Wer nicht arbeitet, soll auch was essen!

Zur Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen

Alle reden vom bedingungslosen Grundeinkommen. Erstaunlich viele sprechen sich dafür aus - aus fast allen Parteien, z.B.: der Unternehmer Götz Werner, oder die Linkspartei-Abgeordnete Katja Kipping.

Das Grundeinkommen wird definiert als ein allen Menschen individuell zustehendes und garantiertes, in existenzsichernder Höhe, in zweifacher Hinsicht bedingungsloses, nämlich ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Arbeitszwang und -verpflichtung vom Staat ausgezahltes Grundeinkommen. Es unterscheidet sich damit von Formen der Grundsicherung, wie beispielsweise Hartz IV, die nur unter einer bestimmten Einkommensgrenze gezahlt werden und an die Verpflichtung, bestimmte Arbeiten anzunehmen, geknüpft sind. Einfach gesagt: Jede/r bekommt es, ohne dass er/sie etwas machen muss. Was aber ist davon zu halten? Alle haben ein Einkommen, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe, ohne dass sie sich dem Zwang der Lohnarbeit unterwerfen müssen. Die Arbeitgeber/innen verlieren ihre Macht über die Arbeitnehmer/innen. Diese sind jetzt frei, sich individuell zu entfalten und einen neuen Arbeitsbegriff zu entwickeln, der mit ihrer menschlichen Natur, der Ökologie, dem Weltfrieden etc. in Einklang steht. Karl Marx hatte doch Recht und der wahre Kommunismus verwirklicht sich zuerst in Deutschland. Oder ist das Grundeinkommen vielmehr eine Abfindung, eine Art "Stillegungsprämie" für die nicht mehr Gebrauchten, kapitalistisch nicht mehr Verwertbaren, die damit ruhig und für immer, kohlehydratengenährt und unterschichtenfernsehguckend, auf‘s Abstellgleis gestellt werden sollen? Die endgültige Kapitulation vor der Aufgabe, das untere Drittel in die Gesellschaft zu integrieren? Alles bleibt beim Alten, nur dass sich die Punker statt Astra jetzt Becks Bier leisten können? In der Diskussion um das Grundeinkommen stellen sich zwei grundsätzliche Fragen, das "Ob" und das "Wie". Diejenigen, die das Grundeinkommens grundsätzlich ablehnen, führen beispielsweise an, dass das Grundeinkommen den Niedriglohnsektor ausweite, die Gewerkschaften schwäche, den Menschen ihr sinnstiftendes Recht auf Arbeit nehme, soziale Gerechtigkeit sich nicht durch monatliche Geldüberweisungen herstellen lasse, nur auf Kosten von Lohnarbeitern in der Dritten Welt realisierbar sei und einiges mehr.

Gemeinsamkeit in Vielfalt?

Eine differenziertere Auseinandersetzung mit den genannten Kritikpunkten und Fragen setzt eine Darstellung und Bewertung verschiedenener Grundeinkommens-Modelle voraus. Die Konzepte weisen einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf: Allen Modellen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die strukturelle Beschäftigungskrise nicht mit den bislang verwendeten Instrumenten gelöst werden kann und neue Wege gesucht werden müssen. In Bezug zu den aktuell geltenden Regelungen beinhalten sie das fortschrittliche Element der Bedingungslosigkeit. Es entfallen die heute mit der Beantragung der Grundsicherung ALG II verbundenen Pflichten der Betroffenen zur Offenlegung ihrer privaten Lebensumstände und Vermögensverhältnisse. Daneben werden die Ansprüche individualisiert. Damit entfällt die Bedarfsgemeinschaft. Jede/r hat Anspruch auf die Leistung, unabhängig vom Einkommen des/der Lebenspartner/in. Die Empfänger/innen der Leistung sind zu keiner Gegenleistung verpflichtet. Es gibt also keine Sanktionen wie beispielsweise Kürzungen des monatlichen Einkommens mehr. In der konkreten Ausgestaltung unterscheiden sich die Grundeinkommenskonzepte jedoch grundlegend in vielerlei Hinsicht: Der Höhe, (z. T. niedriger als der Hartz IV Regelsatz), der Finanzierung (einkommenssteuerfinanziert, mehrwertsteuerfinanziert), der politischen Zielsetzung oder der Regelung mitbetroffener Sozialversicherungsfragen.

