Restaurative Renaissance

Das „Ende der Bescheidenheit“ sieht anders aus. Auf 5,2 Prozent plus einer Einmalzahlung von 200 Euro einigte sich die IG Metall in der Tarifrunde 2008 in der Nordwestdeutschen Stahlindustrie. Damit hat sich auch die neue IG-Metall-Spitze an die Spielregeln gehalten. Kein Kampf, keine Streiks. Die Gewerkschaftsspitze darf für sich in Anspruch nehmen, ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung vollumfänglich nachgekommen zu sein. Die Tarifkämpfe in den anderen Branchen haben damit die entscheidende Orientierungsmarke erhalten. Natürlich wäre mehr drin gewesen. Und mehr wäre auch nötig gewesen. Die Stimmung war explosiv wie selten. Der Steuerskandal hat die Kampfbereitschaft noch einmal gesteigert. Es wäre wichtig gewesen, diese Bereitschaft in Aktion umzusetzen. Wichtig Kampferfahrungen zu organisieren. Die zeitliche Nähe des Abschlusses zum Steuerskandal dürfte kein Zufall sein. Wenn die Kollegen in dieser Situation erst einmal auf der Straße stehen, sind sie da so leicht nicht wieder weg zu kriegen. Das dürfte auch Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer klar gewesen sein. Damit waren die 1,7 Prozent, die der Abschluss nun über dem Unternehmer-Angebot liegt, auch kein Thema mehr. Zumal die Gewerkschaft im Gegenzug auf 2,8 Prozent verzichtet. Von Olaf Scholz bis Christian Wulff hatten sich fast alle für den „Schluck aus der Pulle“ stark gemacht. Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber hatte von einem „Mega-Tarifjahr“ fabuliert. Herausgekommen ist bestenfalls ein „Schlückchen“. Ankündigungen sind das eine und Zahlen das andere. Die Reaktionen der öffentlichen Arbeitgeber auf die 8-Prozent-Forderung von ver.di signalisieren bislang, außer einem Zuschlag bei der Demagogie, keine Änderung der langjährigen Lohndumping-Strategie. Die finanzielle Austrocknung der öffentlichen Haushalte gehört zum Kernbestand des neoliberalen Arsenals. ver.di hatte daher in der Vergangenheit selbst um eine Abschwächung der geplanten Verschlechterungen hart kämpfen müssen. Die Eröffnungslage des „Mega-Tarifjahrs“ zeigt das alte Dilemma. Es gibt eine hohe Kampfbereitschaft, aber niemanden, der willens oder in der Lage wäre, sie zu nutzen. Ob sich damit die im Feuilleton allenthalben geprägte Formel von der „Renaissance der Gewerkschaften“ begründen lässt, erscheint zweifelhafter denn je.  

