Rüsten für den globalen Bürgerkrieg

Die Studie geht von einer zunehmenden Verarmung großer Bevölkerungsteile aus, deren Kontrolle von der "Strategischen Gemeinschaft" als größte Herausforderung der kommenden Jahre gesehen wird.

Die IMI-Studie "Rüsten für den globalen Bürgerkrieg" geht von einer zunehmenden Verarmung großer Bevölkerungsteile durch den weltweiten Kapitalismus aus, deren Kontrolle von der "Strategischen Gemeinschaft" als größte Herausforderung der kommenden Jahre gesehen wird (Abschnitt 1). Durch erweiterte Sicherheitsbegriffe (Abschnitt 2) ist der Umgang mit der Zivilbevölkerung insbesondere bei Peacekeepingeinsätzen in den Aufgabenbereich des Militärs übergegangen, was sich gut am Beispiel Haiti (Abschnitt 5) darstellen lässt. Mittlerweile haben auch die USA in ihren Militärdoktrinen diese Strategie übernommen, die Zivilgesellschaften der Einsatzländer quasi militärisch zu durchdringen (Abschnitt 4).

Kern der Studie ist ein zusammenfassender Überblick über Rüstungsprojekte, welche diesen Paradigmenwechsel widerspiegeln. Dabei geht es in Abschnitt 3 noch überwiegend um eher klassische Militärgüter, für die nun aber die schnelle Verlegbarkeit eine wesentlich wichtigere Rolle spielt. Die Abschnitte 6 und 7 handeln hingegen von der Militarisierung der Polizei, dem Aufbau von Gendarmerieeinheiten und neuen Ausbildungskonzepten, mit denen Soldaten auf die Niederschlagung von Demonstrationen und Aufständen vorbereitet werden. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Militärs auf den Häuserkampf in noch von ZivilistInnen bewohnten Großstädten vorbereiten, besonders auf die Rolle von unbemannten Drohnen (Abschnitt 9) und so genannten Nicht-Lethalen Waffen (Abschnitt 11) hierbei wird besonders eingegangen. Zum Abschluss (Abschnitt 12) wird noch die Umstrukturierung des globalen Rüstungsmarktes dargestellt, welche ebenfalls die These untermauert, dass die Staaten immer weniger für einen Krieg gegeneinander als gegen die eigene Bevölkerung aufrüsten.

1. Planet der Slums

Während verschiedene Indikatoren zum Zustand der Welt, etwa der Human Development Index ein verhalten optimistisches Bild hinsichtlich globaler Armut und der durchschnittlichen Lebenserwartung vermitteln und damit die Milleniumsziele der UN zumindest erreichbar scheinen lassen, zeichnet der US-amerikanische Soziologe Mike Davis in seinem kürzlich auch auf deutsch erschienenem Buch "Planet der Slums" ein gänzlich anderes Bild: Ausgehend von der Feststellung, dass erstmals in der Geschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben, beschreibt er die beschleunigende Urbanisierung rund um die Welt als zumindest unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus unumkehrbaren Prozess, der zu einer massiven Zunahme von Slums und der mit ihnen verbundenen Lebensweisen führt. Anders als bei den zuvor genannten Indikatoren tritt hier Armut als nachvollziehbares Gesamtphänomen zu Tage, mitsamt der rechtlichen Unsicherheit, sozialen Perspektivlosigkeit, dem ausschließendem Einschluss und letztendlich der Kriminalisierung. Und anders als beim Bild des hungerbäuchigen afrikanischen Kindes, versorgt von UNHCR und World Food Program, wird hier auch das Konfliktpotential der globalen Verarmung deutlich. Ein Konfliktpotential, das von den strategischen Kommandohügeln schon lange identifiziert wird, wie Davis anhand von Zitaten wie diesem aus der Zeitschrift des US-Army War College verdeutlicht: "Die Zukunft der Kriegsführung liegt in den Straßen, Abwasserkanälen, Hochhäusern und dem Häusermeer, aus denen die zerstörten Städte der Welt bestehen Â… Unsere jüngste Militärgeschichte ist gespickt mit Städtenamen wie Tuzla, Mogadischu, Los Angeles, Beirut, Panama City, Hué, Saigon, Santo Domingo - aber diese Zusammenstöße sind nur der Prolog des eigentlichen Dramas, das uns noch bevorsteht."[1]

Los Angeles hat sich nicht zufällig in diese Reihe von Städten, die überwiegend in der so genannten Dritten Welt liegen, eingereiht. Denn Armut und wachsende Ungleichheit werden auch in den Metropolen des Westens als zunehmende Bedrohung eingeschätzt. So heißt es bereits Ende der 1990er Jahre im Zukunftsbericht der Freistaatenkommission Bayern/Sachsen hinsichtlich der mit den Hartz-Reformen später realisierten "defensiven Niedriglohnstrategie": "Diese insgesamt positiven Wirkungen gehen jedoch einher mit wachsender materieller und immaterieller Ungleichheit. Wird das durch die Sozialhilfe definierte Existenzminimum spürbar gesenkt, verändern sich die Erscheinungsformen von Armut. In den Städten können Armenviertel entstehen, der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung von Bevölkerungsgruppen können sinken, die Kriminalität kann steigen."[2] Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik führt diesen Gedanken zu Ende: "Krasse Armutsunterschiede oder rasche Veränderungen in der Armutsstruktur, wie beispielsweise die Verarmung der Mittelschichten oder auch nur deren Angst davor, können unter bestimmten Umständen in Radikalisierung, Militanz und Bereitschaft zur Anwendung terroristischer Mittel umschlagen."[3]

2. Der globale Bürgerkrieg

Die vorwiegende Aufgabe der Streitkräfte weltweit während der Blockkonfrontation, die Armeen des feindlichen Blocks oder Staates abzuwehren und die eigenen territorialen Grenzen zu verteidigen, endete mit dieser globalen Mächtekonstellation. Seit dem wurde mit einer Reihe neuer Sicherheitsbegriffe versucht, den Armeen neue Aufgaben zuzuweisen. Die militärische Vereinnahmung des an sich entwicklungspolitischen Begriffs der "Menschlichen Sicherheit" beinhaltet die Vorstellung, dass Soldaten weltweit Frauen vor Diskriminierung und Minderheiten vor Übergriffen schützen sollten. Solche Peacekeeping-Einsätze münden letztlich in den Versuch, "Staaten [zu] bauen",[4] indem unter militärischer Kontrolle und Anleitung internationaler Truppen ein neuer Sicherheitssektor (Polizei, Grenzschutz, Geheimdienst, Militär, Justiz und Gefängniswesen) aufgebaut wird, während gleichzeitig internationale NGOs - eng mit der militärischen Besatzung verknüpft und auf deren Schutz angewiesen - die Achtung von Menschenrechten garantieren und demokratische Partizipation ermöglichen sollen. Diese Strategien fanden ihre Erprobung in zerfallenden Staaten, wo also das repressive Gewaltmonopol des Staates und die integrierende Wirkung einer sozialen Mindestabsicherung sich in Milizen, Banden und Clans auflösten. Doch der Aufgabenbereich der Militärs wurde noch weiter entgrenzt und wurde auch auf Probleme wie organisierte Kriminalität, Seuchen, Armut und Flucht ausgerichtet. In Regionen wie der Demokratischen Republik Congo (DRC) stellen UN-Truppen quasi die notwendige landesweite Infrastruktur für die Anwesenheit ausländischer Firmen, humanitärer Organisationen etc.

Die Tatsache, dass es zunehmend gesellschaftliche und polizeiliche Aufgaben sind, welche die Soldaten nun auch im Inland wahrnehmen, bezeichnet Stephan Böckenförde von der Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit" als "Paradigmenwechsel von Verteidigung zum Schutz".[5] Dabei handelt es sich um eine dreifache Entgrenzung des Sicherheitsbegriffs: Im Gegensatz zur Verteidigung findet der Schutz nicht an der Grenze statt sondern etwa als Schutz der Energieversorgung weit jenseits und als Schutz kritischer Infrastrukturen feingliedrig auch innerhalb der Grenzen (räumliche Entgrenzung). Im Gegensatz zur Verteidigung benötigt der Schutz keinen aktivierenden Angriff, sondern findet im Vorfeld präventiv in Form von Risikomanagement statt (zeitliche Entgrenzung). Im Gegensatz zur Verteidigung ist der Schutz nicht auf ein militärisches Gegenüber beschränkt, sondern umfasst ebenso terroristische, biologische, klimatische und auch - betrachtet man beispielsweise "Integrationspolitik" als Terrorismusprävention - kulturelle Gefahren (funktionale Entgrenzung). Dies wird im Weißbuch der Bundeswehr unter dem Schlagwort der "vernetzten Sicherheit" eben so formuliert: "Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen Â… bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung".[6] Im Begriff der vernetzten Sicherheit bzw. dem Paradigmenwechsel von der Verteidigung zum Schutz erkennen wir eine Ursache für die Auflösungserscheinungen herkömmlicher Kategorien wie Krieg und Frieden, Kombattant und Zivilist, Innere und äußere Sicherheit, Peacekeeping und Katastrophenschutz. In ihnen erkennen wir den Schlüssel zum globalen Bürgerkrieg.

