Überwachte Unabhängigkeit

in (30.03.2007)

"Wenn sie den Vorschlag für den Status durchgelesen, genauer: verstanden hätten, so hätten sie keinerlei Grund für irgendwelchen Protest.

Deshalb muß ich ihnen allen, die protestieren, mitteilen, daß sie damit vor allem das riskieren, wovon sie träumen und was mit dem Status von Kosovo verbunden ist." Diese zwei Sätze wurden Ende Februar von den albanischsprachigen Rundfunk- und Fernsehstationen in Kosovo in kurzen Abständen immer wieder gesendet. Sie stammen aus einem Interview, das der UN-Sonderbotschafter für die Verhandlungen über den Status von Kosovo, der finnische Ex-Präsident Ahtisaari, dem Nachrichtensender KTV Kohavision in Pristina gegeben hatte. Vereinfacht gesagt, rief er die Albaner, die die sofortige Unabhängigkeit des Gebietes fordern, mit dieser Botschaft auf, doch nicht so blöd zu sein, gegen seinen Plan, wie geschehen, zu demonstrieren, da mit diesem doch der "Traum" von der endgültigen Lostrennung von der Republik Serbien Wirklichkeit werden soll.

In der Tat: Der Ahtisaari-Plan enthält nahezu alles, was albanische Separatisten für Kosovo erträumen: eigene Verfassung, Streitkräfte, Flagge und Hymne, das Recht, internationale Verträge abzuschließen, Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie UNO und Weltbank. Um seinen angeblichen Kompromißcharakter zu demonstrieren, sichert er den noch nicht vertriebenen Serben einige Sonderrechte zu, den Schutz ihrer Klöster und Kirchen sowie das Verbot, Kosovo mit anderen Staaten (sprich: Albanien) zu vereinigen. Damit die Vorherrschaft von EU und NATO im Zentrum des Balkans erhalten bleibt, soll dieser Kosovo-Status nach dem Muster von Bosnien-Herzegowina von einem "Internationalen Zivilen Repräsentanten", einer EU-Polizeitruppe und einer "Internationalen Militärpräsenz" gesichert werden. Summa summarum: Kosovo soll endgültig von Serbien abgetrennt werden und vorerst eine "überwachte Unabhängigkeit" erhalten.

Kein Wunder also, daß der Plan in Belgrad auf entschiedene Ablehnung stößt. Auf seiner ersten Sitzung nach der Neuwahl hat die Skupstina mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, mit der sie "die Politik der Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität Serbiens" bekräftigt. In der Resolution wird betont, daß mit dem Ahtisaari-Plan "rechtswidrig die Grundlagen für die Schaffung eines neuen unabhängigen Staates auf dem Territorium Serbiens gelegt werden". Zur Begründung hatte der amtierende Ministerpräsident Kostunica betont: "Wer mit Gewalt Serbien zerstückeln will, muß sich bewußt sein, daß er die Verantwortung für alle Folgen dieses Gewaltaktes übernimmt." Indem er die Bereitschaft erneuerte, Kosovo "ein größtmögliches Maß an Autonomie" zu gewähren, erklärte er wörtlich: "Serbien ist überzeugt, daß wir über die stärkste mögliche Waffe für die weiteren Verhandlungen verfügen: Diese unbesiegbare Waffe ist das Recht und die Gerechtigkeit."

Das hat er gut gesagt, so, als ob sich die NATO und die EU schon immer von dieser "unbesiegbaren Waffe" beeindrucken ließen. Schließlich war es gerade Ahtisaari, der im Juni 1999 nach dem 78tägigen NATO-Aggressionskrieg den Serben die Pistole auf die Brust setzte und ihre Zustimmung zur Besetzung Kosovos durch den Kriegspakt erzwang. Damals handelte er gemeinsam mit Jelzins Sonderbeauftragtem Tschernomyrdin. Heute setzen die Serben ihre ganze Hoffnung auf das Rußland Putins und dessen Veto im Weltsicherheitsrat. Ob sie sich erfüllt, wird sich zeigen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat der russische Präsident immerhin zu den Verhandlungen über den Kosovo-Status erklärt: "Wenn wir sehen, daß eine Seite mit der vorgeschlagenen Lösung nicht zufrieden ist, werden wir einen solchen Beschluß nicht unterstützen." Und sein Außenminister Lawrow äußerte: "Unsere westlichen Partner tragen sich mit der aufdringlichen Idee, schnellstmöglich einen Resolutionsentwurf einzubringen, der den Ahtisaari-Plan billigen würde. Diesen Vorschlag können wir erst dann prüfen, wenn klar geworden ist, daß dieser Plan oder seine modifizierte Variante zwischen Pristina und Belgrad abgestimmt ist." Da inzwischen auch die erneuten serbisch-albanischen Verhandlungen unter der "Vermittlung" des finnischen Ex-Präsidenten in Wien wie das Hornberger Schießen ausgegangen sind, hat Moskau diese Position noch einmal bekräftigt.

