Behindertenpolitik: Großes Ziel und kleine Schritte

In den sieben Jahren der rosa-oliven Koalition von 1998 bis 2005 dominierte ein Begriff die Behindertenpolitik: Paradigmenwechsel. Das klang bedeutend. Hinzugefügt wurde, daß es sich um einen ...

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Wechsel von bevormundender Fürsorge hin zu selbstbestimmter Teilhabe handele. Das klingt fortschrittlich. Untersetzt wurde das im wesentlichen mit zwei Gesetzen: dem Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX), das 2001 in Kraft trat, und dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BBG), dessen In-Kraft-Treten am 1. Mai 2002 gefeiert wurde.

Daß sich diese Gesetze - oder gar der vielbeschworene "Paradigmenwechsel" - im realen Leben von Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen oder psychischen Erkrankungen sowie deren Angehörigen besonders positiv ausgewirkt hätten, läßt sich beim besten Willen nicht belegen. Immerhin darf ihnen eine gewisse orientierende Wirkung, eine gute Absicht, ein Wille zur Gestaltung unterstellt werden. Vielleicht lassen sich in einigen Jahrzehnten - rückblickend - sogar wirklich nachhaltige Einstellungsänderungen in der Gesamtbevölkerung nachweisen? Von mitleidigem Wegsehen zum tolerierenden Akzeptieren? Womöglich gar zum Miteinander? Das wären wirkliche Erfolge. Momentan sind es höchstens Wünsche.

Dürftige Koalitionsaussagen
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom November 2005 hat immerhin im Kapitel IV "Soziale Sicherheit verläßlich und gerecht gestalten" einen Unterpunkt 5 "Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen". Dürfen wir also auf Fortschritte hoffen?

Die Erfahrung lehrt: wohl eher nicht. Der Text des Koalitionspapiers kann nur auf den allerersten Blick über die Dürftigkeit seines Inhalts hinwegtäuschen. Von "Paradigmenwechsel" ist schon gar nicht mehr die Rede. Er müßte ja auch - sollte er tatsächlich mehr als einen Placebo-Effekt haben - wesentlich weiter gefaßt werden. Etwa dergestalt, daß vom Sparen um jeden Preis zum Erhöhen der Lebensqualität für alle (insbesondere für die "Schwachen", darunter Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie deren Angehörige) übergegangen werden soll. Das ist mit dieser Großkoalition jedoch nicht in Sicht.

Daß ein solcher Paradigmenwechsel nicht auf das Verhältnis der (Mehrheits)Gesellschaft zu ihren behinderten Mitgliedern begrenzt bleiben könnte, liegt auf der Hand. Es zeigt sich also abermals, daß die Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen nicht losgelöst von der allgemeinen Entwicklung vonstatten gehen kann. Aber das bestätigt auch, daß sich in der Lebenssituation behinderter Menschen allgemeine Defizite brennpunktartig bündeln. Und daß Lösungswege, die "Schwachen" gangbar sind, allen anderen zumindest nicht verschlossen bleiben. Im Gegenteil wird sich - wie häufig gesehen - beweisen, daß sie auch von sehr vielen (nicht unmittelbar Betroffenen) gern benutzt werden.

"Nutzen-für-alle"-Prinzip zum Konzept machen
Was sich zunächst als "positiver Nebeneffekt" zeigte, erweist sich zunehmend als innovativer Hebel, mit dessen Hilfe tatsächlich anhaltende Verbesserungen zugunsten vieler - tendenziell aller - möglich werden: das "Nutzen-für-alle"-Prinzip. Es sollte zum Grundkonzept politischen Handelns, verwalterischer Aktivitäten, technischer Erneuerung, städtebaulicher Gestaltung, designerischen Schaffens und möglichst auch des alltäglichen Miteinanders in der persönlichen Nachbarschaft werden. In etlichen Wahlprüfsteinen bekannte sich die Linkspartei.PDS zu diesem Prinzip. Es ist eine der Aufgaben der AG "Selbstbestimmte Behindertenpolitik", dieser Selbstverpflichtung Gestalt geben zu helfen.

