Materialistisches Wissen - kritische Theorie:

Die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung

Im Juni 2004 gründeten sie die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AKG). Die Assoziation umfasst gegenwärtig etwa fünfzig Mitglieder aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen.

von Dr. habil. Alex Demirovic, Politikwissenschaftler, ist Vorstandsmitglied der Assoziation für kriti-sche Gesellschaftsforschung und Mitglied der PROKLA-Redaktion. Für Hinweise zu diesem Beitrag bedankt er sich bei Eva Hartmann und Thomas Sablowski
Seit Oktober 2003 trafen sich mehrfach WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen, um gemeinsam über die Lage kritischer, materialistischer, feministischer, poststrukturalistischer Theorie zu diskutieren. Im Juni 2004 gründeten sie die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AKG). Die Assoziation umfasst gegenwärtig etwa fünfzig Mitglieder aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen und Hochschulen. Sie hat sich mittlerweile einige Male zu Tagungen getroffen und war durch Mitglieder an der Durchführung größerer Konferenzen beteiligt, u.a. eine zum Thema "Kritische Wissenschaft, Emanzipation und die Entwicklung der Hochschulen" Anfang Juli 2005 in Frankfurt.
Der Gründung der Assoziation lag die Einschätzung zugrunde, dass die Bedingungen der Produktion und Reproduktion kritischen Wissens und kritischer Theorie sich erheblich verschlechtert haben und noch weiter verschlechtern würden. Die Hochschulen befinden sich in einem generationellen Umbruch. Ein Schwund kritischer Ansätze in Disziplinen wie Germanistik, Philosophie, Geschichte, Volkswirtschaft oder Psychologie ließ sich schon seit längerem beobachten. Häufig handelte es sich um Anpassungsprozesse der WissenschaftlerInnen. Einige thematisch geschrumpfte Diskussionskontexte vor allem im engeren Bereich der Sozialwissenschaften wie Soziologie oder Politikwissenschaft konnten aber noch bis in die jüngste Zeit fortbestehen. Dies ändert sich nun.
Generationswechsel in den Hochschulen
Mit der 68er-Generation verlassen eine Vielzahl kritischer WissenschaftlerInnen altersbedingt die Universitäten und Fachhochschulen. Dies verbindet sich mit einem strukturellen Einschnitt. Soziologische Studiengänge werden geschlossen; die Zahl der Professuren an vielen Instituten eingeschränkt; die Autonomie der Soziologie als eigenständige Wissenschaft, die sie in den 1950er Jahren gegen den Widerstand vieler Fachvertreter erlangte, wird teilweise zurückgenommen, indem sie in die Wirtschaftswissenschaften zurückgegliedert wird. Politikwissenschaft wird mehr oder weniger auf die Funktion der Lehrerausbildung begrenzt. Wenn Professuren nicht gestrichen werden, werden sie mit VertreterInnen des sozialwissenschaftlichen mainstreams besetzt. Im Einzelfall mögen diese interessant zur wissenschaftlichen Diskussion beitragen und der kritischen Gesellschaftstheorie Anregungen geben. In der Regel aber sichern und fördern sie nicht die Tradition kritischen Wissens: also den Kanon der Texte und AutorInnen, die Begriffe, die Probleme und Relevanzkriterien, die Themen, Bewertungsmaßstäbe und die Diskussionskontexte. Sie tragen auch kaum zur Weiterentwicklung und Erneuerung dieser Tradition durch weitere theoretische Arbeit und empirische Forschung bei.
