Gv-Weizen vor Gericht

Im vergangenen Jahr wurde in Gatersleben auf dem Gelände von Deutschlands größter Genbank im Rahmen eines Freisetzungsversuches Winterweizen ausgesät. Der "Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg" (VERN) hat dagegen geklagt.

Interview mit Rudi Vögel

Rudi Vögel ist Mitarbeiter im Landesumweltamt des Landes Brandenburg und im Vorstand des Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg e.V. Der VERN im Internet unter: www.vern.de.

Der VERN trägt die Klage gegen die Genehmigung der Freisetzung von gen-technisch verändertem Weizen in Gatersleben. Warum?

Die Genbank muss möglichst mit absoluter Sicherheit gewährleisten, dass die Aufbewahrungsobjekte, das heißt die Saatgutmuster, rein bleiben. Es ist in diesem Zusammenhang nicht zu akzeptieren, dass die Institution, die für die Unversehrtheit der Sammlung Sorge zu tragen hat, gleichzeitig eine Freisetzung durchführt, die genau diese Unversehrtheit gefährdet. Und das gilt auch, wenn es nur ein gewisses Risiko für eine Beeinflussung gibt.

Was hat der VERN mit der Genbank zu tun?

Der Verein ist Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegründet worden, um die in Genbanken eingelagerten alten Kultursorten wieder in Nutzung zu nehmen. Insofern ist der Verein auch abhängig davon, gut mit der Genbank zusammenzuarbeiten. Damals waren leitende Mitarbeiter der Genbank in Gatersleben entscheidende Impulsgeber für die Gründung des VERN und die Genbank als Organisation ist Gründungsmitglied des Vereins. Insofern war es für uns schon bemerkenswert, dass wir es jetzt mit einem Partner zu tun haben, der sich doch sehr anders verhält, als wir es gewohnt waren. Der VERN ist insofern etwas besonderes, als dass er sich - in Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Betrieben - von Anbeginn an damit beschäftigt hat, Nutzpflanzen für ihren kommerziellen Einsatz zurück auf die Felder zu bringen. Im Gegensatz zu Initiativen, die sich eher an den Besitzer oder die Besitzerin eines Hausgartens wenden, ist diese Zielrichtung mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden. Dies gilt zum Beispiel für bestimmte Regelungen des Saatgutrechts, die für kommerzielle Nutzung - und darauf soll es hinauslaufen - nicht gelten. Zudem ist die Gründung des VERN nicht unabhängig von der sonstigen Naturschutzarbeit, die damals in Brandenburg gelaufen ist. Dazu gehörte vor allem auch die Ausgestaltung der Arbeit der Großschutzgebiete und die Beschreibung der Aufgaben der Biosphärenreservate. Die Erhaltung von Kulturpflanzensorten ist mit großem Interesse von den damaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Naturschutzverwaltungen aufgenommen worden. Sie wurde auch als wichtige Ergänzung zu den klasischen Feldern der Naturschutzarbeit gesehen. Diese sind zum Beispiel der Arten- und Biotopschutz. Außerdem hat man es sicher auch als ganz charmierende Möglichkeit erkannt, auf einem relativ unkomplizierten Aktionsfeld mit der Be-völkerung in den Dörfern eine angenehme Zusammenarbeit zu pflegen. Dabei stand der Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit auch mit im Vordergrund.

Welche Rolle spielt dabei der Schutz der genetischen Ressourcen?

