"Ich liebe unreine Reime"

Wie funktioniert HipHop? Welche Spielregeln gibt es? Und wieso konnten Hélène Cixous und HipHop die Schreibblockade der Mieze Medusa lösen?

an.schläge: "Kein Superman zu sehen, der die Welt rettet" ist ein Satz aus einem Song von dir. Wie funktioniert denn der Flow mit deinen komplizierten Texten?

Mieze Medusa: Ich komme auf jeden Fall vom Text her. Das wird mir auch vorgeworfen. Leute, die nicht vom HipHop kommen, können mehr mit meinen Texten anfangen als klassische HipHoperInnen. Tenderboy-Beats werden im HipHop nicht anerkannt. Unsere Richtung gilt mehr als elektronische Musik. HipHop ist ein sehr strenges Format, da soll alles ein Reim, am besten noch ein Doppel- oder Schüttelreim sein. Dieses sprachliche Korsett wird extrem hoch gehalten. Ich unterstelle auch, dass viele Leute von zeitgenössischer Lyrik keine Ahnung haben. Was es bedeutet, Lautverschiebungen zu machen, mit Bildern zu spielen. Ich besitze ein gewisses Wissen, was Sprache betrifft. Ich habe nur keine Lust, ausgefeilte Doppelreime zu machen, obwohl mir solche Tracks schon gefallen. Ich liebe halt unreine Reime und ich vermute, dass die Szene denkt, ich kann keine reinen Reime, aber das ist ein Missverständnis. Ist mir aber auch egal. Ich arbeite daran, dass ich mir Türen in andere Richtungen aufmache. Vor allem zur Prosa, aber ich fahre auch die Spoken-word-Schiene und bin als Organisatorin tätig.

Kann der Rhythmus diese tollen Texte tragen?

Die Texte, die auf Beat landen, sind immer zum Beat geschrieben. Wir stehen uns da nicht im Weg. Bei den Live-Konzerten hören die Leute nicht in erster Linie auf die Texte. Es ist mir nicht so wichtig, was von meinen Texten und Inhalten mitgenommen wird. Ich will, dass das Publikum sich die Textzeilen heraus pickt, die für sie relevant sind. Die landen schon dort. Ich war in meiner Jugend glühende PJ Harvey Verehrerin. Jede Zeile von ihr war für mich Lebenselixier. Mit 16 Jahren habe ich eine Platte von ihr rauf und runter gehört, obwohl ich mit meinem Englisch viel falsch verstanden habe. Hat mir aber trotzdem viel gegeben. Das ist der Knackpunkt. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass ich kontrollieren kann, was beim Publikum ankommt, ich habe aber auch überhaupt nicht das Bedürfnis. Die Texte sind für die Beats geschrieben, dürfen aber auch ein bisschen untergehen, denn die Beats von Tenderboy bringen die Gefühlsebene ein. Früher habe ich zu meinen Texten Beats gesucht und geklaut. Ich bin extrem happy damit, dass ich einen Beat habe, auf den ich aufbauen kann.

Wie siehst du die ursprüngliche Aufgabe des Master of Ceremony, der zum Tanzen animierte?

Ich organisiere diesen Textstrom Poetry Slam, gemeinsam mit Diana Köhle. Übers Moderieren und Kommentieren habe ich mich mit diesem MCtum ein bisschen anfreunden können. Früher habe ich das total gehasst. Man ist verantwortlich dafür, das Publikum bei der Stange zu halten, aber das macht auch großen Spaß. HipHop ist in den USA, wo er her kommt, eine schwarze Kultur, die haben eben diesen religiösen Background, die Community-Churches mit dem "Rede/Widerrede-Prinzip". Deswegen stört es mich überhaupt nicht, wenn das eine amerikanische Band macht, die das Backing hat, finde es aber ganz fürchterlich, wenn es eine heimische Band macht - das erinnert mich an Club Med. Ich bin eine säkulare Mitteleuropäerin und ich will selbst entscheiden, wann ich klatsche oder meine Hände hebe. Das ist ein kultureller Unterschied und in dem Punkt wurde unnötig kopiert. Dass man aber als Künstlerin mit dem Publikum redet und das Publikum mitnimmt auf die Reise, davor habe ich großen Respekt. Es wäre schön, wenn wir in Europa eigene Mittel dafür finden könnten, weil wir diese Tradition nicht haben. Wenn wir mit dem "Ich sag, Ihr sagtÂ’s" groß geworden wären, sähe das anders aus.

