Die juristischen Folgen eines Massenmordes

Das Verfahren vor den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia

Am 18. Juli 2007 wurde förmlich ein Ermittlungsverfahren gegen fünf ehemalige Führungspersönlichkeiten der Roten Khmer vor der Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC) eröffnet.

Ein Jahr lang haben die kambodschanische Co-Staatsanwältin der ECCC und ihr kanadischer Kollege Dokumente gesichtet, Tatorte aufgesucht und ZeugInnen vernommen. Am 18. Juli 2007 überreichten sie den Co-Ermittlungsrichtern der ECCC ihr Ermittlungsersuchen und eröffneten damit das Ermittlungsverfahren. Nacheinander erließen die Co-Ermittlungsrichter in den darauf folgenden Wochen Haftbefehle gegen Kaing Guek Eav, Nuon Chea, Ieng Sary, Ieng Thirith und Khieu Samphan. Vor den ECCC ist ein lang erwartetes Verfahren in Gang gekommen, dessen Bedeutung für das Königreich von Kambodscha kaum überschätzt werden kann, das aber zugleich massive juristische Probleme aufwirft.

Die Jahre 1975 bis 1979

Als Rote Khmer bezeichnete König Norodom Sihanouk seit den sechziger Jahren die gegen seine Regierung opponierenden Mitglieder der kommunistischen Partei von Kambodscha. Bei einem Staatsstreich im März 1970 setzte das kambodschanische Militär mit Hilfe der USA den König ab. Royalisten und Kommunisten besaßen nun ein gemeinsames Interesse: Den neuen Machthaber Lon Nol zu stürzen und die Einflussnahme der USA in Kambodscha zu beenden. Mit diesem Ziel zogen mehrere zehntausend KambodschanerInnen in die Wälder und schlossen sich den Guerilla-Einheiten der Roten Khmer an. Nach einem sich über mehrere Jahre hinziehenden Bürgerkrieg übernahmen die Roten Khmer am 17. April 1975 in Kambodscha die Macht. Unter dem Jubel der Bevölkerung zogen die SiegerInnen an diesem Tag in Phnom Penh ein. Viele KambodschanerInnen glaubten, sie würden unter der neuen Regierung in Frieden leben und das vom Bürgerkrieg zerstörte Land wieder aufbauen können. Doch nur wenige Stunden nach dem Triumphzug gaben die Roten Khmer bekannt, dass sämtliche BewohnerInnen innerhalb kürzester Zeit die Stadt zu verlassen hätten. Mitnehmen durfte jede/r nur das Notwendigste. Wer sich weigerte, den Anordnungen der Roten Khmer Folge zu leisten, wurde erschossen. Zwei Millionen Menschen machten sich überwiegend zu Fuß in die landwirtschaftlichen Kooperativen auf, die ihnen die Roten Khmer zugewiesen hatten. Tausende von ihnen erreichten ihr Ziel nie, verhungerten, verdursteten, starben an unzureichend behandelten Krankheiten oder aus Erschöpfung. Wie Phnom Penh wurden auch die anderen kambodschanischen Städte zwangsevakuiert. Ziel der Roten Khmer war der Aufbau einer in ländlichen Kollektiven organisierten Arbeiter- und Bauerngesellschaft. Eine der Grundlagen des neuen Staates sollte der Reisanbau sein. In dem 1976 von der kommunistischen Partei verabschiedeten Vierjahresplan war neben der Kollektivierung des Privateigentums für die Jahre 1977 bis 1980 ein durchschnittlicher Ertrag von drei Tonnen Reis pro Hektar vorgesehen. Ein Teil der Ernte sollte die Bevölkerung ernähren, ein anderer gegen Devisen verkauft werden. Als Folge des Bürgerkrieges fielen die erzielten Erträge schlechter aus als geplant. Dennoch verkauften die Roten Khmer große Teile der Ernte an das Ausland, vorwiegend an China. Der für die Bevölkerung in Kambodscha verbleibende Reis reichte bei weitem nicht aus. Männer, Frauen und Kinder starben zu Tausenden an Unterernährung.

