In den 80ern noch Science Fiction

Andrea ‚PrincessÂ’ Wardzichowski ist "Haeckse" des Chaos Computer Club und hält DDR-Vergleiche in den Diskussionen um Online-Durchsuchungen gar nicht für übertrieben. Ein Interview.

an.schläge: Der "Chaos Computer Club (CCC)" wurde 1981 am Tisch der Kommune 1 in den Redaktionsräumen der taz in Berlin gegründet. Wie lange gibt es die "Haecksen", die Frauenorganisation des CCC, schon?
Andrea ‚PrincessÂ’ Wardzichowski: Die Haecksen gibt es seit 19881. Die Haecksen sind ein überregionaler und dadurch sehr virtueller Chaostreff, denn wir sehen uns nur sehr selten und kommunizieren hauptsächlich per Mail. Ich selbst bin seit ca. zwei Jahren auch bei den Haecksen aktiv, dem Chaos Computer Club aber schon sehr lange inhaltlich verbunden.

Der CCC setzt sich für Informationsfreiheit und ein "Menschenrecht auf Kommunikation" ein und gleichzeitig gegen Überwachung und für Privatsphäre. Ihr verfasst regelmäßig Pressemitteilungen, in denen ihr euch bspw. gegen die Weitergabe von Flugpassagierdaten oder gegen die Einführung biometrische Pässe aussprecht. Greift ihr auch zu "hactivistischen" Aktionsformen, um gegen solche Entwicklungen zu protestieren?
Es ist in der Tat sehr schwierig, mit unseren Bedenken zu den "NormalbürgerInnen" durchzudringen. Hier erreicht man auch weniger mit zerstörerischen Aktionen als mit herkömmlichen Mitteln wie Demonstrationen oder eben ganz solider Pressearbeit. Natürlich sind spektakuläre Hacks auch öffentlichkeitswirksam, aber ich hatte persönlich nicht das Gefühl, dass z. B.die Studie über die Unsicherheit der Nedap-Wahlmaschinen2 jemanden erreicht hat, obwohl hier definitiv ein Hack stattfand.
Müssen wirklich erst massenweise persönliche Daten verloren gehen oder in falsche Hände gelangen, ehe sich die Leute anfangen zu wehren?

"Ich habe manchmal den Eindruck, wir werden ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi." Das hat der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Karl Korinek gesagt und damit in Österreich parteienübergreifend für Empörung gesorgt. Der Chaos Computer Club schreibt auf seiner Homepage zur geplanten Online-Durchsuchung: "Wenn das BKA-Gesetz in der vorliegenden Fassung verabschiedet wird, entsteht de facto eine Geheimpolizei, wie sie in Deutsch- land zuletzt in der DDR existierte." Ist der Vergleich zwischen Stasi-Methoden und gegenwärtigen Überwachungsplänen wirklich so übertrieben?
In meinen Augen ist dies gar nicht so weit hergeholt, denn es gibt noch andere Beispiele, die den Stasi-Vergleich geradezu aufdrängen: Es werden nämlich inzwischen wie in besten Stasi-Zeiten Geruchsproben von Verdächtigen genommen! Die DDR hatte nicht die technische Ausstattung, die wir heute haben und konnte daher nicht so viel Schaden anrichten und so viel ausspähen, wie sie eigentlich wollte. Heute jedoch gibt es reichlich Technik und es kann nicht sein, dass damalige Stasi-Maßnahmen jetzt "rechtlich o.k." sind, weil wir nun die Bundesrepublik und damit "die Guten" sind.
Vor allem: Die Abschaffung der Menschenrechte geschieht nicht über Nacht, sondern schleichend und scheibchenweise. Heute ein paar Geruchsproben, ab November 2007 Fingerabdrücke im deutschen Pass, demnächst Onlinedurchsuchung. Die Vorratsdatenspeicherung ist auch schon EU-Recht und muss "nur" noch national umgesetzt werden, die Videoüberwachung im öffentlichen Raum nimmt immer mehr zu und das Schlimmste: Kaum jemand kann wirklich schlüssig erklären, wie die einzelnen Maßnahmen Terroranschläge konkret verhindern sollen. Die Anschläge vom 11. September hätten jedenfalls durch biometrische Daten in deutschen Pässen nicht verhindert werden können.
Wir müssen einfach aufpassen, dass wir uns nicht selber das Grundgesetz aushöhlen unter der Terrorangst, die meiner Meinung nach mit zu großer Panikmache betrieben wird. Damit hätten die Terroristen doch schon gewonnen, wenn wir uns anders benehmen und nur noch mit Angst durch die Gegend laufen. Wir sollten unseren Lebensstil verteidigen.

