Kosovo in völker- und verfassungsrechtlicher Sicht

Die Wiener "Verhandlungen" über den künftigen Status der serbischen Provinz Kosovo endeten im März 2007 erfolglos. Dieses Ergebnis war vorherzusehen gewesen,

da die Forderungen der beiden Kontrahenten, Serbiens und der sezessionswilligen Kosovo-Albaner, sich diametral gegenüberstehen und da der Westen einseitig die Albaner unterstützte.

Serbien besteht auf einer Lösung im Rahmen der UN-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien beendete. Darin wurde der Status Kosovos als Kompromißlösung für alle Seiten bereits festgelegt: Kosovo bleibt, ausgestattet mit "substantieller Autonomie", ein Teil Serbiens. Die Verhandlungen in Wien hätten deswegen lediglich eine verfassungsrechtliche Qualität haben dürfen. In diesem Rahmen hätte definiert werden müssen, wie die "substantielle Autonomie" konkret auszugestalten sei. Mit Hilfe einer Ergänzungs- oder Änderungsresolution des UN-Sicherheitsrates hätte das Verhandlungsergebnis zusätzlich eine internationale Verbindlichkeit erhalten.

Serbien hat diese Position jüngst mit der Annahme einer neuen Verfassung bekräftigt und in den Status-Verhandlungen dezidiert vertreten. Die Kosovo-Albaner hingegen fordern die bedingungslose Unabhängigkeit der Provinz von Serbien und akzeptieren als einzige Einschränkung eine zeitweilige internationale Überwachung der Unabhängigkeit. Den Status-Verhandlungen wäre dadurch eine völkerrechtliche Qualität zugeschrieben worden. Ein ganz neuer Status Kosovos bedürfte auch einer ganz neuen UN-Resolution.

Der UN-Sondergesandte Martti Ahtisaari legte nach dem endgültigen Scheitern der Wiener "Verhandlungen" dem Sicherheitsrat einen eigenen Vorschlag ("Comprehensive Proposal for the Kosovo Status Settlement") vor, demzufolge Kosovo eine zeitweilig überwachte Unabhängigkeit mit allen Insignien eines souveränen Staates erhalten soll. Bemerkenswert ist, daß Ahtisaari die vorangegangenen "Verhandlungen" wohl selbst als Farce betrachtete. Sein Vorschlag datiert nämlich schon vom 2. Februar 2007, mehrere Wochen vor dem endgültigen Scheitern der "Verhandlungen". Offiziell hatte in Wien eine "echte Verhandlungslösung" gefunden werden sollen, faktisch wurde aber nur versucht, Serbien die westliche und Kosovo-albanische Haltung aufzuzwingen - ähnlich wie schon bei den Rambouillet-Verhandlungen 1999, als Belgrad vor das Ultimatum gestellt wurde, entweder freiwillig oder im Ergebnis eines längst vorbereiteten Bombenkriegs die NATO ins Land zu lassen. In Wien widersetzte sich Serbien dem westlichen Druck mit Unterstützung Rußlands, das mehrfach kundtat, Moskau werde nur eine Lösung mittragen, die auch die Interessen Serbiens berücksichtige.

Der Westen spielt in diesem Konflikt eine unrühmliche, rechtsnegierende, ja geradezu neokoloniale Rolle. Ausgerechnet die westlichen Großmächte, die vor acht Jahren den Angriffskrieg gegen Jugoslawien geführt haben und seitdem als Besatzungsmächte im Kosovo den Ton angeben, versuchen sich jetzt als "ehrliche Makler" zu präsentieren. Tatsächlich verhalten sich die westlichen Mitglieder der selbsternannten "Kontaktgruppe" - bestehend aus Großbritannien, Italien, Frankreich, Deutschland, den USA und Rußland - wie die Großmächte des 19. Jahrhunderts: Selbstherrlich, an eigenen Interessen orientiert, wollen sie über das Schicksal Serbiens und der Völker in der Region entscheiden, ohne sich am staatlichen Selbstbestimmungsrecht zu stören. Am Ende dieses Prozesses sollen sich sowohl Serbien als auch Kosovo nach den Bedingungen des Westens in die sogenannten euroatlantischen Strukturen integrieren.

Das Völkerrecht, die Souveränität und die Interessen Serbiens sowie das serbische und ehemalige jugoslawische Verfassungsrecht spielen in den Überlegungen der westlichen Großmächte bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Und wenn einmal auf das internationale Recht verwiesen wird, geschieht das selektiv und mit einer bemerkenswerten Interpretationsfreudigkeit.