Der Schutz der genetischen Ressourcen ist eher das Aktions- und Diskussionsfeld, das sich in der Wissenschaft und in wissenschaftsnahen Zirkeln abspielt. Wobei die Vereinsgründung auch vor dem Hintergrund der damals relativ neuen Konvention über die Biologische Vielfalt (1) gesehen werden muss. Darin wird die Bedeutung der pflanzengenetischen Ressourcen von Nutzpflanzen und deren natürlichen Verwandten besonders betont. Die Zusammenarbeit mit der Genbank in Gatersleben gerade in der Anfangszeit muss ich dann doch noch hervorheben: Das nahm fast euphorische Züge an. Einige der MitarbeiterInnen haben sich weit über das selbstverständliche Maß hinaus eingebracht, um die Sorten, die damals an den VERN übergebeben wurden, besonders zu qualifizieren, wie man das nennt. Das heißt, sie haben die ihnen bekannten Sorten detailliert beschrieben und uns zum Teil ganz speziell auf bestimmte Eigenschaften und eigene Erfahrungen aufmerksam gemacht. Sie hatten ja teilweise mehrere Jahrzehnte mit den Sorten gearbeitet. In dieser Phase wurde uns praktisch vermittelt, was das lokale und traditionelle Wissen, das heißt, das sozio-kulturelle Umfeld von pflanzengenetischen Ressourcen, bedeuten kann. Ausführungen dieser Art werden sonst eher in der wissenschaftlichen Literatur über die pflanzengenetischen Res-sourcen in Entwicklungsländern veröffentlicht. Ich vermute, dass die Situation damals von den Mitarbeitern der Genbank auch als eine Möglichkeit angesehen wurde, ihr breites - nicht sektorales - Wissen weitergeben zu können, das in den Formblättern der schon damals, wie auch heute üblichen digitalen Speichermedien oft keinen Platz gefunden hat.

Wie unterscheidet sich die Arbeit des VERN von der Arbeit der Genbank?

Wir kopieren schon auch wesentliche Arbeitsmethoden der Genbank. Allerdings sind unsere Parzellen für die erste Wiederaussaat von Saatgutproben sind etwas kleiner als die in der Genbank. An den darin gewachsenen Pflanzen werden erste Beobachtungen vorgenommen: Wie hoch ist die Keimungsrate der Samen, welcher Anteil der ausgesäten Samen keimt überhaupt. Außerdem kann man bestimmte Eigenschaften beobachten oder morphologische Beschreibungen überprüfen oder erstellen. In der zweiten Stufe haben wir dann bereits eine Größe von Feldversuchen erreicht, die auf den Flächen von landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt werden müssen. Das sind Parzellen, die zirka 20 Quadratmeter groß sind. Sie dienen als Ausgangs- und Sichtungsparzellen für die Kleinfeldvermehrung. Wobei es zuweilen Schwierigkeiten macht, die großstrukturierte brandenburgische Landwirtschaft mit Saatgut zu versorgen - den Landwirten kann man nicht mit fünf Kilogramm Saatgut kommen. Deren Interessenlage beginnt eher bei 50 Kilogramm. Und selbst eine solche Größenordnung ist für die modernen Betriebe schon ein Problem; soll heißen, eine so kleine Saatgutmenge in den betrieblichen Ablauf einzubinden. Wir sammeln bei dieser Nutzung Erkenntnisse über die regionale Anbaueignung. Das betrifft zum Beispiel Ertrag, Standfestigkeit oder die Widerstandfähigkeit gegen Krankheiten. Durch regionalen Anpassungsstress erkunden wir die Sorten weiter gehend als dies in der Genbank möglich wäre.

Jetzt wollen die Wissenschaftler des IPK Forschung mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchführen.

Es ist heute wissenschaftlicher Usus, Genomforschung zu betreiben. Und dass in wissenschaftlichen Instituten, die sich mit Pflanzenzüchtung beschäftigen, in heutiger Zeit gentechnische Manipulationen vorgenommen werden, zum Beispiel um im Rahmen von landwirtschaftlicher Forschung Zuchtstämme zu entwickeln, ist auch kein Geheimnis. Wovon ich aber bisher keine Kenntnis hatte, ist, dass diese Arbeit in einer direkten Kopplung durch räumliche Nähe zu den notwendigen Regenerationsabläufen in Genbanken durchgeführt wird. Dass dies als unproblematisch und nicht als Quantensprung angesehen wird, ist schon verwunderlich. Landwirtschaftliche Versuchsaufbauten haben diese oder jene Notwendigkeit. Gleiches gilt für den Erhaltungsanbau der Genbank. Wenn jetzt in den Arealen der Genbank landwirtschaftliche Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen angelegt werden, muss man sich die Frage stellen, was eigentlich als Motivation dahinter steckt.

