Emanzipation in der schrumpfenden Gesellschaft.

Der Geburtenrückgang im Fokus der aktuellen Debatten über den demographischen Wandel im deutschen Wohlfahrtsstaat

Der demographische Wandel ist derzeit in aller Munde, und kaum ein Tag vergeht, an dem uns nicht die mit ihm verbundenen Probleme

plastisch und drastisch durch Medien, Politik und Wissenschaft vor Augen geführt werden. Dabei wird u.a. vermehrt darüber diskutiert, ob unlängst Frauen in einen "Gebär-" und Männer in einen "Zeugungsstreik" (Dinklage 2005) getreten seien. Als Folgen des daraus resultierenden Geburtenrückgangs werden eine Vergreisung und Entleerung der Republik, eine Unfinanzierbarkeit der Systeme der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung oder eine generell "schrumpfende Gesellschaft" (Kaufmann 2005) befürchtet. Die Spitze der Katastrophenszenarien gipfelt in der Vision, ‚die Deutschen‘ könnten über kurz oder lang aussterben.
Die damit ins Blickfeld geratende Frage der Generativität lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit schnell auf die Familie; ist diese doch in der modernen Gesellschaft die für die Produktion von Nachkommen verantwortliche Institution. Folglich spielt die sich wandelnde Familie in den Diskussionen über Ursachen und Konsequenzen des demographischen Wandels eine bedeutende Rolle. Weitgehende Einigkeit scheint in Wissenschaft, Medien und Politik darüber zu bestehen, daß der Geburtenrückgang eng mit dem Verfall oder gar dem Ende der bürgerlichen Familie einhergeht und daß die Frauenemanzipation bzw. der durch diese mit angestoßene Wandel der Geschlechterverhältnisse eine zentrale Ursache dafür sei. Mehr Bildung, Gleichberechtigung und mehr Autonomie von Frauen hätten wesentliche Auswirkungen auf die (weibliche) Fertilität. Die Frauenemanzipation trage zu ihrem Sinken bei und gefährde damit den Fortbestand der Gesellschaft; so der Tenor.
In der emotional angeheizten gesellschaftlichen Stimmung scheinen damit ‚Schuldige‘ für das Schrumpfen der Gesellschaft gefunden zu sein: die gebärunwilligen (zumeist hochqualifizierten) Frauen und die durch die Frauenemanzipation verunsicherten, ebenfalls häufig hochqualifizierten, zeugungsunwilligen Männer, oder die niedrig qualifizierten Männer, die den klugen Frauen als Partner nicht mehr ‚gut‘ genug wären.1 In diesen Schuldzuschreibungen wird davon abgesehen, daß der Geburtenrückgang nicht nur ein durch individuelles Verhalten verursachtes Phänomen ist, sondern auch durch gesellschaftliche Verhältnisse bedingt wird, wie z.B. durch die hohe Arbeitslosigkeit, hohe Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernisse und generelle Arbeitsplatzunsicherheit bei vielen Erwerbstätigen im Familiengründungsalter sowie ungünstige Bedingungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter. 2
Überaus verkürzt, wenn nicht gar falsch in den politischen, medialen und wissenschaftlichen Szenarien zum Geburtenrückgang ist dabei auch, daß die Familie in all diesen Szenarien zumeist als ‚natürliche‘ und zu bewahrende Grundkonstante des sozialen Lebens angesehen wird. Daß es sich bei der Institution Familie jedoch um eine soziale Konstruktion einer spezifischen, raum-zeitlich konstituierten kapitalistischen Gesellschaftsform handelt, bleibt weitgehend unbegriffen. Damit gerät ihre spezifische Konstruktion nicht in den Blick, nämlich die Tatsache, daß sie auf der modernen Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit basiert und daß an diese Sphären leitbildartig bürgerliche Geschlechterkonstruktionen des (männlichen) Ernährers und der (weiblichen) Haus- und Sorgearbeiterin geknüpft sind, die zudem noch in ein asymmetrisches Verhältnis zueinander gesetzt werden.
Was aber wäre, wenn die Suche nach Ursachen des Geburtenrückgangs nicht in der Frauenemanzipation, sondern in der sozialen Konstruktion der bürgerlichen Familie selbst begänne? Schließlich spricht vieles dafür, daß diese moderne Institution seit einiger Zeit genau wegen ihrer undemokratischen Verfaßtheit unter Modernisierungsdruck im Hinblick auf mehr Gleichheit ihrer Mitglieder geraten ist. Mit einer solchen Sichtweise muß kein genereller Abschied von der sozialen Institution Familie verbunden sein, wie manche Verfallsszenarien verkünden, wohl aber ein Abschied von der auf asymmetrischen Geschlechterverhältnissen gegründeten bürgerlichen Familie. Aus dieser, hier im folgenden eingenommenen, Perspektive erweist sich der Geburtenrückgang als eine Folge der historisch überholten Form der Familie und der an diese im deutschen Wohlfahrtsstaat geknüpften, historisch ebenfalls überholten Geschlechterkonstruktionen des (männlichen) Ernährers und der (weiblichen) Haus- und Sorgearbeiterin. So betrachtet, ist die als Ursache des Geburtenrückgangs titulierte Frauenemanzipation und der damit verbundene Wandel der Geschlechterverhältnisse eine - wenn auch möglicherweise unintendierte - Folge von Modernisierung und Demokratisierung des herrschenden Geschlechter- und Generationenvertrags. Diese Argumentation stellt auch die aktuell virulente Ursachen-Folgen-Einschätzung in der demographischen Debatte auf den Kopf.
Meine These lautet: Die Lösung des mit dem Geburtenrückgang verbundenen ‚Problems‘ der schrumpfenden Gesellschaft könnte genau über ein Mehr an Frauenemanzipation und deren verstärkte politische Förderung erreicht werden. Die Politik kann zwar unter demokratischen Bedingungen individuelle Entscheidungen - und um diese handelt es sich bei der Frage nach einer Familiengründung - nicht direkt beeinflussen oder gar steuern. Ausgehend von der Annahme, daß individuelles Handeln und strukturelle Bedingungen untrennbar miteinander verbunden sind, kann sie aber sehr wohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so zu verändern suchen, daß sich mehr Frauen und Männer für eine Familiengründung entscheiden.
Vor diesem Hintergrund erlebt die Familienpolitik seit einigen Jahren eine lange nicht da gewesene Hoch-Zeit: Familienpolitik ist spätestens seit der Bundestagswahl 2002 wieder ‚in‘ (vgl. zum Wahlkampf Lang/Sauer 2003). Dieses Erstarken der Familienpolitik geht mit einer Schwächung der Frauenpolitik einher. Ist mit dem Bedeutungsgewinn der Familienpolitik tatsächlich auch die Frauenpolitik ‚out‘? Ich werde im folgenden zeigen, daß eine moderne und nachhaltige Familienpolitik in demographischer Hinsicht erst im Einklang mit einer starken Frauen- und Gleichstellungspolitik erfolgreich sein kann. Der damit verbundene Politikwechsel hätte nicht nur eine nachhaltige Modernisierung und Demokratisierung von Familie, Gesellschaft und Staat zur Folge, sondern vermutlich auch einen Anstieg der Geburtenraten.
In meiner Argumentation dekonstruiere ich zunächst das Verhältnis von Staat und Familie und seine tradierte geschlechtliche Codierung. Damit wird die wechselseitige und paradoxe Verschränkung und Abhängigkeit der beiden Institutionen deutlich und zugleich sichtbar, daß der beiden Institutionen zugrunde liegende undemokratische Geschlechter- und Generationenvertrag3 unter Wandlungsdruck steht, der mit der Frauenemanzipation einhergeht. Danach diskutiere ich die Emanzipationskonzepte Gleichheit und Differenz und die verschiedenen Strategien der Frauen- und Gleichstellungspolitik, die der politischen Förderung der Frauenemanzipation dient. Auf der Basis dieser Erörterungen betrachte ich dann das Spannungsverhältnis zwischen der Frauen- und Gleichstellungspolitik sowie der Familienpolitik. Dabei zeige ich, daß im Politischen seit einigen Jahren ein zweifacher, geschlechterpolitisch bedeutsamer Paradigmenwechsel stattfindet: zum einen ein Wechsel innerhalb der Gleichstellungspolitik, der als Wechsel von der Frauenpolitik zum Gender Mainstreaming überschrieben werden kann, zum anderen ein Wechsel von der Frauenpolitik zur Familienpolitik. Abschließend wird dann deutlich, daß und warum die politische Förderung der Frauenemanzipation in der schrumpfenden Gesellschaft eine Chance ist.