In der Defensive

Nüchtern betrachtet bieteten die soziale Lage in der Bundesrepublik, der gewerkschaftliche Kampf und die Verfassung der Gewerkschaften selbst nicht gerade den Stoff für Euphorie. Nach Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung ist 2007 das vierte Jahr in Folge, in dem die Kollegen Reallohnverluste haben hinnehmen müssen. Das statistische Bundesamt weist für 2007 eine Lohndrift, ein Zurückbleiben hinter dem Tariflohn, um 1,5 Prozent aus. Die Inflation wird mit 2,2 Prozent angegeben. Die reale Inflation für Haushalte, vor allem mit niedrigen Einkommen, wie sie das Forschungszentrum für Wirtschaftsstatistik der Universität Fribourg (Schweiz) ermittelt, kommt auf mehr als das Doppelte. Legte man sie zugrunde, träte das reale, täglich erfahrbare Ausmaß der materiellen Verluste um einiges deutlicher zu Tage und damit ebenso die zu bewältigende Aufgabe. Wenn die von DGB-Chef Michael Sommer geforderten „deutlich steigenden Realeinkommen“ tatsächlich Wirklichkeit werden sollen, wäre schon sehr viel mehr „Renaissance“ erforderlich. Auch der Metall-Abschluss wird die Verluste nicht wettmachen. In den letzten Jahren sind die DGB-Gewerkschaften deutlich davon entfernt, den materiellen Lebenstandard der arbeitenden Menschen sichern zu können. Von einer Verteidigung des Lohnanteils am Bruttoinlandsprodukt gar nicht zu reden. (Die Lohnquote ist im „Aufschwungjahr“ 2007 wiederum um ein Prozent auf 64,6 Prozent gefallen, der niedrigste Wert seit 1966.)  Auf dem letzten IG-Metall-Gewerkschaftstag in Leipzig hat Berthold Huber die 35-Stunden-Woche mit dem Hinweis beerdigt, die Arbeitszeitfrage sei „nur mit differenzierten Antworten“ zu lösen. Die durchschnittliche Arbeitszeit in der Metallindustrie liege trotz der tariflichen 35-Stunden-Woche inzwischen bei 39,9 Stunden. Damit ist, nach der Niederlage 2003 in den Beitrittsgebieten, das letzte große Fortschrittsprojekt der Gewerkschaften auch im Westen gescheitert. Die strategische Initiative ist mit dem Frontalangriff der Schröder-Regierung endgültig an die neoliberale Gegenreformation übergegangen. Mit der Aufgabe des Ziels der kollektiven Arbeitszeitverkürzung ist auch die durchsetzungsfähige IG Metall zumindest in der Fläche in reine Abwehrkämpfe gezwungen worden. Schon fast verloren scheint dabei auch der Kampf um die Fläche selbst. Die Zahl der als „allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge“ sei „stark rückläufig“, stellt die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) fest. 2006 allein um 16 Verträge. Der als „Pragmatiker“ gelobte 2. Vorsitzende der IG Metall, Detlev Wetzel, hat in der „Zeit“ auch für die Erosion des Flächentarifvertrags den passenden Euphemismus gefunden: „Tarifpolitik findet eben nicht mehr nur in der Tagesschau statt“. Die Zeit der „Stellvertreterpolitik“ sei vorüber. Die Menschen in den Betrieben müssten „wieder mehr Verantwortung für sich und andere übernehmen.“ Das hätte Guido Westerwelle auch nicht besser formulieren können. Dass hierzu „die Menschen“ in Betrieben wie Porsche durchaus andere Bedingungen vorfinden als beispielsweise in Sicherheitsunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern, hätte eigentlich auch bis zu Detlev Wetzel durchsickern können. Hier wird eine weitere Frontbegradigung deutlich. Dem mit Hilfe von Rosa-Oliv durchgesetzten massiven Ausbau des Armutslohnsektors (8 bis 9 Mio. Niedriglohnempfänger laut HBS, bei 40 Mio. Gesamtbeschäftigten) vermag der gewerkschaftliche Kampf nichts Ernsthaftes entgegen zu setzen. Das Eingeständnis wird in der Forderung nach dem Mindestlohn deutlich. Damit wird nicht die gewerkschaftliche Selbstorganisation, sondern Sozialstaatspaternalismus zur Rettungsplanke. Die auch innerorganisatorisch ambivalente Konzentration auf die gut bezahlten Kernbelegschaften der großen Unternehmen korrespondiert mit der Übertragung der Armutsbekämpfung an die staatliche Fürsorge. Ähnliches gilt auch für die Abwehr des konzentrierten neoliberalen Angriffs auf die als Lohn„neben“kosten diffamierten Sozialanteile des Arbeitslohns. Katastrophal erweist sich, dass sich die neoliberale Front durch Gewerkschaftsmitglieder wie Peter Hartz, Walter Riester und Franz Müntefering verstärken konnte. Gerade im Bereich der Lohn„neben“kosten ist der Gegenseite ein dramatischer ideologischer Durchbruch gelungen. Angesichts der schon bislang ins Werk gesetzten neoliberalen Demontage der Sozialgesetzgebung (Gesundheit, Rente, Arbeitslosigkeit) stellt die schwachbrüstige DGB-Kampagne gegen die „Rente mit 67“, (bei gleichzeitiger Reklame für die Riesterrente!) nicht einmal die defensive Verteidigung einer Minimalposition, sondern allenfalls ein Alibi dar.