Leider ist davon in der großen Koalitionsvereinbarung so gar nichts zu finden. Dafür gibt es umso mehr Gemeinplätze. Zum Beispiel: "Der bereits eingeleitete Prozeß einer umfassenden Teilhabe am Gemeinschaftsleben soll fortgesetzt werden." Ja, was heißt denn das? Wenn das den Koalitionären wirklich der Erwähnung wert ist - noch dazu gleich im ersten Satz -, muß man ja befürchten, daß zwischenzeitlich ernsthaft darüber diskutiert worden sein könnte, diesen Prozeß zu stoppen oder ihn gar rückgängig zu machen! Immerhin fällt auf, daß zwar von "dem bereits eingeleiteten Prozeß" die Rede ist, der "fortgesetzt werden" solle - der von der rot-grünen Vorgängerkoalition so geliebte Begriff des "Paradigmenwechsels" jedoch wird tunlichst vermieden.

Dann scheint die Koalition mutig zu werden. Sie definiert "die Unterstützung von Selbstständigkeit, Selbsthilfe und Selbstbestimmung (Â…) als gesellschaftliche Aufgabe". Das klingt positiv. Da aber jegliche finanzielle oder strukturelle Untersetzung dieser Definition ausbleibt, ist zu befürchten, daß nur noch mehr Aufgaben auf das - eh überforderte - Ehrenamt abgewälzt werden sollen. Hier bietet sich also der Behindertenbewegung - und uns, der Linksfraktion, als ihrem wichtigsten parlamentarischen Arm - eine Chance, die Regierung beim Wort zu nehmen. Es kommt in diesem Punkte darauf an, sie "zum Jagen zu tragen". Wenn es uns gelingt, ihr an dieser Stelle mehr als bloße Ankündigungen zu entlocken, können wir vielleicht zu kleinen Fortschritten beitragen. Die Linkspartei darf sich auch für solche Aufgaben nie zu schade sein.

Daß wir die Perspektive einer gerechteren Weltordnung nicht aus den Augen verlieren wollen, darf uns nicht daran hindern, schon jetzt die gröbsten Ungerechtigkeiten mildern zu helfen. Wer einen demokratischen Sozialismus anstrebt - und diesen als Weg, Ziel und Wertesystem beschreibt -, muß jedes Schrittchen hin zu einer etwas weniger undemokratischen Erscheinungsform des herrschenden Kapitalismus begrüßen. Und, wo immer es geht, aktiv darauf hinarbeiten.

Teilhabe braucht bedarfsdeckende Nachteilsausgleiche
Wo die Betroffenen, ihre Verbände und auch wir klare Worte zu einem Leistungsgesetz erhofft hätten, spricht die Koalitionsvereinbarung davon, daß die Leistungsstrukturen der Eingliederungshilfe so weiterentwickelt werden sollen, daß "auch künftig ein effizientes und leistungsfähiges System zur Verfügung steht". Das klingt eher bedrohlich: "Leistungsfähigkeit" deutet immerhin auf nicht vollständige Zerschlagung hin, "Effizienz" jedoch auf Einsparungen. Gebraucht würde aber ein Nachteilsausgleichs-Gesetz, das Assistenz im erforderlichen Umfang sichert. Anders ist gesellschaftliche Teilhabe nicht wirklich herstellbar.

Diesbezüglich stehen wir im Wort. Zahlreiche Wahlanfragen zu diesem Thema beantworteten wir eindeutig: "Seit langem unterstützt die Linkspartei.PDS das in der Behinderten-Bewegung entwickelte Konzept eines Nachteilsausgleichsgesetzes mit Assistenzsicherungscharakter (NAGAS). Inhaltliche Hauptkomponenten von NAGAS sind:

  • konsequente Umstellung auf das Finalitätsprinzip (gleiche Leistung bei vergleichbarer Beeinträchtigung; unabhängig von Art und Ursache);
  • bundesweit einheitlicher Rechtsanspruch auf die erforderlichen Leistungen (Bedarfsdeckungsprinzip);
  • Anspruch als Nachteilsausgleich, also unabhängig von Einkommen und Vermögen (keine Bedürftigkeitsprüfung);
  • Leistungsgewährung aus einer Hand;
  • Bedarf wird von den Betroffenen benannt (Umkehr der Beweislast; bei Verdacht auf ungerechtfertigte Ansprüche muß die Behörde dies nachweisen).

