Opposition unter geheimer Kontrolle

in (09.02.2007)

Oskar Lafontaine, gemeinsam mit Gregor Gysi Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, hat sich über die Schlapphüte lustig gemacht. Kürzlich nutzte er einen Auftritt

mit dem Berliner Kabarettisten Dr. Seltsam, um die Absurdität der geheimdienstlichen Überwachungen öffentlich zu machen. "Ich werde betont langsam sprechen, damit die Damen und Herren vom Verfassungsschutz im Publikum beim Mitschreiben keine Probleme haben", sagte er wie beim Diktat. "Bitte notieren Sie: Ich will nicht mehr Kanzler werden." Was Lafontaine satirisch in seinen Kabarettauftritt eingebaut hatte, hat allerdings einen ernsten Hintergrund: Die Bundesregierung hat nach einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion bestätigt, daß die Verfassungsschutzbehörde über die Linksfraktion im Bundestag eine Sachakte angelegt hat.

Es ist nicht nur absurd, wenn ein langjähriger Ministerpräsident, ehemaliger Vorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD und früherer Bundesfinanzminister vom deutschen Inlandsgeheimdienst überwacht wird. Die Observation von Abgeordneten der zweitgrößten Oppositionsfraktion im Bundestag bedeutet eine massive Behinderung der parlamentarischen Arbeit. Damit bewegt sich die Bundesregierung in der unseligen Tradition der Weimarer Republik, als die Sicherheitsbehörden und besonders die Justiz, auf dem rechten Auge blind, konsequent Sozialisten und Kommunisten verfolgten.

Ende Januar wurde publik, daß im Büro eines Abgeordneten der Linksfraktion, Unter den Linden 50, zwei versteckte Mikrofone gefunden worden waren. Für einen kurzen Augenblick gab es so etwas wie Betroffenheit bei Abgeordneten aller Fraktionen. Als Techniker dann herausfanden, daß die Mikros so noch nicht abhörfähig waren - weil zusätzliches Equipment notwendig gewesen wäre -, ging der Bundestag rasch wieder zur Tagesordnung über. Man tat den Vorfall als "schlechten Scherz" ab. In Wahrheit ist bis heute nicht geklärt, wer diese Mikros in einem Abgeordnetenbüro platziert hatte.

Es müßte Sache des gesamten Parlaments sein, sich gegen Eingriffe in die Ausübung des freien Mandats energisch zu wehren. Denn die Begründung der Bundesregierung für die Aktivitäten des Verfassungsschutzamtes gegen die Linksfraktion ist hanebüchen.

Sie stützt sich darauf, daß es "Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen" in der Linkspartei/PDS gebe. Was "linksextremistisch" ist, definiert die Bundesregierung. Ihre Absicht ist offenkundig, im politischen Meinungskampf einen Konkurrenten in eine verfassungsrechtliche Schmuddelecke zu stellen. Sie behauptet, dadurch würden weder die Ausübung des Mandats noch das Funktionieren des Parlaments beeinträchtigt.

Beschwichtigend teilte sie in ihrer Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion auch mit, der Verfassungsschutz werte nur Publikationen und Veröffentlichungen aus und setze keine nachrichtendienstlichen Mittel gegen die Abgeordneten ein. Doch gerade zu diesem wichtigen Punkt wollte sich die Bundesregierung nicht in die Karten schauen lassen. Fragen nach den Inhalten der "Sachakte" blieben unbeantwortet - um Aufgabe und Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) bezüglich der Linkspartei nicht zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen, wie die Bundesregierung begründete.

Mit dieser Geheimnistuerei wird sie aber nicht durchkommen. Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Bodo Ramelow, wehrt sich seit längerer Zeit gerichtlich gegen die Schnüffelpraxis. Kürzlich hat er einen Teilerfolg errungen. Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 2. Februar, daß den Richtern alle Akten über die Beobachtung Ramelows vorzulegen seien, auch Unterlagen mit Sperrvermerk, die Angaben über sogenannte Quellen enthalten. Ramelow hält damit die bisherige Behauptung der Bundesregierung für widerlegt, die Verfassungsschutzbehörde verwende bei der Beobachtung seiner Person keine nachrichtendienstlichen Mittel.