Vom Sozialpartner zum Co-Manager

Den entscheidenden Schlag erhielt die reformistische Gewerkschaftsbewegung durch die Auflösung der „Deutschland AG“, des Nachkriegs-Korporatismus. Mit der Auflösung der Unternehmensverflechtungen setzte sich die unbedingte Shareholder-Value-Orientierung des Finanz- und Investmentkapitals immer stärker durch. Was mit dem Paradigmenwechsel zum Neoliberalismus Anfang der 70er Jahre zögerlich begann, bestimmt nun die Personal- und Lohnpolitik der Konzerne. Shareholder-Value lässt sich nur sehr begrenzt mit einer langfristigen Sozialkooperation in Einklang bringen. Wie in den Kämpfen bei Telekom, Siemens oder Airbus stehen die Gewerkschaften nun entschlossenen Vorständen gegenüber, die von noch entschlosseneren Aktienbesitzern, an deren Spitze Hedge Fonds, zu einer kompromisslosen Alles-oder-Nichts-Linie gedrängt werden. Eine Herausforderung, auf die die Gewerkschaftsführungen nicht mit dem Aufbau von Gegenmachtpositionen, sondern mit erhöhter Kooperationsbereitschaft reagiert haben. Beispielhaft dafür sind die Großkonflikte Telekom und Airbus. Obwohl Kampfbereitschaft vorhanden war, wollte es niemand in den Gewerkschaftsführungen gegen Telekom oder Airbus auf einen ernsthaften Kampf ankommen lassen. An den mangelnden Eskalationsmöglichkeiten sowie der möglichen „Verwundbarkeit“ (EADS-Chef Tom Enders) lag es in beiden Fällen gewiss nicht. Hier hätte auch die Chance gelegen, zu kampferweiternden Solidaritätsaktionen zu kommen. Der „Erfolg“ des Kompromisskurses ist, dass Telekom schon heute die nächsten Massenentlassungen plant. Über die Gründe darf spekuliert werden. Sie müssen nicht einmal Klaus Volkert heißen. Co-Manager ist eine andere Karriere als ausgegrenzter Underdog im Klassenkampf. Der Airbus-Konflikt macht zudem die Schwächung der Kampffront durch Standortegoismen deutlich. Gelingt es den Vorständen, Belegschaften und Betriebsräte selbst in einem Land gegeneinander auszuspielen (auch eine Folge der Demontage des Flächentarifvertrags), so ist dies mit der entsprechenden nationalen Aufladung bei der Beteiligung verschiedener nationaler Gewerkschaftsverbände umso leichter. Statt den gemeinsamen Schulterschluss zu suchen, schielen Gewerkschafts-Führungen dann eher auf das Bündnis mit den entsprechenden Politikern. Der immense Vertrauensschwund in die gewerkschaftliche Kraft führt dazu, dass beispielsweise beim Nokia-Konflikt die Landesregierung mit dem „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers medial in den Vordergrund rückt. Da sich eine gemeinsame Abwehrfront der Nokia-Beschäftigten nicht erreichen ließ, ja nicht einmal Blockaden o. ä. vor Ort durchgesetzt wurden, konzentrierte sich die ganze Hoffnung auf einen politisch gemanagten Verhandlungserfolg. Dazu kommt das erhebliche soziale Gefälle zwischen Deutschland und Rumänien. Ohne den Kampf um gleiche Sozialstandards wird der Kampf gegen das Sozialdumping der Standortkonkurrenz und gegen die darauf aufbauenden Betriebsverlagerungen nicht erfolgreich sein. Der Rückzug auf die Kernbelegschaften signalisiert allerdings das exakte Gegenteil.  

