José Bové Président?

Kommentar

Der tumultuöse Wahlkampf um die Staatspräsidentschaft in Frankreich verkommt endgültig zur Farce.

Dieweil kritische Kunstschaffende und Intellektuelle, bewaffnet mit Mikrophon, Gitarre oder Feder, lautstark die Reihen schließen gegen den berüchtigten Kandidaten der Rechten, Frankreichs ehemaligen Innenminister Nicolas Sarkozy, entdeckt Ségolène Royal, Kandidatin der Sozialistischen Partei und vorgeblich "linke Alternative" an der Wahlurne, ihr Herz für die Nation. Wenn es nach ihr ginge, so Frau Royal Ende März, sei Schluss damit, dass Fußballspieler bei Länderspielen die Marsaillaise nicht mitsängen. Alle Französinnen und Franzosen seien gehalten, die Fahne ihres Vaterlandes im Hause zu haben, und hätten diese, bitte schön, am 14 Juli [dem französischen Nationalfeiertag] auch aus dem Fenster zu hängen. Notfalls müsse man der patriotischen Unlust der Bevölkerung mit den Mitteln des Gesetzgebers abhelfen. Im Süden der Republik erhob sich daraufhin Geschrei: Faschistenführer Jean Marie Le Pen beschuldigte Frau Royal des geistigen Diebstahls, erklärte, er fordere schon seit Jahren "mehr Fahnen und mehr Stolz" und äußerte seine Zuversicht, das Wahlvolk werde ein politisches "Original" - nämlich ihn - von einer billigen Kopie unterscheiden können.

Das alles wäre sicher lustig, wenn sich nicht auch die (bisher) außerparlamentarische Linke entschlossen hätte, in diesem großen Wahlzirkus ein paar Kapriolen vorzuführen. Ihr Kandidat ist niemand anders als Frankreichs bekanntester Schnauzbartträger, der "wiedererstandene Asterix" (Écoute), Anti-Globalisierungsaktivist und Bauerngewerkschafter José Bové. Der hat am 1. Februar 2007 offiziell seine Kandidatur um das Amt des Präsidenten bekannt gegeben, nachdem ein parteiübergreifendes Bündnis Uni-e-s avec Bové [´Gemeinsam mit Bové´, in feminisierter Schreibweise] ihm mehrere tausend Unterschriften vorgelegt hatte. In Frankreichs Medienwelt ist Bové kein bloßer Popstar. Er ist schon fast eine Karikatur. Jugendliche können im Internet in die Haut eines Zeichentrick-Bové schlüpfen, um im Kampf gegen McDonalds, WTO, Bauernmultis und Nichtregierungsorganisationen "die Welt zu retten" - mehrmals täglich, gerne auch gemeinsam, und nach Schwierigkeitsgrad geordnet. Das Spiel ist kostenlos. Bové dürfte kaum Möglichkeiten haben, seiner öffentlichen Wahrnehmung als zweidimensionaler Superheld des Widerstands entgegenzuwirken. Sein mediales Image aber ist ein erstes böses Zeichen, wie seine Kandidatur in Frankreich tatsächlich wahrgenommen wird: Nämlich als Witz.

Zum Lachen ist ihm allerdings gar nicht. Pünktlich zum 1. März erschien sein "Wahlprogramm" in Form eines Buches beim französischen Verlagsmulti Hachette: "Candidat Rebel" [´Rebellischer Kandidat´]: "Ich will helfen, die Rechte und extreme Rechte zu schlagen", heißt es im Vorwort: "Ich will Hoffnung machen auf eine wirkliche Alternative von Links". Dies war so ziemlich die letzte ernsthaft politische Äußerung José Bovés. Seither stehen - first things first - die Notwendigkeiten des Wahlkampfs im Vordergrund.
Bové hatte im Februar die Kandidatur nur unter der Bedingung angenommen, dass andere linke Parteien (Kommunisten, Grüne, Trotzkisten etc.), aus deren Reihen er durchaus Unterstützung erfährt, keine eigenen Kandidaten aufstellen würden. Prompt kürte die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) ihre Vorsitzende Marie-Georges Buffet mit 96% der Stimmen zur Kandidatin für das Amt des Staatspräsidenten. Als angesichts ihres "überwältigenden Wahlerfolgs" an der Basis ein misstrauisches Gemurmel laut wurde, musste die Wahl wiederholt werden. Frau Buffets Stimmanteil sank auf 81%. Auch Grüne und Trotzkisten können sich nicht recht mit dem Gedanken anfreunden, auf eigene Clowns und Feuerschlucker im großen Zirkus zu verzichten. Für Bové bedeutet das mehr Arbeit. Denn als Parteiloser darf er nach französischem Recht nur kandidieren, wenn mindestens 500 gewählte Volksvertreter seine Kandidatur unterstützen. Und so reist Bové von Gemeinde zu Gemeinde, diniert mit Präfekten und Abgeordneten, und in der Presse wirbeln die Gerüchte: Hat er tatsächlich schon 476 "parrainages" [´Patenschaften´] beisammen? Sind es nur 451? Hat er überhaupt welche?

In den 90er Jahren, nach der spektakulären Demontage einer McDonalds-Filiale im südfranzösischen Millau, brachte Bové es auf bewundernswerte Weise fertig, das übersteigerte Medieninteresse an seiner Person immer wieder zu nutzen, um Position und Ziele diverser Nichtregierungsorganisationen, vor allem der kämpferischen Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne, öffentlich ins Gespräch zu bringen. Bei seiner gegenwärtigen Kampagne kann davon nicht die Rede sein. José Bové ist in eine Arena gesprungen, in der politische Inhalte nicht nur wenig zählen, sondern sogar den Erfolg der Kampagne behindern können. Guter Wille allein genügt nicht, um die eisernen Regeln des parlamentarischen Geschäfts auszuhebeln. Das Publikum will Schau; nicht komplizierte Reflexion, sondern - wenn überhaupt - den unbeugsamen Gallier.

Bovés Kandidatur setzt die Sozialistische Partei in keinster Weise unter Druck, wenn sich die als Fähnlein der Linken aufspielt. Die tatsächliche Linke bietet mit ihrem Gezerre um Bové ein desolates, Mitleid erregendes Bild. Namhafte Bürgerinitiativen und kämpferische Gewerkschaften halten demonstrativ auf Abstand. Als Ausweitung eines kraftvollen außerparlamentarischen Widerstands hätte der Marsch des José Bové durch die Institutionen vielleicht sinnvoll werden können. So ist er nur ein Marsch ins politische Abseits. Man hätte ihm gewünscht, er wäre sich zu schade gewesen, seinen Ruf und seine Glaubwürdigkeit derart leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Als der großartige, politisch höchst aktive französische Komiker Coluche, rund und gedrungen wie er war, mit der dreifarbigen Schärpe des Provinzpräfekten auf die Bühne kam und mit weit ausladender Geste verkündete, er kandidiere für das Amt des Präsidenten der Republik, erntete er begeistertes Gelächter. José Bové hat die Sendung damals wohl nicht gesehen.

Joseph Steinbeiß

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 319, 36. Jahrgang, Mai 2007, www.graswurzel.net