3. Weltweite Verlegbarkeit

Wie sehen nun die konkreten Strategien westlicher Streitkräfte für den globalen Bürgerkrieg aus? Eine wichtige Rolle spiele die "Interdiktion", so Böckenförde, "also die Kontrolle und das Unterbrechen von Personen- und Güterverkehr".[7] Dies soll einerseits die Verfügungsgewalt potentieller Gegner über Waffen und waffenfähiges Material einschränken, wie der UNIFIL-Einsatz im Libanon, andererseits den sicheren Transport sowohl von Rohstoffen als auch Exportprodukten gewährleisten und damit das wirtschaftliche Rückgrat der Ersten Welt stärken, was durch eine dauerhafte Präsenz der Marine an wichtigen Passagen der Weltmeere realisiert werden soll.[8]

Zwei weitere Anforderungen für ein globales Engagement, insbesondere zur so genannten schnellen Krisenintervention seien hier nur kurz erwähnt. Einerseits muss die schnelle Verlegbarkeit von Truppen und wegen ihres zunehmend robusten Mandates auch schwereren Waffensystemen wie Panzern oder Hubschrauber gewährleistet sein. Hierfür dient im europäischen Kontext die Anschaffung von insgesamt 180 militärischen Großraumtransportern vom Typ Airbus A400M durch Staaten der EU und die Türkei. Als Übergangslösung hält die Ruslan Salis GMBH auf dem Flughafen Halle/Leipzig ständig zwei Antonow An-124 bereit und stellt sie bei Bedarf vier weitere Maschinen diesen Typs den NATO- und EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung.[9] Die Verlegbarkeit spielt aus denselben Gründen eine zunehmende Rolle bei der Entwicklung und Beschaffung von anderen Waffensystemen etwa zur bodengestützten Luftabwehr, deren neue Varianten in die Transportmaschinen passen müssen. Doch auch die Soldaten im Einsatzgebiet müssen schnell an verschiedene Einsatzorte kommen, da der Feind oft unter der lokalen Bevölkerung nicht lokalisierbar ist oder gegen spontanen Aufruhr vorgegangen werden muss. Deshalb wird seit 1990 unter der Ägide der NATO der NH90 entwickelt, von dem mittlerweile durch 14 Staaten (vorwiegend EU- und NATO-Mitglieder) über 400 Stück bestellt wurden. Insbesondere seine Ausführung als Taktischer Transporthubschrauber (TTH) mit Platz für 20 voll ausgerüstete Soldaten wird stark nachgefragt, von ihnen haben alleine Deutschland 122, Spanien 90 und Italien 70 Stück angefordert. Eine weitere Konsequenz des Szenarios kurzfristiger und weit entfernter Kriseneinsätze ist die zunehmende Entwicklung von gepanzerten Containersystemen, aus denen modular Lager aufgebaut werden können oder auch ganze Sanitätsstationen kurzfristig von Hubschraubern oder gepanzerten LKWs abgesetzt werden können. Container zum Transport von Truppen durch feindliches Gelände werden gegenwärtig auch von EADS in Zusammenarbeit mit Krauss Maffei Wegmann für die Bundeswehr entwickelt (MUCONPERS).

Als weitere Notwendigkeit wird die Fähigkeit zur globalen geografischen Abbildung und der streitkräftegemeinsamen Kommunikation durch Satelliten gesehen, weshalb es auch in diesem Bereich gegenwärtig zahlreiche Rüstungsvorhaben gibt.

4. Näher am Feind

Diese Rüstungsprojekte bilden zwar einen zunehmenden Wunsch zur globalen Intervention ab, sind aber auch im Staatenkrieg, also der Konfrontation zweier Armeen, logische Fortentwicklungen. Im Folgenden soll es um die neuen Strategien gehen, mit denen auf so genannte asymmetrische Bedrohungen reagiert wird. Asymmetrische Kriegsführung sollte dabei auch als Reaktion auf die militärische Übermacht gesehen werden, mit der wahlweise die neue Weltordnung oder auch Demokratie, Menschenrechte und Freihandel durchgesetzt werden. Angesichts dieser Übermacht treten die Feinde der Interventionen nicht als offen uniformierte und agierende Kampfverbände auf sondern greifen sie zu Mitteln der Guerillakriegführung wie Sabotagen, Hinterhalten, Anschlägen sowie zum Terror gegenüber unbeteiligten Dritten. Die Strategien, mit denen sie bekämpft werden, sind allerdings dieselben, mit denen gegen spontan gebildete Widerstandsmilizen, Aufstände oder auch Demonstrationen vorgegangen wird. Zu einem Großteil sind sie sogar den Erfahrungen in UN-Peacekeepingeinsätzen entnommen. Das 282 Seiten starke Army Field Manual 3/24 vom Dezember 2006, mit dem bezeichnenden Titel "Aufstandsbekämpfung" ganz offensichtlich als Anleitung für US-amerikanische Truppen in Irak und Afghanistan verfasst, übernimmt teilweise sogar die Rhetorik der UN. Mindestens so wichtig, wie unverbesserliche Terroristen auszuschalten sei es, öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Hierfür dürften sich die Soldaten nicht in ihren Kasernen verschanzen und nur durch Gewaltoperationen in Erscheinung treten, sondern müssten Präsenz zeigen. Um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten, solle auf intensive Panzerung verzichtet und so manches Risiko eingegangen werden. Entscheidend sei außerdem die Integration ziviler und militärischer Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung sowie Nachrichtengewinnung und strategische Kommunikation.[10] Die Bekämpfung asymmetrischer Bedrohungen setzt also selbst im Irak auf eine zunehmende Nähe zu den ZivilistInnen bei der Übernahme von Polizeiaufgaben.

Die gleichen Lehren wie im umkämpften Irak wurden bereits wenige Wochen nach Beginn des Einsatzes von UN-Truppen unter brasilianischem Kommando in Haiti gezogen. In den Armenvierteln der Hauptstadt, deren Bewohner dem früheren Präsidenten Aristide anhängen, wurden unter militärischem Schutz der UN-Mission MINUSTAH Polizeistationen (wieder-)eröffnet und intensiv patrouilliert, dabei auch die Straßen von Barrikaden befreit und Medikamente an die Bevölkerung verteilt.[11] Wie in allen aktuellen UN-Mandaten haben die internationalen Soldaten v.a. den Auftrag, für sich und andere Sicherheitskräfte "die Bewegungsfreiheit [zu] sichern". Als Paradigma für die Anwendung militärischer Mittel hat sich mittlerweile die Floskel durchgesetzt, "Gewalt an[zu]wenden, um Gewalt zu verhindern".

5. Soziale Kontrolle

Haiti ist ein hervorragendes Beispiel, wie das internationale Militär zur sozialen Kontrolle[12] insbesondere der armen Bevölkerungsteile in den entsprechenden Stadtvierteln benutzt wird, insbesondere deshalb, weil Soldaten mit UN-Mandat entsandt wurden, ohne dass es zuvor einen ernsthaften militärischen Konflikt und mehrere bewaffnete Parteien gegeben hätte, die getrennt werden müssten. Rama Mani vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik kritisiert mit Hinweis hierauf, dass die mittlerweile 7.065 Soldaten der MINUSTAH durch zu wenige internationale Polizisten (gegenwärtig 1.760) ergänzt seien. Soldaten seien nicht für Situationen ausgebildet und ausgerüstet, in denen überwiegend "Gangs", Gewaltverbrechen und illegaler Handel mit Drogen und Waffen "bekämpft" werden sollen. Darüber hinaus berichtet sie, dass Soldaten sich mit ihrer sperrigen Ausrüstung in den engen Gassen der Slums kaum bewegen könnten.[13]

Die internationalen Sicherheitskräfte arbeiten in erster Linie der lokalen Polizei HNP zu, die aber von der Bevölkerung selbst für einen Großteil der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird[14] und selektiv gegen die Anhänger der alten Regierung und jetzigen Opposition vorgeht. So nahm sie im Vorfeld der Wahlen von 2006 den einzigen Kandidaten, der tatsächlich von Fanmi Lavalas (der Bewegung Aristides) unterstützt wurde, Gérard Jean-Juste, fest und lancierte Anzeigen gegen ihn, sodass er von der Wahl ausgeschlossen wurde. Der ehemalige Innenminister, Jocelerme Privert, befand sich von Mai 2004 bis Juni 2006 ebenfalls in Haft - Monate lang ohne offizielle Anklage.[15] Zwischenzeitlich wurde er von einer bewaffneten Gruppe befreit, kehrte aber freiwillig zurück. Die HNP lancierte überdies im Oktober 2004 das Gerücht, die Opposition hätte eine 'Operation Baghdad' angekündigt, bei der mit Terror gegen die internationalen Truppen vorgegangen werden solle. Tatsächlich hat sich die Lage und auch die Opposition in Haiti durch die Präsenz internationaler Truppen militarisiert. Regelmäßig führen diese zusammen mit der HNP Razzien in den Slums durch, eine solche am 6. Juli 2005 im Stadtteil Cité Soleil mündete in ein siebenstündiges Feuergefecht, bei dem die UN-Truppen mit Hubschrauberunterstützung 20.000 Schuss Munition verbraucht haben sollen.[16] Häufiger gehen die Razzien allerdings mit solchen Meldungen zu Ende: "insgesamt wurden 41 Verdächtige festgenommen und sechs Waffen beschlagnahmt" oder "96 Verdächtige, darunter vier bekannte Mitglieder einer Gang, wurden verhaftet und in den Gewahrsam der HNP übergeben".[17]