Staat und Familie - ein paradoxes Verhältnis

Über das Verhältnis von Staat und Familie zu sprechen heißt, über das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit und damit über die historisch etablierte Sphärentrennung in der bürgerlichen Gesellschaft zu sprechen. Denn die Familie gilt als privater Lebensraum, der Staat hingegen als Teil des öffentlichen Lebensraums. Die bürgerliche Familie wurde in diesem historischen Konstitutionsprozeß als ‚Rückzugsort‘ popularisiert, sie sollte als Stätte der Erholung und des emotionalen Ausgleichs zum ‚harten‘ Erwerbsleben wie zur ‚feindlichen‘ (Außen-)Welt fungieren. Die damit angesprochene Sphärentrennung ist in spezifischer Weise geschlechtlich codiert: Die Familie gilt in der Ordnung der Moderne als ‚Reich‘ der Frauen, als privater Ort der Intimität, der Gefühle und des Weiblichen. Staat und Gesellschaft hingegen gelten als öffentlicher Bereich, der männlich dominiert und entsprechend maskulin codiert ist. Kennzeichnend für das Verhältnis von Staat und Familie sind jedoch nicht nur die Verwiesenheit der beiden Sphären aufeinander und deren geschlechtliche Codierung, sondern auch die damit verbundene Hierarchie, worin der Staat über die Familie bzw. die Öffentlichkeit über die Privatheit bzw. der Mann über die Frau (und die nachfolgende Generation in Gestalt der Kinder) zu herrschen scheint. Die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit geht bis heute mit einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung einher. Familie sollte bzw. soll vor allem der Ort sein, an dem gesellschaftlich notwendige Arbeiten, persönliche wie sexuelle Dienstleistungen ‚natürlich‘, also ‚gratis‘, angeeignet werden konnten bzw. können. Für diese Haus- und Sorgearbeit wie auch für die sexuellen Dienstleistungen wurden und werden die Frauen verantwortlich gemacht. Diese Ausführungen deuten an, daß und wie Staat und Familie in modernen Gesellschaften symbolisch (und real) untrennbar miteinander verbunden sind.
Eva Kreisky und Marion Löffler (2003) haben diese paradoxe Beziehung in drei Thesen beschrieben. Ihre erste These thematisiert die Familie als Staatsproblem und lautet, daß das Symbol- und Sozialsystem Familie der Legitimierung des Staates dient und somit eine seiner kulturellen Voraussetzungen wie ideologischen Stützen bildet. Die Rede vom Staat ist nur möglich, weil es die Familie gibt, die Rede von der Öffentlichkeit nur, weil es die Privatheit gibt. Mehr noch: Diese Dichotomien wurden und werden im politischen Denken und politischen Handeln immer wieder von neuem reproduziert und auch operabel gemacht. Familie werde so in der Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit als umfassende soziale Ordnungskategorie auf Dauer gestellt und in ihrem Bestand gesichert. Zugleich werde die Stabilität der Familie zum Maß für die Stabilität der politischen Ordnung des Staates stilisiert. Doch augenscheinlich vermag nicht jede familiale Lebensform die Stabilität des Staates zu gewährleisten. Interessant aus Sicht des Staates ist vielmehr nach wie vor die traditionelle patriarchale Familie, also die Familie, die auf der institutionell gesicherten Autorität von Männern gegenüber Frauen und ihren Kindern basiert. Familie und Staat scheinen nur zu funktionieren, wenn die männliche Herrschaft gesichert ist.
Die zweite These von Kreisky/Löffler beschreibt den Staat als Familienproblem und besagt, daß die Familie als reale Sozialform auf jeden Fall staatlichen Handelns bedarf. Sie sei deshalb als politisches Konstrukt aufzufassen. Dieses besondere soziale Verhältnis werde erst zur Familie, wenn und weil es auch als solche ‚be-griffen‘ werde. Die Begriffsmacht, also die Bestimmung, was Familie sei, liege beim Staat (oder seinen funktionalen Äquivalenten). Einfacher ausgedrückt: Die Familie in ihrer bürgerlich-patriarchalen Gestalt ist keine konstante Grundstruktur menschlichen Zusammenlebens, sondern ein Produkt staatlicher Politik und daran anschließender rechtlicher Fixierung, die eine ganz bestimmte Familienform als hegemonial setzt - als heterosexuelle Familie, mit möglichst leiblichen und ehelichen Kindern, die möglichst in einer durch Ehe rechtlich legitimierten und durch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung gekennzeichneten Lebensform aufwachsen. Die Vormacht der so politisch legitimierten bürgerlichen Familie realisierte und verfestigte sich in einem längeren Vorgang, der nicht nur auf Veränderungen ökonomischer Randbedingungen beruhte, sondern (ebenso) aus umsichtigen politischen Vorgehensweisen resultierte, die diese Form der Familie auch für den Staat ‚funktional‘ machen sollten.
Kreiskys und Löfflers dritte These befaßt sich mit dem globalen Erfolg des patriarchalen Familienmodells. Kern dieses Erfolgs sei die Operationalisierbarkeit des Antagonismus zwischen Staat und Familie gewesen. Mit dem Siegeszug der Moderne im Zuge des Globalisierungsprozesses ist nämlich auch ein Siegeszug des Symbol- und Sozialsystems der patriarchal-bürgerlichen Familie und der paradoxen Beziehung zwischen Staat und Familie verbunden. Die traditionelle Familie erlebt gerade in Zeiten der Globalisierung und Transnationalisierung eine Renaissance, fungiert sie doch insbesondere in neoliberalen Ideologien als emotionaler Gegenpol zu härter werdenden Marktbedingungen und einem öffentlichen Klima, das geprägt ist vom Erkalten des Sozialen. Zugleich verspricht sich der Staat über die Sicherung der patriarchalen Familie seine eigene Existenzsicherung, denn die auf den Erhalt der Bevölkerung bezogene Familienpolitik ist auch in Zeiten von Globalisierung und Transnationalisierung nach wie vor weitgehend nationalstaatlich organisiert.
Damit soll deutlich gemacht werden, daß das Interesse des Staates an der Familie - und zwar an einer ganz bestimmten Form der Familie - ungebrochen groß ist: Die Familie - das vermeintlich Private - ist in Wirklichkeit immer eine genuin öffentliche Angelegenheit von hoher politischer Aufmerksamkeit, steht und fällt mit der Stabilität der Familie doch zugleich auch der Fortbestand des (National)Staates. Der (National-)Staat hat folglich ein großes Interesse an der Reproduktion der Bevölkerung. Dieses Interesse leitet die politische Regulierung der dafür nötigen Heterosexualität. Es bezieht sich auf die biologischen Funktionen von Männern als Zeugern und von Frauen als Gebärerinnen und auf ihre soziale Funktion als Ernährer bzw. Haus- und Sorgearbeiterin. Doch weder die biologische noch die soziale Funktion der männlichen und weiblichen Individuen scheinen derzeit im Einklang mit staatlichen Interessen zu stehen, denn in den modernen Wohlfahrtsgesellschaften bekommen immer weniger Frauen und Männer immer weniger Kinder. Infolgedessen schrumpfen die Gesellschaften. Deutschland gehört inzwischen weltweit zu den Ländern mit den niedrigsten Geburtenraten.