Der schwarz-roten Regierung in Berlin ist die Haltung Rußlands ein Dorn im Auge. Außenminister Steinmeier unterstrich unmittelbar nach der Erklärung seines russischen Amtskollegen, daß der Sicherheitsrat auch ohne eine Einigung zwischen den Kosovo-Albanern und den Serben entscheiden müsse. Drohend fügte der aggressionserfahrene ehemalige Chef des Bundeskanzleramtes hinzu: "Würde er (Ahtisaari) eine zwangsweise Rückführung des Kosovo in das serbische Staatsgebiet vorschlagen, dann bedeutete dies Krieg." Was heißt hier "Rückführung"? Der deutsche Außenminister, der sich zumindest in Grundfragen des Völkerrechts auskennen müßte, sollte doch zumindest wissen, daß in der Schlußakte der KSZE die Unverletzlichkeit der Grenzen der europäischen Staaten festgeschrieben ist und daß Kosovo trotz zeitweiliger ausländischer Besetzung, Vertreibung und Ghettoisierung der serbischen Bevölkerung laut der Sicherheitsrats-Resolution 1244 untrennbarer Bestandteil der Republik Serbien ist. Doch wie Washington und London spekuliert Berlin darauf, Rußland mit wohlfeilen Argumenten und notfalls mit erpresserischen Druck von der Notwendigkeit zu überzeugen, der Unabhängigkeit Kosovos zuzustimmen. Dabei zieht Steinmeiers Truppe in Betracht, daß im April Großbritannien den Vorsitz im Weltsicherheitsrat übernimmt und im Mai die USA dem entscheidenden Gremium vorsitzen werden. Sollte bis dahin alle Überzeugungsarbeit fehlschlagen und Rußland bei seiner ablehnenden Haltung bleiben, gäbe es immer noch den G-8-Gipfel in Heiligendamm, um den aufmüpfigen Putin weichzuklopfen. Die Vorarbeiten sind bereits im Gange. In vertraulichen diplomatischen Gesprächen, deren Inhalt natürlich rein zufällig in einige Medien sickerte, wird darauf aufmerksam gemacht, daß im Falle eines russischen Vetos im Sicherheitsrat - bei erwarteter chinesischer Stimmenthaltung - nicht zu verhindern wäre, daß das Parlament in Pristina einseitig die Unabhängigkeit Kosovos ausruft. Dann aber könne das Pulverfaß Balkan erneut explodieren, woran auch Moskau kein Interesse haben könne. Die Lunte ist wieder einmal gelegt, und Berlin zündelt mit.

Anfang der 1990er Jahre hat die Bundesrepublik tatkräftig dazu beigetragen, den Vielvölkerstaat Jugoslawien zu zerschlagen. 1999 hat sie sich unter dem Vorwand, eine "humanitäre Katastrophe" und eine angebliche ethnische Vertreibung der Albaner aus Kosovo zu verhindern, an der Aggression gegen Jugoslawien beteiligt. Als eine der Besatzungsmächte in dem südserbischen Gebiet hat sie tatenlos der Vertreibung der Serben und anderer nichtalbanischer Bevölkerungsgruppen zugesehen. 2006 half sie, den Staatenbund Serbien und Montenegro zu sprengen und den Namen Jugoslawien von der Landkarte zu tilgen. Jetzt beteiligt sie sich aktiv daran, einen Teil des Staatsgebietes der Republik Serbien, Kosovo und Metohien, abzutrennen und damit erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg europäische Grenzen zu verändern. Ein Bruch des Völkerrechts und ein gefährlicher Präzedenzfall obendrein!

Wie hieß es doch in der "Charta von Paris für ein neues Europa" von 1990, in der das Ende des Kalten Krieges gefeiert wurde und unter der auch die Unterschriften des deutschen Bundeskanzlers und des jugoslawischen Präsidenten stehen: "Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen...Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker und die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an ...Wir (erneuern) unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Handlung ... zu enthalten." Das Original der "Charta von Paris" wird im Archiv des französischen Außenministeriums am Quai dÂ’Orsay aufbewahrt. Dort liegt es sicher und gut.

Ostern wird der Dichter Peter Handke, begleitet vom Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann, und den drei Initiatoren des Berliner Heinrich-Heine-Preises, Rolf Becker, Käthe Reichel und Eckart Spoo, die von mehr als 500 Stiftern aufgebrachten 50.000 Euro, mit denen der ihm verliehene Preis dotiert ist, in die serbischen Enklaven im Kosovo bringen - "Dörfer, die, allseits umzingelt, im Elendstrichter von Europa vegetieren müssen, beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat = Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben" (Handke).