Das "Solidarische Bürgergeld", Dieter Althaus (CDU)

Das Modell des thüringischen Ministerpräsidenten1 sieht ein "großes Bürgergeld" in Höhe von 800 Euro und ein "kleines Bürgergeld" in Höhe von 400 Euro vor. Kinder unter 18 Jahren erhalten 500 Euro. Von diesen 800 bzw. 400 werden 200 Euro Gesundheits- und Pflegeprämie abgezogen. Es würden also 600 bzw. 300 Euro ausgezahlt werden. Das Steuersystem wird stark vereinfacht. Es gibt nur noch zwei Steuersätze: 25% und 50%. Welcher Steuersatz gilt, ist abhängig von der Höhe des Bürgergeldes. Wer das große Bürgergeld erhält, muss sein Einkommen zu 50 %, wer das kleine Bürgergeld bezieht, sein Einkommen zu 25% versteuern. Ab einem Einkommen von 1600 Euro erhält man das kleine Bürgergeld. Es entsteht ein Steuerfreibetrag von 1600 Euro. Wohngeldzuschüsse sind nicht vorgesehen. Das Einkommen liegt damit in der Regel etwas unterhalb von Hartz IV (Höchstsatz: 347 Euro plus Bruttowarmmiete, maximal ca. 350 - 400 Euro). Personen ohne Einkommen, die mietfrei wohnen, werden allerdings deutlich besser gestellt (600 Euro statt 347 Euro). Im Vergleich zum aktuellen System würde es einfacher werden, zum Mindesteinkommen Geld dazu zu verdienen. Positive Auswirkungen auf den Niedriglohnsektor sollen sich daraus ergeben, dass dem Bürgergeld die Funktion eines Kombilohns zukommt. Auch Teilzeitarbeit wird damit gefördert. Das Konzept von Dieter Althaus zielt offensichtlich nicht primär darauf, die Situation der Menschen ohne Einkommen zu verbessern. Durch Umstrukturierung und Vereinfachung des Sozial- und Steuersystems und die damit einhergehende Senkung der Lohnnebenkosten soll die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefördert werden, es sollen Arbeitsplätze entstehen. Menschen ohne Einkommen und Arbeit werden damit weiter oder noch mehr ausgegrenzt und von der kulturellen Teilhabe ausgeschlossen.

Das "Grüne Grundeinkommen"

