigkeit und Selbstbewußtsein. Und noch eines hatten sie gemeinsam: ihre Distanz zu bestimmten feministischen Theorien von der Vermännlichung des Frauenlebens. Beide haben um der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung willen nie auf Liebe, Erotik und Sexualität verzichtet. Sie strebten immer die geistige Emanzipation an, der natürlich Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben sich zugesellen muß, wofür die Frau bei eigener Erwerbsarbeit ja gewappnet ist.

Der "Renner" der neuen Regierung heißt Familienpolitik. Bereits unter der vorigen Regierung war die Frauen- und Gleichstellungsproblematik zu einem Familienproblem mutiert. Im aktuellen Koalitionsvertrag gibt es im Umfang von 16 Seiten den Abschnitt VI - familienfreundliche Gesellschaft. Außer den Frauen werden auch Senioren, Jugend und eben die Familie als ganzes abgehandelt; der Gleichstellungsaspekt wird weiter zurückgeschrumpft. Deutlich formuliert wird der Wille zur Familie, zu mehr Kindern, auch zu mehr berufstätigen Frauen. Letzteres wird mit dem besten Bildungsstand der Frauen in der Geschichte der Bundesrepublik begründet, also mit Ressourcennutzung, einerseits. Andererseits geht es um die Misere des demographischen "Wandels". Mit den führenden Wirtschaftsverbänden hatte bereits die vorige Regierung, respektive deren Familienministerium, ein Strategiepapier Familienfreundliche Bevölkerungspolitik - ein Wachstumsfaktor vorgelegt.

Studien ergaben "erstaunlicherweise", daß Länder mit hoher Frauenerwerbstätigkeit hohe Geburtenraten aufweisen. Eine hohe Erwerbstätigkeit von Frauen scheitert in Deutschland vor allem an Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder. Die gibt es nicht in ausreichendem Maße, weil immer noch die Annahme vorherrscht, daß die Mutter das Kind unbedingt betreuen müsse, Krippenbetreuung oder sonstige Fremdbetreuung schädlich seien, obgleich eine Reihe von Studien das nicht verifizieren konnte. Das 2004 eingebrachte Tagesbetreuungsausbaugesetz für Kinder unter drei Jahren hatte der unionsgeführte Bundesrat zunächst abgelehnt. Dennoch trat es 2005 in Kraft.

Gesetze zum Erziehungsgeld, zu Minijobs und geringfügiger Beschäftigung, das Hartz-IV-Gesetz und der Fortbestand des Ehegattensplittings manifestieren indessen das männliche Ernährermodell mit einer in Teilzeit tätigen Mutter, die vorwiegend die unbezahlte Haus- und Familienarbeit übernimmt.

Der ausgezeichnete Bildungsstand der Frauen kann unter diesen Bedingungen nicht genutzt werden, Teilzeit und langjähriger Rückzug vom Erwerbsleben für die Familienarbeit entwerten innerhalb kürzester Zeit die vorhandenen Qualifikationen, halten die Frauen in diesem Kreislauf fest. Sie sind damit auf die Abhängigkeit von ihren Männern oder von staatlichen Transferleistungen verwiesen. Gleichstellung im Beruf, in der Erwerbsarbeit, ist auf diese Weise nicht zu erreichen, nicht einmal Chancengleichheit ist gewährleistet; offenbar auch nicht gewollt.

in:Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 18. April 2006, Heft 8

aus dem Inhalt
Erhard Crome: Nachdenken über D.; Marat Abrarov: Krankes Rußland; Roland M. Richter: Problemfall Tschernobyl; Marina Mai: Vietnam am Scheideweg; Uri Avnery, Tel Aviv: Was zum Teufel ist geschehen?; Wolfram Adolphi: Im Grenzstreifen; Klaus Hart, São Paulo: WM und Brasilienklischees; Gerd Kaiser: Urban supra portam; Ursula Malinka: Frühlingserwachen?; Uwe Stelbrink: Anwärter; Detlef Kannapin: Erschlichene Versöhnung; Werner Abel: Wolfgang L.;