Bahnstreik

Einen Einschnitt markiert der 10-monatige Kampf der in der GDL organisierten Lokomotivführer um höhere Löhne und einen eigenen Tarifvertrag. Damit hat sich die GDL den Vorwurf der gewerkschaftlichen Spaltung eingehandelt. Ein nicht erst seit dem RGO-Debakel belastetes Thema. Vor allem der andere „Traditionsstrang“, der unternehmerfrommen „Gelben Gewerkschaften“, wie die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) oder ihr Siemens-Derivat AUB (Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger) sorgte für Magenschmerzen. Die von der GDL durchgesetzte Tariffähigkeit ebenso wie die des Marburger Bunds und der Vereinigung Cockpit liegt allerdings quer zu diesen historischen Positionierungen. Obwohl im Gewerkschaftsspektrum politisch eher rechts orientiert, versuchen diese Organisationen unter Ausnutzung von Schlüsselpositionen, die nicht so leicht durch Streikbrecher auszuhebeln sind, deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen als die entsprechenden DGB-Gewerkschaften. Gerade im Fall der GDL haben sich die Verhältnisse gegenüber den „Gelben“ de facto umgekehrt. Unter der Führung von Norbert Hansen ist aus der GdED/Transnet eine unternehmerfromme Organisation geworden, die den seit Mitte der 90er Jahre eingeleiteten Privatisierungskurs mit seinem Arbeitsplatzabbau, Stilllegungen und Privatisierungen bis hin zum Börsengang mitgetragen hat. Ohne sie war und wäre auch in Zukunft der Mehdorn/Tiefensee-Kurs nicht möglich. Eine lammfromme Gewerkschaft ist eine der Voraussetzungen, wenn es gelingen soll, überhaupt Geldgeber für das Investment-Abenteuer Bahn zu gewinnen. Nach dem GDL-Kampf ist das, gleich welche Position die GDL zur Privatisierung hat, objektiv, und das ist das Entscheidende, schwieriger geworden. Im GDL-Streik wird eine tiefe Unzufriedenheit auch der technischen und kaufmännischen Mittelschichten deutlich. Auch ihre Arbeitssituation hat sich durch die drastischen Rationalisierungsschübe, durch Arbeitsverdichtung und -verlängerung, Flexibilisierung, chronische Unterbesetzung sowie die rigorose Durchsetzung von renditeorientierten Zielvorgaben zum Teil unerträglich verschlechtert. Dagegen ist die Bezahlung auch für diese Gruppen kaum vom Fleck gekommen. In Umfragen stürzen die Zustimmungswerte zur sozialen Lage ab. Nur 15 Prozent hielten in einer Bertelsmann-Umfrage Ende 2007 die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland für gerecht. Rund zwei Drittel empfanden sie als ungerecht. Damit ist die Zustimmung innerhalb eines Jahres von 28 Prozent um 13 Punkte abgestürzt.  Der politische Ausdruck dieses Phänomens ist bei der hessischen Landtagswahl zu besichtigen. Die Zustimmung zu den „Volksparteien“ bröckelt. Die Linkspartei dürfte sich auf Landesebene dauerhaft etablieren. Gegen soziale Misere wird sich auf Dauer mit Lafontaine-Bashing und Stasi-Grusel kaum ankämpfen lassen. Die Erosion der Integrationskraft der bürgerlichen Parteien könnte sich als ernsthaftes Hindernis zur Fortführung der neoliberalen Gegenreform und der weiteren Festigung des Standortgedankens erweisen.  