Auf dem letzten Bundesparteitag der Grünen wurde das "Grüne Grundeinkommen"2, wie es zuvor der Landesverband von Baden-Württemberg beschlossen hatte, von den Delegierten mehrheitlich abgelehnt. Es soll hier trotzdem dargestellt werden, da es ein konkret ausgestaltetes Konzept ist und es zumindest denkbar bleibt, dass mittelfristig eine gesellschaftliche Mehrheit ein solches Modell befürworten könnte. Das grüne Grundeinkommen sieht ein monatliches Einkommen von 420 Euro für Erwachsene und 300 Euro für Kinder unter 18 Jahren vor. Anspruchsberechtigt sind alle, die ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Die Beträge entsprechen der Regelleistung, die Sozialverbände für Hartz IV Empfänger/innen fordern. Die Zahlung wird aber bedingungslos, d. h. ohne Bedürftigkeitsprüfung und unabhängig vom Einkommen des Partners gewährt. Leistungen für Menschen in besonderen Lebenslagen und für den Wohnbedarf gibt es auf Antrag. Geht man davon aus, dass Mietzahlungen in vergleichbarem Umfang wie jetzt im Rahmen von Hartz IV gezahlt werden, ist das grüne Grundeinkommen etwas höher als das Arbeitslosengeld II (73 Euro). Die Sozialversicherungen für Rente, Gesundheit, Pflege und Arbeitslosigkeit werden nicht umgestaltet. Die Finanzierung ergibt sich zum einen aus den Einsparungen der Transferleistungen, Hartz IV und Kindergeld, die durch das Grundeinkommen ersetzt werden. Daneben fällt der Verwaltungsaufwand für Bedürftigkeitsprüfungen etc. weg. Der weitere Bedarf soll sich aus einer ökologischen Steuerreform ergeben. Das Grundeinkommen soll also querfinanziert werden durch eine stärkere Belastung ökologisch negativ wirkender Faktoren und gleichzeitiger Entlastung der Arbeitskosten. Konkret bedeutet das: Es wird nur noch eine Steuerklasse geben, wobei das progressive Steuermodell erhalten bleibt. Weiter soll ein Energiegeld eingeführt werden und Ressourcenverbrauch intensiver besteuert werden. Das Grundeinkommen geht im Grundfreibetrag auf, d. h. dieser wird deutlich angehoben. Daneben sollen möglichst viele Vergünstigungen, wie beispielsweise das Ehegattensplitting, aufgehoben werden. Den Autor/innen des Konzepts ist bewusst, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht durch Gewährung eines monatlichen Geldbetrages herstellen lässt und sie betonen in ihrem Konzept, dass ungleiche Startchancen nicht durch finanzielle Transfers ausgeglichen werden können. Neben der Einführung des Grundeinkommens soll deswegen das Bildungssystem grundlegend umgestaltet werden. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass bei diesem Modell die Bedürftigkeitsprüfung nur teilweise wegfällt, da Mietzuschüsse nur im Bedarfsfall gewährt werden. Die im Vergleich zum aktuellen Satz geringfügige Erhöhung des Mindesteinkommens ermöglicht kein kulturelles Existenzminimum, aber alles wird etwas ökologischer. Das grüne Konzept unterscheidet sich insofern vom Modell des CDU-Politikers Althaus nicht grundlegend.

Das Konzept von Götz Werner

Götz Werner, erfolgreicher Unternehmer (DM-Drogeriemärkte) und Anthroposoph gehört zu denen, die die Diskussion um das Grundeinkommen in der BRD populär gemacht haben. Sein Modell3 sieht ein anfängliches Grundeinkommen von monatlich 650 Euro vor. Dieses wird dann schrittweise, mehrwertsteuerfinanziert, im Laufe von 17 Jahren auf 1500 Euro Grundeinkommen erhöht. Seinem Konzept liegen die folgenden Gedanken zugrunde: Strukturelle Arbeitslosigkeit ist eine Folge steigender Produktivität. Deswegen muss Einkommen von Arbeit entkoppelt werden und durch ein bedingungsloses Grundeinkommen allen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Um dies zu finanzieren, ist die Mehrwertsteuer gegenüber der Einkommenssteuer prinzipiell die gerechtere Besteuerung in der arbeitsteiligen, hochspezialisierten Volkswirtschaft. Konsum ist nicht mehr, wie in der Agrar- und Selbstversorgungswirtschaft der Konsum der unmittelbar eigenen Arbeitsergebnisse, sondern die Inanspruchnahme der Leistung anderer. D. h. Konsum ist die Entnahme der von der Gesellschaft erbrachten Leistung. Der oder die Einzelne lebt nicht von dem Geld, das er oder sie verdient, sondern von dem, was er oder sie dafür kauft. Wer viel konsumiert und Ressourcen verbraucht, zahlt viel, wer wenig verbraucht, zahlt wenig Steuern.