Es wäre ja ein Leichtes, wenn man sich schon für die Forschung mit gentechnisch verändertem Weizen entscheidet, zehn oder zwanzig Kilometer weiter zu ziehen und somit das Restrisiko zu minimieren.

Gerade in den Regionen Magdeburg, Quedlinburg und Gatersleben gibt es ja schon lange Forschung und Entwicklung an Pflanzen und Pflanzensorten. Wenn sich das Land Sachsen-Anhalt zu dieser Art Forschung bekennt, dann bieten sich hier verschiedenste Kooperationen an, die bereits bestehen und in räumlicher und funktionaler Nähe vorhanden sind, seien es nun niedergelassene Züchter, Bundesforschungsanstalten oder Ähnliches.

In Verbindung mit dieser Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen wird oft die Frage gestellt, wem eigentlich die Samenproben in der Genbank in Gatersleben gehören. Wie muss man sich die Konstruktion von Besitz, Eigentum, Verwaltung und Verwahrung vorstellen, die für eine solche Genbank gilt?

Gegenfrage: Was soll man jetzt dahernehmen? Die ideelle, die polyglotte, die kommerzorientierte privatrechtliche oder die verwaltungstechnische Sichtweise? Fange ich mal mit der polyglotten an: Das sind dort Schätze der Menschheit. Allein die Geschichte ihrer Gewinnung, Sammlung, Bewahrung, allgemein, die Art, wie man sie erhalten hat, verlangt, dass sie nicht als Privatbesitz angesehen werden können. Dazu kommt die institutionelle Widmung, wie sie dort in Gatersleben über Jahrzehnte tradiert wurde. Das wiederum steht auch in Verbindung mit dem Zugang zu diesen Ressourcen, der in den vergangenen Jahren frei war und auch in Zukunft frei bleiben soll. Das gilt im Übrigen auch für alle anderen vergleichbaren Genbanken weltweit, und auch für botanische Gärten oder Forschungsinstitute: Samenproben werden ausgetauscht und/oder weitergegeben . Es gibt ein paar Schranken und Befindlichkeiten, aber im Großen und Ganzen ist das eine Sammlung, die frei zur Verfügung steht. Vorgebrachte Argumente, die Sammlung sei Eigentum des Institutes für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), sind verkürzt darge-stellte, altdeutsch-preußische Einschätzungen eines Problems, die vor fiskalischem Denken nur so strotzen. Möglicherweise wird auch ein Haufen juristischer Finessen zu finden sein, diese Einschätzung zu stützen. Nur: es stellt sich dann natürlich die Frage, wem ist damit letztendlich gedient?

Man muss dazu wissen, dass sich deine letzten Anmerkungen auf ein Zitat beziehen, das sich in der Begründung der Genehmigung der Freisetzung des gv-Weizens - erstellt vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - findet. Dort steht sinngemäß, es könne in der vorliegenden Situation in Gatersleben durch die Freisetzung des gv-Weizens gar nicht zu einem Schaden kommen, da der potentielle Schädiger und der potentiell Geschädigte ­ als Besitzer der möglicherweise durch Auskreuzung verunreinigten alten Weizensorten - die gleiche juristische Person ist, nämlich das IPK selbst.

Wobei ich betonen möchte, dass es sich hier um eine feinjuristische Diskussionsebene handelt, die weder dem Charakter des Objektes noch dem Gesamtzusammenhang gerecht wird. Alle politischen und völkerrechtlichen Diskussionen und Verträge - zum Beispiel um den Vertrag über pflanzengetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft der FAO oder die bereits genannte Konvention über Biologische Vielfalt - deuten eindeutig in eine andere Richtung. Es handelt sich bei solchen Sammlungen, wie wir sie hier in Gatersleben haben, um Kollektivgüter, deren Verbleib und Erhalt übertragene Aufgabe derjenigen Staaten oder Institutionen ist, in denen sich diese Sammlungen mit den einzelnen Saatgutmustern - ja oft auch nur zufällig - befinden. Das IPK ist zwar völlig unzweideutig Besitzer der Saatgutmuster, nur entstehen aus diesem Besitz eher Pflichten als Rechte.