Kenneth Rogoff

In der Financial Times Deutschland (FTD) hat der IWF-Ökonom Kenneth Rogoff einen Beitrag veröffentlicht, welcher sich der Frage widmet, inwieweit eine „Renaissance der Gewerkschaften“ aus dem Herrscherkalkül zu befürworten wäre. Die Antwort versucht eine Abwägung zwischen der Sorge um eine drohende Verlangsamung der Durchsetzung des finanzinvestmentdominierten Kapitalismusmodells, „Sand ins Getriebe der Globalisierung streuen“, und der Hoffnung auf seine Verstetigung und Verstärkung, ihn also „nachhaltiger zu gestalten, indem sie Gleichheit und Gerechtigkeit fördert“. Rogoff bilanziert nüchtern den Machtverfall der US-Gewerkschaften. Seit dem Jahr 1975 sei der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder im privaten Sektor von 25 Prozent auf heute 8 Prozent gefallen. Aus vielen Firmen wie Google und Wal-Mart seien Gewerkschaften völlig herausgehalten worden. Lediglich im öffentlichen Sektor seien die Gewerkschaften mit 35 Prozent weiterhin stark. Für Rogoff ist klar, dass eine „Renaissance der Gewerkschaften“, falls es sie denn geben sollte, nicht auf einem Zuwachs ihrer real anwachsenden Kampfkraft beruhen würde, sondern auf einem vom Herrschaftsinteresse gesteuerten Lösungsansatz für die wachsenden Integrationsdefizite des Globalisierungsprozesses. „Echte Gewerkschaften“ (!) hätten allenfalls in armen Ländern wie China als Gegenmoment zu der Unternehmermacht ihren Sinn. In den USA und den reichen Ländern Europas seien die Schutzrechte der Arbeiter ohnehin (staatlicherseits) gesichert. Gewerkschaftlicher Kampf behindere hier allenfalls die Rationalisierungseffizienz und die Arbeitsmotivation. Eine „Umverteilung der Einkommen“ könne über Steuern wesentlich besser geregelt werden als durch „staatliche Erlasse zur Stärkung der Gewerkschaften“. Mit einer halbwegs vernünftigen Einkommenssteuer für Reiche sei da wesentlich mehr zu machen. Rogoffs Plädoyer für einen Sozialstaatspaternalismus mit dem Ziel, die „Gewerkschaften einfach von selbst schwächer werden zu lassen“, bleibt aber skeptisch: „Leider ist es bei Weitem wahrscheinlicher, dass wir miterleben werden, wie der zunehmende politische Einfluss der Gewerkschaften zu einem großen destabilisierenden Faktor für Handel und Wachstum wird.“

Reaganomics und Thatcherism in der Krise

Der unter Nixon begonnene und unter Reagan und Thatcher durchgesetzte Ausstieg aus der Bretton-Woods-Kooperation hat den Nachkriegspakt mit den reformistischen Gewerkschaften aufgekündigt. Aus einer Defensivposition hat die neoliberale Gegenreformation mit Hilfe der drastischen Beschleunigung ihres bisherigen nationalstaatsbasierten Akkumulationsmodells einen exportorientierten Ausbruchsversuch unternommen, der sich statt auf eine demonstrative Sozialintegration auf eine hemmungslose Verstärkung des Nationalchauvinismus und eine aggressive militärische Gegenstrategie stützte. In diesem Konzept waren Gewerkschaften entbehrlich. Nach der Niederlage des Sozialismus und dem Aufstieg von „God’s own Country“ zur „Einzigen Weltmacht“ verstärkte sich dieser Trend noch. In der Bundesrepublik machte das Zusammenwachsen mit den „blühenden Landschaften“ eine gewisse Schamfrist erforderlich, bevor dann, mit den willigen Helfern Schröder und Fischer, die neoliberale Gegenoffensive und mit ihr die Demontage der Gewerkschaften, der SPD, des Sozialreformismus insgesamt, auch hierzulande zur Hochform auflief. Mit dem zweiten Ausbruch einer weltweiten Kreditkrise in diesem Jahrhundert geraten die sozialökonomischen Widersprüche des gegenwärtige Akkumulationsmodells stärker in den Fokus. Das Wachstum der Weltwirtschaft wurde mit immer höherer Verschuldung und einer Inflation der Vermögenswerte finanziert. Bei einem Zusammenbruch dieses Wachstumsmodells dürften sich die Gewichte neu sortieren. Der Aufstieg der Schwellenländer stellt auch ohnehin auf mittlere Sicht die Dominanzposition des „Westens“ in Frage. Die sozialökonomische wie auch politisch- kulturelle Integrationskraft nahm selbst in der Boom-Phase der Weltwirtschaft rasch ab. Der militärische Sicherungsversuch der wichtigsten globalen Rohstoffressourcen droht in einem Fiasko zu enden. Auch die kulturelle Hegemonieposition des „Westens“ ist nicht mehr außer Frage.  

