"Aufschlüsse über die Wirklichkeit"

NGBK: Kollektives Kuratieren oder die Aktualität einer Satzung

Die Berliner Neue Gesellschaft für Bildende Kunst ist Produkt eines öffentlich ausgetragenen und von 1967-1969 andauernden Streits um die Gründung eines Berliner Kunstvereins.

Vor allem die Struktur der Satzung und die Zusammensetzung des entscheidungsfähigen Gremiums waren umstritten. Dies führte zur Auflösung und Spaltung in den nach klassischem, sprich hierarchischem Modell verfassten Neuen Berliner Kunstverein und die basisdemokratisch organisierte Neue Gesellschaft für Bildende Kunst. Auf einer Versammlung mit ca. 300 Anwesenden wurde die Satzung der "Aktionsgruppe" diskutiert, modifiziert und angenommen. Gründungsmitglieder waren vor allem Studierende und Hochschuldozent_innen der angewandten Kunst. Dies in einer Zeit, in der Gruppenarbeit im universitären Umfeld eine Selbstverständlichkeit war: "Kollektive Arbeitsweisen wurden erprobt; die endlos diskutierte Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit sollte in die Praxis umgesetzt werden." [1] Entsprechend ist kollektives Arbeiten in die ungewöhnliche Satzung eingeschrieben. [2] Die Ausstellungen in den ersten Jahren, die Namen tragen wie Funktionen der bildenden Kunst in unserer Gesellschaft, Aufschlüsse über die Wirklichkeit - Projektstudium visuelle Kommunikation oder Kunst aus der Revolution - Kunst in die Produktion: Sowjetische Kunst während der Phase der Industrialisierung und Kollektivierung 1927-1933, zeigen, dass es zunächst vor allem um "Revolutionssarchäologie" (Christiane Zieseke), um die Suche nach Gesellschaftsmodellen und der Demokratisierung von Kunst ging.
Mitglieder der NGBK schließen sich zu einer mindestens fünfköpfigen Arbeitsgruppe zusammen und erarbeiten einen gemeinsamen Vorschlag für eine Ausstellung, Veranstaltungsreihe, Publikation, Aktion im Öffentlichen Raum usw. Â… Die gesammelten Vorschläge der AGs werden an sämtliche Mitglieder des Vereins versandt, bei der Frühjahrshauptversammlung von den Beantragenden selbst vorgestellt und von allen Anwesenden diskutiert. Am Ende dieser ganztägigen, nervenaufreibenden und streitbaren Versammlungen mit 100-150 Teilnehmenden steht mit den gewählten Projekten der Hauptteil des Programms des jeweiligen Folgejahres fest. Die gewählten Arbeitsgruppen erhalten Raum, Geld [3] und Unterstützung durch die NGBK.
Kollektives Kuratieren ist diese Form des Auswahlverfahrens noch nicht, aber immerhin ein sehr viel transparenteres und von sehr viel mehr Personen getragenes Auswahlverfahren als üblich. Strukturen treten offen zu Tage und Entscheidungsprozesse sind angreifbar. Zwischen den Hauptversammlungen entscheidet der Koordinationsausschuss (KOA), der sich aus den Delegierten der AGs, drei von der Hauptversammlung direkt gewählten Vertreter_innen und dem Präsidium zusammensetzt. Auch hier wird nach dem Mehrheitsprinzip entschieden. Die Idee, sowohl während der Hauptversammlungen als auch im Koordinationsausschuss im Konsens zu entscheiden, wurde zugunsten eines Pragmatismus aufgegeben.
Kollektives Kuratieren als Reihe von Konsensentscheidungen, die am Ende eines gemeinsamen Diskussionsprozesses stehen und als Versuch eines hierarchiefreien Projekts, das sich gegen das Konkurrenzprinzip wendet und auf Solidarität baut, findet vor allem in den AGs statt. Dies gilt auch und obwohl sich die Ansprüche durch die Mitglieder an die NGBK-Arbeitsgruppen im Laufe der Jahre immer wieder geändert haben und bis heute nicht einheitlich sind. Standen zunächst lange Diskussion und Kommunikation und das Forschen nach neuen, revolutionären Gesellschaftsmodellen und deren Erprobung in der Praxis im Vordergrund, verschob sich dies in den 1980er Jahren hin zu einer angestrebten Professionalisierung. Was das für die Struktur der Arbeitsgruppen bedeutete, lässt sich leicht erahnen: "Bei den NGBK-Matadoren machte sich [nach der bundesrepublikanischen und West-Berliner >Wende