Produktionskosten runter, Mehrwertsteuer rauf

Wenn das Grundeinkommen eingeführt wird, nutzen die Unternehmen dies, um die Löhne zu senken. Die hierdurch gesunkenen Produktionskosten müssen aufgrund des Wettbewerbs mit anderen Anbietern in Form niedrigerer Preise an die Kund/innen weitergeben werden. Das funktioniert natürlich nur, wenn es keine Monopole gibt. Die gesunkenen Produktionskosten ermöglichen es, die Konsumsteuer anzuheben, während die Preise stabil bleiben. Man gehe davon aus, durch niedrigere Lohnkosten sinkt der Nettopreis auf 90 Euro. Dann kann die Mehrwertsteuer um 10 Euro (32%) erhöht werden, ohne dass der Produktpreis steigt. Die Mehrwertsteuer kann also erhöht werden, weil gleichzeitig die Lohnkosten, die sich gleichermaßen auf die Preisbildung auswirken, sinken. Wird die Mehrwertsteuer um 6% erhöht, können an jede Bürgerin und jeden Bürger 50 Euro monatlich gezahlt werden. Bei einem Anfangsgrundeinkommen von 650 Euro sind so binnen 17 Jahren mit einer schrittweisen Anhebung der Mehrwertsteuer 1500 Euro zu erzielen. Götz Werner erhofft sich von der Einführung des Grundeinkommens eine "heilende Wirkung" auf die desolate Situation der öffentlichen Finanzen und des Gemeinwesens insgesamt. Indem das Einkommen von der Erwerbsarbeit entkoppelt wird, werden die Menschen unabhängig und damit frei, einer Arbeit nachzugehen, die ihren Neigungen und Talenten entspricht. Es entstünde genügend Zeit für kulturelles und soziales Wirken in der Gesellschaft. Durch die Höhe des Grundeinkommens und durch einen geänderten Arbeitsbegriff wird eine soziale und kulturelle Teilhabe aller möglich. Götz Werners Weltbild ist erfrischend menschenfreundlich. Anstatt, wie so mancher, zu sagen, "Wenn man den Leuten genug Geld gibt, ohne dass sie dafür arbeiten müssen, hören sie, faul wie sie im Grunde ihres Wesens sind, ganz damit auf!", glaubt er im Gegenteil, dass sie dann erst richtig damit anfangen.

"Dann geht ja keiner mehr putzen!"

Sein Modell sieht sich jedoch einiger Kritik ausgesetzt. Dem Argument "Dann geht ja keiner mehr Putzen!" hält er entgegen, dass die Lohnkosten für schlecht bezahlte Tätigkeiten die wenig Spaß machen, dann eben entsprechend teurer, und diese Tätigkeiten, damit für die Arbeitnehmer/innen wieder attraktiv würden. Damit verändert sich aber seine Modell-Rechnung zur Finanzierung des Grundeinkommens. Die erhöhten Arbeitskosten würden dann nämlich, zumindest teilweise, beispielsweise bei der Fließbandarbeit, wieder in die Produktionskosten einfließen. Damit würden die Produktionskosten und damit die Preise nicht stabil bleiben, sondern steigen. Als weiterer Kritikpunkt wird angeführt, eine Finanzierung durch Mehrwertsteuererhöhung sei grundsätzlich ungerecht. Das Konzept der Mehrwertsteuerfinanzierung lässt die privaten Vermögen unbelastet. Diese sind in Deutschland jedoch noch ungleicher verteilt als die Einkommen (Insgesamt 5 Billionen Euro, aber 50 % der Haushalte verfügen über 4% des privaten Vermögens). Je weniger Einkommen eine Person zur Verfügung hat, desto mehr Prozent ihres Einkommens konsumiert sie. Je größer das Einkommen, desto geringer der Anteil, der verbraucht wird, und desto größer der Anteil, der ins unbesteuerte Vermögen fließt. Insofern ist nicht davon auszugehen, dass ein mehrwertsteuerfinanziertes Grundeinkommen die bestehenden Einkommensunterschiede verringert. Darüber hinaus wird kritisiert, dass eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in dem geplanten Umfang zu einem inflationären Kreislauf führen könne. Die Preise würden in einem Maße steigen, dass das Grundeinkommen das kulturelle und soziale Existenzminimum nicht mehr gewährleisten und wiederum nur durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeglichen werden könne. Damit würde das Grundeinkommen entwertet und der Zwang zur Lohnarbeit dann doch nicht entfallen. Daneben würde ein Anreiz zur Steuerhinterziehung durch Schwarzarbeit und Schmuggel entstehen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Konsum und Einkommenssteuern sei weniger anfällig für Steuerhinterziehung.