Renaissance des Korporatismus?

Allmählich greift die Einsicht Platz, dass bei rücksichtsloser Verfolgung der reinen neoliberalen Lehre sich die Probleme zu bedrohlichen Dimensionen auftürmen. Dass diese Erkenntnis zuerst in den USA reift, sollte nicht verwundern. Der Umgang der US-Wirtschaftspolitik mit der Kreditkrise ist erheblich pragmatischer als das sture Herbeten der liberalen Glaubenssätze hierzulande. Dennoch hat selbst Schwarz-Rosa realisiert, dass die Vertröstungen auf das jenseitige sozialpartnerschaftliche Himmelreich („Die Investitionen von heute sind die Gewinne von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“) in Zeiten des neoliberalen Hardcore-Kapitalismus niemand mehr glaubt. Die nahezu routinemäßigen Massenentlassungen trotz praller Auftragsbücher und explodierender Profite lassen das Vertrauen in die spätere Honorierung des eigenen Verzichts als illusionäre Torheit erscheinen. Statt Sicherheit und Zukunftszuversicht steht nun auch dem Kleinbürgertum und den Funktionseliten der Absturz in Hartz IV vor Augen. Den einschlägigen Umfragen ist zu entnehmen, dass die neoliberale Gegenreform selbst inmitten ihres größten globalen Erfolges das Vertrauen in den Kapitalismus nachhaltiger zerstört hat als jede Parteipropaganda. Noch können die Strategen in den imperialistischen Think Tanks darauf hoffen, dass die antikommunistischen Reflexe halbwegs wirksam sind und die Generation der Geschlagenen sich zu keinem neuen Anlauf sammeln kann, der Unmut also in der Desorientierung vereinzelt bleibt. Ein Zukunftskonzept ist das nicht. Die destruktiven Folgen der Desintegration sind über die Erhöhung der Repressionsanstrengungen nur sehr bedingt zu konterkarieren. Ebenso wenig wie über eine Intensivierung der Meinungs- und Ablenkungsindustrie. Wie GDL und Linkspartei belegen, drohen in der Bundesrepublik ungewollte Ausfransungsprozesse aus dem gewerkschaftlichen und politischen Integrationskonzept. Die Individualisierung des gesellschaftlichen Unmuts kann dauerhaft nicht garantiert werden.  Aus dem Herrschaftskalkül erscheint daher eine Verstärkung der Integrationsmöglichkeiten des Sozialreformismus – gewerkschaftlich wie politisch – als sinnvolle Option. Dazu verstärkt sich das ökonomische Argument, denn die bislang durch eine stabile Weltkonjunktur gestützte, aggressive bundesdeutsche Exportstrategie droht in der sich abzeichnenden Flaute die Krise in einer Art Bumerangeffekt zu reimportieren. Ohne eine Steigerung der Binnennachfrage droht ein erheblicher Einbruch des ohnehin nicht gerade atemberaubenden „Aufschwungs“. Im vierten Quartal 2007 lag das Wachstum bei gerade noch 1,6 Prozent. Bei einem durch die Unsicherheit geförderten Anstieg der Sparquote auf 10,8 Prozent (wer es sich leisten kann, spart) und einem Rückgang der Sozialleistungen um 1,8 Prozent bleibt als effektive konjunkturstützende Maßnahme nur die Stützung der nicht sparfähigen unteren Einkommen. Die