Nicht nur Ramelow, die gesamte Linksfraktion im Bundestag will sich mit allen juristischen Mitteln gegen ihre Überwachung wehren. Auch die Linkspartei und die WASG werden sicher nicht untätig bleiben. Denn die Bundesregierung mißbraucht ihre Macht, wenn sie eine von den beiden Parteien aufgebaute, bei der Bundestagswahl erfolgreiche Liste mit Mitteln, über die nur sie verfügt, diskreditiert. Darin liegt auch eine willkürliche Mißachtung des Wählerwillens, denn die gesamte parlamentarische Linke - mit 7000 kommunalen Mandatsträgern, 150 Landtagsabgeordneten (das ist die drittgrößte Anzahl nach CDU und SPD), 53 Bundestagsabgeordneten und sieben Mitgliedern des Europa-Parlaments - wird unter Generalverdacht gestellt. Wiederholt errang die Linkspartei bei Bundestagswahlen Direktmandate, deutlich mehr als Grüne und FDP. Sei stellt Landesminister, Bürgermeister und Landräte. Ihre stellvertretende Vorsitzende Petra Pau wurde vom Bundestag mit großer Mehrheit zur Vizepräsidentin des Parlaments gewählt. Diese Partei geheimdienstlich beobachten zu lassen und damit ihre Mitglieder pauschal unter Extremismusverdacht zu stellen, verrät ein Denken, das im Kalten Krieg steckengeblieben ist. In Frankreich oder Italien, Ländern mit einer ausgeprägten Tradition der demokratischen Linken, wäre das undenkbar.

Die Fraktionsführung hat jetzt allen Bundestags- wie auch den Landtagsabgeordneten empfohlen, Auskunft aus den geheimdienstlichen Informationssammlungen zu beantragen. Ramelow wird seinen Fall exemplarisch durchfechten. Er hat vor dem Verwaltungsgericht Köln (denn in der Domstadt ist das Bundesamt für Verfassungsschutz ansässig) Klage gegen seine Bespitzelung eingereicht.

Der erfahrene Parlamentarier Burkhard Hirsch (FDP), früher Vizepräsident des Bundestags, hat sich schon als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion in den Neunziger Jahren gegen derartige Observationen gewandt. Der Liberale, der vor dem Bundesverfassungsgericht den Großen Lauschangriff und das Luftsicherheitsgesetz zu Fall gebracht hat, hält die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten für rechtswidrig, und zwar unabhängig davon, welche Beobachtungsmittel eingesetzt werden. Er besteht darauf - was eigentlich selbstverständlich sein sollte -, daß das Verfassungsschutzamt bei seiner Tätigkeit selbst an die Verfassung gebunden sei. Hierzu gehöre, daß es die in verschiedenen Grundgesetzartikeln festgeschriebene besondere Stellung von Abgeordneten zu beachten habe. Er verweist zum Beispiel darauf, daß nach dem Grundsatz der Immunität Ermittlungsmaßnahmen gegen Abgeordnete wegen Verdachts einer Straftat nur mit Genehmigung des Parlaments eingeleitet werden dürfen. Wenn dies schon beim Verdacht einer Straftat gelte, seien Beobachtungen durch den Verfassungsschutz ohne solchen Verdacht erst recht nicht zulässig, sondern allenfalls mit Genehmigung des Immunitätsausschusses des Bundestages.

Mit dieser Argumentation weist Hirsch auf formal-rechtliche Schranken hin. Selbstbewußt können die Abgeordneten der Linksfraktion aber auch geltend machen, daß gerade sie sich für die Realisierung von Kernforderungen der Verfassung engagieren: Sozialstaatsgebot, soziale Verpflichtung des Gebrauchs von Eigentum, Verbot von Angriffskriegen, Schutz der Menschenwürde und der Bürgerrechte, Bewahrung des Grundrechts auf Asyl, Trennung von Polizei und Geheimdiensten, strikte Beachtung des Datenschutzes, aktiver Widerstand gegen Neofaschismus, um nur einige Beispiele zu nennen. Andere im Bundestag vertretene Parteien, namentlich die regierenden, habe da deutliche Defizite. Es wäre zu wünschen, daß sie sich bei ihren politischen Entscheidungen ebenfalls am Grundgesetz orientieren und den politischen Wettbewerb nicht vordemokratisch durch geheimdienstliche Überwachung von Konkurrenten - was immer Überwachung jeweils bedeuten mag, und auch wenn damit keine Mikrofone, keine V-Leute und Provokateure gemeint sind - ersetzen würden.

Die Autorin, die als Parteilose auf der Liste der Linkspartei in den Bundestag gewählt wurde, ist inzwischen in die Linkspartei eingetreten.