Bedingt begeisterungswürdig

An den unternehmerfreundlichen Grundeinkommenskonzepten wie bspw. dem von Dieter Althaus wird kritisiert, sie dienten vorrangig den Interessen der Arbeitgeber/innen. Auch linksliberale Befürworter/innen des Grundeinkommens gerieten dabei in die Gefahr, neoliberale Interessen zu vertreten. Das Grundeinkommen wirkt wie ein Steuerfreibetrag und senkt damit Lohnkosten. Damit weitet sich also, wie von Althaus auch ausdrücklich gewollt, der Niedriglohnsektor aus. Diese Gefahr ist insbesondere dann gegeben, wenn die vorgesehenen Zahlungen sich auf dem Niveau des ALG II bewegen, keine kulturelle Teilhabe ermöglichen und der Zwang zur Arbeit bestehen bleibt. Scharfe Kritik am Grundeinkommen äußern in diesem Sinne daher auch Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften. Diese führen weiter an, in der Diskussion werde das politisch Wesentliche, nämlich der Arbeits- und Produktionsprozess selber, völlig außer Acht gelassen. Einflussnahme auf Produktionsprozesse, Arbeitszeitverkürzungen etc. könnten nur von denen erkämpft werden, die auch in diese Vorgänge eingebunden seien. Die Arbeit sei das für den Menschen das sinnstiftende Element schlechthin, das dürfe man ihm nicht nehmen. Andere argumentieren, für eine emanzipatorische Umgestaltung der Gesellschaft sei es notwendig, dass nicht diejenigen, die etwas herstellen, sondern diejenigen, die das Hergestellte brauchen, die Definitionsmacht über den Produktionsprozess erhalten. Daneben wird auch auf linksliberaler und sozialistischer Seite die mangelnde Leistungsgerechtigkeit kritisiert. "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", fand man nicht nur in den Frühzeiten der Sowjetunion. Bezüglich der globalen Ebene wird kritisiert, dass ein durch unternehmerische Abgaben finanzierter Klassenkompromiss innerhalb der BRD, den eine Einführung des BGE durchaus darstelle, nur auf Kosten dritter Staaten möglich sei. Die Unternehmen würden dann nämlich ihre Mehrwertschöpfung im Ausland steigern müssen. Den gesellschaftlichen Reichtum in Deutschland umzuverteilen, wäre also nur denkbar, wenn ausländische Produktionsstandorte intensiver ausgebeutet würden.

