Gesünder, billiger, besser?

Die Elektronische Gesundheitskarte

in (12.08.2006)

Eigentlich sollt sie schon zum 01.01.2006 eingeführt sein. Bis jetzt fehlen dem Projekt klare Konturen, speziell beim Datenschutz.

Ein Wahnsinnsprojekt ist sie, die geplante "elektronische Gesundheitskarte" (eGK): Über 80 Millionen persönliche Datensätze sollen mittels der Karte, die eigentlich schon zum 1.1.2006 eingeführt werden sollte, bislang aber nur in Einzelversuchen getestet wird, verwaltet werden.

Mit der Karte sollen Kosten gespart und einige Missstände im Gesundheitswesen beseitigt werden: Vor allem durch das "e-Rezept" und den "e-Arztbrief" werden bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr an Einsparung erwartet - und nicht zuletzt durch eine Verminderung der Arztbesuche. Durch eine Prüfung aller von verschiedenen Ärzten verschriebenen Medikamente auf Unverträglichkeit soll manch tödliche Kombination vermieden werden, denn, so das Bundesgesundheitsministerium, durch Medikamentwechselwirkungen stürben mehr Menschen als im Straßenverkehr.Gespeichert werden sollen Personendaten, Versichertenstatus, Wirkstoffunverträglichkeit, Allergien, Organspendebereitschaft und schließlich die elektronische Patientenakte. Auch Angaben wie Diagnosen oder Röntgenbilder wären denkbar.

Auch wenn sich diese Ziele mit der eGK erreichen ließen, zwangsläufig sind diese Effekte nicht. Zum einen sind schlechte ärztliche Behandlungen nicht notwendig durch fehlende Informationen verursacht. Fehlenden Informationen ist nicht nur durch Technisierung beizukommen - ein vernünftiges Gespräch mit den Patienten wäre eine Lösung ganz ohne Computer.

Zum anderen ist diese medizinische Datensammlung besonders privat und sagt viel über Individuen aus - mehr als jede andere Datensammlung, die es in der BRD bisher gibt. Zur Erinnerung: Eine Zentraldatei mit Daten der in der BRD ausgegebenen Pässe war schon vor der Einführung der biometrischen Datensätze in den Personalausweis verboten und soll es nach Aussagen der Verantwortlichen auch bleiben - das Verbot einer einzigen Datei war unter anderem eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, wo zentrale Datensammlungen das einfache Rastern der Bürger nach Religion, Krankheiten und sexuellen Vorlieben überhaupt erst so effektiv möglich machte.Im direkten Vergleich sind die auf der eGK abgelegten Daten intimer und relevanter, sind sie doch nicht nur zur Identifizierung geeignet, sondern auch aussagekräftig über Lebenswandel, Krankheits- und Lebenserwartung Einzelner. Es sind zudem Daten, die viele interessieren:
Begehrlichkeiten von z. B. Krankenkassen, Arbeitgebern und Versicherungen an diesen Daten sind zwangsläufig. Alle Daten sollen nur mit einem mit einer elektronischen Signatur versehenen Gegenstück, der "Health Professionals Card", die nur der Apothekerin oder Ärztin Zugang gewähren, lesbar sein. Die Hoheit und Transparenz über die eigenen Daten soll an Terminals in allen Praxen und Apotheken gewährleistet werden. Dort können Patientinnen die Speicherung kontrollieren und bestimmen, welche Daten welchen Ärzten freigegeben sein sollen. Die Daten der Abtreibung werden - bei intelligenter Freigabe - also nicht dem Zahnarzt zugänglich, der Arztbrief der Psychologin nicht der Chirurgin.

Der Idee nach gut - doch leider übersieht das System, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis nun einmal nicht ganz hierarchiefrei ist. Was genau ich medizinisch sinnvoll verschweigen darf, das weiß ich als Patientin nicht. Davor warnte bereits die Kassenärztliche Bundesvereinigung: dass der behandelnde Arzt dank eben dieser Datenhoheit niemals genau wissen kann, ob ihm vom Patienten Daten vorenthalten werden. Und forderte, "die Daten da zu lassen, wo sie sind, nämlich dezentral in den Praxen".Dass man sich über Transparenz und Sicherheit der persönlichen Daten Gedanken gemacht hat, kann nicht über die Nebenwirkungen dieser bislang einzigartigen Datensammlung hinwegtäuschen. Die Freiwilligkeit der Angaben für die Zukunft kann niemand garantieren. Horrorvisionen wie "freiwillige" Offenlegung der Gesundheitsdaten bei Arbeitgebern vor einer Einstellung, bei Versicherungen für eine günstigere Prämie erfordern leider nicht viel Phantasie.Bisherige Datensammlungen haben wieder und wieder gezeigt, dass sie, sind sie einmal angelegt, vom Staat für andere als die ursprünglichen Zwecke genutzt werden. Beim Einsparungsdruck der Krankenkassen wären hier Begehrlichkeiten über den Lebenswandel der Patientinnen für Prämiensysteme oder Mehrbelastung der "Sünder" nahe liegend - oder auch Wünsche der Strafverfolgungsbehörden nach biometrischen Angaben für die Strafverfolgung.