Im folgenden werden die verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekte des Konflikts dargestellt. Anschließend will ich die denkbaren Status-Optionen aufzählen und bewerten.

Der völkerrechtliche Status der serbischen Provinz Kosovo
Eine Unabhängigkeit Kosovos bedeutet die Teilung der Republik Serbien, da Kosovo einen historischen, verfassungs- und völkerrechtlichen Bestandteil Serbiens darstellt. Eine Teilung Serbiens wäre vergleichbar mit einer Teilung der Republik Bosnien-Herzegowina oder Kroatiens. Eine solche weitere Atomisierung des postjugoslawischen Raumes, die in den 1990er Jahren drohte, verhinderte der Westen unter Anwendung von Waffengewalt. Die westlichen Staaten verständigten sich damals im Rahmen der sogenannten Badinter-Empfehlungen darauf, ausschließlich die jugoslawischen Republiken als neue souveräne Staaten anzuerkennen, nicht jedoch untergeordnete Provinzen oder Regionen. (Die Schiedskommission der Jugoslawien-Friedenskonferenz stand unter der Leitung des französischen Rechtswissenschaftlers und Politikers Robert Badinter.) Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos würde genau dieses vom Westen selbst entwickelte und praktizierte Prinzip, das ursprünglich für alle Republiken im postjugoslawischen Raum gelten sollte, gebrochen. Serbien würde dadurch eine fundamentale Ungleichbehandlung erfahren, die man auch machtpolitische Willkür nennen könnte.

Die UN-Resolution 1244 stellt unzweideutig fest, daß Kosovo ein Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien sei. Es heißt dort: "(...) Kosovo kann eine substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen (...)." Die Resolution spiegelt das Ergebnis des Krieges von 1999 wider, den Jugoslawien zwar verlor, aus dem die NATO jedoch auch nicht als eindeutiger Sieger hervorging. Die Resolution 1244 bestätigt die Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahre 1998, die verabschiedet wurde, als Belgrad noch die Hoheitsgewalt über Kosovo ausübte. Damals war das "Bekenntnis aller Mitgliedsstaaten zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien" bekräftigt worden. Nichts anderes besagt die Resolution 1345 aus dem Jahre 2001, als die Provinz bereits nahezu zwei Jahre von der UNMIK verwaltet wurde und Belgrad keinerlei Hoheitsgewalt mehr über sie ausübte. Auch in diesem Beschluß betonte der Sicherheitsrat seine "Verpflichtung zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik (...), wie in der Helsinki-Schlußakte ausgeführt".

Diese völkerrechtliche Festlegung wurde über Jahre auf dem offiziellen diplomatischen Parkett bestätigt. Selbst die Statusänderung der BR Jugoslawien hin zur Staatenunion Serbien-Montenegro änderte nichts an der Souveränität Belgrads über Kosovo, da die Staatenunion sich als völkerrechtlichen Rechtsnachfolger der BR Jugoslawien mit einheitlicher Rechtspersönlichkeit betrachtete und so auch von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert wurde. Bereits in der Präambel der Verfassungsurkunde wurde die territoriale Zugehörigkeit Kosovos zu Serbien bekräftigt. Auch für den Fall, daß Montenegro den Staatenbund verlassen sollte, war verfassungsrechtlich vorgesorgt. Serbien sollte demnach als alleiniger Rechtsnachfolger der Staatenunion die Souveränität über Kosovo behalten. Nach der tatsächlichen Dismembration des Staatenbundes Serbien-Montenegro im Jahre 2006 verabschiedete Serbien als völkerrechtlicher Rechtsnachfolger noch im selben Jahr eine neue Verfassung. Diese Verfassung definiert Kosovo als "integralen Bestandteil" Serbiens, zugleich sichert sie ihm grundlegende autonome Rechte zu.

UNMIK auf Abwegen
Wie aber kam es dazu, daß die Statusfrage gegen den Willen Serbiens erneut - und damit faktisch auf völkerrechtlicher Ebene - verhandelt werden sollte, obwohl die Ergebnislosigkeit solcher "Verhandlungen" vorprogrammiert war?
Ein Grund dürfte das vom Westen konstruierte Feindbild Serbien sein, das lange über die Milosevic-Ära hinaus für die öffentliche Wahrnehmung der Vorgänge auf dem Balkan und für die westliche Balkan-Politik bestimmend blieb. Die NATO, selbstverschuldet gefangen in dieser Sichtweise und in ihrer Rolle als Kriegspartei gegen Serbien, respektiert die 1999 ausgehandelte Friedensvereinbarung in Gestalt der Resolution 1244 nur mit Lippenbekenntnissen.