Realismus vs. Utopie

Die angeführten Kritikpunkte lassen sich alle nicht von der Hand weisen. Sie sind vor allem dann stichhaltig, wenn man realpolitisch durchsetzbare, im Rahmen unserer Markwirtschaft ohne radikale Umverteilung von oben nach unten finanzierbare Modelle diskutiert, deren monatliche Leistungen, wie beispielsweise bei dem Konzept von Dieter Althaus oder dem grünen Modell, den aktuellen Hartz IV-Betrag nicht oder nicht nennenswert übersteigen. Anders könnte es sein, wenn man sich in den Bereich der eher utopischen, also kurzfristig politisch nicht realisierbaren Konzepte und Vorstellungen begibt. Wie wäre es beispielsweise, wenn das Grundeinkommen nicht nur das physische sondern auch das kulturelle Existenzminimum gewährleisten würde? Man stelle sich vor, jeder Mensch hätte einen Anspruch auf 1000 Euro monatlich plus Miete, Kinder die Hälfte. Was würde passieren? Dann würden vermutlich einige einiges nicht mehr tun. Keine/r mehr sich 10 Stunden fünf Tage die Woche an eine Supermarktkasse setzen, an ein Fließband, auf die Baustelle, an den Straßenstrich stellen oder putzen gehen. Ehegattensplitting gäbe es nicht mehr. Befreit von Existenzängsten würden viele Frauen, vor allem die Mütter, ihre Männer rausschmeißen. Ich würde kein Referendariat machen, sondern für ein paar Jahre in eine Öko-Kommune nach Amerika auswandern, ohne Angst zu haben, dass das komisch im Lebenslauf wirkt. Der Markt für Psychopharmaka würde zusammenbrechen. Wie würde sich eine Entkopplung von Einkommen und Lohnarbeit auf die Gesellschaft auswirken? Wie würden die Menschen tatsächlich die gewonnenen Freiheiten nutzen, würden sie diese überhaupt als Freiheit erkennen bzw. empfinden? Würden sie sich tatsächlich, so wie Götz Werner das vermutet, vermehrt sozialen und kreativen Tätigkeiten zuwenden und ständig, sofern der Töpferkurs ihnen Zeit lässt, ihre alten Omas im Altersheim besuchen? Was würde mit unverzichtbaren, aber schlecht bezahlten Tätigkeiten passieren, was würden die Krankenschwestern und Krankenpfleger machen? Alle, bis auf die Workaholics, nur noch halbtags arbeiten? Würde das für die Versorgung ausreichen? Würde sich ein veränderter Begriff von Arbeit und eine andere Verteilung der als gesellschaftlich notwendig definierten Tätigkeiten ergeben? Kritiker/innen des Grundeinkommens führen an, dass gar nicht jeder Mensch in der Lage sei, einen Sinn in sich selber zu finden. Dem kann man sicher zustimmen, die Frage ist aber, könnten die Menschen es vielleicht lernen?

Unbedingt interessant

In jedem Fall würden die Arbeitnehmer/innen als Anbieter/innen der Ware Arbeitskraft eine größere Unabhängigkeit gegenüber den Arbeitgeber/innen, die diese Ware abnehmen, gewinnen. Würden diese das zulassen? Lässt sich die dadurch resultierende Unabhängigkeit der Arbeitnehmer/innen, eine Umschichtung der Einkommen von oben nach unten im Rahmen des Kapitalismus realisieren? Ist eine solche Form von Umverteilung statt Akkumulation systemimmanent denkbar? Ganz abgesehen davon, dass sich das ganze, auf die nationalstaatliche Ebene begrenzt, im Rahmen der EU schlecht vorstellen lässt. Zu betonen ist auch, dass ein gesichertes Einkommen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für soziale Teilhabe ist. Das Grundeinkommen darf nicht dazu führen, dass die im marktwirtschaftlichen System nicht mehr Verwertbaren nur ruhig gestellt werden. Es bleibt die Aufgabe, allen gleiche Bildungschancen und den Zugang zu interessanten Tätigkeiten zu gewährleisten. Die volkswirtschaftlichen und auch die sozio-kulturellen Folgen eines existenzsichernden Grundeinkommens sind schwer vorauszusagen. Die Einführung ist nur schrittweise denkbar. Sie muss nicht nur zu einem veränderten Begriff von gesellschaftlich wertvoller Beschäftigung/Arbeit führen, wie es beispielsweise Götz Werner skizziert, sondern setzt diesen bereits in einem gewissem Maße voraus, um die hierfür notwendige gesellschaftliche Akzeptanz zu erzeugen. Die Diskussion um das Grundeinkommen stellt einen kleinen Schritt in diese Richtung dar. Maike Hellmig ist Rechtsreferendarin in Köln.

Literaturhinweise:

  • Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Garantiertes Grundeinkommen: Pro und Contra, Berlin, 2007
  • Werner, Götz, Finanzierung und Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens, abrufbar unter: www.unternimm-die-zukunft.de
  • 22. Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.10.2007, abrufbar unter www.gruene-bw.de 1 Vgl. Garantiertes Grundeinkommen Pro und Contra, S.57ff. 2 Vgl. Beschluss der 22. Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg, Heilbronn, 12. - 14.10.2007. 3 Vgl. Werner, Götz: Finanzierung und Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens, S. 1ff.