Deportation, Zwangsarbeit, politische Verfolgung

Um den Vierjahresplan der kommunistischen Partei zu erfüllen, hatte die gesamte Bevölkerung zu arbeiten. Kinder und ältere Menschen bekamen leichtere Aufgaben zugewiesen, alle anderen hatten Schwerstarbeit zu verrichten, entweder auf dem Feld oder bei einem der ehrgeizigen Bauprojekte. Von Hand, ohne adäquates Werkzeug, bauten junge Männer und Frauen kilometerlange Dämme und Kanäle, oft mehr als zwölf Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Wer es wagte, gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu protestieren, wurde hart bestraft. Manche der Bauwerke, etwa der künstliche See in Kamping Poy bei Battambang oder die vier großen Dämme in der Provinz von Kompong Thom, erinnern noch heute an die vielen Tausend Menschen, die bei ihrer Errichtung ihr Leben ließen. Gehorsam erzwangen die Roten Khmer über ein engmaschiges Sicherheitssystem. Schon wegen Nichtigkeiten konnte man als "Staatsfeind" oder "Verräter" denunziert und in eines der 200 "Sicherheitszentren" verschleppt werden. Auf kommunaler Ebene handelte es sich dabei um Arbeitslager, auf regionaler und überregionaler Ebene um Foltergefängnisse. Das wichtigste dieser Zentren, genannt S-21, befand sich in Phnom Penh. Den hier internierten Gefangenen, vorwiegend ehemalige Parteikader, wurden unter schwerer Folter "Geständnisse" abgepresst, die die Roten Khmer zu Propagandazwecken einsetzten. Nach Abschluss der Verhöre wurden die Gefangenen mit Lastwagen auf einen 13 Kilometer vor der Stadt gelegenen chinesischen Friedhof gebracht und mit Äxten erschlagen. Von den schätzungsweise 14.000 Männern, Frauen und Kindern, die in S-21 interniert waren, überlebten nur sieben. Systematisch verfolgten und ermordeten die Roten Khmer ehemalige Funktionäre der Lon-Nol-Regierung. Die Dorfgemeinschaften der Cham, einer ethnischen Minderheit muslimischen Glaubens, wurden aufgelöst und ihre BewohnerInnen über das Land verteilt. Wer sich widersetzte, wurde, wie viele der religiösen Führer, umgebracht. Vietnamesische Staatsangehörige wurden ab 1975 aus Kambodscha abgeschoben. Nur diejenigen, die mit kambodschanischen Staatsangehörigen verheiratet waren, durften zunächst bleiben. Ab 1977 wurden auch sie systematisch verfolgt und ermordet. Immer wieder griffen die Roten Khmer die vietnamesische Grenzregion an. Mitte 1977 bombardierten sie Chaudoc, Hatien und eine Reihe anderer vietnamesischer Provinzen. Dabei kamen zahlreiche Zivilisten ums Leben. Spätestens seit Ende 1977 befanden sich Kambodscha und Vietnam in einem Krieg, der letztlich das Ende der Roten Khmer besiegelte. Im Dezember 1978 unternahmen die Vietnamesen die entscheidende Großoffensive. Am 7. Januar 1979 marschierten sie in Phnom Penh ein. Bis auf die dort internierten Kriegsgefangenen hielt sich niemand in der Stadt auf. Die Regierung war geflohen, die Diktatur beendet. Insgesamt starben als Folge der Gewaltherrschaft der Roten Khmer zwei Millionen Menschen.1