Es gäbe mehrere Wege, auf denen dieses Ziel erreicht werden könnte. Einer davon wäre, die Eingliederungshilfe aus dem SGB XII heraus zu lösen, sie von der Bedürftigkeitsprüfung (SGB II) zu befreien und als Nachteilsausgleichs-Anspruch neu zu etablieren. Dazu soll sie aus dem Etat der Kommunen in eine Bundesbehörde verlagert werden. Damit ginge eine - dringend erforderliche - Entlastung der kommunalen Haushalte einher, ohne daß Menschen mit Behinderungen weiter gegen andere kommunale Aufgaben - Kultur, Kinderbetreuung, ehrenamtliches Engagement, Straßenausbau usw. - ausgespielt würden.

Ein anderer - noch besserer - Weg wäre, alle bisherigen Leistungen für Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen und psychischen Erkrankungen (vom Bundesversorgungsgesetz über Eingliederungshilfe, Beamtenversorgung, Pflegeversicherung usw.) in einem neuen NAGAS zusammen zu fassen. Daß es durchaus schwierig ist, unterschiedliche Ansprüche (steuerfinanzierte Ansprüche, versicherungsfinanzierte Ansprüche, Schadensersatzansprüche, Fürsorgeansprüche usw.) unter einen Hut zu bekommen, ist uns klar. Das verlangt großen politischen Willen, klare Konzepte, sinnvolle Übergangs- und Bestandsschutzregelungen sowie pfiffige Lösungen. Deshalb halten wir es nicht nur für möglich, sondern für sinnvoll und notwendig, den in Behindertenorganisationen versammelten Sachverstand in allen Phasen der Erarbeitung, Diskussion, Erprobung und schließlich Anwendung dieses Gesetzes einzubeziehen. Das sollte bis dahin gehen, dauerhafte Begleit- und Unterstützungsangebote nach dem Prinzip ›Betroffene helfen Betroffenen‹ zu etablieren."

Ambulant vor stationär? - Taten vor Ankündigungen!
Der Grundsatz ambulant vor stationär soll - laut Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD - einen "zentralen Stellenwert" erhalten. Das hören wir schon seit Jahren. Es steht auch in verschiedenen Gesetzen so. Aber weder bei der "Verzahnung ambulanter und stationärer Dienste" noch bei der "Leistungserbringung ›aus einer Hand‹" noch bei der "Umsetzung der Einführung des Persönlichen Budgets" sind irgendwelche konkreten Maßnahmen erwähnt. Es ist also zu befürchten, daß weitergewurstelt wird und immer der "Spareffekt" im Vordergrund steht, nicht die Steigerung der Lebensqualität behinderter Menschen.

Die Linkspartei.PDS - und hier wiederum unsere AG "Selbstbestimmte Behindertenpolitik" - steht also vor der Aufgabe, diese Schlagworte mit machbaren Konzepten zu untersetzen. Diese müssen über unsere Parteistrukturen (also auch über die sich bildenden neuen) zum Beispiel in Kommunen und/oder auf Länderebene in praktische Politik überführt werden. Es ist eine unserer Aufgaben im Parteibildungsprozeß, solche Fragen immer wieder auf die Agenda zu setzen. Ansonsten besteht die Gefahr, daß sie "vergessen" werden. Dem dürfen wir keinen Raum bieten. Nur getragen von klaren Parteitagsorientierungen - und unterstützt durch praktische Erfahrungen aus Städten und Ländern - bleibt unsere diesbezügliche Position glaubwürdig.

Sonst ergeht es unseren Beschlüssen wie dem Großkoalitionsvertrag, der zum x-ten Male die "effektive Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger " beschwört. Die Erfahrung lehrt, daß irgendeine Wirkung, die von solchen Ankündigungen ausgehen könnte, eher unwahrscheinlich ist. Es sei denn - und dagegen müßten wir gemeinsam mit den Betroffenen energisch Widerstand leisten -, daß die "effektive Zusammenarbeit" im Zusammenstreichen von Leistungen bestehen soll. Erste - sehr ernstzunehmende - Anzeichen dafür gibt es bereits. Und diese "effektive Zusammenarbeit" reicht sogar weit über die Sozialleistungsträger hinaus. So gilt beispielsweise seit April 2005 der neue Rundfunkgebührenstaatsvertrag. Er sieht die Befreiung von der Rundfunkgebühren-Pflicht wegen geringen Einkommens nicht mehr vor. Befreiung erhält nur noch, wer einen entsprechenden Leistungsbescheid nachweisen kann. Die Kriterien dafür beziehen sich auf Hilfe zum Lebensunterhalt (SGB XII), Grundsicherung (SGB XII), Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-Gesetz und Bundesausbildungsförderungsgesetz sowie - Menschen mit Behinderungen betreffend - auf besondere Merkmale (Merkzeichen "RF" im Schwerbehindertenausweis). Menschen mit geringem Einkommen (z. B. Erwerbsunfähigkeits-Rentnerinnen und -Rentner, die knapp über der Grundsicherung liegen) hingegen werden nicht mehr berücksichtigt.