6. Polizeisoldaten

Rama Mani sieht den Grund für die geringe Zahl internationaler Polizisten, die nach Haiti entsandt wurden, darin, dass es insgesamt wenige Polizeibeamte gäbe, die für Auslandseinsätze bereitstehen und ausgebildet wären. Auch wenn dies nicht der unmittelbare Grund hierfür ist, da auch das letzte UN-Mandat vom August 2006 lediglich 1.951 Polizeibeamte vorsieht, verweist dies auf eine Lücke, die gegenwärtig geschlossen wird: In den meisten Ländern besteht keine gesetzliche Grundlage für die Entsendung von Polizeibeamten. In Deutschland beispielsweise muss noch jeder Beamte seiner Auslandsverwendung zustimmen, das Innenministerium arbeitet allerdings schon seit Jahren an einer Gesetzesinitiative, welche dies zumindest für Beamte der Bundespolizei ändern soll, damit zukünftig ganze Einheiten, gemeinsam hierfür trainiert, zu Auslandseinsätzen verpflichtet werden können. Eine Alternative hierzu bieten Gendarmerieeinheiten wie die Carabinieri, die sowohl dem Innen- als auch dem Verteidigungsministerium unterstehen und sowohl unter zivilem Kommando als Polizisten als auch unter militärischem als Soldaten eingesetzt werden können. Dieses Konzept erweist sich als wahrer Exportschlager, so beraten und begleiten Carabinieris unter militärischem Kommando (EUFOR BiH) den Aufbau einer neuen Polizei in Bosnien-Herzegowina und bilden am so genannten Center of Excellence for Stability Police Units (COESPU) im italienischen Vincenza auf Initiative der G8-Staaten Polizeibeamte u.a. aus Kamerun, Indien, Jordanien, Kenia und Senegal in Aufstandsbekämpfung und für Auslandseinsätze aus.[18] In derselben Stadt befindet sich auch das Hauptquartier der European Gendarmerie Force (EGF). Diese besteht aus Abteilungen der französischen, italienischen, niederländischen, portugiesischen und spanischen Gendarmerie-Truppen[19] seit März 2007 in Partnerschaft mit den Zandarmeria Wojskowa, der polnischen Militärpolizei.[20] Die EGF hat explizit einen militärischen Status, soll aber auch die Fähigkeiten der Polizei besitzen. Konzipiert ist sie nach eigenen Angaben v.a. für Kriseneinsätze im Rahmen der EU aber auch außerhalb und kann hierfür auch unter das Kommando der UN, der NATO oder der OSZE gestellt werden. Auch Auslandseinsätze unter ad hoc Koalitionen werden von der EGF antizipiert. Die 800 in Vincenza stationierten Kräfte mitsamt Einsatzhauptquartier sollen hierfür innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein und aufgrund ihres gemeinsamen Trainings und militärischen Kommandos effektiv die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" wiederherstellen. Bereits auf dem EU-Gipfel im Juni 2000 bei Santa Maria da Feira erklärten die Mitgliedsstaaten der EU das Ziel - analog zum militärischen Headline Goal 2010 - bis 2003 insgesamt 5.000 Polizeibeamte zur Auslandsverwendung bereitzustellen (im Mai 2004 wurde dieses Ziel auf 5671 erhöht)[21], davon sollen 1.000 (nun 1.400) innerhalb von 30 Tagen einsatzfähig sein.[22] Erfahrungen im "zivilen" Auslandseinsatz unter dem Dach der ESVP konnten EU-Polizeibeamte bislang und in dieser zeitlichen Reihenfolge in Bosnien-Herzegowina (max. 464), Mazedonien (140), der Demokratischen Republik Congo (30), Sudan (16), Israel/Palästina (170), Moldawien (70) und Palästina (33) sammeln. Deutsche Polizisten waren und sind anderweitig noch in Albanien, Kroatien, Afghanistan und Kosovo tätig, im Letzteren nicht nur beratend sondern auch mit exekutiven Befugnissen ausgestattet. Bei den meisten der genannten Einsätzen ging es jedoch überwiegend um Ausbildung und Überwachung beim Aufbau lokaler Sicherheitsstrukturen.

Stattdessen ist die Kontrolle von Demonstrationen und Niederschlagung von Aufständen als Crowd and Riot Control (CRC) im Ausland noch vornehmlich Aufgabe des Militärs bzw. unter militärischem Mandat eingesetzter Polizisten. Als besonderes Testfeld erweist sich hier der Balkan, insbesondere im Kosovo scheinen CRC-Übungen nahezu wöchentlich stattzufinden.[23] Die Übungsszenarien lauten dabei beispielsweise wie folgt: "Eine Gruppe von Demonstranten hat sich von einer genehmigten Demonstration in der Altstadt abgesetzt und bewegt sich in Richtung Erzengelkloster im Bistricatal. Zum Schutz der Mönche und des Klosters befiehlt die 4. Kompanie des Einsatzbataillons Prizren zusätzliche Sicherungsmaßnahmen. Dazu verstärkt sie die Reserve, den Charlie-Zug, luftbeweglich als CRC-Zug die Sicherung am Kloster [Â…] Minuten später landen die drei Hubschrauber auf relativ kleinem Raum und setzen die Verstärkungskräfte ab. Unverzüglich beziehen sie ihre im Voraus erkundeten Stellungen womit auch das Ende der Übung angezeigt ist."[24] Die Übungen sind u.a. notwendig, um den Umgang mit für Soldaten eher untypischen Einsatzmitteln wie Schildern (gegen Steinwürfe) zu trainieren. Die Schilder müssen beim Besteigen des Hubschraubers in einer bestimmten Weise getragen werden, damit sich der Luftzug der Rotoren nicht in ihnen verfängt. Das Foto der Woche in der Aprilausgabe der Zeitschrift "Y - das Magazin der Bundeswehr" zeigt junge Männer in Armeehosen, die vor einem Panzer und deutschen Feldjägern wegstürmen, im Hintergrund ein Hubschrauber, folgender Text erläutert die Szene: "Das Operational Reserve Batallion trainiert seine Fähigkeiten im Kosovo bei der Übung 'Balkan Hawk' und bekommt von den Amerikanern Unterstützung aus der Luft. Sie versuchen die Demo mit Hilfe eines Apache-Hubschraubers aufzulösen." Die Uniformen der Feldjäger tragen dabei keine Tarnflecken sondern sind in einheitlichem grün gehalten so wie (früher) die der deutschen Bereitschaftspolizei (denen sie verdächtig ähneln). Außerdem tragen sie offensichtlich Schienbeinschoner.

Die Feldjäger erfahren gegenwärtig wegen ihrer polizeiähnlichen Ausbildung eine Aufwertung in der Bundeswehr, sowohl bei der Ausbildung anderer Truppenteile in CRC als auch durch ihre vielseitige Anwendbarkeit im Ausland. Im Kosovo reicht ihr Aufgabenspektrum vom militärischen Verkehrsdienst, über Ordnungsdienst, Hilfeleistungen, Raum- und Objektschutz, Begleitung von Konvois, Überwachung der Einhaltung der Luftsicherheitsbestimmungen bis hin zum Personenschutz. Sie verfügen über Körperschutz wie die Polizei, Rammböcke, Alkoholtester, Geschwindigkeitsmesser, Rauschgift- und Sprengstoffspürhunde aber auch Waffen mit Laserzielgeräten. Ein Element der Feldjägereinsatzkompanie in Prizren ist die vom BKA ausgebildete "Ermittlergruppe", die "Â…Aufgaben wie die Kriminalpolizei wahr[nimmt]".[25]