Die UNMIK, deren Schlüsselpositionen im wesentlichen mit Vertretern von NATO-Staaten besetzt sind, führt seit ihrer Etablierung 1999 ein bemerkenswertes Eigenleben fernab vom UNO-Hauptquartier in New York.

Die regelmäßigen Berichte der UNMIK-Administration an die UNO-Zentrale in New York sind schönfärberisch und einseitig, wie eine UN-Delegation Anfang Mai 2007 feststellte. Schon zwei Jahre zuvor war die "International Commission on the Balkans" - ein hauptsächlich mit ehemaligen Staatspräsidenten, darunter Richard von Weizsäcker, Ex-Regierungschefs und Ex-Außenministern besetztes Gremium - in ihrem Report zu einem vernichtenden Ergebnis gelangt: "Die internationale Staatengemeinschaft hat in ihrem Versuch, Sicherheit und Entwicklung in die Provinz zu transportieren, ganz offensichtlich versagt. Ein multiethnisches Kosovo existiert nicht - außer in den bürokratischen Einschätzungen der internationalen Staatengemeinschaft. (...) Die Situation der serbischen Minderheit im Kosovo ist die größte Anklage gegen den Willen und die Fähigkeit Europas, seine eigenen proklammierten Werte zu verteidigen." ("Report of the International Commission on the Balkans: The Balkans in EuropeÂ’s Future", April 2005)

Die politisch-administrativen Entscheidungen der UNMIK korrespondieren im Ergebnis auffällig mit der Unabhängigkeitsforderung der Kosovo-albanischen Seite. Der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic hatte kurz vor seiner Ermordung in einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks diese Parteinahme beklagt: "Die UN-Resolution wird täglich gefälscht. (...) Ich wollte einfach darauf aufmerksam machen, daß die UN-Resolution aus zwei Teilen besteht, ein Teil bezieht sich auf die Rechte der Serben und Serbiens (...), und nichts aus diesem ersten Teil, nicht einmal ein Prozent, wurde in diesen vier Jahren verwirklicht." (zitiert nach: Wolf Oschlies: "Kosovo: Vom Schlechten zum Schlimmeren?" in Blätter für deutsche und internationale Politik 8/03)

Bis heute wird die Resolution 1244 zugunsten der albanischen Seite ausgelegt und bis zur Unkenntlichkeit überstrapaziert. So wurden jugoslawische beziehungsweise serbische hoheitliche Staatssymbole verboten, mit eigenen Kraftfahrzeugkennzeichen wurden "kosovarische" hoheitliche Symbole eingeführt, eigene Kraftfahrzeugversicherungskarten und sogar neue nichtjugoslawische, nichtserbische Identitätsdokumente wurden ausgegeben, die Landeswährung wurde zunächst durch die Deutsche Mark, dann durch den Euro ersetzt, an der Grenze zwischen der serbischen Provinz und Serbien findet eine Grenzabfertigung mit Zollerhebung wie an Außengrenzen statt, eigene militärische Kapazitäten der Kosovo-Albaner (Kosovo Protection Corps) sind entstanden, und serbisches Staatseigentum auf dem Boden der serbischen Provinz wird eigenmächtig entschädigungslos privatisiert. Inwieweit sich all das aus der Resolution 1244 ableiten läßt, ist das Geheimnis der UNMIK. Angesichts solcher Einseitigkeit und Eigenmächtigkeit verwundert es nicht, daß die UNMIK und die KFOR sich bis heute weigern, die in der Resolution 1244 ausdrücklich zugesagte Rückkehr jugoslawischer beziehungsweise serbischer Einheiten zur Sicherung der Außengrenzen und der serbischen Kulturgüter in der Provinz zu gewährleisten.

Mit dieser fragwürdigen Interpretation der UN-Resolution 1244 hat die UNMIK die Entscheidung über die Zukunft Kosovos strukturell und politisch präjudiziert. Die westlichen Befürworter einer Unabhängigkeit docken hier an und bezeichnen den erreichten Status quo als "neue Realität", womit eine Unabhängigkeit als alternativlos suggeriert werden soll.

So erklären sich auch Forderungen nach einer neuen UN-Resolution. Die Resolution 1244 wird zu einem "Waffenstillstandsabkommen" ohne finale Bedeutung abqualifiziert, zu einem rechtlichen Provisorium - als gälte es nur noch, die "neue Realität" durch eine entsprechende Resolution rechtlich abzusegnen.