Wer also beispielsweise 700 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente erhält, 300 Euro Miete und 50 Euro Heizkosten pro Monat bezahlt, hat keinen Anspruch auf Grundsicherung, da das Einkommen rein rechnerisch 5 Euro oberhalb der Bedarfsgrenze liegt. RF-Befreiung erfolgt wegen der vorgegebenen Befreiungsgründe nicht. Die Höhe des überschreitenden Einkommens deckt jedoch nicht die monatliche Gebührenforderung. Aber es geht noch weiter! Ohne RF-Befreiung gibt es auch keine Ermäßigung der Telekom-Grundgebühr. Eins greift ins andere. So wird die kostenlose Wertmarke für die Beförderung im ÖPNV für Menschen mit Behinderung (Merkzeichen "Bl", "H", "G", "GL" bzw. "aG" im Schwerbehindertenausweis) auch nur gewährt, wenn Leistungsbescheide nach SGB XII vorliegen. Menschen mit geringem Einkommen analog der gesetzlichen Bedarfsgrenzen werden wiederum in den Befreiungsgründen nicht erwähnt. Die Betroffenen sind damit schlechter gestellt. In Berlin setzt sich das beispielsweise noch dadurch fort, daß seit November 2005 auch die ermäßigten Eintrittsgebühren bei Schwimmhallen wegfallen. Die Reihe der Zusatzbelastungen ließe sich noch verlängern. Wir müssen ihnen Widerstand entgegensetzen.

Der positiv klingende Ansatz im Koalitionsvertrag, die "berufliche Integration" fördern zu wollen, um mehr Menschen mit Behinderungen "außerhalb von Werkstätten (Â…) ihren Lebensunterhalt im allgemeinen Arbeitsmarkt erarbeiten" lassen zu können, muß materiell untersetzt werden. Allein ein Prüfauftrag, "wie die Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber ausgestaltet werden (können), um die Planungssicherheit für die dauerhafte Integration (Â…) zu verbessern ", reicht da nicht aus.

Barrierefreie Infrastruktur darf kein Randthema bleiben
Ansonsten kommen Menschen mit Behinderungen im Weltbild der Großkoalitionäre nur noch im Zusammenhang mit demographischem Wandel und Migration vor. Im Unterpunkt "Stadtentwicklung als Zukunftsaufgabe" heißt es, daß "zur Bewältigung des demographischen Wandels und der Migration (Â…) Städte" unterstützt werden sollen, "Wohnquartiere kinder- und familienfreundlich zu gestalten und die Infrastruktur barrierefrei und altengerecht umzubauen".

Das ist immerhin besser als nichts. Aber Barrierefreiheit wird hier - wieder einmal - als "Spezialaufgabe" mißverstanden. Stattdessen müßte sie - wenn man zum Beispiel das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz von 2002 ernst nähme - zu einem durchgehenden Prinzip der Gestaltung des öffentlichen Raums, der Kommunikation, der Mobilität und des gesellschaftlichen Lebens insgesamt werden. Wir sagen sogar - und betonten das in zahlreichen Wahlprüfsteinen -, daß dem politischen Handeln auf praktisch allen Gebieten das "Nutzen-für-alle"-Konzept zugrunde liegen sollte. Erst so würde Behindertenpolitik ihrer Querschnittsfunktion tatsächlich gerecht.

Neben diesen Gemeinplätzen und Placebo-Formulierungen fallen die Fehlstellen im Koalitionsvertrag nicht so leicht auf. Dennoch sollen hier einige zumindest genannt werden:
Barrierefreiheit wird nicht als durchgehendes gestalterisches Prinzip erkannt.
Ein umfassendes Diskriminierungsverbot ist nicht in Sicht.
Ein bedarfsorientiertes (bedarfsdeckendes) Leistungsgesetz, das Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfeabhängigkeit befreit, ist nicht in Sicht.
Eine Verbesserung (zumindest Rücknahme der Verschlechterungen der "Gesundheitsreformen") bei der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie speziellen Medikamenten (z. B. für seltene und chronische Krankheiten) ist nicht in Sicht.
Eine gleichberechtigte "dritte Bank" der Selbsthilfeorganisationen der Behinderten und chronisch Kranken im Gemeinsamen Ausschuß der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist nicht in Sicht.
Eine institutionelle Förderung der Selbsthilfearbeit ist nicht in Sicht.

