Klimaschutz hat Priorität

Da kann einem doch nicht bang werden. Der Klimaschutz wird zum (fast) wichtigsten Betätigungsfeld der Politik. Eine kluge Untersuchung reiht sich an die nächste. Die britische Regierung veröffentlicht den „Stern- Report“. Al Gore, der beinahe anstatt des Amtsinhabers George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden wäre, reist über den Globus, warnt vor der Klimakatastrophe und erhält auch noch einen Oscar dafür.Auch die Vereinten Nationen veröffentlichten Mitte Februar ihren Klimabericht. Alle Studien stimmen überein: Das Weltklima wird wärmer. Die Erwärmung wird katastrophale Folgen haben. Um die Erwärmung einigermaßen in Grenzen zu halten, darf der Ausstoß an Kohlendioxid und anderen Abgasen aus Industrie, Landwirtschaft und Verkehr nicht mehr weiter gesteigert werden. Längerfristig muss das Emissionsniveau sogar sinken. Obwohl es weder Massenproteste noch spektakuläre, fernsehfreundliche Aktionen von Greenpeace gibt, wird sogar die Bundesregierung in dieser Sache tätig. Ihre Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, erklärt den Umwelt- und Klimaschutz zum wichtigsten Thema ihrer ein halbes Jahr währenden Präsidentschaft des Europäischen Rates. Das ist kein leeres Gerede. So eine EU-Ratspräsidentin kann erheblichen Einfluss nehmen auf die Tagesordnung der Regierungstreffen der Mitgliedstaaten. Sie kann auch der EUKommission und den von der Kommission erarbeiteten Richtlinien erhebliche Impulse in die eine oder andere Richtung geben. Wir wissen ja auch, dass Frau Merkel unter Kanzler Helmut Kohl als Umweltministerin tätig war. Nimmt man die Studien ernst, und das tun unsere Regierungen ja, dann sollte man eine Reihe von strikten Gesetzen und Regeln erwarten, die den Ausstoß an Kohlendioxid und der anderen Klima verändernden Gase alsbald strikt einschränken.

Flugbenzin

Noch etwas anderes stimmt hoffnungsfroh: In den Subventionsbericht der Bundesregierung hatte Finanzminister Peer Steinbrück schon vor einem Jahr den markanten Satz schreiben lassen: „Die Begünstigung des gewerblichen inländischen Flugverkehrs ist abzubauen“. Damit hatte Steinbrück die seit Ende des 2. Weltkrieges bestehende Freiheit der Flugzeuge von jeglicher Steuer auf den von ihnen getankten Treibstoff gemeint. Die Steuerfreiheit von Flugbenzin gehört zu den Dauerbrennern der Umweltpolitik. Es ist seit Jahren unbestritten, dass eine ähnlich hohe Steuer auf Flugbenzin wie auf Autos massive positive ökologische Wirkungen hätte. Mit der Forderung nach einem Ende der Steuerbefreiung auf Flugbenzin als Bestandteil ihres Programms sind die Grünen in die Regierung Schröder eingetreten, und dabei ist es geblieben. Die Bahn hat gegen die Bevorzugung des Luftverkehrs vor dem EU-Gerichtshof geklagt, ihre Klage wurde abgeschmettert.Wenn sich Bundesregierungen die Mühe machten, Gründe für die Fortdauer der Steuerbefreiung von Flugbenzin vorzubringen, verwiesen sie darauf, dass Flugzeuge gut außerhalb des Landes aufzutanken seien und internationale Verträge im übrigen ein einseitiges Vorgehen der Bundesrepublik verböten. Was für eine wunderbare Möglichkeit für Frau Merkel, ökologische Schwerpunkte während ihrer EU-Ratspräsidentschaft zu setzen und eine EU-weite Besteuerung dieses umweltschädlichsten Verkehrsmittels durchzusetzen. Allein, sie scheint die Prioritäten ihrer ökologisch geprägten Ratspräsidentschaft anders setzen zu wollen. Schließlich gibt es auch den Autoverkehr. Angesichts der Masse an Fahrzeugen, die auf den europäischen Straßen herumstehen und gelegentlich auch fahren, könnte jedes Gramm weniger Schadstoffausstoß je Auto schon ein erklecklicher Umweltbeitrag sein. Als daher der konservative griechische EU-Kommissar Dimas vorschlug, jeder Autohersteller solle den Austoß an CO2 der von ihm produzierten PKW in einigen Jahren im Durchschnitt auf 120 g pro km beschränken, hätte man eine freudig erregte Kanzlerin erwarten dürfen. Der Vorschlag würde die Autohersteller dazu veranlassen, Energie sparende Fahrzeuge zu bauen und eher kleine Autos als große Spritfresser anzubieten.