7. Three Block War

Weder Ermittlungen noch CRC-Einsätze mussten die EU-Soldaten beim EUFOR-Einsatz in Kinshasa (EUFOR DRC) wahrnehmen, obwohl Letzteres ein durchaus realistisches Szenario darstellte. Die zunächst intensiv durchgeführten Patrouillen auch in den ärmeren Vierteln der congolesischen Hauptstadt wurden nach offenen Anfeindungen und vereinzelten Steinwürfen auf die Militärfahrzeuge deutlich reduziert. Offizielles Ziel der Mission war es, in Kinshasa während der Wahlen im Sommer 2006 für ein "sicheres Umfeld" zu sorgen. Bei den aussichtsreichsten Kandidaten Kabila und Bemba handelte es sich um (ehemalige) Warlords, die über eigene Truppen verfügten. Eine Auseinandersetzung unter diesen zu verhindern oder zu beenden war die wahrscheinlichste Aufgabe und nur einmal rückten die Soldaten tatsächlich zum Kampfeinsatz aus, als Kabilas Truppen Bembas Residenz beschossen, in der sich gerade mehrere Botschafter aufhielten. Der letztendlich unterlegene und mittlerweile im portugiesischen Exil lebende Bemba wusste jedoch einen Großteil der Bevölkerung Kinshasas und insbesondere die Armenviertel hinter sich. Die Angehörigen seiner Miliz sind teilweise in diesen verwurzelt und flohen nach späteren Gefechten auch in diese. Zudem veranstalten Jugendgruppen in den Slums im Kontext politische Entscheidungen öffentliche Wehrsportübungen als Drohgebärden.[26] Demonstrationen auf dem Boulevard du 30. Juin, der das am Wasser gelegene Banken- und Diplomatenviertel Gombe vom Rest der Stadt trennt (bzw. mit diesem verbindet), verlaufen manchmal gewalttätig. Hier begannen auch die Ausschreitungen gegen die UN-Truppe MONUC im Juni 2004, bei denen 15 Fahrzeuge der UN demoliert und etwa 100 Wohnungen von UN-Mitarbeitern geplündert wurden. Im Verlauf der Proteste wurden mindestens drei Menschen von UN-Soldaten erschossen.[27] Ähnliche Ausschreitungen - wenn auch weniger intensiv - gab es gegen die Büros allerlei internationaler Organisationen und Banken, nachdem Kabilas Truppen die Miliz Bembas Ende März 2007 vernichtend geschlagen und aus der Stadt gejagt hatten. Die Unordnung des Gefechts in Gombe wurde von vielen Zivilisten zum Anlass für Plünderungen genommen.

Noch während die EU-Truppen anwesend waren, kam es zu einer Situation, die ähnlich hätte verlaufen können: Während Bembas Einsprüche gegen die Wahl am 21.11.2006 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt (und schließlich abgelehnt) wurden, sprach seine Anwältin draußen zu seinen Anhängern. Daraufhin kam es zu Brandstiftungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei vor dem Gerichtsgebäude, bei denen nach Angaben der Polizei auch vonseiten einiger bewaffneter Unterstützer Bembas geschossen worden sein soll. Die Soldaten der EU griffen seinerzeit nicht ein, da sich die Polizei schnell zurückzog und sich die Lage daraufhin beruhigte. (Die in England lebende Anwältin wurde später festgenommen und mit unter Folter gemachten Aussagen der Anzettelung eines Aufstandes angezeigt.)[28] Solche Situationen einer "schnelle[n] Abfolge oder sogar zeitliche[n] und räumliche[n] Parallelität unterschiedlicher Einsatzintensitäten, Konfliktlinien inklusive plötzlicher Eskalation und Deeskalation im Wechsel"[29] werden von westlichen Streitkräften als Three Block War bezeichnet und intensiv geübt, da sie als besonders realistisch und anspruchsvoll gelten. Medienstabsoffizier Olaf Kuske erläutert auf der Homepage des Heeres das Szenario einer solchen Übung, die an der Infanterieschule Hammelburg durchgeführt wird:

"Eine Hilfsorganisation verteilt Lebensmittel an die Bevölkerung, geschützt durch eine Patrouille deutscher Infanteristen. Ein ohrenbetäubender Knall und plötzlich hat sich die friedliche Szene in ein Schreckensbild verwandelt. Eine Autobombe ist detoniert. Mehrere Zivilisten und ein Soldat liegen verwundet am Boden. Sie werden von anderen Soldaten sofort versorgt. Die Bevölkerung, der die Rettungsmaßnahmen nicht schnell genug gehen, ist aufgebracht und die Lage eskaliert. Wütende Demonstranten dringen auf die mittlerweile eingetroffene Verstärkung ein, die mit Schilden, Stöcken und Hunden die Lage aber sicher im Griff hat. Heckenschützen, die in die Menge schießen und dabei mehrere Zivilisten und einen Soldaten verwunden, werden im koordinierten Einsatz von Panzern, Schützenpanzern und Infanterie rasch unschädlich gemacht."[30]

Als Kulisse dient das Dorf Bonnland mit seinen 120 Gebäuden, die seit 1937 nicht mehr bewohnt werden, sondern auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg als Ortskampfanlage dienen. Neben Soldaten in zivil werden für solche Übungen auch zunehmend Zivilisten etwa durch das Rostocker Sicherheits- und Personaldienstleistungsunternehmen DSS angeworben. Die Rollenspieler sollen dann etwa das Leben in einem irakischen oder kosovarischen Dorf simulieren und nächtigen in einer Kaserne. Während der Übungen, die mehrere Wochen dauern, dürfen sie das Gelände nicht verlassen oder ein Handy benutzen. Wenn sie die Übung vorzeitig abbrechen, reduziert sich ihr Lohn.

8. Lehren aus Falludscha

Der Truppenübungsplatz Lehnin, etwa 25km südwestlich von Berlin, verfügt neben mehreren Ortskampfanlagen auch über die Stadtkampfanlage Rauhberg: "Auf rund 1000 mal 500 Meter ist dort alles vorhanden, was eine Stadt auszeichnet. Häuser, Kanalnetz, Unterführungen, Bahnhof, Schule, Reisebüro, Flugplatz und vieles mehr. Es gibt sogar eine Anlage zur Darstellung von Gebäudebränden und Lautsprecher zur Simulation von Gefechtslärm. Im Rauhberg kann mit Übungsmunition auf elektrisch gesteuerte Ziele geschossen werden. Scharfschützen können europaweit einmalig hier den scharfen Schuss üben."[31]

Die Notwendigkeit von Kulissen mit Hochhäusern und städtischer Infrastruktur stellt Sascha Lange von der Stiftung Wissenschaft und Politik in seinem Diskussionspapier "Falludscha und die Transformation der Streitkräfte - Häuserkampf in Städten als dominante Kernfähigkeit der Zukunft?"[32] am Beispiel der USA und Frankreichs dar. Als Gründe für die zunehmende militärische Bedeutung der Städte nennt er v.a. die rasante Urbanisierung und verweist anschließend darauf, dass die USA in den letzten 20 Jahren 80% ihrer bewaffneten Konflikte teilweise und 40% ausschließlich in städtischer Umgebung ausgefochten hätten und Frankreichs militärisches Engagement in Afrika sich in erster Linie auf die dortigen Hauptstädte konzentriert, da sich in diesen die Auslandsvertretungen sowie die wichtigsten Flug- und Seehäfen befänden. Jörg Hoogeveen, Referent im Führungsstab des Heeres, nennt in seinem Artikel "Operationen in urbanem Umfeld - Besondere Herausforderungen für die Landstreitkräfte" ähnliche Gründe, verweist darüber hinaus auch darauf, dass urbane Ballungsräume zugleich wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Zentren und wegen ihrer Bedeutung für die Infrastruktur des Landes "Lebensadern einer Gesellschaft" seien.[33] Ein realistisches Training für Kampfeinsätze in solchen Ballungszentren, bei denen insbesondere auch Industrieanlagen und Kraftwerke eine Rolle spielen, ist jedoch in den wenigen Hochhäusern Rauhbergs ebenso wenig möglich, wie in den US-amerikanischen Urban Combined Arms Collective Training Facilities, die meist aus 20-30 Gebäuden bestehen. Hier lässt sich "[s]peziell die Integration von dosierter Artillerie, Luftnahunterstützung und (Kampf-)Logistik nicht adäquat [sic]" darstellen.[34] Bislang seien im Training "Probleme wie Nachschub von Verpflegung und Munition, Evakuierung von Verwundeten, Kommunikation und elektronischer Kampf" nicht ausreichend berücksichtigt worden.[35] Gerade die komplexe Struktur gewachsener Städte mit ihren verzweigten Tunnelsystemen macht aber die Unübersichtlichkeit aus, mit der die Streitkräfte bei urbanen Operationen insbesondere bei der Versorgung der eingesetzten Soldaten zu kämpfen haben.

