Afrikas Grenzen

Themenschwerpunks-Editorial

United States of Africa - über diese machtvoll klingende Vision diskutierten letztes Jahr die afrikanischen Staatschefs in Ghana.

United States of Africa - über diese machtvoll klingende Vision diskutierten letztes Jahr die afrikanischen Staatschefs in Ghana. Anlass waren die Feiern zu 50 Jahren staatlicher Unabhängigkeit des Landes von der britischen Kolonialmacht. Dieses Jahr folgen Guinea und in zwei Jahren weitere 17 Staaten, die 50 Jahre Unabhängigkeit feiern werden. Panafrikanische Ideen spielten nicht nur damals in den antikolonialen Bewegungen eine große Rolle. Sie bestimmen auch heute die Tagesordnung politischer Institutionen, wissenschaftlicher Konferenzen und soziokultureller Bewegungen auf dem Kontinent.

Eine Kernkritik des Panafrikanismus gilt der Künstlichkeit der von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen. Sie durchschnitten gewaltsam bestehende soziale Einheiten, als Strich über die Landkarte passten sie sich häufig nicht einmal an geografische Gegebenheiten an. Um so mehr sollte erstaunen, dass mit der Unabhängigkeitswelle seit den 1960er Jahren die kolonialen Grenzen bestätigt und gefestigt wurden. Die 1963 gegründete Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sollte zwar den panafrikanischen Gedanken der Einheit und Solidarität der afrikanischen Staaten fördern, allerdings wurde in erster Linie nationalstaatliche Politik betrieben. Eines der obersten Gebote der OAU war die gegenseitige Nichteinmischung in die "inneren Angelegenheiten" der Mitglieder und die Unantastbarkeit der bestehenden nationalen Grenzen.
Im ersten Beitrag dieses Themenschwerpunktes argumentiert Reinhart Kößler, dass es grundsätzlich keine natürlichen politischen Grenzen gibt und insofern die Kritik an der Unnatürlichkeit der Grenzen einer Illusion aufsitzt. Ob in Afrika, Europa oder andernorts: politische Grenzen sind immer das gewaltsame Produkt von Willkür und Machtinteressen. Die interessantere Frage sei doch, so Kößler, wie die Menschen mit den Konsequenzen zurechtkommen und ihre eigenen - auch grenzüberschreitenden - sozialen Räume schaffen. Warum ist es so schwer, sich von der Vorstellung natürlicher Grenzen in Sinne ethnisch homogener Gebilde zu verabschieden? Welche Transformationen sind heutzutage im Gange, durch Migration, panafrikanische Politik, Identitätsbildung und religiöse Verschiebungen?
Der Aktivist und Politiker Fidèle Kientega erinnert an den Versuch in den 1980er Jahren in Burkina Faso, nicht nur formale, sondern echte Unabhängigkeit sowie innere Demokratie zu erlangen. Kientega reflektiert, an welchen Machtinteressen - von Seiten der Dorfchefs bis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich - das Projekt scheiterte. Die Afrikanische Union (AU) versteht er als Lobby diktatorisch regierender Staatschefs und greift damit eine verbreitete Kritik an der Vorgängerorganisation OAU auf. Ihr stellt er die Perspektive einer panafrikanischen Basisgruppenvernetzung entgegen. Henning Melber hingegen erkennt in der AU durchaus Fortschritte. So versteht er die proklamierte Verpflichtung zur gegenseitigen Einmischung bei groben Verletzungen der Menschenrechte als Wendepunkt afrikanischer Politik.
Nach dem Ende des alles überschattenden Ost-West-Konfliktes kam Bewegung in das afrikanische Kräfteparallelogramm. Neue Akteure wie China und Indien treten auf den Plan - im April wurde in Delhi der erste Indien-Afrika-Gipfel abgehalten. Bei der Bildung von Grenzregimes ist nach wie vor Europas (Abschottungs-)Politik folgenschwer. Zur rigorosen Überwachung der EU-Südgrenze kommt die Aufrüstung innerafrikanischer Grenzen durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Martin Glasenapp berichtet aus Westafrika von der Realität aktueller Migrationsversuche. Warum nehmen Boatpeople die extrem gefährliche Passage zu den Kanaren auf sich? Was geschieht mit den zahlreichen Abgeschobenen? Der Autor stellt die Arbeit lokaler Menschenrechtsgruppen vor und verweist auf ein transnationales Netz von Informationen und migrantischer Infrastruktur.

Während Afrika in Europa meist als Katastrophen-Kontinent wahrgenommen wird, stellt es für die Rastafari-Bewegung einen Hort unverdorbener Kultur und die glorreiche Heimat dar. Als sozio-religiöse Bewegung wurde Rastafari vor Jahrzehnten auf Jamaika gegründet und hat weltweit AnhängerInnen gefunden. Noémie Jäger zeigt, wie die essentialistische Selbstdefinition der Nachfahren von SklavInnen durch Hautfarbe und afrikanische Herkunft mehr und mehr in Frage steht. Schließlich haben sich viele Gruppen, von Native Americans über Maori-Gemeinschaften bis hin zu weißen Deutschen, die symbolische Kraft von Rastafari angeeignet - freilich aus unterschiedlichen Motiven. Die in der Diaspora entstandene Rastafari-Bewegung wirkt aber auch auf Afrika selbst zurück.
Grenzen werden immer wieder überschritten, neu gezogen, erneut überwunden oder hin- und hergeschoben. Wesentlich erscheint, jede Vorstellung von Natürlichkeit fallen zu lassen. Die Frage bleibt, unter welchen politischen und sozialen Bedingungen Grenzziehungen konkret geschehen, in wessen Interesse und auf wessen Kosten.

die redaktion

Vom 14.-17.5.08 findet in Freiburg und Basel eine wissenschaftliche Tagung Deutscher und Schweizer AfrikanistInnen statt, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Afrikas "Grenzen und Übergängen" befasst (www.vad-ev.de).

Ende September 2008 veranstaltet der Council for the Development of Social Science Research in Africa in Daresalaam (Tansania) die Konferenz "The Contemporary Pan-African Ideal: Historical Roots, Future Prospects" (www.codesria.org).