Der Staat heiligt die Mittel

Wieder einmal soll in Deutschland ein "Schlussstrich" gezogen, Vergangenheit "bewältigt" werden. Gefordert wird das u.a. von dem Spiegel-Redakteur Michael Sontheimer: "Seit mehr als einem ...

... Vierteljahrhundert", belehrt uns die Spiegel-Hausmitteilung, beschäftigt Sontheimer sich "mit dem Phänomen des deutschen Linksterrorismus". Anlass für seine aktuelle Intervention und Gegenstand der Spiegel-Titelgeschichte vom 29. Januar ist die Kontroverse um die ehemaligen RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. "Darf der Staat die RAF-Mörder freilassen?" fragt der Spiegel. Das Konkurrenzblatt Focus antwortet mit einem entschiedenen Nein und weiß das gesunde Volksempfinden auf seiner Seite: Nur 20% sind für eine Begnadigung von Christian Klar, 71% dagegen. Ihr wesentlicher Einwand, der von zweifelhaften ExpertInnen und Angehörigen der RAF-Opfer penetrant wiederholt wird: die "fehlende Reue" des seit 24 Jahren einsitzenden Delinquenten.

Da fällt es selbst linksliberalen Intellektuellen wie dem Rechtshistoriker Uwe Wesel schwer, mit seinem ebenso simplen wie unwiderlegbaren Argument durchzudringen: Reue ist eine theologische Kategorie, keine juristische. Die systematischen Rechtsbrüche in den RAF-Prozessen, die Wesel zu den "dunkelsten Kapiteln der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte" zählt (Frankfurter Rundschau, 26.1.07), sind im medialen Mainstream natürlich ebenso wenig ein Thema wie die in den "bleiernen Jahren" auf der anderen Seite der Barrikade straflos verübten Gewaltakte - angefangen beim Mord an Benno Ohnesorg über die polizeilichen Todesschüsse gegen "mutmaßliche Terroristen" bis hin zu den immer noch unaufgeklärten Todesfällen in den Hochsicherheitstrakten.

Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Teil der BRD-Geschichte ist bis heute auf die Existenz linksradikaler Publikationsorgane wie ak - analyse & kritik angewiesen. In der aktuellen Ausgabe blicken wir zurück auf das ereignisreiche Jahr 1977, das mit dem Schlagwort "Deutscher Herbst" nur sehr unzureichend umschrieben ist. Am Anfang standen Massenaktionen der Anti-AKW-Bewegung, die sich unversehens mit der geballten Macht der Polizeiapparate konfrontiert sah. Dabei können die Übergriffe der Staatsgewalt für uns natürlich nicht in erster Linie Gegenstand historischer Betrachtungen sein - sie sind tägliche Realität. (Seite 9/10) Was das "Gewaltmonopol des Staates" in der Praxis bedeutet, zeigt der Umgang mit PolizistInnen, die tödliche Schüsse abgegeben haben: Sie können zunächst einmal mit sofortiger dienstlicher und psychologischer Betreuung rechnen; lässt sich der Schusswaffengebrauch im Nachhinein nicht rechtfertigen, hat es sich eben um ein bedauerliches Versehen gehandelt. Der relativ häufige Tatbestand der "Körperverletzung im Amt" führt fast nie zur Verurteilung: Von den etwa 1.000 Fällen, die jährlich allein in Berlin angezeigt werden, kommen nur ganze zwei Prozent überhaupt vor Gericht. In Ermangelung eines passenderen Begriffs muss man das wohl Klassenjustiz nennen.

Für die in der aktuellen Debatte um die RAF geforderte Versöhnung des Rechtsstaates mit seinen linken GegnerInnen (und umgekehrt) fehlt jede Grundlage. Den Law-and-order-PropagandistInnen muss man fast dankbar sein, dass sie auf ihre Weise für klare Verhältnisse sorgen. Wenn CSU-Generalsekretär Markus Söder davor warnt, "das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat durch die Freilassung von RAF-Terroristen zu enttäuschen", dann bringt er damit das herrschende Verständnis vom Rechts-Staat auf den Punkt. Ohne gnadenlose Härte ist dieser Staat nicht zu machen.

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 514/16.2.2007