Am Beispiel des US-Angriffs auf Falludscha stellt Sascha Lange dar, wie verlustreich der Häuserkampf auch deutlich überlegener Streitkräfte sein kann. Besonders unter denjenigen US-Truppen, die überwiegend zu Fuß in der Stadt unterwegs waren, gab es 40 Opfer. Daher müsse man eine bessere Panzerung der Truppen für solche Anlässe gewährleisten, etwa durch Schützenpanzer. Insofern sei die Anschaffung des neuen PUMA-Schützenpanzers durch die Bundeswehr zu begrüßen. Allerdings macht eben der PUMA deutlich, dass sich Schutz und Panzerung mit den Anforderungen der Verlegbarkeit und Wendigkeit widersprechen. Der PUMA lässt sich nur mit der geringeren Schutzstufe A im A400M transportieren. Das höchste Schutzniveau hätten die israelischen NEMERAH-Panzer, "[a]llerdings profitieren die israelischen Landstreitkräfte davon, dass sie wesentlich geringere Anforderungen an ihre strategische und taktische Mobilität zu erfüllen haben, da sie bis zu und in ihren Einsatzräumen nur sehr geringe Entfernungen zurücklegen müssen".[36] Auf viele israelische Erfahrungen im urbanen Einsatz könne man jedoch zurückgreifen. So habe sich ergeben, dass Scharfschützen von herausragender Bedeutung sind und Wände penetrierende Radargeräte und Durchbruchssysteme sinnvoll seien. Entsprechend hat sich die US-Army mittlerweile die gepanzerte Version des Bulldozers D-9R angeschafft.

9. Vernetzung und Aufklärung

Wichtig für den Kampf in urbanem, noch von Zivilisten bewohntem Gelände ist jedoch vor allem die Erstellung eines umfassenden Lagebildes und die Vernetzung von Informationen. Hier ist Deutschland mit seinem modularen Ausrüstungskonzept Infanterist der Zukunft (IdZ) für Bodentruppen führend. Neben einer besseren Bewaffnung und standardmäßigen Komponenten zum Schutz vor ABC-Angriffen vernetzt es die Informationen von je zehn Soldaten einer Gruppe - alle mit GPS ausgerüstet - mit einer Basisstation und über diese mit der Führungsebene: "Jeder Soldat der Gruppe weiß, wo seine Kameraden sind, nicht nur in der Gruppe, sondern auch auf höheren Ebenen [Â…] Ein Laser-Entfernungsmesser ist in deren Ferngläser integriert. Dessen Daten werden kabellos an das 'Navipad' übertragen und können dann den anderen Soldaten der Gruppe oder anderen Einheiten weitergesendet werden. Zusätzlich sind IdZ-Gruppen mit einer digitalen Kamera namens 'Vector' ausgerüstet der Daten ebenfalls kabellos übertragen kann. Sie kann als Mittel zur Fernaufklärung genutzt werden oder um Personen bei Peacekeeping-Einsätzen an Checkpoints zu identifizieren. Die eingefangenen Bilder können ans Hauptquartier gesendet werden oder von der Gruppe zur Herstellung dreidimensionaler digitaler Abbildungen von Häusern oder anderen Objekten verwendet werden, die sie angreifen oder sichern muss."[37] Das System wurde 2002 fünf Monate in Kosovo und seit dem in Afghanistan erprobt. Zunächst ist die Ausrüstung der Division Spezielle Operationen (DSO) damit vorgesehen.

Mittelfristig ist auch der Datenaustausch mit unbemannten Flugkörpern - so genannten Drohnen oder unmanned aerial vehicles (UAVs) - vorgesehen. Neben dem Vorteil gegenüber bemannten Aufklärungsflügen, dass keine eigenen Soldaten aufs Spiel gesetzt werden, sind die Systeme häufig unmittelbarer einsetzbar, unabhängig von den Sichtbedingungen (da sie Wolken unterfliegen können) und unauffälliger. Sascha Lange betont deshalb auch ihre "psychologische Wirkung": Das Gefühl jederzeit ortbar zu sein, zwingt die gegnerischen Kräfte dazu, immer in Bewegung zu bleiben und so ihre Kampfkraft zu verringern.[38]

Speziell für die Nahaufklärung im urbanen Raum hat sich das deutsche Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung auf dem zivilen Markt erkundigt und für die Mikroaufklärungsdrohne MIKADO der Firma AirRobot GMBH & Co KG entschieden, von der bis 2008 66 Exemplare angeschafft werden sollen. Sie kann von einem einzelnen Soldaten transportiert, gestartet und gesteuert werden. Die Bilder, welche die am Fluggerät befestigten Kameras übermitteln, können auf einem Bildschirm oder einer Sichtbrille angesehen werden. Die Drohne soll auch in Gebäude einfliegen können, doch hier besteht noch Bedarf für Nachbesserungen.[39] Bei ihr handelt es sich um einen Drehflügler, da diese auch im Raum schweben und zwischenlanden können und sehr wendig sind, also auch in Straßenzüge und Hinterhöfe eindringen können, was bei Starrflüglern nicht der Fall ist. Diese müssen meist auf Höhe der Dächer fliegen und können selbstständig nur schlecht landen. Die CL-289 kam als erste Drohne der Bundeswehr 1997 im ehemaligen Jugoslawien zum Einsatz, operierte damals jedoch noch mit Nassfilm und konnte deshalb keine Bilder in Echtzeit übertragen. Die Drohne Aladin, die aussieht, wie ein Modellflugzeug, verfügt über diese Fähigkeit und wird bzw. wurde bereits in Afghanistan und der Demokratischen Republik Congo (DRC) von der Bundeswehr eingesetzt, kann aber eine Flughöhe von 150 Metern nicht überschreiten. Die wesentlich größere Drohne LUNA wird ebenfalls in Afghanistan und dem Kosovo bereits eingesetzt, kann bis 4000m aufsteigen und zwei Stunden aufklären, muss dafür aber mit einer Abschussvorrichtung in die Luft gebracht werden.[40] Ebenso wie die KZO-Drohne, die mit 160kg fast fünfmal so schwer ist wie LUNA, und für deren Verlegung vier bis acht LKW von Nöten sind.[41] Sie gilt als taktische Drohne mit der Hauptaufgabe, feindliche Artilleriestellungen zu identifizieren und deren Daten über bis zu 300km übertragen. Außer diesen verhältnismäßig kleinen Drohnen gibt es noch diejenigen der MALE- und diejenigen der HALE-Klasse (Medium bzw. High Altitude - Long Endurance) für Höhen zwischen 5 und 15km bzw. über 15km. Sie zeichnen sich insbesondere durch ihre lange Ausdauer und Reichweite aus und haben darüber noch die Fähigkeit, Funk- und Radarsignale zu erfassen, können damit also Telefonverkehr abhören oder Radarstationen orten.[42] Über MALE-Drohnen verfügt Deutschland nicht, in Europa nutzen allerdings die französischen und schwedischen Streitkräfte die MALE-Drohne EAGLE von EADS. Die USA verfügen bereits seit 1995 über die MALE-Drohne Predator, die schon im Irak und dem Kosovo, in Bosnien und Afghanistan eingesetzt wurde und auch mit Waffen wie Hellfire-Raketen bestückt werden kann. Der gezielte Einsatz von Raketen durch Drohnen der USA wurde bereits drei Mal öffentlich, beispielsweise die Tötung von Abu Hamsa Rabia in einem Haus in Pakistan am 3.12.2005 durch eine Predator-Drohne.[43] Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung hat jedoch am 1.2.2007 mit EADS und der US-Firma Northrop Grumman einen Vertrag über 450 Mio. Euro unterzeichnet um die Entwicklung eines Prototyps der HALE-Drohne EuroHawk, basierend auf dem US-Modell Global Hawk, zu finanzieren. Diese hat eine Reichweite von 25.000km und kann über 24 Stunden im Einsatz bleiben, also theoretisch von Deutschland aus (fast) jeden beliebigen Ort der Welt aufklären und zukünftig evtl. auch bombardieren. Mit solchen hochfliegenden Drohnen lassen sich auch potentielle Einsatzgebiete ohne das Einverständnis des jeweiligen Souveräns unauffällig aufklären.[44]

10. Urban Resolve

Kinshasa war das Experimentierfeld der EU-Truppen für den Einsatz von Drohnen in Großstädten. Deutsche Aladin und belgische Hunter überflogen die Stadt - von Letzteren stürzten zwei ab - um ein Lagebild zu schaffen, Bewegungen der Milizen und Zusammenrottungen der Bevölkerung rechtzeitig erkennen zu können. In einem ganz anderen Maßstab werden Drohnen aber bereits in Irak und Afghanistan eingesetzt - nach Angaben der US-Rüstungszeitschrift National Defense insgesamt 1.500. Dies belebt freilich den Markt und mittlerweile sind schon Aufklärungsdrohnen im Einsatz, die gerade 235g wiegen und aus der Hand gestartet werden können. Dennoch muss die entstehende Masse an Aufklärungsdaten angesichts der vielen Störsignale im städtischen Raum erst noch effizient verwaltet und ausgewertet werden.[45]