Verwertbarkeit des Wissens, internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Förderung von privaten Universitäten, die Umwandlung einzelner starker Universitäten zu Eliteuniversitäten und sog. Leuchttürmen prägen das Selbstverständnis der Wissenschaftspolitik. Dies fördert ein enges, karriere- und konkurrenzorientiertes Selbstverständnis bei vielen WissenschaftlerInnen, die ermutigt werden, sich als Elite zu verstehen und zunehmend für extrafunktionale Kompetenzen und Aktivitäten belohnt werden. Zeitmangel aufgrund des hohen Betreuungsaufwands, verursacht durch die eher sich noch verschlechternde Betreuungsrelation, aufgrund der überbordenden Verwaltungsarbeit infolge immer neuer organisatorischer Veränderungen, Evaluationen, Berichte, Anträge, Gutachten, Budgetautonomie, die Ausrichtung auf Drittmittel sowie stark gestraffte Karrieremuster (mit BA, MA, Dissertation, Juniorprofessur, Zielvereinbarungen, leistungsorientiertem Gehalt, Evaluation) fördern notwendigerweise die Orientierung an der je eigenen Disziplin und denjenigen, die als Gutachter, Herausgeber von Fachzeitschriften, Verbandssprecher und Inhaber reputierlicher Professuren vermeintlich den Anspruch erheben können zu definieren, was die relevanten Fragen der Disziplin, die Texte, die Bewährungsproben sind. Eine solche Ausrichtung spart nämlich Zeit, bahnt Anschlussfähigkeit an die anerkannten Themen und Methoden, gewährt Sicherheit und Halt bei Frage und Antwort, orientiert über das Sagbare, erleichtert den Erfolg.
Wissenschaft als Potemkisches Dorf
Die Wissenschaft wird auf diese Weise zunehmend fiktionalisiert. Denn alle streben nach diesem Zentrum von Erwartungen eines legitimen Wissens, doch kaum noch jemand hat Zeit und Neigung, wirklich wissenschaftlich zu arbeiten, zu prüfen, zu verwerfen, Thesen und Theorien zu entwickeln, aufwendige und interessante empirische Forschung durchzuführen. So wird die Wissenschaft zum Potemkinschen Dorf, eine Fassade von sich beschleunigenden Scheinaktivitäten. Solche neoliberalen Reorganisationsprozesse müssen jedoch nicht zwangsläufig die Auswirkung eines informellen Berufsverbots für VertreterInnen kritischer Ansätze annehmen, wie das in Deutschland unter der Regie auch konservativer und sozialdemokratischer Universitätsleitungen der Fall ist.
So gibt es in Frankreich, Großbritannien, USA oder Kanada auch weiterhin die Möglichkeit der Arbeit an kritisch-materialistischer, feministischer, postkolonialer-antirassistischer Theorie und Empirie. Selbst dort, wo der Neoliberalismus sehr stark auf die Hochschulen einwirkt, schränkt er diese Arbeit nicht unbedingt ein, solange sie sich rechnet und in Studiengebühren, Drittmitteln und Reputation niederschlägt. In solchen Fällen werden kritische, sogar marxistische WissenschaftlerInnen beschäftigt. In Deutschland haben kritische WissenschaftlerInnen aus dem Ausland durchaus auch mal die Chance, eingeladen zu werden, um hier dem einen oder anderen Sonderforschungsbereich internationale Anregungen zu vermitteln, der einen oder anderen Universität Reputation zuzuführen oder mit dem Innovationspotential kritisch-emanzipatorischer Theorie zur Entprovinzialisierung beizutragen. Lieber mag man kritische Positionen aus dem Ausland für einen Abendvortrag hinzukaufen als sie selbst durch Einrichtung von entsprechenden Stellen zu produzieren und damit dauerhaft und folgenreich mit ihnen konfrontiert zu sein.
Konformistisch-mandarine Abschottungen
In Deutschland werden materialistisch-kritische Fragestellungen nicht als Forschungsrichtung ernst genommen, sondern als Ideologie abgewertet, daran hat sich seit dem 19. Jahrhundert so gut wie nichts geändert. Das Verhältnis der deutschen Universitäten zu emanzipatorisch-kritischen Ansätzen ist neurotisch; und nicht alles, was hier an sog. Reform geschieht, hat mit Neoliberalismus zu tun, im Gegenteil hätte die Einführung von mehr Markt nicht selten rationalisierende Wirkung auf die neue Autokratie an den Hochschulen. Mit der Ablösung der '68er, die sich mit ihrer Forderung, endlich einmal Marx und Heine und Ossietzky und Gumpel an die deutsche Universität zu bringen, ein ganz klein wenig und für kurze Zeit durchsetzen konnten, kommt wieder einmal die Rache der deutschen Mandarine, die im Namen eines Wissenschaftspluralismus, der jede bestimmte wissenschaftliche Position verbietet, am herrschenden und so oft autoritär-elitären Konsens mitweben und dafür die Hochschulen und die Wissenschaften entdemokratisieren.
