Themenschwerpunktseditorial

Konfliktherd Energie

Saudi-Arabien, im Januar 2012: Das bislang mit den USA verbündete Land heißt nun Islamijah, nachdem radikale Islamisten den König gestürzt haben. Die westliche Welt fürchtet um den Zugriff auf die saudischen Ölreserven, ebenso wie die Volksrepublik China und Indien. Als bekannt wird, dass China in Saudi Arabien eine Raketenstellung errichtet, um den Zugang zu den Ölfeldern notfalls mit Gewalt aufrechtzuerhalten, reagiert das Pentagon sofort. Mit dem Einsatz einer ultimativen Waffe soll der Kampf um das saudische Öl gegen den mächtigen Konkurrenten China endgültig entschieden werden.

Es ist ein reißerischer Plot, der dem Roman "The ScorpionÂ’s Gate" zugrunde liegt. Sein Autor Richard Clarke kann dennoch nicht einfach als allzu phantasievoll abgetan werden. Er war über drei Jahrzehnte lang Berater verschiedener US-Regierungen und weiß genau, wie Weltpolitik funktioniert. Sein Buch gibt in erschreckender Weise Aufschluss darüber, was große Teile der US-Eliten über die Zukunft der Energieversorgung und die damit verbundenen Konflikte denken. Szenarien à la Clarke können somit zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden. Nicht umsonst spielen Energiefragen in den militärisch-strategischen Planungen nahezu aller Staaten eine zentrale Rolle.
Zwischen den USA, China, Indien, Russland und den EU-Staaten findet längst ein massiver Kampf um Öl und andere Ressourcen statt. Noch wird er - zumindest auf zwischenstaatlicher Ebene - nicht mit Waffen ausgetragen, noch dominiert handfeste Wirtschafts-Diplomatie hinter den Kulissen. Doch mehren sich die Zeichen, dass ein "neuer Kalter Krieg" um die Rohstoffe bevorsteht. Im Kleinen wird er bereits jetzt ausgetragen, etwa wenn Venezuelas Präsident Chávez den Ölreichtum seines Landes gezielt einsetzt, um Lateinamerika von den USA abzusetzen (siehe S. 30).
Nicht nur auf globaler, gerade auch auf regionaler und lokaler Ebene führt die Frage nach den Verfügungsrechten über fossile Energievorräte zu massiven gesellschaftlichen Konflikten. Es war hauptsächlich die Forderung nach der Verstaatlichung des Erdgases, die in Bolivien zur Revolte führte und Evo Morales an die Regierung brachte. Und es ist die Erdölförderung, die beispielsweise im Nigerdelta zu einem brutalen Bürgerkrieg führte und die Bürgerkriege im Süden und Osten des Sudan finanziell ermöglicht (siehe S. 21). Die Sozioökonomie des "fossilistischen Kapitalismus" (Elmar Altvater) ist von beispielloser Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial Schwachen und der Umwelt geprägt.
Diese Rücksichtslosigkeit zahlt sich aus. In der aktuellen Fortune-Liste der weltweit 500 größten Wirtschaftsunternehmen steht der Ölkonzern Exxon auf Platz 1. Insgesamt sind fünf Ölkonzerne unter den zehn größten Unternehmen, weitere vier sind Autofirmen, die ebenfalls vom Öl abhängig sind. Die - bislang vor allem politisch bedingte - Verteuerung des Rohölpreises hat ihnen nicht schaden können, im Gegenteil. Doch zwischen bloßer Verteuerung und tatsächlicher Verknappung aufgrund der unausweichlichen Erschöpfung der fossilen Energievorräte besteht ein erheblicher Unterschied.
Die Folgen der bald zum Tragen kommenden Knappheit sind das zentrale Thema der Peak-Oil-These. Ihre ProtagonistInnen gehen davon aus, dass derzeit der Höhepunkt der weltweiten Erdölförderung erreicht ist, dass Öl immer teurer und knapper wird und es zu Versorgungsengpässen kommt. Die Folge sei eine tiefgreifende Wirtschaftskrise, die möglicherweise in Krieg münde. ZweckoptimistInnen halten der Peak-Oil-These entgegen, dass alternative Energien die entstehende Lücke schließen werden und der globale Kapitalismus dadurch einen neuen Aufschwung erfährt.

Doch auch dieses Szenario ist keineswegs erfreulich. Denn so genannte nachwachsende Rohstoffe wie Raps, Soja oder Getreide bergen nicht anders als das Öl ein riesiges Konfliktpotenzial in sich. Als Anbauregionen dafür haben die EnergiestrategInnen des Nordens diverse Länder des Südens auserkoren, wie etwa Brasilien, Indonesien und Malaysia. Sozialökologische Konflikte um Landnutzung, Ernährungssicherheit, Monokulturen und Gentechnik sind hier vorprogrammiert (siehe S. 32). Ähnliches gilt für Wasserkraft. Die derzeit wieder verstärkt als Entwicklungsoption gepriesenen Großstaudämme verursachen erhebliche ökologische und soziale Probleme (siehe S. 25). Als Retter in der Öl-Not verkauft sich auch die Atomindustrie, die ihr zwischenzeitliches Tief nach Tschernobyl mit dem Hinweis auf ihre "Nachhaltigkeit" überwinden möchte (siehe S. 36).
Angesichts dieser schlechten, systemimmanenten Alternativen zum Fossilismus ist es die kapitalistische Produktionsweise selbst, die in den Mittelpunkt der Kritik und der Veränderungsansätze rücken muss. Das geschieht in der Debatte über Energiefragen bisher viel zu zaghaft. Doch gibt es angesichts von Klimakatastrophe und Ressourcenkonflikten keine Alternative dazu.

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