Um hierfür auch im Rahmen multinationaler Einsätze die richtigen Strategien zu entwickeln, führte das US-Militär bis Mitte 2007 ein mehrjähriges Experiment mit dem Namen Urban Resolve 2015 durch. Hierfür wurde eine Stadt mit über 1.8 Mio. Gebäuden, davon 65.000 begehbar, und 124.000 Menschen virtuell simuliert. Von den simulierten Menschen wiederum waren 35.000 animiert und verhielten sich in einer "kulturell angepassten Weise", d.h. sie gingen zur Arbeit, aßen und beteten.[46] Unter ihnen versuchten sich etwa 1.100 feindliche Kräfte zu verstecken. Aufgabe der teilnehmenden Soldaten aus 14 Staaten war es, überall in der Stadt Sensoren anzubringen (die es bereits gibt oder die über Eigenschaften verfügen, von denen angenommen wird, dass sie im Jahr 2015 verfügbar sein werden) und sie so miteinander zu verknüpfen, dass die feindlichen Kräfte identifiziert werden können. Dies beinhaltete auch die Markierung von Menschen und Fahrzeugen mit Sendern, die über Drohnen überwacht wurden und so ein Bewegungsprofil der Personen ermöglichen. Zwar diente als Vorbild der simulierten Stadt zunächst Jakarta, in einer späteren Pressemitteilung des Pentagon wird allerdings angegeben, das Setting sei Bagdad.[47] Auch der deutsche Teilnehmer Stephan Meermann beschreibt folgendes Szenario: Nach Abzug der US-Streitkräfte 2009 aus dem Irak "verschlechterte sich die wirtschaftliche und infrastrukturelle Lage des Gouvernats Bagdad kontinuierlich. Dies führte im Ergebnis zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Bagdad sowie zu Autonomiebestrebungen [sic!]. Im Jahr 2015 bat die irakische Regierung die UN [Â…] um Hilfe. Im Rahmen eines UN-Mandats führten US-Streitkräfte eine sehr kurze Anfangsoperation ('Major Combat Operation') durch und gingen in Bagdad zu einer Stabilisierungsoperation über. Daraufhin entwickelte sich innerhalb von 35 Tagen eine sehr aktive Bewegung Aufständischer ('Insurgency')[Â…]".[48]

Tatsächlich erschöpfte sich das virtuelle Experiment jedoch nicht in der reinen Bekämpfung des Aufstandes. Die Computersimulation ermittelte zugleich Einstellungsmuster in der Bevölkerung, von den Experimentteilnehmern mussten auch "Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen des Ausbruchs der Vogelgrippe im Norden des Irak"[49] geplant werden. Das "künstliche Umfeld für Analyse und Simulation" (SEAS), welches dem Experiment zugrunde liegt, soll zudem Aufschlüsse darüber geben, "wie die Bevölkerung auf Handlungen reagieren könnte, die gegen die politischen, militärischen, sozialen, infrastrukturellen und informationellen Grundlagen ihrer Länder gerichtet sind".[50] Da also das Verhalten von Massen im urbanen Umfeld simuliert würde, biete sich das Simulationsumfeld auch für Katastrophenschutzplanungen, etwa zur Simulation einer Flut an. Der Direktor der militärischen Forschungseinrichtung, die es entwickelt hat, Konteradmiral James A. Winnefeld, geht deshalb auch davon aus, das bald ein weiteres Experiment unter Beteiligung der Streitkräfte aber der Leitung des Departement of Homeland Security stattfinden wird, um Einsätze innerhalb der USA durchzuspielen.[51]

Auch die Experimente zur Aufklärung mit Drohnen sind für "ziviles" Sicherheitspersonal von Interesse. So setzt Österreich die etwa 200kg schwere Drohne CamCopter S-100 zur Überwachung der Grenze zur Slowakei ein, die Liverpooler Polizei lässt seit Mai 2007 den Sensorcopter von Diehl über Parks und sozialen Brennpunkten kreisen. Drohnen wurden auch schon von der deutschen Polizei eingesetzt, etwa um während Castor-Transporten das Schienennetz zu überwachen.

11. Sanfte Waffen für harte Zeiten?[52]

Nach dem Bericht Meermanns wurde bei der Urban Resolve - Übung auch der Einsatz so genannte nicht-lethaler Waffen (NLW) simuliert. Diese werden eine zunehmende Bedeutung beim Umgang mit einer "widerstrebenden Bevölkerung" gewinnen, die nach Aussage von Dr. Friedhelm Krüger-Sprengel, ehemaliger Ministerialdirigent im Bundesverteidigungsministerium, ein Charakteristikum von Peacekeeping-Einsätze ist:

"Die Ausrüstung mit non-lethal weapons [NLW], die gibt den Streitkräften und natürlich auch der Polizei ein erweitertes Handlungsspektrum. Die können die Auffassung und ihre Aufgaben auch bei einer widerstrebenden Bevölkerung durchsetzen, ohne sofort auf tödliche Waffen zurückzugreifen. Und damit werden sie auch mehr respektiert werden in dem Sinne, dass ihre Gewalt doch weiter reicht und man nicht einfach gegen sie vorgehen kann. Das erweiterte Einsatzspektrum, die erweiterten Handlungsmöglichkeiten im zivilen Umfeld sind eben sehr wichtig für die Aufgabe von Streitkräften bei der Friedenssicherung."[53] Zweck von NLW ist es entweder, eine bestimmte Handlung zu erzwingen, oder einen Gegenüber bzw. eine ganze Gruppe von Personen handlungsunfähig zu machen. Für die Anwendung gegenüber Einzelpersonen werden gegenwärtig in vielen Ländern die Polizeien mit Tasern ausgestattet. In Deutschland sind es bislang einige Spezialeinheiten der Polizei sowie einzelne Polizeireviere zu Testzwecken. Informationen über den Einsatz von NLW bei der Bundespolizei unterliegen der Geheimhaltungsstufe "nur für den Dienstgebrauch". Taser sind pistolenähnliche Waffen, mit denen Menschen Stromschläge zugeführt werden können. Durch den immensen Schmerz und die Muskelzuckungen- und lähmungen sollen diese jeglichen Widerstand bald aufgeben. Neuentwicklungen des Tasers beanspruchen für sich, durch gewisse Frequenzen bei minimalem Schmerz einen maximalen Lähmungseffekt zu erzeugen.

Über Wasserwerfer, deren Strahl zum Leiten elektrischer Ströme verwendet wird, soll es zukünftig auch möglich sein, größere Menschenmengen gleichzeitig durch elektrischen Strom bewegungsunfähig zu machen. Weitere Systeme sind im Test oder werden bereits bereitgehalten, die durch Schallwellen oder Geruchsstoffe Übelkeit verursachen sollen, gezielt betäubende Wirkstoffe oder Gummiwuchtgeschosse in einem größeren Raum ausstoßen. Experimente mit schnell härtendem und tw. mit Reizstoffen angereichertem Schaum, der ganze Personengruppen fixieren sollte, scheinen mittlerweile zwar abgebrochen worden zu sein,[54] wurden aber beispielsweise vom US-Militär 1995 in Somalia gegen anrückende Menschenmassen bei der Essensausgabe angewandt.[55]

Eine der neueren Entwicklungen auf diesem Gebiet ist das Active Denial System (ADS), dessen erste Einsätze vermutlich unmittelbar bevorstehen,[56] getestet wurde es schon über 12 Jahre in über 10.000 Durchgängen. Es sieht aus wie eine flache, auf ein Militärfahrzeug montierte Satellitenschüssel. Diese sendet hochenergetische Mikrowellen aus, die auf der Haut unmittelbar das Gefühl einer Verbrennung verursachen, jedoch nicht mehr als einen Sonnenbrand hinterlassen. Nur Metallgegenstände, die am Körper getragen werden, speichern die Wärme und schmerzen so auch nach dem Einsatz des Gerätes und führen zu tatsächlichen Verbrennungen. Befürworter sehen dies als Vorteil, da die Waffe selektiv gegen Bewaffnete wirke und diese zu einer schnellen Entwaffnung zwinge. Kritiker verweisen hingegen darauf, dass man auch aus anderen Gründen Metall am oder gar im Körper tragen kann. Doug Beason, selbst mit der Entwicklung von Strahlenwaffen beschäftigt, formuliert für den britischen Strategie-Thinktank RUSI (Royal United Services Institute for Defence and Security Studies) ein mögliches Einsatzszenario: In Neu-Delhi formiert sich ein Demonstrationszug durch die Armenviertel und wächst auf dem Weg zur US-amerikanischen Botschaft beständig an. Einige Teilnehmer sind bewaffnet und sie reißen Frauen und Kinder mit sich, um sie als lebendige Schutzschilder zu missbrauchen. So dringt der Mob aufs Botschaftsgelände vor. Die USA hätten sich geschworen, nie wieder eine ihrer Auslandsvertretungen überrennen zu lassen, aber die Marines, die zu ihrer Verteidigung die Gewehre bereits in den Anschlag gebracht haben, zögern noch zu schießen. Nicht weil es unmoralisch wäre, auf eine überwiegend unbewaffnete Menge das Feuer zu eröffnen, sondern weil dies in Sekunden das Verhältnis der USA zu einem ihrer wichtigsten Verbündeten, Indien, um Jahrzehnte zurückwerfen könnte. Deshalb kommt ein ADS zum Einsatz, woraufhin sich die Menge sofort auflöst. Wie durch ein Wunder bleiben Frauen und Kinder von den Schmerzstrahlen unbetroffen.[57]

