Nicht Opfer, sondern Überlebende

Ende September fand der erste europäische Kongress schwarzer Frauen statt. Beate Hammond war dort und berichtet über Geschichte und Gegenwart schwarzer Menschen in Europa.

"In der Europäischen Union haben alle Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse oder ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausrichtung ein Recht auf Gleichbehandlung". Ein wunderschöner Satz, diese Kernbotschaft des Europäischen Jahres für Chancengleichheit für alle, das 2007 ausgerufen wurde.
Die Wirklichkeit sieht anders aus, das weiß jede/r und viele nehmen es schulterzuckend zur Kenntnis. Nicht so Beatrice Achaleke, Obfrau des Vereins "AFRA - International Center for Black Women Perspectives". Gemeinsam mit der in den Niederlanden angesiedelten Organisation "Tiye International" organisierte die seit Jahren in Österreich lebende Kamerunerin den ersten europäischen schwarzen Frauenkongress, der vom 27.-29. September in Wien stattfand.
Mehr als achtzig Frauen aus 16 Ländern in Europa folgten dem Aufruf. Viele weitere, die gerne gekommen wären, konnten aus finanziellen und Platzgründen nicht teilnehmen oder verzichteten, weil sie fürchteten, sich in Englisch, der offiziellen Konferenzsprache, nicht ausreichend verständlich machen zu können. Die Teilnehmerinnen kamen aus allen Ecken Europas, von Irland bis Griechenland, von Estland bis Italien, mit beeindruckenden Lebensläufen, wie beispielsweise Yvette Jarvis aus Brooklyn, die vor Jahrzehnten einen griechischen Mann heiratete und heute für die sozialdemokratische PASOK Abgeordnete im Athener Stadtrat ist.
Das politische Österreich erschien ebenfalls. ÖVP, SPÖ und die Grünen waren hochrangig vertreten, wenn sie auch nur mit sehr allgemein gehaltenen Statements aufwarten konnten. Bei unkundigen Zuhörerinnen konnte da sogar der falsche Eindruck entstehen, dass Österreich ein wahres Paradies für schwarze Frauen sei, was bei anderen Teilnehmerinnen ungläubiges Kopfschütteln auslöste.

Exotisierung. Allerdings ist es sicherlich nicht ausschließlich Schuld der Politik, dass so wenig über die Situation von Menschen afrikanischer Herkunft bekannt ist, obwohl sie seit Jahrhunderten in europäischen Ländern, auch in Österreich, leben. Die Geschichte des afrikanischen Hofbediensteten Angelo Soliman, der zu Zeiten Mozarts im Haushalt des Fürsten Liechtenstein arbeitete, ist vielleicht das bekannteste schwarze Schicksal Österreichs. Doch auch vor zweihundert Jahren war er keinesfalls der einzige Afrikaner in Wien, sondern einer von mindestens drei Dutzend Personen, deren Existenz in Wien dokumentarisch überliefert ist.
Solimans Tochter Josephine, verheiratete Baronin von Feuchtersleben, hätte sich beim schwarzen Kongress sicherlich wohl gefühlt. Denn auch sie musste kämpfen, als nach dem Tode ihres Vaters verfügt wurde (von wem ist bis heute nicht hinreichend bekannt), dass dieser, seiner Haut beraubt, auszustopfen und im Museum zur Schau zu stellen sei - gegen ihren Willen. Sie wandte sich an die Polizeihofstelle, die zuständige Landesregierung und auch an den Fürsterzbischof. Dessen Konsistorium intervenierte sogar in ihrem Sinne. Doch am Ende siegte der Rassismus, eine Erfahrung, die schwarzen Frauen auch heute nicht erspart bleibt.
Wir sind keine Opfer, sondern Überlebende, hörte man mehrmals während des Kongresses. Denn auch nach jahrhundertelanger Präsenz in Europa werden Menschen afrikanischen Ursprungs, auch wenn sie ihr gesamtes Leben in Europa verbracht haben, von der Gesellschaft immer noch zu Fremden gemacht (=exotisiert) und mit Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung konfrontiert.
Selbst Jahrhunderte nach Alexandre Dumas, auch in Österreich nach wie vor der meistgelesene französische Schriftsteller, kollidiert schwarz sein und europäisch sein noch immer mit einer von der Politik geschaffenen Vorstellungswelt der ausschließlich weißen Gesellschaft. Viele schwarze Kinder fallen aus allen Wolken, wenn sie erfahren, dass der Schöpfer der drei Musketiere und des Grafen von Monte Christo der Enkel einer afrikanischen versklavten Frau war, denn dies wird in der Schule meist nicht gelehrt.

Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Das schwarze Kind muss sich gestern wie heute üblicherweise in regelmäßigen Abständen vor wildfremden Leuten für seine Präsenz in der Gesellschaft rechtfertigen. Wie ein Partygast, von dem vermutet wird, dass er keine Einladung hat. "Wo kommen Sie her?" - mit dieser Frage muss jeder Mensch afrikanischer Herkunft jederzeit rechnen. Doch es ist eine rhetorische Frage, denn die Fragenden kennen die Antwort bereits, die die Gefragten an einen möglichst weit entfernten Ort platziert. Die Vorstellung, dass dieser Mensch Jugend und Kindheit möglicherweise im gleichen Stadtviertel verbracht hat, erscheint vielen abwegig. Nur so ist es zu erklären, dass man als Mensch afrikanischer Herkunft permanent auf Englisch angesprochen wird, obwohl man die Landessprache perfekt spricht. Und dass man in seiner europäischen Heimatstadt auch fast nie nach dem Weg gefragt wird.
So bleibt schwarzen Menschen oft nichts anderes übrig, als dem vorgefassten Bild zu entsprechen. Der in Polen geborene und in Österreich aufgewachsene George Bridgetower, der Beethovens Kreutzer Sonate im Augarten uraufführte, gab sich oft als "abessinischer Prinz" aus, wahrscheinlich um dem Klischee zu entsprechen.
Unverhohlenes Anstarren oder Distanzüberschreitungen sind ein anderer Teil des Schwarzseins in Europa. Auch im 21. Jahrhundert ist es keine ungewöhnliche Erfahrung für schwarze Kinder, von fremden Leuten an den Haaren gefasst zu werden.
Der übergroßen Sichtbarkeit steht die Unsichtbarkeit im öffentlichen Leben gegenüber. Dort, wo sich europäische Gesellschaften abbilden, sind schwarze Menschen fast nicht vorhanden. So findet sich auch mehr als zwanzig Jahre nach der Gründung der Initiative schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) in der Broschüre "Fakten über Deutschland" nicht der kleinste Hinweis darauf, dass es in Deutschland eine schwarze Minderheit gibt.

Das Trauma des Alltagsrassismus. Die Narben, die die Diskriminierung auf der Seele hinterlässt, sind nicht nur schmerzhaft, sondern traumatisch. Der Alltagsrassismus schafft oft Situationen, auf die man als schwarzer Mensch nicht adäquat reagieren kann. Nicht nur Tage, sondern oft Monate und Jahre nach Beleidigungen und Diskriminierungen spielen schwarze Menschen diese Situationen noch häufig im Kopf durch und fragen sich, ob mit anderer Reaktion dieselben Ereignisse zu einem anderen Ergebnis hätten führen können. Die eigene Reaktion auf solche Erlebnisse wird immer als unbefriedigend empfunden (Hätte ich doch, wäre ich doch Â…). Die Umwelt wertet das Geschehene oft ab, weigert sich standhaft, den Rassismus zur Kenntnis zu nehmen und kann außer Platitüden wie "HörÂ’ doch weg" oder "Sei nicht so empfindlich" nichts an Konfliktbewältigung bieten. So fühlen sich viele schwarze Menschen mit ihrem Schicksal alleingelassen, immer in Angst vor der nächsten Grenzüberschreitung. Diese Verhaltensweise ähnelt Menschen, die ein psychologisches Schockerlebnis verarbeiten müssen. Als die Psychologin Grada Kilomba beim Kongress darüber spricht, wie sich das Trauma des Alltagsrassismus in seinen Formen manifestiert, brechen die Teilnehmerinnen geschlossen in Tränen aus, weil sie das aussprechen und benennen kann, wofür andere keine Worte finden.
Viele schwarze Frauen kennen aus ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis Fälle von schweren psychischen Störungen oder Selbstmorden. May Ayim, Mitbegründerin der ISD, stürzte sich, eigentlich nach einem Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie als geheilt entlassen, knapp 36-jährig von einem Berliner Hochhaus.
Daher ist auch die Bereitstellung ausreichender finanzieller und struktureller Mittel für Arbeit über die psychosozialen Auswirkungen des von Rassismus betroffenen schwarzen Frauen und Kindern ein zentraler Punkt der Deklaration, die am 29. September 2007, verabschiedet wurde. Zudem forderte der Kongress unter anderem verstärkte Anstrengungen, um alle Formen der Diskriminierung zu eliminieren und verpflichtende Antirassimus-Trainings für Personal im öffentlichen Dienst.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at