Ist HipHop nicht auch eine Art von Streitkultur in einer Gesellschaft, in der nicht gestritten wird?

Dissen ist, dass man sich gegenseitig befetzt und niedermacht. Etwas anderes ist, wie man mit dem Publikum umgeht. Ich kann mich nicht aufregen, wenn mich wer in seinen Text einbaut. Manchmal baut ein Nachwuchsrapper alle die ein, die ihm die Hände reichen würden und stößt sie vor den Kopf. Alle tun so, als sei Dissen so cool und dann sind sie aber doch beleidigt. Ich mag auch Disstracks. Es ist ja nur ein Sprechakt. Wenn man Humor hat und sich selber nicht so wichtig nimmt, trifft das auch nicht. Der Unterschied ist: Es gibt das lustig und cool mit Sprachwitz oder dumpf und verletzend. Ich persönlich mache kein Disstracks, dazu fehlt mir eventuell die Streitkultur, oder weil ich überall etwas Cooles drin sehen will.

Wer hat dich inspiriert? Was ist dein Motiv zu rappen?

Es haben mich sprachlich Leute geprägt. Ingeborg Bachmanns Kurzprosa zum Beispiel, die die Spannung hängen lässt. Mike Ladd, der immer sehr konzeptlastige Alben macht oder die New Yorkerin Jean Grae, die beste Rapperin ever oder Kinderzimmer Productions, die in der Szene auch erst sehr spät wahrgenommen wurden. Die sind kluge Musiker und lassen sich in kein Schema pressen. Die haben keine HipHop-Crowd. Die lokale Hardcore-Szene in Linz hat mir sehr gefallen, aber textlich hat mich das nicht so beeindruckt. Fettes Brot, Blumfeld Â…

Warum musste es unbedingt HipHop sein?

Warum einem eine Kunstform taugt, ist nicht beantwortbar. Warum ich mich im HipHop so daheim fühle Â… - es hätte genauso sein können, dass ich mich bei gewissen Institutionen des Literaturbetriebs daheim fühle, die sind ähnlich gastfreundlich wie die HipHop-Szene (lacht). Ich habe es auf sechs Jahre Blockflöte gebracht, singen kann ich nicht, da war Rappen eine Kunstform, bei der ich dachte: Wörter und Aggression dahinter, das kann ich. Das ist auch die gleiche Geschichte, warum ich zu meinem Pseudonym gekommen bin. Ich wollte immer schreiben, aber ich habe mich nicht recht getraut, bis ich 25 Jahre alt war. Dann ist mir Helene Cixous in die Hände gefallen mit ihrem Artikel "Das Lachen der Medusa". Die HipHop Szene glaubt, ich beziehe mich auf die Medusa, die antike Mythologie und Versteinerungen - das stimmt aber nicht. In Cixous Artikel tritt die Medusa als feministische Figur auf, die halt doppelt gefickt war, weil sie erst vergewaltigt wurde und dann auch noch mit einem Fluch belegt. Das Lachen der Medusa ist dann diese Position - aber sie lacht trotzdem. Im Ausgegrenztsein zu einer Stärke finden.
Auf diese Art kämpfen habe ich zum Glück nicht mehr müssen. Trotzdem schreibt Cixous sehr viel über Frauen, die nicht zu schreiben wagen und warum sie nur Tagebuch schreiben und sich an die Kunst nicht heran trauen. Das hat für mich genauso gestimmt. Deswegen habe ich mir die Medusa genommen. HipHop löste meine Schreibhemmung. Weil, wenn du Angst vor dem leeren Blatt Papier hast, dann hilft es, eine Kunstform zu finden, die extrem starre Regeln hat. Es ist ein Reimschema Pflicht. Millionen von Wörtern sind dann weg, denn es muss sich aufÂ’s Vorwort reimen. Dann kannst du aber genauso entscheiden, ich will nicht reimen und du reibst dich an diesem Korsett, das erst einmal sehr einschränkt - und deswegen diese unendliche Möglichkeit an Sprache herunterbricht und für mich zugänglich gemacht hat. Gleichzeitig ist dieses Spiel extrem spannend und macht mir sehr viel Spaß. Deswegen die Mieze Medusa, als weibliche Form von MC, weil diese weibliche Form von Babe Image verspricht, was dann die Medusa mit einem Faustschlag heraus nimmt.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at