Demokratisierung des Geschlechter- und Generationenvertrags

Für den Geburtenrückgang ist verschiedentlich bereits ein ganzes Bündel von Ursachen verantwortlich gemacht worden. Im hier interessierenden Kontext nehme ich eine demokratietheoretische Perspektive auf den demographischen Wandel ein und schließe an Anthony Giddens (2001: 84) an, der "[d]ie wichtigsten Kräfte" zur Förderung der Demokratie und der wirtschaftlichen Entwicklung in der "Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen" sieht. Um diese möglich zu machen, müsse sich "[z]uallererst die traditionelle Familie" ändern. Die "patriarchale Festung Familie" (Kreisky/Löffler 2003: 384) ist demnach ein Zeichen unvollendeter Demokratie. Anstelle der geschlechtshierarchischen Verfaßtheit der bürgerlichen Familie beginnen nach Giddens (1993: z.B. 207) demokratische Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und zwischen den Geschlechtern zu treten, die durch Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit zwischen allen Mitgliedern gekennzeichnet seien. Die Demokratisierung des nicht mehr ungebrochen und unhinterfragt funktionierenden patriarchalen Geschlechter- und Generationenvertrags wird auf mehrere, im folgenden skizzierte soziale Veränderungen zurückgeführt.
Im deutschen Wohlfahrtsstaat dominiert nach wie vor das Familienleitbild des männlichen Ernährermodells (male-breadwinner-model), wenn auch in modernisierter Gestalt. In diesem Leitbild wird der Mann als Haupternährer und die Frau als Zuverdienerin gesehen. Dieses Leitbild entspricht jedoch immer weniger der sozialen Realität. Für Ostdeutschland hat es bereits zu Zeiten der DDR keine normative Gültigkeit beanspruchen können, da hier der Staat nicht nur die Frauenerwerbstätigkeit gezielt und erfolgreich förderte4, sondern auch im 1965 verabschiedeten und 1966 in Kraft getretenen Familiengesetzbuch und in vielfältigen politischen Maßnahmen ein egalitä(re)res Geschlechterleitbild propagierte. Die Orientierung kam dem Leitbild des Zwei-Erwerbstätigen-Modells (adult-worker-model) nahe, das nun auch im Westen der Republik zu erstarken beginnt, denn die Wünsche von Frauen nach eigener Existenzsicherung, unabhängig von Mann oder Staat, und die Frauenerwerbstätigkeit steigen. Neben emanzipatorischen Beweggründen sind hierfür vor allem ökonomische Notwendigkeiten verantwortlich, denn unter Bedingungen von Deregulierung und dem damit verbundenen Verlust der Wirkungsmacht des männlichen Normalerwerbsverhältnisses auf dem Arbeitsmarkt reicht häufig ein Einkommen kaum mehr aus, um eine Familie zu ernähren.
Zweitens werden partnerschaftliche Beziehungen zunehmend zum Selbstzweck, und die Partner scheinen sich in der Zweisamkeit gegenseitig genug zu sein. Ein Kind oder gar mehrere Kinder würden in diesen "reinen Beziehungen" (Giddens 1993: 69)5 bloß stören. Sie werden zur emotional hinderlichen, zudem ökonomisch kostspieligen Störgröße (Drescher/Fach 1985: 6) oder zum "Objekt moderner Innerlichkeit" (ebd.: 11; vgl. Beck-Gernsheim 1988), das einer stabilen und befriedigenden Partnerschaft bedarf. Empirische Ergebnisse belegen, daß eine stabile Partnerschaft eine grundlegende Voraussetzung für die Realisierung des Kinderwunsches ist. Stabile Partnerschaften sind aber keineswegs selbstverständlich.
Als dritte Ursache für die gegenwärtigen Veränderungen im Geschlechter- und Generationenverhältnis gilt der Wandel der Sexualität, der wesentlich durch die Erfindung von verläßlichen Verhütungsmitteln und die damit erleichterte sexuelle Selbstbestimmung von Frauen ausgelöst wurde. Giddens (1993) hat in seinen Analysen zum Wandel der Intimität in der Moderne darauf hingewiesen, daß Sexualität zum ersten Mal in der Geschichte etwas sei, das man entdecken, gestalten und verändern könne. Ihre Verknüpfung mit Ehe und Legitimität, die früher als unauflöslich definiert worden sei, hätte nur noch eine geringe Bedeutung. Die Sexualität hat ihre Fortpflanzungsfunktion verloren. Eine logische Folge davon sei die zunehmende Akzeptanz der Homosexualität, denn eine von Zwecken der Fortpflanzung befreite Sexualität müsse per definitionem nicht mehr unbedingt Heterosexualität sein (ebd., bes. 22-26). Eine andere Folge davon ist, daß die Fortpflanzung planbar wird. Die generative Reproduktion ist also nicht mehr länger an die ‚Natur‘ und die biologische Funktion der Körper gebunden, sondern vergesellschaftet. Sie obliegt durch und durch dem Zusammenwirken von individuellen Entscheidungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
In den bisherigen Ausführungen wurde die Frauenemanzipation bereits empirisch als Gleichberechtigung und Chancengleichheit, mehr und höhere Bildung, steigende Erwerbswünsche und eine steigende Frauenerwerbstätigkeit, sexuelle Selbstbestimmung sowie veränderte Ansprüche an partnerschaftliche (Paar-)Beziehungen und an Kinder beschrieben. Darin kommen verschiedene Emanzipationskonzepte zum Ausdruck, die nun näher betrachtet werden sollen.

Frauenemanzipation - eine unvollendete Idee und Bewegung der Moderne

Die Frauenemanzipation umfaßt vielfältige Bestrebungen von Frauen, aus der traditionellen Frauenrolle mit allen Beschränkungen der aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben auszubrechen und volle Gleichberechtigung in privaten und öffentlichen Räumen sowie soziale Unabhängigkeit zu erlangen. Emanzipation meint in diesem Zusammenhang die Befreiung bzw. Freiheit von männlicher Herrschaft (vgl. Lerner 1991: 293) und auch die Freiheit von Frauen dazu, selbst über sich und ihr Leben zu bestimmen (vgl. Libreria 1988; vgl. zusammenfassend auch Holland-Cunz 2003). Die faktische Überwindung sozialer, auch sexueller, Abhängigkeiten von Frauen bleibt bisher hinter ihrer rechtlichen Gleichstellung in Form von Gleichberechtigung zurück.
In kapitalistischen Gesellschaften sind vor allem zwei Emanzipationskonzepte relevant, die mit den Etiketten Gleichheit und Differenz beschrieben werden können: das liberal-feministische Emanzipationskonzept mit dem Ziel der rechtlichen, ökonomischen, politischen und privaten Gleichheit von Frauen mit Männern; und das radikal-feministische Emanzipationskonzept mit dem Ziel der autonomen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung von Frauen (Geschlechterdifferenz) und ihrer Freiheit. Dabei bewegt sich die Diskussion über Gleichheit und/oder Differenz auf zwei verschiedenen Ebenen: So wird auf der Theorieebene diskutiert, ob Frauen und Männer hinsichtlich ihres ‚Wesens‘ und ihrer Fähigkeiten gleich oder verschieden sind, und auf der Praxisebene wird diskutiert, welche politisch-philosophischen Konsequenzen aus der Gleichheit bzw. Differenz der Geschlechter zu ziehen seien.
Daß es sich bei der Gegenüberstellung von Gleichheit oder Differenz um eine Scheinkontroverse handelt und Möglichkeiten in den Blick zu nehmen sind, um beide Konzepte zu verknüpfen, ist verschiedentlich ausgeführt worden (Kahlert 1996; Maihofer 1997).6 Dieser facettenreiche Emanzipationsdiskurs ist auch für die Frage der politischen Steuerung bzw. Steuerbarkeit des demographischen Wandels überaus relevant, denn ein wichtiges Moment bildet darin die Frage der Mutterschaft: Die biologische Disposition von Frauen zum Gebären von Kindern und an die Institution der Mutterschaft geknüpfte soziale Zuschreibungen und Zuständigkeiten sind zentral für das Ringen von Frauen um Gleichheit und zugleich für die Betonung ihrer Differenz. Elisabeth Beck-Gernsheim hat in diesem Zusammenhang schon 1988 darauf hingewiesen, daß die (ungelöste) Frauenfrage auch eine (ungelöste) "Kinderfrage" ist.