Alles schien sich zunächst in die vom Westen und der UNMIK eingeschlagenen Richtung zu entwickeln. Mit den Wiener Scheinverhandlungen glaubte man Serbien in die Enge treiben und mit einigen "attraktiven Angeboten" wie einer beschleunigten EU- und NATO-Mitgliedschaft zum Verzicht auf einen Teil seines Territoriums bewegen zu können. Serbien zeigte sich jedoch unerwartet widerspenstig. Das wiedererstarkende Rußland, das sich auf mehreren außen-, sicherheits- und geopolitischen Feldern von der NATO enttäuscht und provoziert fühlt, unterstützt Serbien ebenso unerwartet deutlich. An diesem Punkt des Verhandlungsprozesses steht nun die sogenannte Internationale Gemeinschaft.

Vier denkbare Optionen
Die Ablösung Kosovos von Serbien gegen dessen Willen wäre völkerrechtlich glatter Territorialraub. Es kommt also auf die Haltung Serbiens, in zweiter Linie aber auch auf die Haltung Rußlands und/oder auch Chinas als Vetomächte im UN-Sicherheitsrat an. Folgende Szenarien sind im weiteren Verlauf denkbar:

1. Die USA bringen im Sicherheitsrat eine neue Resolution zu Kosovo ein. Die Resolution umfaßt im wesentlichen den Ahtisaari-Plan, also die - zeitweilig überwachte - Unabhängigkeit Kosovos. Rußland oder China blockieren die Resolution durch ihr Veto. Damit bliebe weiterhin die Resolution 1244 in Kraft. Würden nun die Kosovo-Albaner die Unabhängigkeit proklamieren und die USA mit einer "Koalition der Willigen" die Unabhängigkeit anerkennen, so würde damit das Völkerrecht fundamental gebrochen; der Territorialraub wäre offensichtlich. Dennoch ist auch denkbar, daß dann im Schatten der USA die EU ebenfalls Kosovo als unabhängig anerkennt - als müßte sie sich notgedrungen der Macht des Faktischen beugen. Als Präzedenzfälle würden dann vermutlich die unilateralen und somit verfassungs- und völkerrechtswidrigen Sezessionen Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien und die völkerrechtswidrige Anerkennung (Einmischung in innere Angelegenheiten) durch Deutschland, der sich die damalige Europäische Gemeinschaft anschloß, angeführt werden. Mit einer Unabhängigkeitserklärung Kosovos und deren Anerkennung würde aber ein weiterer Präzedenzfall geschaffen: Auch Provinzen könnten für sich das externe Selbstbestimmungsrecht beanspruchen - in Italien, in Spanien, in Rußland und überall auf der Welt.

2. Die USA erkennen auf Grund eines Vetos oder einer Veto-Drohung Rußlands oder Chinas das Kosovo entgegen bisheriger Drohungen nicht unilateral an. Das Kosovo-Provinzparlament ruft unilateral und somit rechtswidrig die Unabhängigkeit aus. Die ausbleibende internationale Anerkennung führt zu Gewalttaten "enttäuschter" Kosovo-albanischer Nationalisten. Diese Gewalttaten stoßen im Westen auf ein an Zustimmung heranreichendes Maß an Verständnis. Die Schuld daran wird Serbien und Rußland respektive China angelastet; diesen Staaten wird vorgeworfen, sie verhielten sich verantwortungslos. Entsprechende Drohungen kursieren bereits in der New York Times, die einen Daniel Fried, Assistant Secretary of State, mit folgenden Worten zitiert: "Wir hoffen, daß Rußland versteht, daß Kosovo unabhängig werden wird - auf die eine oder andere Weise. Es wird entweder auf kontrollierte und überwachte Weise geschehen, so daß die Serben wohlbehalten dort leben können, oder es wird auf eine unkontrollierte Weise stattfinden, und die Kosovo-Serben werden am meisten darunter leiden, was schrecklich wäre."

Die NATO-dominierte KFOR-Schutztruppe im Kosovo würde wie bislang nur unzureichend ihren "Schutzauftrag" wahrnehmen und sich der Weltöffentlichkeit offiziell als hilflos gegenüber dem Druck der Straße erklären. Schließlich war die NATO der Kriegsverbündete der Kosovo-albanischen UCK. Unter dem Druck der Gewalttaten und ethnischen Säuberungen gegen nicht-albanische Volksgruppen würden die letzten noch verbliebenen nicht-albanischen Enklaven aufgelöst werden. Aus dieser Entwicklung heraus ließen sich neue Optionen denken, etwa die Teilung Kosovos entlang des Ibar-Flusses mit Zustimmung Serbiens, so daß der Nordteil der Stadt Kosovska Mitrovica und die serbisch dominierten Gemeinden des nördlichen Kosovo bei Serbien verblieben.