Das Statut der ECCC

Im Sommer 1997 griffen die beiden kambodschanischen Premierminister eine Anregung der UN-Menschenrechtskommission auf und baten den UN-Generalsekretär um Unterstützung bei der strafrechtlichen Ahndung der von den Roten Khmer begangenen Verbrechen. Daraufhin setzte dieser eine dreiköpfige Expertengruppe mit dem Auftrag ein, die verschiedenen Optionen für ein Verfahren gegen die Roten Khmer zu evaluieren. In ihrem Abschlussbericht2 plädierte die Expertengruppe für ein Ad-hoc-Gericht nach dem Muster der internationalen Tribunale für Jugoslawien und Ruanda, das in einem asiatischen Staat außerhalb Kambodschas angesiedelt sein sollte. Ihre ablehnende Haltung gegenüber der Option, die Roten Khmer in Kambodscha vor Gericht zu stellen, begründete die Expertengruppe damit, dass die wichtigsten Voraussetzungen für ein faires und effizientes Gerichtsverfahren in Kambodscha nicht erfüllt seien. Dort gebe es weder gut ausgebildete JuristInnen, noch eine adäquate Infrastruktur. Darüber hinaus mangele es in Kambodscha an einer Kultur der Rechtsstaatlichkeit. Angesichts dieses vernichtenden Urteils stellte sich die kambodschanische Regierung nun ihrerseits auf den Standpunkt, dass es sich bei dem geplanten Verfahren zwar um ein international unterstütztes, aber doch um ein nationales Verfahren im Rahmen des nationalen Rechts zu handeln habe. Die Verhandlungen gerieten ins Stocken. Den entscheidenden Durchbruch erzielte im Jahr 1999 das Konzept einer kambodschanischen RichterInnenmehrheit in Kombination mit dem Abstimmungsmodus der "super majority", nach dem Urteile und Beschlüsse nur mit der Stimme eines internationalen Richters oder einer internationalen Richterin ergehen können.3

Eine internationale Einrichtung

Erst nach weiteren vier Jahren konnten sich Kambodscha und die Vereinten Nationen verbindlich über die genaue Struktur des einzurichtenden Tribunals einigen. Der am 6. Juni 2003 geschlossene völkerrechtliche Vertrag4 stellt zusammen mit dem kambodschanischen Umsetzungsgesetz über die Errichtung der ECCC die Rechtsgrundlage für deren Arbeit dar. Von der Rechtsprechungsgewalt der ECCC erfasst sind die Führungspersönlichkeiten der Roten Khmer sowie die Hauptverantwortlichen für die zwischen dem 17. April 1975 und dem 6. Januar 1979 begangenen Verbrechen. Bestraft werden können diese für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Mord, Totschlag, Folter, religiöse Verfolgung, schwere Verstöße gegen die Haager Konvention zum Schutze von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten und für Verbrechen gegen diplomatisch geschützte Personen. Die Struktur der ECCC folgt weitgehend dem französischen System. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist ausschließlich der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Die eigentlichen Herren des Ermittlungsverfahrens sind die Ermittlungsrichter. Ist das Ermittlungsverfahren einmal eingeleitet, beschließen sie allein die zu treffenden Ermittlungsmaßnahmen. Die Hauptverhandlung findet vor der mit drei kambodschanischen und zwei internationalen RichterInnen besetzten Strafkammer statt. Gegen die Urteile der Strafkammer können die Staatsanwaltschaft, die Angeklagten und die NebenklägerInnen (diese jedoch nur im Anschluss an die Staatsanwaltschaft) Berufung einlegen. Die Berufungskammer setzt sich aus vier kambodschanischen und drei internationalen RichterInnen zusammen. Beide Kammern sollen ihre Entscheidungen grundsätzlich im Konsens fällen. Kommt ein solcher nicht zustande, kann eine Entscheidung nur mit einer qualifizierten Mehrheit von vier beziehungsweise fünf RichterInnen ergehen. Die ECCC sind zwar Teil des kambodschanischen Gerichtswesens. Sie besitzen aber eine Reihe von Charakteristika, die sie zugleich als internationale Einrichtung ausweisen. Die Errichtung der ECCC beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag. Bei den in ihre Rechtsprechung fallenden Straftaten handelt es sich vor allem um solche des internationalen Strafrechts. Die ECCC werden überwiegend von der internationalen Gemeinschaft finanziert. Schließlich stammt das bei den ECCC tätige Personal nicht nur aus Kambodscha, sondern auch aus dem Ausland. Die ECCC sind daher zwar nicht als internationales, aber als internationalisiertes, als "hybrides" Tribunal einzuordnen.5