Emanzipation als Anspruch auf Gleichheit von Frauen mit Männern

Theoretisch gehen Anhängerinnen des Gleichheitsdiskurses davon aus, daß die Geschlechter grundsätzlich, von Geburt an, in ihren Eigenschaften gleich sind und die gleiche Macht und die gleichen Rechte haben. Gesellschaft ist in dieser Vision egalitär organisiert. Die Subjektpotentiale würden allerdings im Sozialisationsprozeß geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausgeprägt und (re-)produziert. Jenseits dieser gesellschaftlichen Einflüsse gebe es keine Differenz zwischen den Geschlechtern. Als (Haupt-)Ursache der empirisch beobachteten Geschlechterdifferenz gilt in dieser Denkweise die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung. Denn in dieser drückt sich eine Zweiteilung der Welt in privat und öffentlich aus, und damit die stereotypisierende und polarisierende soziale Zuschreibung von je spezifischen Handlungs- und Erfahrungsräumen an die beiden Geschlechter. Als Kristallisationspunkt und wesentliche Quelle der geschlechtlichen Arbeitsteilung und der damit verbundenen Ungleichheit gilt die (potentielle) Mutterschaft.
Politisch-praktisch fordern Anhängerinnen des Gleichheitsdiskurses die Gleichstellung von Frauen mit Männern. Sie setzen sich für Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an den gesellschaftlichen Ressourcen und der politischen Macht ein. Das Ringen um Gleichheit hat sich daher insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren z.B. in Gleichstellungsgesetzen verrechtlicht. Formale Gleichheit der Geschlechter im Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, Erwerbsbeteiligung, beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und politischen Ämtern allein reichen jedoch nicht aus, um eine faktische Gleichheit zu erreichen und die Asymmetrie in den Geschlechterverhältnissen dauerhaft aufzuheben, denn die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Privaten wird damit nicht nachhaltig verändert.
Das gleichheitsbezogene Emanzipationskonzept bezieht sich wesentlich auf den öffentlichen Raum: Es zielt auf den Abbau der Macht von Männern und darauf, Frauen Zugangsmöglichkeiten und -chancen zu gesellschaftlichen Ressourcen und Machtpositionen, z.B. in Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, zu eröffnen. Die geschlechtliche Verschiedenheit der Körper und die daran qua Zuschreibung geknüpfte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung können diese politischen Regelungen aber nicht generell abschaffen. Das mit der (potentiellen) Mutterschaft von Frauen und der daraus resultierenden Differenz verbundene Ungleichheitsproblem bleibt so ungelöst.

Emanzipation als Betonung der Differenz von Frauen gegenüber Männern

Anhängerinnen der Differenz führen theoretisch historische, kulturelle, gesellschaftliche und zum Teil auch biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern an. Für die Annahme der Geschlechterdifferenz sprechen zunächst einmal die gesellschaftlich existierende Zweigeschlechtlichkeit und der ‚kleine‘ generative Unterschied mit den daran geknüpften geschlechterdifferenten Zuschreibungen von Aufgaben und Fähigkeiten. Differenztheoretikerinnen wenden sich entschieden gegen die aufgezwungenen, männlich-geprägten, Definitionen von Weiblichkeit. Jedes Geschlecht solle sich selbst ‚autonom‘ und ‚mit gleichem Recht‘ definieren (können). Die Annahme der Differenz impliziert also, daß neue Weiblichkeitsdefinitionen erarbeitet werden, die sich nicht nur an der (potentiellen) Mutterschaft von Frauen und männlich geprägten Vorstellungen über diese orientieren. Da im kulturellen Symbolsystem der Zweigeschlechtlichkeit Geschlechterdefinitionen nicht unabhängig voneinander existieren, sondern aufeinander bezogen sind, gerät so auch das tradierte Verständnis von Männlichkeit(en) unter symbolischen Modernisierungsdruck.
Für die politische Praxis bedeutet die Annahme der Differenz, sich für das Recht auf Selbstbestimmung und -verwirklichung beider Geschlechter einzusetzen und die Geschlechterdifferenz anzuerkennen. Wichtige differenzorientierte Politikstrategien sind die Politik der Beziehungen und die Politik der Frauenrechte. Beispiele für die Politik der Beziehungen sind die sich zahlreich bildenden Netzwerke und Seilschaften von Frauen, die inzwischen in vielen gesellschaftlichen und politischen Bereichen regional, national und inter- bzw. transnational bestehen. Die Etablierung von Frauenrechten wiederum erkennt die Geschlechterdifferenz als demokratische Differenz an und schreibt diese ins Recht ein, z.B. durch die Repräsentanz von Frauen und Männern zu gleichen Teilen in sämtlichen entscheidungsrelevanten staatlichen und religiösen Einrichtungen, durch die gesetzliche Definition gegenseitiger Pflichten zwischen Müttern und Kindern sowie die unterschiedliche Kodifizierung der Rechte von Vater und Mutter oder das Recht von Frauen auf Mutterschaft (Irigaray 1990).
Mit der Akzentuierung auch auf reproduktive Rechte und Pflichten nimmt das differenzbezogene Emanzipationskonzept neben dem öffentlichen Raum den privaten Raum des Körpers, die daran gebundene Generativität sowie die Haus- und Sorgearbeit (care) in den Blick. Da historisch betrachtet die dem weiblichen Körper und diesem sozial zugeschriebenen differenten Eigenschaften und Fähigkeiten allzuoft Anlaß zum Ausschluß bzw. zur Unterdrückung von Frauen waren, muß die Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz Hand in Hand mit der Verwirklichung von Gleichheit gehen, damit die Differenz nicht in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt wird, so wie es im Abendland bisher meistens der Fall gewesen ist. Auch Differenzanhängerinnen haben eine egalitäre Vision der Organisation von Gesellschaft und betonen folglich die Notwendigkeit von "Gleichheit in Verschiedenheit" (Offen 1993: 110). Das so verstandene Differenzkonzept verabschiedet den historisch in den Menschenrechten verankerten Anspruch auf Gleichheit also nicht, sondern entwickelt ihn weiter.