Kurskorrektur der SPD findet hier ebenso ihren Platz, wie das „Mega-Tarifjahr“ der Gewerkschaften. Die Wahrnehmung der Stärkung des Sozialreformismus hängt an seiner Fähigkeit sich gegen Widerstände durchzusetzen. Sowohl der SPD wie auch den DGB-Gewerkschaften dürfte politisch-ideologisch weiterhin kräftiger Wind entgegenblasen, im Unterschied zu den letzten Jahren könnte allerdings die Chance auf partielle Erfolge deutlich größer geworden sein. Wie in der Phase des Kalten Krieges wird die Sozialdemokratie bemüht sein, diese im kalkuliert hinhaltenden Widerstand eingeräumten Spielräume als eigene, hart errungene Erfolge zu verwerten. Den von Rogoff formulierten Befürchtungen, dass die Ambivalenz dieses Spiels zu einer Senkung der Rationalisierungseffizienz, also einer ernsthafteren Einschränkung des ungehemmten Profitstrebens werden könnte, steht bislang sowohl das Spitzenpersonal wie auch die von den Jahren des Klassenkompromisses geprägte politisch-ideologische Grundausrichtung des Funktionärskörpers sowie seine mentale Befindlichkeit entgegen. Hinzu kommt eine Standortsicherung genannte Interessenverfilzung insbesondere in den großen Industriebetrieben. Die Gewerkschafter Volkert, Riester, Hartz, Müntefering, Schmoldt ... diese Liste ließe sich ad infinitum fortsetzen, sind Produkte dieser seit den 50er Jahren herausgebildeten und mit der neoliberalen Gegenreformation in Dekadenz übergegangenen Sozialpartnerschaftsverhältnisse. Die Möglichkeit, Porsche- gegen VW-Betriebsräte in Stellung bringen zu können, charakterisiert die Lage. Das IG-Metall-Duo Huber/Wetzel hat, auch durch den letzten Abschluss, hinreichend klargemacht, dass sie den Rationalisierungs- und Flexibilisierungsanforderungen nichts Ernsthaftes entgegensetzen werden. Bei Organisationen wie der IG BCE ist das ohnehin klar. Sie hatte immer von ihrem innigen Verhältnis zur Kohle- und Chemieindustrie und der Honorierung ihrer Dissidentenposition innerhalb des DGB profitiert. Die „neuen Wege im Modell Deutschland“, von denen Hubertus Schmoldt auf dem letzten IG- BCE-Gewerkschaftskongress phantasierte, sie werden nicht sehr weit entfernt von denen des BDA liegen. Eine Renaissance des Nachkriegs-Korporatismus hat enge Grenzen. Sie werden vor allem durch die vom Shareholder-Value-Interesse drastisch verringerte Verfügungsmasse gezogen. Die außenwirtschaftliche Kampfkraft beruht auf der binnenwirtschaftlichen Verbilligung  der Arbeitskraft. Diese merkantilistische Basisstrategie steht nur sehr begrenzt zur Disposition. Substantielle Zugeständnisse zu erzwingen fehlt die Entschlossenheit. Dennoch sind innerhalb dieser engen Rahmenvorgaben gewisse „Deals“ möglich. Sie erscheinen gegenwärtig aber allenfalls für die fachlich-betriebsorganisatorisch notwendigen, sozial stabilisierenden Kernbelegschaften wahrscheinlich. Alle, die dabei außen vor bleiben, bleiben an die staatliche Fürsorge (Mindestlohn) verwiesen.