Beim diesjährigen internationalen HackerInnen-Treffen des CCC ging es auch um die Frage, warum die Proteste gegen Innenminister Wolfgang Schäubles Pläne nicht stärker sind und weshalb die Vorschläge nicht auf ähnlichen Widerstand stoßen wie z. B. die geplante Volkszählung 1983. Welche Erklärung habt ihr dafür?
Mit dieser Frage beschäftige ich mich tatsächlich schon länger! Ich habe um die Zeit der Volkszählung mit der "Computerei" in der Schule angefangen und damals war das Datenschutzbewusstsein bei Eltern und LehrerInnen in der Tat noch sehr hoch. Meine These ist: Die DDR ist schon zu lange "weg". Wenn früher jemand sagte, er habe nix zu verbergen, dann konnte man erwidern: "Geh doch nach drüben, wenn Du Dich ausspionieren lassen willst". Jetzt ist das "Drüben" eingemeindet und andere Überwachungsstaaten wie Nordkorea sind einfach viel zu weit weg für uns, die haben wir nicht im Blick.
Außerdem ist es auch ein Stück weit Lebensziel moderner Menschen und der heutigen Jugendlichen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Man will erreichbar sein, per Mobiltelefon und überhaupt und gibt damit große Teile der Privatheit freiwillig auf, ohne zu bedenken, dass sich das vielleicht mittelfristig rächt, wenn ein/e potentielle/r ArbeitgeberIn alle "Jugendsünden" ergoogeln kann.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Rechner heute so alltäglich sind, dass viele Menschen auch die Angst, die 1983 davor sicher noch vorherrschte, verloren haben. Eigentlich sollte aber das Gegenteil der Fall sein: Erst durch heutige Speicherkapazitäten werden einige Datensammlungen möglich, die in den 1980ern wirklich noch Science Fiction waren.

Wir hatten unlängst einen Bericht über den "Eclectic Tech Carnival" in den anschlägen, in dem es hieß, dass bei internationalen HackerInnentreffen weiterhin höchstens ein Prozent Frauen vertreten sind. Ihr seid angetreten, um das zu ändern. Tut sich was?
Ja, aber noch viel zu wenig. Der Chaos Computer Club sagt nicht ganz ohne Stolz, dass zum jährlichen Kongress zwischen Weihnachten und Neujahr doch 10-15 Prozent Frauen kommen, und zwar nicht nur "Freundinnen von Hackern", sondern aus eigenem Antrieb. Damit liegen wir im internationalen Vergleich ausnahmsweise mal vorn, während es ansonsten in Deutschland ein echt trauriges Bild von Gleichberechtigung und Emanzipation gibt. Was schön ist: Es ist inzwischen ganz normal, dass auch Frauen/Mädchen ihren Laptop so selbstverständlich mit sich tragen wie die Männer/ Jungs. Schade ist aber, dass es immer noch weniger weibliche Referenten beim Kongress gibt.
Leider sehen sich die Haecksen auch immer noch Anfeindungen ausgesetzt, wenn wir Veranstaltungen nur für Frauen anbieten. Beim letzten Kongress waren dies drei Veranstaltungen - unter hunderten anderen. Dies ist auch nicht repräsentativ, denn die "Hackergemeinde" ist eigentlich ein mental sehr offenes Völkchen. Dennoch gibt es immer noch Menschen, die nicht verstehen, dass es völlig o.k. ist, wenn Frauen auch einmal unter sich sein wollen, gerade wenn sie in der Minderheit sind. Auch auf diesem Feld gibt es also noch viel zu tun. Ich denke, man sollte schon in den Schulen anfangen, technische Berufsbilder auch für Mädchen positiv zu besetzen, dann hätten wir sicher mehr Frauen in den technischen Studiengängen und mehr Haecksen-Nachwuchs.

1 Auf www.haecksen.org ist eine kleine Übersicht über Gründung und Selbstverständnis veröffentlicht.

2 Der niederländischen Bürgerinitiative "Wij vertrouwen stemcomputers niet" (Wir vertrauen Wahlcomputern nicht) ist vor den Parlamentswahlen im November 2006 gelungen, einen Wahlcomputer des Typs Nedap ES3B zu hacken und damit zu zeigen, dass dieser bei entsprechender Manipulation bei der Auszählung der Stimmen das Wahlergebnis verfälschen kann.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at