Förderung der Frauenemanzipation durch Frauen- und Gleichstellungspolitik

Im vorherigen Abschnitt hat sich bereits angedeutet, daß die Realisierung der Frauenemanzipation (auch) politisch gefördert werden kann.
In der DDR war die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frau und Mann von Beginn an Ziel der Politik: Die Lösung der Frauenfrage wurde, als Nebenwiderspruch der sozialen Frage, zum Bestandteil der Realisierung einer sozialistischen Gesellschaft. In der Forschung werden in der Regel drei Phasen der SED-Frauenpolitik unterschieden: die erste Phase der Integration der Frauen in den Arbeitsprozeß (1946-1965), die zweite Phase der Konzentration auf die Weiterbildung und Qualifizierung der Frauen (1963-1972) und die dritte Phase der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (1971-1989). Letztere wurde auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 eingeleitet, wo Erich Honecker die Gleichberechtigung der Frau "sowohl gesetzlich als auch im Leben [für, H.K.] weitgehend verwirklicht" (zit. in Scholz 1997: 282) erklärt hatte. Seither galt eine eigenständige Frauenpolitik als nicht mehr notwendig und ging fortan in der Familien- und Bevölkerungspolitik des SED-Regimes auf, das eine "Politik für Mütter" (ebd.: 40) machte und Muttersein zum Beruf erklärte.
Anders und in gewisser Weise sogar gegenläufig verlief die Entwicklung in Westdeutschland. In der Nachkriegszeit wurden hier Frauen betreffende Fragen in der Familienpolitik mitbehandelt, denn familienpolitische Konzepte betrafen immer explizit oder implizit Frauen, als Hauptverantwortliche für die Familie (Menk 1989: 5). Frauen wurden also von der Politik vor allem in ihrer Funktion als Hausfrauen und Mütter in den Blick genommen, was bis dahin auch dem Lebenskonzept der meisten (bürgerlichen) Frauen entsprach. Erst seit den 1970er Jahren kristallisierte sich, unter dem Druck einer starken Frauenbewegung innerhalb und außerhalb der etablierten Institutionen und einer sich wandelnden sozialen Realität, allmählich ein eigenständiges und komplexes Politikfeld Frauenpolitik neben der Familienpolitik heraus.
Frauenpolitik meint seither die politische Arbeit für die Emanzipation von Frauen und bezieht sich auf alle Lebensbereiche. Sie umfaßt das "Zusammenwirken von frauenpolitischen Akteurinnen und Institutionen innerhalb und außerhalb von Verwaltungen und Organisationen, die mit politischen Maßnahmen und Aktionen auf die Folgen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und ungleicher Geschlechterverhältnisse aufmerksam machen wollen und die u.a. mit Gesetzen und Verordnungen Einfluß auf das Geschlechterverhältnis nehmen sowie Frauen fördern bzw. ihre Chancen verbessern wollen" (Rudolph 2005: 2). Im Fokus der Frauenpolitik stehen also Macht- und Entscheidungsprozesse.
Die Frauenpolitik will Chancengleichheit, Abbau von Diskriminierung im Geschlechterverhältnis und Defizitabbau auf personaler Ebene erreichen (Bendl 2004: 64) und orientiert sich an der gerechten Verteilung von Einfluß, Arbeit und Geld zwischen Frauen und Männern, an der Anerkennung und Förderung der Vielfalt weiblicher Lebensmodelle, an der Garantie von Unversehrtheit und dem Recht auf Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen (Kommunale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte 2002: 3). "Die gesellschaftliche Autonomie von Frauen sollte [durch die Frauenpolitik, H.K.] gesteigert, familiale Abhängigkeiten und insbesondere Abhängigkeiten von Männern sollten minimiert werden." (Lang/Sauer 2003: 432) Wichtige frauenpolitische Instrumente sind Gleichstellungsgesetze, Quotenregelungen zugunsten von Frauen, Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte, Frauenförderrichtlinien und Frauenförderpläne. Die Ziele und Instrumente sind wesentlich gleichheitsorientiert, vereinzelt scheint in ihnen aber auch eine Differenzorientierung durch, z.B. wenn es um die Vielfalt weiblicher Lebensmodelle und das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen geht. Frauenpolitik ist Klientelpolitik: Sie ist parteilich für Frauen und nimmt Männer nur dann als Zielgruppe in den Blick, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Damit ist evident, daß Frauenpolitik den Geschlechterkonflikt offenlegt und auf dem Weg zu seiner Lösung auch - möglicherweise ungewollt - schürt. Das macht sie politisch unbequem.
Was auf nationalstaatlicher Ebene begann, fand schließlich im Kontext der Europäischen Union nicht bloß ein supranationales Gegenstück, sondern gewann durch europäische Harmonisierung frauen- und gleichstellungspolitischer Ziele, Standards und Instrumente vor allem auch eine neue politische Qualität. Frauenpolitik wurde EU-weit zu einem Maß demokratischer Politik und vielerorts aufgenommen, wenn auch zum Teil nur rhetorisch. Eva Kreisky, Sieglinde Rosenberger und Petra Grabner (2003: 371) bezeichnen die vergangenen Jahrzehnte unter dem Einfluß einer vergleichsweise starken Frauenpolitik daher "als eine Ära nachholender (manchmal freilich auch nur rhetorischer) Modernisierung wie Demokratisierung herrschender Geschlechterordnungen". Die Politik der EU flankierte diesen Weg bis zuletzt entscheidend.
Als jüngster Vorstoß in diese Richtung kann die für alle Mitgliedstaaten zum 1. Mai 1999 verbindlich gewordene Einführung von Gender Mainstreaming gelten, die im Amsterdamer Vertrag festgeschrieben ist. In der Übersetzung der deutschen Bundesregierung bedeutet Gender Mainstreaming, "bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Diese sind - anders als das biologische Geschlecht - erlernt und damit auch veränderbar. Mainstreaming (englisch für ‚Hauptstrom‘) bedeutet, daß eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird." (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002: 5; Hervorh. i.O.)
Gender Mainstreaming sei damit ein Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in den Ergebnissen und Produkten, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und in der Steuerung von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können. Im Fokus von Gender Mainstreaming stehen also, ähnlich wie bei der Frauenpolitik, Definitions- und Entscheidungsprozesse. Da Gender Mainstreaming ein Top-down-Konzept ist, sind für die Umsetzung vor allem Führungskräfte verantwortlich, die real zumeist männlichen Geschlechts sind. Spezifische Beauftragte sind, anders als bei der Frauenpolitik, nicht vorgesehen.
Gender Mainstreaming hat die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit zum Ziel und ist, anders als die herkömmliche Frauenpolitik, nicht nur normativ, sondern auch und vor allem ökonomisch begründet: Dieses Politikkonzept zielt wesentlich auf eine (Human-)Potentialorientierung und will die (Geschlechter-)Differenz ökonomisch nutzen (Bendl 2004: 64). Wichtige Gender-Mainstreaming-Instrumente sind Zielvereinbarungen, Datenanalysen und Controlling. Die Ziele und Instrumente sind wesentlich differenzorientiert, daneben scheint in der Zielperspektive der Geschlechtergerechtigkeit aber auch eine Gleichheitsorientierung durch. Gender Mainstreaming ist konsequente Geschlechterpolitik: Es nimmt Frauen und Männer in den Blick und will einen Ausgleich zwischen den Geschlechtern erreichen. Die Implementation dieses Politikkonzepts ist in Deutschland bisher in vielfältigen Pilotprojekten erprobt worden, jedoch längst noch nicht in allen öffentlichen Institutionen selbstverständlich in den (organisations-)politischen Alltag integriert. In der Privatwirtschaft ist es weitgehend bedeutungslos.