Im Abwicklungsprozess der Universitäten in Ostdeutschland konnte das Muster von Kälte, Ignoranz, Ranküne eingeübt werden, durch das auf der Grundlage der Unterscheidung von wertneutralen erklärenden und ideologischen verstehenden Fächern Wendehälsen die Professur gerettet, Seilschaften aus dem Westen etabliert, fruchtbare kritische, dissidente Wissenschaftler des DDR-Regimes aber denunziert werden konnten. So tendieren die Hochschulen im jüngsten Deutschland dazu, sich wieder in den Hauptstrom ihrer Geschichte einzufügen, der doch geprägt war von einem positivistisch-disziplinär verengten Wissenschaftsverständnis und einer konformistisch-mandarinenhaften Wissenschaftlerhaltung. Das schneidet sie von vielen Diskussionen im internationalen Kontext ab.
Die Widergewinnung von Orte kritischer Wissensproduktion
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der kritische Themen bearbeiten will und sich vielleicht gar noch gesellschaftlich verantwortlich betätigt, sowie für viele Studierende gibt es kaum noch die Möglichkeit, die Tradition und die aktuellen Forschungsfragen, die Begriffe von Marx, Freud, Gramsci, Bauer, älterer Kritischer Theorie, Poststrukturalismus, internationaler marxistischer, feministischer, postkolonialer oder kritischer Rassismustheorie, die relevante empirische Forschung oder den Stand der gesellschaftlichen Bewegungen kennen zu lernen. Das alles ist an den Universitäten weder expliziter noch impliziter Lehrplan. Wenn überhaupt vertreten ist, dann in isolierten Bruchstücken, so dass es unverbindlich bleibt und nicht zu einem umfassenden Diskussionskontext erwächst. Es gibt Studierenden, die sich Nischen organisieren. Doch die Mehrheit wird ums Studium betrogen und vielfach theoretisch und gesellschaftspolitisch analphabetisiert. Naiv liberal, glaubt sie an eine Welt als Wille, Vorstellung und Wunsch und hält dies für Realitätstüchtigkeit. Ultrarealistische Einsicht in gesellschaftliche Widersprüche erscheint ihnen zu hart und unerträglich. Einsicht würde sie zum Handeln veranlassen, bevor sie anstoßen, verbieten sie sich jene. Adorno nannte das Halbbildung - Dummheit als Ergebnis von gesellschaftlich organisierten Bildungsprozessen, die Bildung verhindern. Das Wissen der Studierenden vermittelt kaum den Impuls, größere Zusammenhänge disziplinenübergreifend zu verfolgen. Die Produktion und Reproduktion kritisch-materialistischen, theoretischen wie empirischen Wissens auf hohem Niveau findet nicht mehr den selbstverständlichen Rückhalt, wie das nach 1968 in kleinem Maß und an einigen Universitäten und Fachhochschulen der Fall war. Ein in den vergangenen Jahrzehnten vermittelter Wissenskanon, entsprechende Diskussions- und Forschungszusammenhänge haben nicht nur keine Konjunktur, es gehen Orte und Kontexte der Vermittlung und Verständigung verloren. Neben den kritischen Begriffen, Problembeständen und Referenzen sind auch ganz materiell die Verlage, Buchhandlungen, Bücher, und Zeitschriften bedroht.