Dicke Autos

Beinahe wohl wäre Frau Merkel solch platten ökologischen Argumenten aufgesessen. Das wurde nur verhindert durch den selbstlosen Einsatz des VDA, des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Er wies darauf hin, dass eine solche radikale Regelung für die deutschen Autohersteller erhebliche Nachteile haben würde. Denn deutsche Autos wie BMW, Mercedes, Audi und Porsche sind mit starken Motoren ausgestattet, sie kosten viel, werden in aller Welt von Unternehmen als Dienstfahrzeuge und von begüterten Privatleuten gern gekauft, tragen zum Bruttosozialprodukt entsprechend viel bei, verbrauchen bei der Entfaltung ihrer Leistungsfähigkeit auf der Straße mehr Benzin als andere Fahrzeuge und stoßen damit – leider – auch mehr Schadstoffe aus als andere. Diese schnellen, technisch hochwertigen Gefährte per EU-Order auf ebenso niedrigen Ausstoß und Benzinverbrauch zu verpflichten wie dahergelaufene Kümmerprodukte von Honda, Fiat oder Renault, hieße die deutsche Autoindustrie abzuwürgen und die deutsche Wirtschaft dazu. Gut, dass eine EU-Ratspräsidentin etwas zu sagen hat. Frau Merkel jedenfalls gelang es einen Kompromiss zu erwirken. Er besteht darin, dass die EU-Regierungen nach wie vor dem Umwelt- und Klimaschutz höchste Priorität widmen wollen, dass sie ferner die Vorschläge von EU-Kommissar Dimas zur Kenntnis nehmen und gespannt auf neue Vorschläge warten. Gut ist auch, dass unser Land nicht nur über eine umweltbewusste Kanzlerin, sondern auch um einen Umweltminister namens Sigmar Gabriel verfügt. Er vertritt im Kabinett nicht nur die Ökologie, sondern auch das Hochmoderne in der SPD und repräsentiert damit ein Stück Kontinuität zur Vorgängerregierung Schröder. Er sorgt dafür, wenn das jemals nötig werden sollte, dass Umweltschutz nichts kostet sondern vielen neuen, vor allem aber alten und großen Unternehmen vielfältige Gewinnmöglichkeiten bietet. Das ist das moderne Denken: Es werden neue Energien gefördert, nicht etwa alte, dreckige behindert. So hat sich dank segensreicher Förderung ein ganz neuer Wirtschaftszweig entwickelt. Es ist der Handel mit Verschmutzungsrechten. Das funktioniert so genial, wie nur freie Märkte funktionieren können: Wer beispielsweise Kohlekraftwerke betreibt und entprechend viel Dreck und Abgas in die Atmosphäre schleudert, muss sich entsprechend viele Verschmutzungsrechte besorgen. Die kann er dank kluger Gesetzgebung schon heute an der Börse erwerben. Klar, dass die Kosten dafür letztlich auf den Strompreis aufgeschlagen werden. Noch besser ist freilich, dass die Kraftwerksbetreiber zur Sicherstellung der Versorgung – und überhaupt wegen der Gerechtigkeit – die Masse der Verschmutzungsrechte schon vorab zugeteilt bekommen. Nur für die Spitzen ihrer Stromproduktion müssen sie Rechte zukaufen. Das ändert an der segensreichen Wirkung des Handels nichts. Er blüht und hält frühere Aktienmakler in Lohn und Brot. Und die festgestellten Preise schieben den Endpreis für Strom hoch.

Windräder

Hohe Strompreise sind ja nicht schlecht. Sie machen uns alle vorsichtiger im Umgang mit Energie. Wichtig für Gabriel bleibt aber, die Energieindustrie zu fördern, nicht nur zu fordern (wie die Arbeitslosen). Die Nutzung neuer Energien soll bis 2020 verdoppelt werden. Bioenergie gehört seit neuem dazu. Die Getreidepreise steigen schon. Bisher waren die lieblichen Windräder der Renner. Die staatliche Einspeisungsvergütung hat eine ganze Industrie entstehen lassen und Börsenwerte dazu, die jetzt Stück für Stück von etablierten Stromerzeugern oder von als Finanzinvestoren getarnten Heuschrecken aufgekauft werden. Den großen Stromkonzernen in Deutschland hat es nicht geschadet. Der größte, Eon, kauft gerade den größten Stromerzeuger Spaniens, Endesa, auf. Der zweitgrößte, RWE, wird seinen Vorstandsvorsitzenden ersetzen, weil er zu viel Barreserven ungenutzt auf der Aktivseite der Bilanz liegen lässt. Die Stromversorger und ihre Aktionäre haben nur eine Sorge, sie leiden unter zu hohen Einkünften. Auch dieses freundliche Krankheitsbild bei den Konzernen können sich die Regierungen dieser Republik gutschreiben. Herr Gabriel denkt überdies noch weiter. Umweltschutz ist nämlich auch gut für den Export. In einem Interview mit der Financial Times Deutschland warnt er davor, dass in den USA im vergangenen Jahr Windräder mit höherer Energieleistung gebaut worden seien als in Deutschland. Die führende Stellung der deutschen Ökoindustrie sei in Gefahr. Was könnte uns größere Zuversicht geben? Umweltschutz und Klima sind bei deutschen Regierungen in besten, kompetenten Händen. Schon um der freundlichen Konzerne willen muss das so sein.

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