Paradigmenwechsel von der Frauenpolitik zum Gender Mainstreaming

In der politiksensiblen Frauen- und Geschlechterforschung ist derzeit die Rede von zwei geschlechterpolitisch bedeutsamen Paradigmenwechseln: Zum einen wird ein Paradigmenwechsel innerhalb der Frauen- und Gleichstellungspolitik konstatiert, der durch eine Bewegung von der Frauenpolitik zum Gender Mainstreaming gekennzeichnet sei, zum anderen wird ein Paradigmenwechsel von der Frauen- zur Familienpolitik festgestellt, der mit einer generellen Schwächung von Frauen- und Gleichstellungspolitik einherginge. Beide Paradigmenwechsel sollen nun näher betrachtet werden.
Die EU hat mehrfach darauf hingewiesen, daß Gender Mainstreaming eine Ergänzung zu den bisherigen positiven Aktionen zur Sichtbarmachung und Förderung von Frauen und zur Beendigung der Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern, wie z.B. speziellen Frauenförderprogrammen, darstellt. Sinnvollerweise wären Frauenförderung und Gender Mainstreaming demnach doppelstrategisch einzusetzen, um dem Ziel der Gleichheit und Gerechtigkeit in den Geschlechterverhältnissen näherzukommen. Die politische Praxis in Deutschland folgt jedoch einer eigenen und anderen Logik.
In den konservativ regierten Bundesländern und Kommunen zeichnet sich ein Abbau von Gleichstellungsgesetzen und frauenpolitischen Institutionen ab (Rudolph 2005: 8f.). Frauenpolitik ist seit dem Ende der 1990er Jahre nicht weiterentwickelt worden, und auf Länderebene sind explizit frauenpolitische Abteilungen in Referate etwa von Sozialministerien eingegliedert worden. Daneben wird Gender Mainstreaming gegen Frauenpolitik "ausgespielt, d.h. dazu benutzt, spezifische Programme zur Frauenförderung abzuschaffen bzw. Stellen in Frauen- und Gleichstellungsbüros zu reduzieren" (ebd.: 13). Hinzu käme, daß der politische Wille zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in den Organisationen nicht vorhanden sei und die Implementation auch nicht durchgesetzt werden könnte, da Sanktionsmöglichkeiten fehlten.
Wie konnte es zum Abbau der Frauen- und Gleichstellungspolitik alter Provenienz kommen? Die Vermutung liegt nahe, daß das Verschwinden der autonomen Frauenpolitik in Deutschland eine Nebenfolge der auf der EU-Ebene politisch geförderten und gewollten Einführung von Gender Mainstreaming ist. Denn: Gender Mainstreaming ist mit seiner integrativen und ausgleichenden Ausrichtung paßfähiger zum "schlanken Staat" als die herkömmliche Frauenpolitik, die zusätzliche Mittel erfordert(e), Sichtbarkeit und Förderung von Frauen zum Programm erklärt und den Konflikt im Geschlechterverhältnis auf die öffentliche Agenda gesetzt hat(te). In Zeiten von Gender Mainstreaming ist die Frauenfrage zur Geschlechterfrage erklärt und damit entpolitisiert worden. Bestenfalls verschwindet sie mittels Integration in anderen Politiken und Politikfeldern, genannt ‚umgesetzte Querschnittorientierung‘, zumeist aber einfach im Nirgendwo. Damit scheint sich der Staat der leidigen, hartnäckigen und so schwer zu lösenden (alten) Frage der Ungleichheit in den Geschlechterverhältnissen bürokratisch und überaus elegant entledigt zu haben.
Die angestrebte Doppelstrategie von Frauenpolitik und Gender Mainstreaming ist im realpolitischen Alltag mit seinen vermeintlichen Sachzwängen in einem Paradigmenwechsel innerhalb des frauen- und gleichstellungspolitischen Feldes aufgegangen. Da dem realen Abbau von Frauenpolitik jedoch kein gleichzeitiges Erstarken von Gender Mainstreaming gegenüber steht, wird unter diesem nur rhetorisch spürbaren Paradigmenwechsel die faktische Marginalisierung jeglicher Gleichstellungspolitik betrieben.

Paradigmenwechsel von der Frauen- zur Familienpolitik

Das Inkrafttreten und die beginnende Implementation von Gender Mainstreaming fielen in Deutschland in die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die von 1998 bis 2002 amtierende Frauen- und Familienministerin Christine Bergmann hatte eine breite gleichstellungspolitische Agenda, auf der u.a. das Prostitutions- und Gewaltschutzgesetz und das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft neben familienpolitischen Maßnahmen wie Kindergelderhöhungen sowie dem Eltern- und Teilzeitgesetz standen. Heide Oestreich (2005: 11) bezeichnet diese im Zeichen von Gender Mainstreaming stehenden Maßnahmen als Bestandteil einer "modernisierten Gleichstellungspolitik". Unfreiwillige Diskriminierungen eines Geschlechts sollten vermieden werden, indem die Auswirkungen jedes Projekts auf Männer und Frauen im vorhinein untersucht wurden. Theoretisch begründet wurde diese politische Praxis damit, daß ein Demokratieproblem bestünde, wenn die eine Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, gegenüber der anderen, den Männern, benachteiligt würde. Bergmann hätte dieses zentrale Argument bei all ihren Vorhaben angeführt - und sei mit dieser an sich richtigen Strategie auf einen Kanzler, der Gleichstellungspolitik definitiv nicht unterstützte, und auf eine gesellschaftliche Öffentlichkeit getroffen, die dem Thema Geschlechtergerechtigkeit ambivalent gegenüberstand.