Ein anderes Szenario für den Einsatz des ADS beschreiben Olaf Arndt und Wolfgang Pircher in ihrer Artikelserie "Die politische Technologie der Pein": "In Szenario 1 befinden wir uns vor den Türen eines regionalen Wahlzentrums in einem beliebigen Land der Dritten Welt. Die Nato hat eine Spezialstaffel entsendet. Ihre Aufgabe: einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten und die Wahlhelfer vor politischen Gegnern der Demokratie und vor Randalierern zu schützenÂ… [E]in Hummer-Jeep mit dem 'Aktiven Vertreibungssystem', dem ADS-Mikrowellenstrahler auf dem Dach, steht außer Sichtweite zur Verfügung und kann innerhalb einer Minute vor Ort sein. Der Zug gut gerüsteter Anti-Riot-Soldaten hat neben dem Eingang des Wahllokales Stellung bezogen. Die in Auslandseinsätzen erfahrenen Männer und Frauen der kleinen Truppe haben einen Verhau aus Stacheldraht um die gesamte Einrichtung gezogen. Wähler, die aus den Nachbarorten grüppchenweise eintreffen, sickern durch einen engen Kanal aus Draht zu den Räumen mit den Wahlkabinen durch. Nach Angaben des Geheimdienstes befinden sich radikale Elemente unter den Anhängern von drei Parteien, die sich neben anderen zur Wahl stellenÂ… Die Wahlgegner rücken bis zum Seiteneingang vor und beginnen, Steine und Molotowcocktails über den Zaun gegen die Hauswand zu werfen und dabei Parolen über 'Wahlbetrug' zu skandieren. Einzelne Demonstranten versuchen, die Barriere zu durchbrechen. Da rückt der 'Sheriff' [gemeint ist der Jeep mit dem ADS-System] vor."

Es existieren aber auch schon vollautomatische Systeme, um Menschen den Zugang zu einem Gelände zu verwehren. Die Firma Taser International hat ein Gerät mit dem Namen Taser Remote Area Denial entwickelt.[58] Auf einem Dreifuß sind Sensoren angebracht sowie Abschussvorrichtungen für Pfeile, die ebenfalls Stromschläge übertragen - und zwar so regelmäßig, dass das Opfer liegen bleibt, bis es von Sicherheitspersonal befreit und festgenommen werden kann. Geeignet sind solche System neben dem Schutz von militärischen Liegenschaften vor allem auch zur Grenzsicherung. Um Ceuta und Melilla, als spanische Exklaven auf dem afrikanischen Kontinent Ort zahlreicher illegalisierter Grenzübertritte, kommen solche System zwar noch nicht zum Einsatz, jedoch wird automatisch Pfefferspray ausgestoßen und eine grelle Beleuchtung aktiviert, wenn sich Menschen in dem Drahtgeflecht zwischen zwei mit Stacheldraht bewehrten Zäunen verfangen haben. Solche Sperranlagen kommen nicht nur zunehmend an Staatsgrenzen wie der zwischen den USA und Mexiko zum Einsatz, sondern auch in Konfliktgebieten wie Palästina. In Bagdad ist es mittlerweile Teil der Aufstandsbekämpfung, ganze Stadtteile zu ummauern und die Anwohner nur noch durch Checkpoints zu festgelegten Uhrzeiten passieren zu lassen. Selbst ein Graben um die gesamte Stadt wurde erwogen.[59] Die Städte Samarra und Rawah wurden bereits von einem Wall eingeschlossen. Auch die Technologien der Abschottung, die im militärischen wie im Grenzschutzbereich entwickelt werden, liefern Innovationen für den privaten Markt um schnell und flexible Barrieren, etwa bei Großveranstaltungen oder zum Schutz von Brachflächen vor Aneignung, errichten zu können.

11. Rüsten für den Weltfrieden?

Auch eine aktuelle Studie der internationalen Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers[60] (PWC) stellt fest, dass sich die Nachfrage nach Verteidigungs- und Sicherheitstechniken verschoben hätte und zwar weg von großen Arsenalen herkömmlicher Waffen hin zu innovativen, flexiblen und präzisen Systemen sowie der "immer weiter an Bedeutung gewinnenden 'Homeland Security'".[61] Zwischen dem Ende des Kalten Krieges und 9/11 wären die globalen Rüstungsausgaben um etwa ein Drittel gesunken, was dazu geführt hätte, dass viele Rüstungsfirmen verschwanden, v.a. aber aufgekauft wurden. Diese Tendenz zu Firmenzusammenschlüssen hat auch unter den seit 2001 wieder stark ansteigenden Rüstungsausgaben angehalten und sich internationalisiert. Mit den fünf dominierenden US-amerikanischen Großkonzernen könnten die europäischen Anbieter nur konkurrieren, indem sie fusionieren und zwar über die nationalen Grenzen hinaus. Solche Fusionen stellen aber auch immer einen Transfer militärischer Technologie ins Ausland dar und führen zu multinationalen Fertigungsprozessen, was im Ernstfall bedeutet, dass ein Land zur Produktion von Rüstungsgütern auf Firmen im Ausland angewiesen ist. Die nationalen Regierungen haben deshalb grundsätzlich ein Interesse daran, internationale Fusionen zu verhindern und eine nationale rüstungsindustrielle Basis aufzubauen und zu erhalten. Demgegenüber steht jedoch die internationale Konkurrenz und der marktwirtschaftliche Zwang, zu fusionieren.

Die Studie der PWC endet mit zwei Szenarien. Das erste wird als "Amerikanisierung" beschrieben und geht davon aus, dass die USA weiterhin alleine so viel Geld für Rüstung und zwar an eigene Firmen ausgibt, wie der Rest der Welt, und einen Technologietransfer ins Ausland verhindert. Die US-Rüstungsunternehmen würden dann weltweit Firmen und Technologien aufkaufen, die europäischen Konzerne aus dem Markt drängen und langfristig den weltweiten Rüstungsmarkt dominieren. Nur die USA wären in diesem Szenario fähig, größere Rüstungsprojekte anzustoßen und längere Konflikte militärisch auszutragen.

Das zweite Szenario ist durch globale Interdependenz geprägt. Hierfür wäre es nötig, dass auch die EU-Staaten und andere ihre Rüstungsausgaben erhöhen und ihren Firmen somit ermöglichen, sich weltweit in die Rüstungsproduktion einzukaufen. Einzelne Staaten würden sich auf bestimmte Produktionsprozesse spezialisieren, Sicherheitstechnologien wären jedoch weltweit verfügbar und auch die Produktionsketten würden quer über den Globus verlaufen. "Kein Staat hätte damit [alleine] ausreichende industrielle Kapazitäten, um ohne Unterstützung der Alliierten einen Krieg führen zu können."[62]

Auffallend ist, dass beide Szenarien keinen Platz für nationalstaatliche Konkurrenz sehen und auch keine Blockbildung antizipieren. Sie gehen beide von einer Hegemonialordnung aus, im Falle der Amerikanisierung einer US-geführten, im Falle der Interdependenz einer Hegemonialordnung voneinander abhängiger Staaten. Wofür in diesen Szenarien, in denen befeindete Staaten mit ausreichenden militärischen Kapazitäten - also symmetrische Kriege - ausgeschlossen sind, gerüstet wird, bleibt unerwähnt: gegen asymmetrische Bedrohungen, für den Krieg der Staaten gegen die Bevölkerung.

Dem Konzept der "vernetzten Sicherheit" entsprechend, kommt zukünftig v.a. dem Schutz so genannter kritischer Infrastruktur, darunter werden etwa Pipelines, Transportwege und Stromnetze, staatliche Einrichtungen, Banken und Kraftwerke[63] verstanden, die selbe Bedeutung zu wie zuvor der Verteidigung der Staatsgrenze - und zwar auch in Friedenszeiten präventiv. Barrieren, überwacht von Drohnen und geschützt durch "nicht-lethale Minen" wie dem "Remote Area Denial" - System werden also zukünftig den Globus durchziehen, die Staatsgrenzen, die den Zustand des Krieges herausfordern, wuchern nach innen und außen. Die Soldaten einzelner Staaten oder deren Bündnisse stehen zunehmend den verarmten Bevölkerungsschichten gegenüber, die sie mit mehr oder weniger tödlichen Waffen versuchen, unter Kontrolle zu halten.

Anmerkungen

[1] Mike Davis: Planet der Slums, Verlag Assoziation A, 2007

[2] Zit. nach: Brangsch, Lutz: Zwei Seiten einer Medaille - Sozialabbau im Innern und Militarisierung nach außen, in Pflüger, Tobias/ Wagner Jürgen: Welt-Macht EUropa, VSA-Verlag 2006

[3] Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS): Asymmetrien als Herausforderung - Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik, erarbeitet beim Kernseminar für Sicherheitspolitik an der BAKS, Juni 2007

[4] State-Building, die Übersetzung "Staaten bauen" ist dem deutschen Titel des gleichnamigen Buches von Francis Fukuyama entlehnt.