Es bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der Linkspartei.PDS - und demzufolge ihrer AG "Selbstbestimmte Behindertenpolitik" -, diese Fehlstellen der Regierungspolitik zu füllen. Ich selbst will und werde innerhalb des Bundestages und der Linksfraktion dazu meinen Beitrag leisten. Aber nur, wenn wir uns dieser großen Aufgabe gemeinsam stellen, können wir der Herausforderung - die sowohl im realen Leben als auch im Parteibildungsprozeß steckt - gerecht werden.

Wer ein großes Ziel hat - die Schaffung einer gerechten, demokratisch- sozialistischen Welt darf wohl als großes Ziel bezeichnet werden? -, sollte die vielen kleinen Schrittchen, die dort hinführen können, nicht scheuen. Genauso wenig, wie wir über die zahlreichen kleinen Schritte, die durchaus nicht immer nur geradeaus voran führen - Wo ist "vorn"? Wer weiß, was "richtig" ist? Wie erkennt man "Gutes"? - das große Ziel aus den Augen verlieren dürfen.

Nicht Feigheit ist es oder Hohn,
Nicht Müßiggang noch Arg,
Nicht Verrat und auch nicht List,
Die so verschlungen leiten meinen Pfad,
Sondern mein Gewissen, das
Auch Feigheit kennt und Hohn,
Müßiggang und Arg, bösen Rat und Trauer
Neben Liebe, Freundschaft, heißer Lust,
guter Feier und edlen Wünschen,
Zu gehen doch voran.

Ilja Seifert - Jg. 1951; Dr. phil., MdB 1990-1994, 1998-2002 und seit 2005; Diplomgermanist, Literaturkritiker, Lyriker, stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland - Für Selbstbestimmung und Würde (ABiD), Sprecher für Behindertenpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag; zuletzt in UTOPIE kreativ: Würdevoll oder würdehalb?, Heft 137 (März 2002).

Der Text folgt dem Beitrag des Autors auf der 5. Behindertenpolitischen Konferenz der Linkspartei.PDS, die vom 11. bis 13. November 2005 in Oberhof/Thüringen stattgefunden hat.

 

in: UTOPIE kreativ, H. 188 (Juni 2006), S. 521-526

aus dem Inhalt:

 

VorSatz; Essay JÖRN SCHÜTRUMPF: 1956 oder: Die Reformfähigkeit des Stalinismus; Krieg & Frieden WOLFGANG SCHELER: Kriegsfähigkeit und Friedensfähigkeit der Weltgesellschaft nach der Zeitenwende, Gesellschaft - Analyse & Alternativen JÜRGEN LEIBIGER: Demografische Wende und Finanzierung des Wohlfahrtsstaats; ILJA SEIFERT: Behindertenpolitik: Großes Ziel und kleine Schritte, Debatte Grundsicherung NINO DAVID JORDAN: Schlaraffenland oder Hungersnot? Wider die gefällige Kontrastierung; KARL REITTER: Grundeinkommen statt Schlaraffenland. Eine Antwort auf Ulrich Busch, Standorte BERND HÜTTNER: Anerkennung, Umverteilung, Gerechtigkeit. Probleme einer postfordistischen Linken; Wieder gelesen WILLI BEITZ: Michail Scholochow - eine terra incognita?; Konferenzen & Veranstaltungen LUTZ BRANGSCH: Armut und die Diskussionen zu einem Sozialstaat in Russland; Juri Hälker: MdBs auf die Straße. Bericht über "100 Tage Schwarz-Rot"; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik (ARNDT HOPFMANN); Holger Schatz: Arbeit als Herrschaft. Die Krise des Leistungsprinzips und seine neoliberale Rekonstruktion (SANDRA MARTENS); Marvin Chlada: Heterotopie und Erfahrung. Abriss der Heterotopologie nach Michel Foucault (ANDREAS HEYER); Heinz Dieterich: Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus (HEIKO FELDMANN); Wolfgang Fritz Haug: Vorlesungen zur Einführung ins "Kapital" (ULRICH BUSCH); Sike Satjukow, Rainer Gries (Hrsg): Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus (HELMUT METZLER); Summaries