Sabine Lang und Birgit Sauer (2003) haben in einer Analyse des Bundestagswahlkampfs 2002 sowie der Presseberichterstattung im Vorfeld der Wahlen gezeigt, daß insbesondere die Regierungsparteien zwischen Herbst 2001 und Frühjahr 2002 eine erkennbare Aufwertung von Familienpolitik vollzogen, bis hin zu einem von drei Schwerpunkten der anschließenden Legislaturperiode. Renate Schmidt, Bergmanns Nachfolgerin als Frauen- und Familienministerin, übernahm ihr Amt im Jahr 2002 unter den Vorzeichen der "demographischen Wende" und des "Pisa-Schock[s]" (Oestreich 2005: 11) und fand insofern günstigere Bedingungen für ihre Argumentation vor, die auf die Kinderbetreuung, ein Ganztagsschulprogramm und ‚lokale Bündnisse für Familie‘ zentriert war. Sowohl die um sich greifende mediale, politische und wissenschaftliche Skandalisierung des demographischen Wandels als auch die nach wie vor öffentlich diskutierten Ursachen und Konsequenzen der PISA-Studien stehen wesentlich unter ökonomischen Vorzeichen: Es ist nämlich zu befürchten, daß die schrumpfende und daneben auch noch nur (mittel)mäßig gebildete Gesellschaft zu einer nachhaltigen Schwächung der wirtschaftlichen und politischen (Macht-)Position Deutschlands im globalen Gefüge beitragen würde.
In der zweiten Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung wurde Familienpolitik folglich zum "existenziellen Zukunftsthema" (ebd.) und vom Kanzler unterstützt (vgl. Rudolph 2005: 14; Lang/Sauer 2003). Im Zuge dieser Entwicklungen wurde auch die Rede von Bevölkerungspolitik sukzessive enttabuisiert - immerhin galt diese im westlichen Teil der Republik bis vor kurzem als politisch inkorrekt. Als Einstieg in diese diskursive Enttabuisierung kann das Gutachten von Bert Rürup angesehen werden, das er als Vorsitzender der Kommission zur Reform der Sozialversicherung, der sogenannten Rürup-Kommission, zusammen mit Sandra Gruescu im November 2003 unter dem Titel "Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung" im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegt hat. Die Frauen- und Gleichstellungspolitik zu Themen jenseits der Kinderfrage hingegen wurde weiter an den Rand gedrängt und durch den familienpolitischen Diskurs delegitimiert. Schließlich ist die Frauenpolitik, anders als die Familienpolitik nicht ökonomisch, sondern in erster Linie normativ begründet - und gerechtigkeitsbezogene Fragen standen nicht im Vordergrund der rot-grünen Regierungspolitik.
Die seit Herbst 2005 amtierende Große Koalition hat sich schließlich gar nicht erst zu einer konkreten frauen- und gleichstellungspolitischen Programmatik bekannt, sondern diesbezüglich auf vage Rhetorik beschränkt. Die Bundesfrauen- und -familienministerin Ursula von der Leyen (2005) bejahte zwar in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel die Frage, ob moderne Familienpolitik Gleichstellungspolitik sein müsse: "In den modernen Wissenschaftsgesellschaften werden mehr Kinder dort geboren werden, wo die Gleichstellung von Mann und Frau weiter fortgeschritten ist. In diesen Ländern können Männer und Frauen ihre Talente im Arbeitsmarkt einbringen und trotzdem ihre Rechte und Pflichten als Eltern wahrnehmen." Mit dieser Aussage bringt Ursula von der Leyen ihr Verständnis von Gleichstellungspolitik zum Ausdruck, das auf (potentielle) Mütter und Väter bezogen ist. Frauenpolitik, die auf die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe jenseits von familienzentrierten Orientierungen und die von Partner und Staat eigenständige Existenzsicherung von Frauen setzt, scheint in diesem konservativen Politikverständnis keine Rolle zu spielen. "Frauen sollen sich offensichtlich allein in der Familienpolitik wiederfinden. Statt einer Politik für Frauen wird sich am Modell der deutschen Kleinfamilie orientiert", kommentiert auch Claudia Roth (2005) die Frauenpolitik der Großen Koalition.
Familienpolitik in Gestalt des Schaffens institutioneller Grundlagen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und finanzieller Anreize für die Familiengründung erweist sich als eher politisch opportun als das Eintreten für eine autonome Frauen- und Gleichstellungspolitik. Sie ist erstens im Einklang mit neoliberalen Ideologien, die auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die damit verbundenen wachsenden Unsicherheiten für die individuelle Lebensführung mit dem Versuch antworten, ein Stück ‚heiler Welt‘ im Privaten gegenüber dem ‚feindlichen Leben‘ der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Diese traditionelle Sichtweise ist bereits unter der rot-grünen Bundesregierung vorangetrieben worden (Nowak 2002). Zweitens ist die auf die Stärkung der modernisierten ernährerzentrierten Basis des Staates abzielende Familienpolitik weniger gefährlich für den "‚patriarchale[n]‘ Staat als institutionelle[m] Männlichkeitsgarant und Männlichkeitsersatz" (Kreisky/Löffler 2003: 384) als die Frauen- und Gleichstellungspolitik, die seine patriarchalen Grundlagen hinterfragt. Die unvermindert hohen Scheidungszahlen und die sinkenden Geburtenzahlen lassen den angestrebten Erhalt der patriarchal-staatlichen Ordnung mit der wenn auch modernisierten ernährerzentrierten Familie jedoch als Illusion erscheinen.
Eva Kreisky, Sieglinde Rosenberger und Petra Grabner (2003: 371) sprechen angesichts des zu beobachtenden Paradigmenwechsels von der Frauen- zur Familienpolitik von einem "beträchtliche[n] Maß an Inkompatibilität beider Politikrichtungen". Ihrer Ansicht nach beinhaltet die "Rückkehr traditioneller Familienpolitik (...) eine - mehr oder weniger - offene Absage an die Frauen- und Gleichstellungspolitik vergangener Jahrzehnte. Jenseits eines Minimalstandards scheinen Frauenpolitik und Familienpolitik wie kommunizierende Gefäße zu funktionieren, entweder findet sich das eine oder das andere verstärkt auf der politischen Agenda." (Ebd.) Ihre Einschätzung, daß die Rückkehr traditioneller Familienpolitik eine Absage an die bisherige Frauen- und Gleichstellungspolitik beinhaltet, ist richtig. Eine Politik aber, die in zwei für die demographische Frage zentralen Feldern - der Familien- und der Frauenpolitik - derart inkompatibel ist, ist in der schrumpfenden Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß.