3. Der UN-Sicherheitsrat beschließt gegen den Willen Serbiens eine neue Resolution, an deren Ende eine Unabhängigkeit des Kosovo steht. Diese Variante ist die vom Westen favorisierte, nachdem Serbien mehrfach deutlich gemacht hat, daß es eine Abtrennung des Kosovo nicht akzeptieren wird. Sie wird deshalb besonders von der EU favorisiert, da sie den Anschein einer völkerrechtskonformen Entscheidung besitzt. Schließlich, so wäre die Botschaft, habe der UN-Sicherheitsrat entschieden. Dabei wird geflissentlich übersehen, daß der UN-Sicherheitsrat selbst an die UNO-Charta gebunden ist (Art. 24, Abs. 2). Wenn auch das Prinzip der in der UNO-Charta sehr restriktiv gehaltenen Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten (Art. 2, Abs. 7) durch den UN-Sicherheitsrat, insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges, faktisch aufgeweicht wurde, so räumt die UNO-Charta dem Sicherheitsrat nicht die Kompetenz ein, die Grenzen souveräner Staaten gegen deren Willen zu verändern beziehungsweise souveräne Staaten territorial zu amputieren. Allerdings könnte der Westen versucht sein, das in Kapitel XII der UN-Charta definierte Internationale Treuhandsystem mit rechtlichen Taschenspielertricks ins Spiel zu bringen und die durch die UN-Resolution 1244 temporär unter UNO-Protektorat stehende serbische Provinz kurzerhand zum "Treuhandgebiet" zu erklären. Dieses Treuhandsystem ist zwar eine UNO-Regelung, die ausschließlich die Entkolonialisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fördern sollte, könnte aber, da immer noch Bestandteil der UN-Charta, künftig zweckentfremdet werden. Hierzu wäre eine Neu-Interpretation des Kapitels XII vor dem Hintergrund des oft zitierten und angeblich neuen Phänomens des "gescheiterten Staates" naheliegend. Im Falle Serbiens jedoch würde der Versuch, Kosovo als UN-"Treuhandgebiet" zu definieren, insofern fehlgehen, als Serbien eben kein gescheiterter oder scheiternder Staat ist. Serbien wäre, wenn auch nur unter enormen Anstrengungen, finanziell, materiell und administrativ in der Lage, die Hoheitsgewalt im Kosovo wieder auszuüben. Auch normativ könnte der Versuch, Kosovo gegen den Willen Serbiens über das Treuhandsystem in die Unabhängigkeit zu entlassen, nicht gelingen, weil das Treuhandsystem "keine Anwendung auf Hoheitsgebiete, die Mitglied der Vereinten Nationen geworden sind" (Art. 78 UNO-Charta), findet, also auf Serbien nicht anwendbar ist.

4. Die Forderungen Serbiens und Rußlands sind auf echte Verhandlungen, das heißt Neuverhandlungen, gerichtet. Der Ahtisaari-Plan wäre ad acta zu legen. Neuverhandlungen zwischen den unmittelbaren Konfliktparteien, den Serben und den Kosovo-Albanern, dürften nicht mit Vorbedingungen hinsichtlich der zu diskutierenden Elemente sowie des Zeitraums belastet werden, und der für die Leitung der Wiener Scheinverhandlungen verantwortliche UN-"Vermittler" Martti Ahtisaari von Serbien und Rußland aufgrund seiner offenen pro-albanischen Parteilichkeit und seiner Nähe zur westlichen Kosovo-Unabhängigkeitsoption abgelehnt. Gefordert wird, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit für einen Vermittler sein sollte: Unparteilichkeit! Inwiefern Serbien und Rußland auch die weitere Mitwirkung der selbsternannten Kosovo-"Kontaktgruppe", in der fünf von sechs Staaten zur NATO-Kriegspartei gehören und schon deshalb sich selbst als "ehrliche Makler" desavouieren, im Rahmen der geforderten Neuverhandlungen ablehnen, ist bisher noch offen. Es wäre jedoch die logische Forderung, um eine echte Verhandlungslösung zu erzielen. Das unter diesen Bedingungen zu erwartende Ergebnis wäre vermutlich entweder die Abtrennung Kosovos südlich des Ibar-Flusses, wie bereits unter Option 2 ausgeführt, oder die bislang geforderte Lösung: Aufrechterhaltung der serbischen territorialen Integrität und Souveränität über das ganze serbische Territoriums unter Berücksichtigung weitestgehender Autonomierechte für Kosovo.

Dr. Alexander S. Neu ist als Referent für Sicherheitspolitik in der Bundestagsfraktion Die Linke tätig. Er vertritt in diesem Beitrag ausschließlich seine persönliche Meinung.