Für große Teile der Gesellschaft hat dies negative Folgen. Die Reichen und die Unternehmen kaufen sich ihr Wissen am Weltmarkt. Die gesellschaftliche Mehrheit, die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen, ein Teil der Politik, also alle die, die kritisch-verändernde Ziele verfolgen, haben einen Bedarf an kritischem Wissen. Dieses Wissen wird ihnen nicht mehr arbeitsteilig an den Universitäten und Fachhochschulen erzeugt und zur Verfügung gestellt. Die Gesellschaft findet sich aufgrund interner Entscheidungsprozeduren und Machtkonstellationen in den Hochschulen eines wichtigen Ortes beraubt, an dem gesellschaftliche Selbstkritik über bloße Moral und Gesinnung hinaus sachhaltig wird durch komplexe Begriffe, durch genaue Empirie, durch Einsicht in zeitlich langwirkende Prozesse und Zusammenhänge. Moderne kapitalistische Gesellschaften haben die Hochschulen als Instanzen der systematischen Wissensproduktion herausgebildet. Wenn die Machtverhältnisse an den Hochschulen derart selektiv wirken, dass die kritischen gesellschaftlichen Kräfte, die auf Veränderung, nicht auf Erhaltung gegebener Macht- und Ressourcenverteilungen, die auf langfristige gesellschaftliche Entwicklung, nicht auf kurzfristige Verwirklichung von Gruppenegoismen zielen, in ihnen nicht mehr repräsentiert sind und mithilfe dort arbeitender WissenschaftlerInnen und Intellektuellen ihre Lebensweise und ihr Alltagswissen nicht mehr systematisch ausarbeiten und anreichern können, weist dies nicht nur auf eine Regression der Demokratie im Wissensfeld, die gesellschaftlichen Perspektiven veröden insgesamt. Denn es sind ja vor allem Wissen und wissenschaftliches Wissen, durch das Wege in die Zukunft skizziert und ausgelotet werden. Konformismus und Positivismus bestehen gerade darin, die Gegenwart und damit auch alle ihre Probleme für die Zukunft festzuschreiben.
Neben den Hochschulen gibt es freilich noch zahlreiche andere Orte kritischer Wissensproduktion: freie Institute, NGOs, KünstlerInnengruppen, Diskussionszirkel, Zeitschriftenkollektive, Bewegungszusammenhänge. An ihnen hängt vielleicht zukünftig verstärkt die Aufgabe der Produktion kritischen Wissens. Doch sie sind vielfach prekär; und auch sie hängen zumeist von der Initiative wissenschaftlich gut qualifizierten MitarbeiterInnen ab, die die Kompetenzen zur aktualitäts- und zukunftsbezogenen Analyse haben. Soweit es sich um Forschungseinrichtungen handelt, sind sie wie die Universitäten von derselben wissenschaftspolitischen Logik bedroht. Es zeichnet sich ab, dass gewerkschafts- oder kirchennahe Institute, Institute kritischer Umwelt- oder sozialwissenschaftlicher Forschung einer Sparpolitik der Ministerien ausgeliefert sind, die ihre Existenz gefährdet. Alternative Forschungseinrichtungen oder Orte der Wissensproduktion wie Wissenschaftsläden oder Geschichtswerkstätten gibt es ohnehin kaum noch. In wenigen Jahren, so ist zu befürchten, werden sich aus dem Bereich der Wissenschaften kaum noch kritische Stimmen erheben können. Die wenigen, die nicht aufgeben wollen, könnten sehr weitgehend marginalisiert sein und als Spinner und schräge Vögel gelten. Für alle diejenigen, die in ihren Arbeitssituationen sich von kritischen Diskussionszusammenhängen isoliert fühlen, die im engen Kontakt mit wissenschaftlichen Wissen ihr berufliches und Alltagswissen über die gegenwärtigen Umstrukturierungsprozesse kritisch verallgemeinern möchten, wird es dann sehr schwierig, ein ihren Erfahrungen gemäßes Verständnis der gesellschaftlichen Prozesse zu entwickeln.
Die ohnehin schon bestehende Tendenz der Wirklichkeitsverleugnung wird sich verstärken. Zu befürchten ist die Zunahme von Naivität und Dummheit im gesellschaftlichen Selbstverhältnis; die Folgen sind mangelnde Kenntnisse, Zunahme von autodidaktischem Wissen mit einer naturwüchsigen Unterlegenheit unter das professionelle Wissen der Universitäten, Gesinnungskritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, Kurzatmigkeit der Wissens, das auf wenige und aktuelle Themen schrumpft und dem die Kenntniselemente übergreifender, systematischer und langfristiger Zusammenhänge fehlen. Dies könnte sich verschränken mit einer ohnehin grassierenden Wissenschafts- und Theoriefeindlichkeit, wie sie durch Religion, Nationalismus und Mystizismus genährt wird - paradoxerweise auch durch den von der Molekularbiologie und Wirtschaftswissenschaften genährten Sozialdarwinismus, der ohnehin alles für unabänderlich erklärt und insofern die Bedeutung von Wissen reduziert, als es nun nicht mehr verbunden ist mit Zielen, mit Aktivität, mit Praxis. Soziale Bewegungen werden irrationalisiert insofern, als die Suchbewegungen zur Weiterentwicklung der Gesellschaft und die Handlungsziele unklar werden.