Der Stand des Verfahrens

Gegen ganze fünf Beschuldigte eröffneten die kambodschanische Co-Staatsanwältin und ihr kanadischer Kollege am 18. Juli 2007 ein Ermittlungsverfahren, indem sie den Co-Ermittlungsrichtern ihr knapp 100 Seiten starkes Ermittlungsersuchen übergaben. Diese Zahl erscheint im Hinblick auf die einigermaßen gute Beweislage ausgesprochen niedrig. Immerhin bezeichnete die Staatsanwaltschaft in ihrer Presseerklärung das überreichte Ermittlungsersuchen als das "erste" seiner Art. Möglicherweise wird also der Kreis der Beschuldigten in einem späteren Verfahrensstadium erweitert werden. In ihrem Ermittlungsersuchen kommen die Co-Staatsanwälte zu dem Ergebnis, dass zwischen dem 17. April 1975 und dem 6. Januar 1979 in Kambodscha zahlreiche schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und das innerstaatliche kambodschanische Recht erfolgt sind. Bei diesen Verstößen handele es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949, Mord, Totschlag, Folter und religiöse Verfolgung. Gegen die fünf Beschuldigten habe sich während des Vorermittlungsverfahrens ein dringender Tatverdacht ergeben. Bei ihnen handele es sich um wichtige Führungspersönlichkeiten der Roten Khmer beziehungsweise um Hauptverantwortliche für die begangenen Verbrechen. Knapp zwei Wochen nach der Übergabe des Ermittlungsersuchens erging Haftbefehl gegen Kaing Guek Eav, den ehemaligen Leiter des Foltergefängnisses S-21. In ihrem Haftbefehl führen die Co-Ermittlungsrichter aus, angesichts des umfangreichen Beweismaterials lägen plausible Gründe für die Annahme vor, Kaing Guek Eav habe als Leiter des Foltergefängnisses S-21 die dort begangenen Massenexekutionen und Folterungen zu verantworten. Diese seien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren.

Haftbefehle gegen fünf Beschuldigte

Bevor Kaing Guek Eav an die ECCC überführt wurde, saß er auf Anordnung des Militärgerichts in Phnom Penh mehr als 8 Jahre lang in Untersuchungshaft, ohne dass jemals gegen ihn ein Urteil ergangen wäre. Während dieser Zeit wurden mit Blick auf das vor den ECCC anstehende Verfahren nur in minimalem Umfang Ermittlungen durchgeführt. Darin ist unter anderem ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte zu sehen, nach dem jeder, der unter dem Vorwurf einer strafbaren Handlung festgenommen worden ist, einen Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft besitzt. Dieser Verstoß könnte einem Strafverfahren gegen Kaing Guek Eav entgegenstehen. Die Co-Ermittlungsrichter stellen sich in ihrem Haftbefehl unter Anwendung der Maxime male captus, bene detentus allerdings auf den Standpunkt, dass sich die Umstände der Verhaftung eines Beschuldigten grundsätzlich nicht auf das gegen ihn geführte Strafverfahren auswirken. Ausnahmsweise sei unter Zugrundelegung der abuse of process doctrine ein Verfahren einzustellen, wenn schwere Verstöße gegen die Rechte des Beschuldigten erfolgt seien, insbesondere, wenn er in der Haft misshandelt wurde. Dafür lägen hier jedoch keinerlei Anzeichen vor. Die Anwälte des Beschuldigten legten bei der hierfür zuständigen Vorverfahrenskammer Haftbeschwerde ein. Diese hatte jedoch keinen Erfolg. Der Haftbefehl gegen Nuon Chea, besser bekannt als "Brother No. 2", erging am 19. September 2007. Nuon Chea hatte zwischen 1975 und 1979 in Kambodscha eine Reihe von Schlüsselpositionen inne. Unter anderem war er Ministerpräsident, Mitglied des Zentralkomitees, Mitglied des Militärkomitees und stellvertretender Generalsekretär der kommunistischen Partei. Nach Ansicht der Co-Ermittlungsrichter legen die vorhandenen ZeugInnenaussagen und Dokumente nahe, dass Nuon Chea die Aufsicht über die im gesamten Land eingerichteten Sicherheitszentren geführt, die gewaltsame Evakuierung der Städte sowie die im gesamten Land zu leistende Zwangsarbeit angeordnet und die während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Vietnam begangenen Massaker an der Zivilbevölkerung befohlen habe. Diese Verbrechen seien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen einzuordnen.