„Es rettet uns kein höh’res Wesen“

Die objektiven Notwendigkeiten für den Aufbau von „echten Gewerkschaften“ sind mehr denn je gegeben. Auch wenn die Widersprüchlichkeit der neoliberalen Gegenreform wie auch die konjunkturelle Lage eine sozialpaternalistisch unterfütterte stärkere (mediale) Präsenz der Gewerkschaften ermöglicht, an den erodierenden Machtstrukturen ändert auch ein perfektioniertes Co-Management nichts. Ohne eine auf der Grundlage der Klasseninteressen operierende, eine Gegenmacht gegen die neoliberale Deregulierung formierende Gewerkschaft, wird ein weiterer Verfall der sozial-kulturellen Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen kaum aufhaltbar sein. Dass es Mobilisierungsmöglichkeiten gäbe, zeigt nicht nur die gegenwärtige Lohnrunde oder der GDL-Streik. Selbst die halbherzigen DGB-Aktionen 2003/04 gegen die Agenda haben die größten Demonstrationen der Nachkriegszeit auf die Straßen gebracht. Wäre dieses Potential zu zwingenden Aktionen wie Streiks gebracht worden, hätte die reale Möglichkeit bestanden, den neoliberalen Durchmarsch zu stoppen. Auch der 13-wöchige Streik im öffentlichen Dienst, die Kämpfe bei Alstom und Freudenberg zeigen, dass die Menschen bei entschlossener Organisation durchaus zu kämpfen in der Lage sind. Ein, wenn auch begrenztes Umdenken hat begonnen. Seit etwa 10 Jahren versucht die Gewerkschaftslinke ein offenes Netzwerk aufzubauen, um der „Daueroffensive durch Kabinett und Kapital“ Widerstand entgegen zu setzen. Alle Erfahrungen aus betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen zeigten, resümiert die Schlusserklärung des 9. GL-Kongresses 2007, „dass dort, wo die KollegInnen ihre Angelegenheit selbst in die Hand genommen haben, sich demokratische Strukturen herausbilden, und dadurch die Auseinandersetzung eine gute Dynamik entwickelt und kämpferische und kreative Aktionen stattfinden, die zumindest Teilerfolge erzielten“. Als „zentrale Aufgabe“ wird „der aktive Einsatz gegen jegliche Einschränkungen des Streikrechts und gegen den Abbau demokratischer Rechte“ beschrieben. Das sieht die Gegenseite, wie der GDL-Streik gezeigt hat, mit umgekehrten Vorzeichen genau so. „Es zeigt sich, dass die KollegInnen auch jenseits von Gesetzen sich ihr Streikrecht oder das Recht auf Blockaden und Besetzungen nehmen“ (Schlusserklärung) Genommen haben sich dieses Recht, auch das auf den „politischen Streik“, die Hafenarbeiter. Es war notwendig, um in ihrem langjährigen (2001-2006) Kampf gegen die europäische Hafenrichtlinie Port-Package erfolgreich zu sein. Der Kampf gegen Port-Package zeigt, dass auch heute und auch mit internationaler Solidarität Erfolge möglich sind. „Proud to be a docker“ wurde zum selbstbewussten Kampfruf. Stolz, ein Docker, ein Hafenarbeiter zu sein, war die wichtige und notwendige kulturelle Flanke des Kampfes. Der Stolz auf die eigene Arbeit, die Existenz als Arbeiter trennt Welten von der kleinbürgerlichen Karrieregeilheit, der Raffgier und dem Geltungsdrang des Typus Volkert. Bewusstseinsprozesse finden in Kampfsituationen im Eilzugtempo statt. Die Dialektik der bevorstehenden Auseinandersetzungen kann auch ganz andere Ergebnisse hervorbringen, als die von Kapital- und Gewerkschaftsstrategen sorgfältig ausgeklügelte restaurative Renaissance.

top