Diese Einschätzung und viele ihrer Elemente waren auf den anfänglichen Treffen der Assoziation Gegenstand von zuweilen kontroversen Diskussionen. Die Kontroversen führten zu Fragestellungen, die bei weiteren Treffen bearbeitet wurden. So ging es zunächst darum, die Lage der Hochschulen, mögliche Fehler der Linken an den Universitäten, Rückwirkungen der Akademisierung auf die Theorie und die Möglichkeit kritischer Wissenschaft genauer zu bestimmen. Damit verbindet sich die Frage nach dem Verhältnis von kritischem Wissen und Wissenschaft: Gibt es kritisches Wissen nur als wissenschaftliches und nur als an der Hochschule ausgearbeitetes Wissen? Im weiteren entstand eine Diskussion über das Verständnis von kritischer Wissensproduktion. Durch was zeichnet sich diese heute aus? Sind "Materialismus", "Praxis" und "Kritik" geeignete Merkmale, um sie zu charakterisieren. "Materialismus", so eine Befürchtung, könne dazu führen, gesamtgesellschaftliche Prozesse auf Ökonomie und Produktionsverhältnisse zu reduzieren. In umgekehrter Richtung kam es deswegen zu der Frage, was auf unterschiedlichen Themengebieten und in verschiedenen Disziplinen als materiell verstanden werden könne und was Gegenstand der Kritik ist: in der Theorie des Rechts, des Raums, des Geschlechts oder des Staates. Die ausführliche Diskussion von kritischen Strategien in den wissenschaftlichen Einzelgebieten führte zu der Frage nach dem Gesamtzusammenhang und danach, was ihn strukturiert. So hat sich die Assoziation die Aufgabe gestellt, an einem Forschungsprogramm zu arbeiten, das gerade diesen inneren Zusammenhang des Ganzen der kapitalistischen Gesellschaftsformation in der neuen Phase der kapitalistischen Entwicklung zum Gegenstand hat.
Ein Forschungsprogramm kritischer Wissenschaft
Die Produktion und Reproduktion kritischen, wissenschaftlichen Wissens wird in den Diskussionen der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung als eine gesellschaftliche Praxis verstanden. Dies beinhaltet, dass Intellektuelle sich auf der Grundlage ihrer spezifischen Tätigkeit zusammentun, gleichzeitig aber auch aus ihrer Rolle als Spezialisten heraustreten und für die gesellschaftliche Bedeutung ihres Wissens eintreten. Gegenüber einer Tendenz, die die Erzeugung kritischen Wissens zunehmend marginalisiert, geht es darum, Arbeitszusammenhänge zu erhalten, Fragestellungen eine Kontinuität zu geben und neue Formen der Wissenskooperation auszuprobieren. Es wäre verfehlt, sich mit optimistischen Parolen über die Schwierigkeiten hinwegzutäuschen. Ob ein solches Projekt längerfristig trägt, lässt sich nicht vorhersagen. Einige der Schwierigkeiten liegen auf der Hand: mangelnde Ressourcen, zeitliche Beschränkungen, Karriereorientierung und berufliche Ängste, Konkurrenz der einzelnen Mitglieder im akademischen Feld, unterschiedliche politische Optionen. Doch hat es vielversprechende thematische Diskussionen und Reflexionen auf jene schwierigen Bedingungen gegeben. Die Neugierde und die Beteiligung vieler aber lässt sich so deuten, dass der Wunsch und der Wille vorhanden ist, kritisch-materialistischer Gesellschaftstheorie eine neue Zukunft zu geben.

Quelle: spw 147 (Januar/Februar 2006)