Emanzipation als Beitrag zur Lösung des demographischen Problems

Festzuhalten ist, daß die traditionelle Familie und der damit verknüpfte Geschlechter- und Generationenvertrag nicht mehr funktionieren: Stabile Partnerschaften sind angesichts steigender Ansprüche an die Qualität der Beziehung und erhöhter Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen seitens des Arbeitsmarktes eine Herausforderung für beide Geschlechter, die Geburtenziffern in Deutschland sind (und bleiben) niedrig, die Frauenerwerbsneigung ist unverändert hoch, und im Zweifelsfall verzichten viele Frauen (und Männer) eher auf Kind(er) als auf die eigenständige Existenzsicherung, Partnerschaft(en) und berufliche Karrieren. Auch unter Bedingungen des modernisierten Ernährermodells sind Frauen zur Wahl zwischen Berufs- und Familien- bzw. Erziehungsarbeit gezwungen. Diese dilemmatische Situation wird in der Literatur mit der Metapher der "Falle" umschrieben. Abhängig jeweils vom Standpunkt der Autorin ist die Rede von der "Emanzipationsfalle" (Gaschke 2005) bzw. der "Babyfalle" (Kerber 2003) oder genereller der "Mutterschaftsfalle" (Kortendiek 2005: 389). Mit diesen "Fallen"-Bildern werden zwei verschiedene Seiten einer Medaille beschrieben. Wie man diese auch dreht und wendet, Frauen befinden sich auch im modernisierten Ernährermodell immer in der Falle: Mutterschaft scheint nur auf Kosten von Emanzipation realisiert werden zu können, und der Wunsch nach Emanzipation scheint sukzessive in die kinderlose Gesellschaft zu führen: "Wenn Frauen ihre Erwerbsarbeit nicht nur als ‚Zuarbeit‘ definieren wollen, liegt der Verzicht auf Kinder nahe." (Lang/Sauer 2003: 431)
Ulrich Beck hat dieses Szenario in einem etwas anderen Kontext bereits 1986 treffend so beschrieben: "Wenn ‚Gleichheit‘ im Sinne der Durchsetzung der Arbeitsmarktgesellschaft für alle gedeutet und betrieben wird, dann wird - implizit - mit der Gleichstellung letztlich die vollmobile Single-Gesellschaft geschaffen. Die Grundfigur der durchgesetzten Moderne ist - zu Ende gedacht - der oder die Alleinstehende. In den Erfordernissen des Arbeitsmarktes wird von den Erfordernissen der Familie, Ehe, Elternschaft, Partnerschaft usw. abgesehen. Wer in diesem Sinne die Mobilität am Arbeitsmarkt ohne Rücksicht auf private Belange einklagt, betreibt - gerade als Apostel des Marktes - die Auflösung der Familie." (Beck 1986: 198f.; Hervorh. i.O.)
Die Familienpolitik antwortet auf dieses Problem bisher mit der Schaffung institutioneller Grundlagen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und finanziellen Anreizen für Familien(gründung), vor allem bei den Besserverdienenden.7 In bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf trifft sie sich mit der Frauenpolitik, die sich an Mütter richtet. Doch das sind längst nicht alle Frauen: Manche Frauen sind noch nicht Mütter, manche Frauen werden nie Mütter, manche Frauen haben auch jenseits ihrer Mutterrolle als Frauen Probleme, und manche Frauen haben die Lebensphase der aktiven Mutterschaft längst hinter sich gelassen. Die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten haben jüngst darauf hingewiesen, daß Frauenpolitik mehr ist als Familienpolitik, denn die Verkürzung von Frauenpolitik auf Familienpolitik führe zu einer Reduzierung von Frauen auf ihre Rollen als Gebärende und Erziehende. Fortdauernde Benachteiligungen erstreckten sich aber nicht nur auf Mütter, sondern wirkten in allen gesellschaftlichen Bereichen. Familienpolitik sei keine Frauenpolitik, aber wenn sie gelingen solle, müsse sie Geschlechter- und Gleichstellungspolitik sein, die den Fokus auf das Wohlergehen aller Individuen setze. Eckpunkte einer geschlechtergerechten Politik für Familien seien: Fürsorge als Grundwert, eigenständige Existenzsicherung für alle8, eine bessere Infrastruktur für Familien vor Ort und eine Veränderung der Arbeitswelt durch mehr Zeit für Kinder und pflegebedürftige Familienangehörige (Kommunale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte 2002: 2-4).
Die Schnittmenge zwischen Frauenpolitik und einer konsequent geschlechtergerechten Familienpolitik liegt demnach in der Förderung der Autonomie und der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen: Nur diese ermöglicht es Frauen, unabhängig von männlichen Ernährern oder von ‚Vater Staat‘, selbstbestimmte vielfältige Lebensmodelle entwerfen und realisieren zu können, von denen eines das Leben mit Kind(ern) sein kann. Politische Maßnahmen, die vor allem auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zielen, sind zwar aus familien- und gleichstellungsbezogener Sicht sinnvoll. Doch nur die gleichzeitige Förderung der Autonomie und der eigenständigen Existenzsicherung beider Geschlechter, also nunmehr auch der Frauen, allein stehend oder etwa auch im Sinne eines Zwei-Ernährer-Modells, ist auch aus frauenpolitischer Sicht sinnvoll.
Argumentative Unterstützung bekommt diese Position durch eine Studie von Steffen Kröhnert, Nienke van Olst und Reiner Klingholz (2004) aus dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, die den provokanten Titel hat: "Emanzipation oder Kindergeld? Wie sich die unterschiedlichen Kinderzahlen in den Ländern Europas erklären". Das Forschungsteam hat die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die unterschiedlichen Kinderzahlen in westeuropäischen Nationen anhand einer Reihe sozioökonomischer Indikatoren untersucht und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß jene Länder die höchsten Geburtenziffern verzeichnen, in denen der gesellschaftliche Entwicklungsstand am weitesten fortgeschritten und die Gleichstellung der Geschlechter am besten gewährleistet ist: "Je moderner eine Gesellschaft und je größer die Emanzipation der Frauen, um so höher sind die Kinderzahlen." (Kröhnert u.a. 2004: 3) Auf der Basis dieser Ergebnisse schlägt das Forschungsteam vor, das Problem nachwuchsarmer Länder unter dem Aspekt der Gleichstellung von Frauen und Männern neu zu diskutieren.
Vor diesem Hintergrund ist der deutsche Wohlfahrtsstaat aufgefordert, seine konservativen Grundlagen zu überdenken und die politischen Weichen so zu stellen, daß ein demokratisches Geschlechterverhältnis mit einer egalitären Arbeitsteilung im privaten und öffentlichen Bereich verwirklicht werden kann. Mit dem Erstarken einer Politik, worin die Familienpolitik und die Frauen- und Gleichstellungspolitik miteinander im Einklang stünden, wäre ein Wechsel im familien- und geschlechterpolitischen Leitbild des deutschen Wohlfahrtsstaats verbunden: Angesichts einer Realität, in der die Vervielfältigung familialer Lebensformen und die Emanzipation von Frauen nicht mehr aufzuhalten sind, ist es an der Zeit, die Vielfalt weiblicher (und männlicher) Lebensmodelle anzuerkennen und die Förderung der Gleichheit zwischen den Geschlechtern konsequent voranzubringen. In einem derart modernisierten Wohlfahrtsstaatsregime könnten sich möglicherweise auch ganz nebenbei die Geburtenraten erhöhen. Denn warum sollten Frauen (und Männer) auf Kinder verzichten, wenn die Entscheidung dafür kein Dilemma mehr bedeutet und die Geschlechter in eine (ökonomische) Abhängigkeit voneinander bringt, die aus demokratischer Sicht nicht mehr zu verantworten ist?
Anders ausgedrückt: Die verstärkte politische Förderung der Autonomie und der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen ist ein Beitrag, um die Gesellschaft zu modernisieren und ihre Demokratisierung voranzubringen. Politisch-praktisch gewendet hieße dies allerdings, nicht mehr nur die kleinen Symptome zu kurieren, sondern sich mit dem Ziel von mehr Gleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern an einen generellen Umbau wohlfahrtsstaatlicher Leitlinien und Strukturen heranzuwagen. Die Frauen- und Gleichstellungspolitik hat das visionäre Potential für einen derartigen Umbau, denn sie hat sich bisher immer als strukturverändernde Politik verdient (und unbequem) gemacht. Wenn die These vom Bedeutungsverlust des demographischen Problems durch mehr Frauenemanzipation stimmt - und viele Ergebnisse der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung deuten darauf hin, daß sie stimmt -, dann ist in Deutschland neu legitimationsbedürftig, warum die Frauen- und Gleichstellungspolitik nicht längst auf der politischen Tagesordnung ganz oben steht und einen Schwerpunkt der Politik bildet.

Anmerkungen

1 Iris Nowak (2002, bes. 465-469) hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß dergestalt eine neue soziale Konfliktlinie zwischen Eltern und kinderlosen Doppelverdienern installiert worden ist.
2 Werden nämlich individuelles Handeln und strukturelle Bedingungen als untrennbar miteinander verknüpft angesehen, so ist deutlich, daß die "Schuld" für das demographische Problem nicht einseitig beim Individuum liegt und Lösungsansätze in der Verschränkung von Handeln und Struktur gesucht werden müssen.
3 Die Idee des Geschlechtervertrags schließt an die von Carole Pateman (1988) formulierte und seither in der Geschlechterforschung umfassend diskutierte These an, der Gesellschaftsvertrag sei implizit zugleich auch ein Geschlechtervertrag, in den die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern und die damit verbundene Zweiteilung der Welt in einen öffentlichen (männlich geprägten) und einen privaten (weiblich geprägten) Bereich eingeschrieben sei. Aus demographischer Sicht, so möchte ich hinzufügen, interessiert der Gesellschafts- und Geschlechtervertrag auch in seiner generativen Dimension, also als Generationenvertrag.
4 Die DDR gehörte in den 1980er Jahren weltweit zu den Gesellschaften mit der höchsten Frauenerwerbstätigkeit.
5 Giddens (1993: 69) definiert die "reine Beziehung" wie folgt: "Eine reine Beziehung hat nichts mit sexueller Reinheit zu tun, und der Begriff soll eher der Abgrenzung dienen als der Beschreibung. Er bezieht sich auf eine Situation, in der man eine soziale Beziehung um ihrer selbst willen eingeht, er bezieht sich also auf das, was aus einer dauerhaften Beziehung mit der anderen Person abgeleitet werden kann; eine Beziehung, die nur so lange fortgesetzt wird, solange es für beide Parteien klar ist, daß alle Beteiligten sich in ihr wohlfühlen."
6 Die traditionsreiche Kontroverse über das "richtige" Emanzipationskonzept geht bis in das 19. Jahrhundert zurück, denn bereits in der alten Frauenbewegung wurde um Gleichheit und/oder Differenz gestritten (vgl. z.B. Klinger 1986).
7 Daß die finanziellen Anreize die Besserverdienenden bevorteilen, scheint intendiert zu sein, denn neben der Quantität der Kinder interessiert auch ihre Qualität. Schließlich haben die Pisa-Studien ausgesprochen wirkungsvoll daran erinnert, daß besser verdienende Eltern zumeist auch klügere Eltern sind, die wiederum klügere Kinder haben - und genau diese sind von besonderem Interesse für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
8 In den näheren Ausführungen wird deutlich, daß damit die Verringerung ökonomischer Abhängigkeiten und Zwänge der Frauen von den Männern und die der Frauen und Kinder von staatlicher Unterstützung gemeint ist.

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Dr. Heike Kahlert, Soziologin, Universität Rostock

aus: Berliner Debatte INITIAL 17 (2006) 3, S. 9-23