[5] Böckenförde, Stephan: Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel von Verteidigung zu Schutz, in: Europäische Sicherheit, August 2007

[6] Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Weißbuch 2006. Zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin, 25.10.2006

[7] Böckenförde, a.a.O.

[8] Seit 2001 finden bereits zwei solche Missionen statt: Active Endeavour im Mittelmeer sowie Enduring Freedom am Horn von Afrika. Siehe dazu auch Rühl, Lothar: Deutsche Sicherheitsinteressen in Afghanistan - nicht nur eine Definitionsfrage, in: Strategie und Technik, Juli 2007. Darin heißt es: "Um die Energiesicherheit und die Sicherheit des Seeverkehrs mit Tankern wie der Überland-Leitungen durch krisengeschütteltes Gebiet zu gewährleisten, bedarf es weiträumig mobiler und flexibler militärischer Kapazitäten, die kriseninterventionsfähig und koalitionsfähig sind. Besonders wichtig werden maritime Kapazitäten und schnell bewegliche Flottenpräsenz im Mittelmeer, in der Arabischen See, im Persischen Golf und im Indischen Ozean."

[9] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zur Nutzung des Mitteldeutschen Flughafens Leipzig/Halle für militärische Zwecke, BT-Drucksache 16/4343, sowie Scholz, Udo: SALIS - Eine erste Zwischenbilanz, in: Strategie und Technik, Mai 2007

[10] Headquaters Department of the US Army: Field Manual 3/24 on Couterinsurgency

[11] Vgl. Die Berichte des UN-Generalsekretärs zur MINUSTAH vom 18.11.2004 (S/2004/908) sowie vom 25.2.2005 (S/2005/124).

[12] Podur, Justin: Two Faced in Haiti, veröffentlicht vom Global Policy Forum (http://globalpolicy.igc.org/security/issues/haiti/2005/1001control.htm): "Where Molloy and MINUSTAH had envisioned the standard UN script - an international peacekeeping force to separate two warring sides and protect the population while a negotiated solution and power-sharing arrangement is found - they ended up implementing a program of social controlÂ…"

[13] Mani, Rama: Deja vu or Something New? Lessons for Future Peacebuilding from Haiti, in: S+F, Sicherheit und Frieden 1/2006

[14] Kolbe, Athena R./ Hutson, Royce A.: Human rights abuse and other criminal violations in Port-au-Prince, Haiti: a random survey of households, in: The Lancet - Vol. 368, Issue 9538

[15] (S/2004/908)

[16] Diese Zahl stammt von einem Artikel des Interventionskritischen ´Haiti Action Committee´ in San Francisco, Sie wurde allerdings auch durch den US-Botschafter in Haiti zitiert (http://www.haitiaction.net/News/HIP/1_23_7/1_23_7.html).

[17] (S/2005/124)

[18] James Correa: U.S.-Backed Police Training Center in Italy Marks Anniversary, http://usinfo.state.gov/xarchives/display.html?p=washfile-english&y=2006&m=November&x=20061102150856AJaerroC0.2494776

[19] Gendarmerie Nationale, Carabinieri, Royal Marechaussee, Guarda Nacional Republicana, Guardia Civil

[20] Da Angehörige der Zandarmeria keine polizeiliche Ausbildung haben und keinem zivilen Kommando unterstellt werden können ist anstatt der vollen Mitgliedschaft nur eine Partnerschaft möglich.

[21] Rummel, Reinhardt: Die zivile Komponente der ESVP - Reichhaltiges Gestaltungspotential für europäische Krisenintervention, SWP-Studie 2006/S 16

[22] Lindstrom, Gustav: The Headline Goal, veröffentlicht vom Institute for Security Studies (http://www.weltpolitik.net/attachment/0644a930ba1074b5cca2acd4809cbed5/48828aaa68afabfba388490f841bc996/05-gl.pdf)

[23] Dies ergibt eine Auswertung der wöchentlich erscheinenden Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Maz & More.

[24] Maz & More, Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Nr. 422

[25] Maz & More, Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Nr. 395

[26] Dominic Johnson: Vorwürfe gegen Kongos Armee, in: taz (die Tageszeitung) vom 6.2.2007

[27] Badoreck, Ingo: Internationale Organisationen angegriffen - Schwere Unruhen im Kongo - Reaktion auf Besetzung von Bukavu durch Rebellenfraktion, Länderbericht der Konrad-Adenauer Stiftung, http://www.kas.de/proj/home/pub/7/1/year-2004/dokument_id-4771/index.html

[28] Amnesty International: Urgent Action Nr: UA-319/2006-2, AI-Index: AFR 62/008/2007

[29] Hoogeveen, Jörg: Operationen im urbanen Umfeld - Besondere Herausforderung für die Landstreitkräfte, in: Europäische Sicherheit 8/2007

[30] http://www.deutschesheer.de, 22.8.2007

[31] Fritsch, Johann: Der Truppenübungsplatz Lehnin, veröffentlicht auf www.streitkraeftebasis.de (22.8.2007)

[32] Lange, Sascha: Falludscha und die Transformation der Streitkräfte - Häuserkampf in Städten als dominante Kernfähigkeit der Zukunft?, SWP-Diskussionspapier FG3 - DP 01, 2005

[33] Hoogeveen, 2007

[34] Lange, 2005

[35] Lange, 2005

[36] Lange, 2005

[37] Kenyon, Henry S.: Bundeswehr Marches Into the Future, in: Signals (Journal of the Armed Forces Communications and Electronics Association) November 2004

[38] Lange, Sascha: Flugroboter statt bemannter Militärflugzeuge?, SWP-Studie 2003/S 29

[39] Schievelbein, Gunnar Ben: MIKADO - Die Mikroaufklärungsdrohne für den Ortsbereich, in: Strategie und Technik Mai 2007

[40] Hermann, Rolf: Hochfliegende Pläne, in: Y - das Magazin der Bundeswehr, Juli 2007

[41] Lange 2003

[42] Hermann, a.a.O.

[43] Dean Sidney E.: Speerspitze im Krieg, in: Y - das Magazin der Bundeswehr, Februar 2007

[44] Wiesemann, Markus: Veränderung des Einsatzspektrums der Luftwaffe durch UAV, in: Europäische Sicherheit April 2007

[45] Jean, Grace: Urban Battlefield is Proving Ground For Unmanned Aerial Systems, in: National Defense, März 2006

[46] Anastasiou, Alexander B.: Modeling Urban Warfare: Joint Semi-Automated Forces in Urban Resolve, Abschlussarbeit am Air Force Institute of Technology, März 2006

[47] Harlow, John: Urban Resolve 2015 prepares for the next possible challenge, veröffentlicht vom US Army training and Doctrine Command, http://www-tradoc.army.mil/pao/Web_specials/ur2015/2015_nxt_chal.htm

[48] Stephan Meermann: Urban Resolve, in: Strategie und Technik, Februar 2007

[49] Meermann, a.a.O.

[50] Anderson, Sharon: Urban Resolve 2015, in: CHIPS - The Department of the Navy Information Technology Magazine, Oct. - Dec. 2006

[51] Ebd.

[52] Diese Überschrift ist dem Titel eines Radiofeatures über "nicht-lethale Waffen" von Albrecht Kieser entlehnt.

[53] Aus dem Manuskript des Radiofeatures Sanfte Waffen für harte Zeiten von Albrecht Kieser, gesendet am 20.5.2007, 11:05h auf WDR5

[54] Landmine Action/ Deutscher Initiativkreis für das Verbot von Landminen: Tödliche Alternativen - Wie die verbotenen Antipersonenminen ersetzt werden, Mai 2001

[55] Arndt, Olaf/ Pircher, Wolfgang: Die politische Technologie der Pein, veröffentlicht auf Telepolis (www.heise.de/tp) am 16.07.2007

[56] Ebd.

[57] Doug Beason: The E-Bomb: Changing the Way Future Wars Will Be Fought, in: Rusi Defence Systems, Summer 2006

[58] Arndt, Olaf/ Düker, Ronald: Eine andere Gewalt ist möglich, veröffentlicht auf Telepolis (06.06.2007), sowie: http://www2.taser.com/products/military/Pages/TRAD.aspx

[59] Vgl. etwa: Großer Graben soll Bagdad befrieden, Meldung auf Spiegel-online vom 17.9.2006, sowie: Wong, Edward/ Cloud, David S.: U.S. Erects Baghdad Wall to Keep Sects Apart, New York Times, 21.4.2007

[60] PricewaterhouseCoopers: The Defence Industry in the 21st Century - Thinking Global Â… or thinking American?

[61] Husemann, Walter: Was bringt die Zukunft? M&A in der Verteidigungsindustrie, in: Strategie und Technik, Juli 2007

[62] Huseman, a.a.O.

[63] Eine Definition "kritischer Infrastruktur" kann bspw. der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Schutz kritischer Infrastrukturen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung KOM(2004) 702 entnommen werden.