Wie erklärt sich die jetzige Situation? Wir haben die Freisetzung, aber eben auch die Einschätzung zu den Eigentumsverhältnissen.

Meiner Einschätzung nach liegt die Basis für die jetzige Situation in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals entstanden Begehrlichkeiten - Interesssen - mit den Proben der Genbank auch biotechnologisch zu arbeiten. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden und der VERN würde sich auch nicht hinstellen und sagen "Das darf nicht sein". Diese Art von Arbeit ist im Rahmen der jeweils aktuell verfügbaren Methoden dort immer gemacht worden. Damit einher ging die Entscheidung, das Betreiben der Genbank effizienter zu gestalten. Die Dokumentationssysteme sollten verbessert werden. Die Ex-situ-Erhaltung bekam Priorität gegenüber der In-situ-Erhaltung.(2) Und auch der Ausbau der Genbank wurde gestoppt. Seit dieser Zeit werden keine oder kaum noch Sammelreisen unternommen. Auch werden Anlieferungen nicht mehr in dem Umfang integriert, wie dies früher der Fall war.

Es gibt aus der Leitungsebene des BVL den Vorschlag, die Vermehrungs- und Erhaltungsarbeit der Sammlung zu verlegen ...

Gerade weil das BVL als federführende Fachbehörde immer darauf zu achten hat, dass für alle Beteiligten Rechtssicherheit herrscht, kann ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass sie diese Empfehlung nur aus Gründen der kommunikativen Rücksichtnahme auf den allgemeinen Unmut gemacht haben. Für mich hört sich das eher so an, als dass sie keine harten Fakten - im Sinne wissenschaftlicher Publikationen - haben, um den Freisetzungsversuch dort in Gatersleben nicht zu genehmigen. Gleichzeitig sind sie aber vielleicht nicht hundertprozentig sicher, ob alle Risikofaktoren genügend ausgeschlossen sind. Wir sehen hier genau das Problem der Auseinandersetzung um die Anwen-dung dieser Technik im Freiland. Es ist eine relativ klassische Restrisikoabwägung. Wobei diese sich in diesem konkreten Fall noch so darstellt, dass dieses Restrisiko leicht zu vermeiden wäre.

Wir danken für das Gespräch. Das Gespräch führte Christof Potthof.

Fußnoten:

  1. Die Konvention über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD) ist eines von fünf internationalen Abkommen, die auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 im brasilianischen Rio de Janeiro unter dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen verabschiedet wurden.
  2. In-situ-Erhaltung ist gemäß der CBD (siehe Fußnote 1) "die Erhaltung von Ökosystemen und natürlichen Lebensräumen sowie die Bewahrung und Wiederherstellung lebensfähiger Populationen von Arten in ihrer natürlichen Umgebung und - im Fall domestizierter oder gezüchteter Arten - in der Umgebung, in der sie ihre besonderen Eigenschaften entwickelt haben." Ex-situ-Erhaltung ist gemäß CBD "die Erhaltung (genetischer Ressourcen) außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume." Hier werden generative und/oder vegetative Zellstrukturen, Organe oder Organismen konserviert, wie z.B. Zell- und Gewebekulturen, Saatgut, Pollen, Sperma, Eizellen, Embryonen, Knollen, Ausläufer, Klone, Stecklinge und Pfropflinge. Zum Teil werden auch Pflanzen und Tiere ex situ als Populationen erhalten (z.B. in Feldkollektionen, Samenplantagen, Waldbeständen, Haustierzoos etc.). Quelle: Zeitschriften-Reihe "Angewandte Wissenschaft" des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Heft 487: Genetische Ressourcen für Ernährung, Land-wirtschaft und Forsten. Im Netz unter: www.genres.de.