Verfahrenshindernisse

Am 14. November 2007 erließen die Co-Ermittlungsrichter Haftbefehle gegen das Ehepaar Ieng Sary und Ieng Thirith. Ieng Sary war von 1975 bis 1979 Außenminister und Mitglied des Zentralkomitees der kommunistischen Partei von Kambodscha. Ieng Thirith war in dieser Zeit Sozialministerin. Nach Ansicht der Co-Ermittlungsrichter legen die vorhandenen ZeugInnenaussagen und Dokumente nahe, dass Ieng Sary und Ieng Thirith an Gestaltung und Umsetzung der Politik der kommunistischen Partei von Kambodscha maßgeblich beteiligt waren. Kennzeichnend für diese sei ein breit angelegter Angriff auf die Zivilbevölkerung in Gestalt von Massenmorden, politischer Verfolgung, Deportation und Zwangsarbeit gewesen. Bei diesen Verbrechen handele es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts mit Vietnam werden Ieng Sary ferner schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 vorgeworfen. Am 19. August 1979 hatte ein revolutionäres Tribunal Ieng Sary wegen Völkermordes zum Tode verurteilt. Durch ein königliches Dekret vom 14. September 1996 wurde der ehemalige Außenminister jedoch begnadigt. Fraglich ist nun zum einen, ob ein Verfahren gegen Ieng Sary vor den ECCC gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen würde, zum anderen, ob die Begnadigung ein Verfahrenshindernis darstellt. In ihrem Haftbefehl stellen sich die Co-Ermittlungsrichter auf den Standpunkt, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem zurzeit nicht in Betracht komme, da die ECCC gegen Ieng Sary bislang nicht wegen Völkermordes ermitteln. Die Begnadigung stelle kein Verfahrenshindernis dar, da diese lediglich die von dem revolutionären Tribunal verhängte Strafe annuliere. Als letzter der fünf Beschuldigten wurde am 19. November 2007 Khieu Samphan verhaftet. Khieu Samphan war von 1975 bis 1979 Staatspräsident und Mitglied des Zentralkomitees der kommunistischen Partei von Kambodscha. Nach Ansicht der Co-Ermittlungsrichter legen ZeugInnenaussagen und Dokumente nahe, dass Khieu Samphan an Gestaltung und Umsetzung der Politik der kommunistischen Partei von Kambodscha maßgeblich beteiligt war. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und, vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts mit Vietnam, schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 vorgeworfen. Auffällig ist, dass die Co-Ermittlungsrichter bisher offenbar nicht davon ausgehen, dass eine/r der Beschuldigten den Tatbestand des Völkermordes verwirklicht hat. Das könnte auf Grund des noch relativ frühen Verfahrensstadiums an der Beweislage liegen. Diese stellt sich in Völkermordfällen regelmäßig als besonders schwierig dar. Der subjektive Tatbestand des Völkermordes setzt die Absicht voraus, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Auf das Vorhandensein einer solchen Absicht kann grundsätzlich aus den Umständen der zu beurteilenden Gewalttaten geschlossen werden.6 Bislang scheinen die Co-Ermittlungsrichter der Auffassung zu sein, dass sich die zwischen 1975 und 1979 in Kambodscha verübten Gewalttaten weniger gegen eine spezifische Gruppe als vielmehr gegen die breite Masse der Bevölkerung gerichtet haben.

