Eine demokratische & friedliche Verfassung für Europa

in (10.08.2006)

Der Ratifikationsprozess zum europäischen Verfassungsvertrag ist gescheitert. Fern aller demokratischen Errungenschaften bewegte sich zuvor die Tätigkeit des Verfassungskonvents: Er war nicht gewählt, sondern von den nationalen Regierungen eingesetzt und hatte bloß den Auftrag, eine Verfassung durch Vertragsschluss zwischen den nationalen Regierungen vorzubereiten.
Konventsmitglieder hatten allenfalls das Recht, "Anregungen" zu den vorgelegten Entwürfen zu unterbreiten. Über deren Behandlung entschied das Präsidium.

Das Problem, das in dem nationalstaatlichen Ausgangspunkt steckt, wird nicht zuletzt dadurch sichtbar, dass dem Verfassungsentwurf eine Auflistung von Staatsoberhäuptern vorangestellt war. Dort finden sich sechs so genannte Majestäten bzw. königliche Hoheiten. Von solchen Relikten feudaler Vergangenheit kann kein demokratisches Europa ausgehen. Eine echte Demokratisierung setzt statt eines zwischenstaatlichen Vertrages den Verfassungsbeschluss eines europäischen Souveräns voraus: einen Beschluss der sich als BürgerInnen Europas verfassenden Menschen über einen demokratisch erarbeiteten Verfassungsentwurf.
Dabei könnte ein so verstandener europäischer Souverän ein Vorgriff sein auf eine demokratische Einheit der Menschheit, die ihre Spaltung in Nationalstaaten endgültig überwindet und zwischenstaatliche Kriege ausschließt.

Grundrechte und Demokratie in der EU

Die im Verfassungsentwurf vorgesehene Stärkung des Europäischen Parlaments wäre zwar ein Fortschritt, reicht aber nicht aus. Stattdessen bietet der Verfassungsprozess eine Möglichkeit, erweiternde Perspektiven zu entwickeln: Die künstliche Trennung zwischen der "politischen Sphäre" und einer unlegitimiert Macht über Menschen entfaltenden kapitalistischen Ökonomie aufzuheben, wäre hierbei eine zentrale Forderung. Weit reichende soziale Grundrechte oder ein europaweit gültiges Streikrecht statt das Recht auf Privateigentum zu zementieren, sind mögliche Perspektiven. Dem Grundrechtsabbau in den Mitgliedsstaaten der EU sollte die Idee einer Verfassung entgegen gestellt werden, welche die Grundrechte stärkt. Urteile der europäischen Gerichte gegen Berufsverbote in der BRD zeigen, dass in der EU grundrechtliche Standards etabliert werden können, die über nationale Regeln hinausweisen. Die im alten Verfassungsentwurf vorgeschlagenen Regelungen waren irreführend, weil dort keine umfassend verbindlichen Grundrechte enthalten waren, die gegenüber der öffentlichen Gewalt auf allen Ebenen geltend gemacht werden könnten.Zwar bietet die europäische Einigung Chancen für eine humane Flüchtlingspolitik. Nationalstaatliche Politiken weisen aber in eine andere Richtung: Eine "Festung Europa" wird entworfen, mit ausgelagerten Auffanglagern und Abschottungspraktiken, die verzweifelte Menschen in den Tod zu treiben geeignet sind. In einer humanen Verfassung müsste wenigstens ein uneingeschränktes Asylrecht bei willkürlicher Verfolgung gewährleistet werden. Die Hysterie wegen einiger befristeter Einreiseerlaubnisse für BürgerInnen der Ukraine (sog. "Visa-Affäre") verdeutlicht dagegen, dass nicht einmal die mit dem Jahr 1989 in Verbindung gebrachte "neue Reisefreiheit in Europa" politisch gewollt ist.

Für eine friedliche Verfassung

Der alte Verfassungsentwurf verpflichtet bloß auf "Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen". Damit wären Kriege ohne Mandat der UN kein Verfassungsverstoß. Stattdessen muss eine neue Verfassung das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen ohne Ausflüchte anerkennen. Pläne für eine "Weltmacht Europa", etwa als "militärisches Gegengewicht zu den USA" zeigen aber, dass die Vergemeinschaftung nationalstaatlicher Politik keineswegs deren Überwindung verheißt, sondern oft nur deren supranationale Bündelung. In einer friedenspolitisch glaubwürdigen Verfassung müsste wenigstens die umgehende Abschaffung aller Atomwaffen verbindlich festgelegt werden. Zudem entfällt durch die Verbindung mit einer gemeinsamen Verfassung jede vermeintliche Berechtigung für die Existenz nationaler Armeen. Die Verfassung hat also deren Auflösung vorzusehen. Europa selbst braucht eine eigene Armee aber genauso wenig wie die Mitgliedsstaaten.