Die Unabhängigkeit der ECCC

Von Anfang an bestanden Zweifel an der Unabhängigkeit der ECCC. In Kambodscha gehört die politische Beeinflussung richterlicher Entscheidungen zur alltäglichen Routine. Davon betroffen ist auch das kambodschanische Personal der ECCC. In einem Fall wurde dies besonders deutlich. Am 9. August 2007, drei Wochen nach der Übergabe des Ermittlungsersuchens und eine Woche nach Erlass des ersten Haftbefehls, unterschrieb der König von Kambodscha Berichten zufolge ein ihm von Ministerpräsident Hun Sen vorgelegtes Dekret, durch das You Bun Leng, der kambodschanische Co-Ermittlungsrichter bei den ECCC, zum Präsidenten des Berufungsgerichts ernannt wurde. Nachfolger von You Bun Leng sollte Thong Ol werden, ein treuer Anhänger des Ministerpräsidenten. Dafür nahm Hun Sen sowohl einen Vertragsbruch als auch einen Verstoß gegen die kambodschanische Verfassung in Kauf. Nach Art. 3 Ziff. 7 des von Kambodscha und den Vereinten Nationen geschlossenen Vertrages bezüglich der strafrechtlichen Ahndung der von den Roten Khmer begangenen Verbrechen hat die Ernennung der für die ECCC tätigen RichterInnen für die Dauer des gesamten Verfahrens zu erfolgen. Die Verfassung von Kambodscha7 sieht in Art. 115 vor, dass das Vorschlagsrecht für die vom König zu ernennenden RichterInnen nicht beim Ministerpräsidenten, sondern beim Supreme Council of the Magistracy liegt. Nachdem die Vereinten Nationen förmlich ihr Missfallen über diese Vorgehensweise zum Ausdruck gebracht hatten, gab Ministerpräsident Hun Sen am 24. August 2007 bekannt, dass You Bun Leng den ECCC trotz seiner Beförderung auch weiterhin zur Verfügung stehen wird. Geht man vor dem Hintergrund dieses Manövers davon aus, dass sich das kambodschanische Personal der ECCC der Einflussnahme durch die Regierung kaum entziehen kann, bleibt zu bedenken, dass dem internationalen Personal der ECCC eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung steht, mit denen es sich dieser Einflussnahme erwehren kann. Kein Co-Staatsanwalt, kein Co-Ermittlungsrichter kann ohne den jeweils anderen eine relevante Entscheidung fällen. Im Ermittlungsverfahren besteht jederzeit die Möglichkeit, die Vorverfahrenskammer anzurufen. Entscheidungen der Vorverfahrenskammer, der Strafkammer und der Berufungskammer bedürfen immer der Stimme zumindest eines internationalen Richters oder einer internationalen Richterin. Das Ergebnis des vor den ECCC anhängigen Verfahrens wird auch davon abhängen, inwieweit das internationale Personal sich dieser Instrumente zu bedienen weiß. Constanze Oehlrich hat als Rechtsreferendarin für die ECCC gearbeitet. 1 Khamboly Dy, A History of Democratic Kampuchea (1975 - 1979), Documentation Center of Cambodia, 2007. 2 Report of the Group of Experts for Cambodia established pursuant to General Assembly resolution 52 / 135 in: http://www.unakrt-online.org/Docs/GA%20 Documents/1999%20Experts%20 Report.pdf 3 Jörg Menzel, Ein Strafgericht für die Khmer Rouge, in: Verfassung und Recht in Übersee, 4. Quartal 2006, S. 434. 4 Rechtsgrundlagen, Entscheidungen und Presseerklärungen der ECCC sind auf der Internetseite www.eccc.gov.kh veröffentlicht. 5 Jörg Menzel, Ein Strafgericht für die Khmer Rouge, in: Verfassung und Recht in Übersee, 4. Quartal 2006, S. 425. 6 Patricia M. Wald, Judging Genocide, in: http://www.osji.org/db/resource2?res_id=103182&preprint=1 7 The Constitution of the Kingdom of Cambodia, in: http://cambodia.ohchr.org/KLC_pages/KLC_files/section_001/section_01_01_ ENG.pdf