Obama ad Portas

Im Vergleich zum derzeitigen amerikanischen Präsidenten George W.
Bush jr. ist sein möglicher Nachfolger Barack Obama ja tatsächlich eine
Lichtgestalt. Die intellektuellen und rhetorischen Unterschiede sowie
jene in Sachen Charisma und Popularität könnten größer kaum sein.
Der erste öffentliche Auftritt des Kandidaten in Europa – an der Siegessäule
in Berlin – hat das nochmals nachhaltig unterstrichen. Und die
200 000 Menschen, die sich versammelt hatten, um den Senator aus Illinois
zu hören, machten durch ihre Ovationen deutlich, daß hier ein Hoffnungsträger,
ja fast schon »eine Art politischer Messias des frühen 21. Jahrhunderts
« (FAZ.Net, 5. August 2008) gefeiert wurde.


Außenminister Frank-Walter Steinmeier konstatierte anschließend, daß
Obama »bei den Deutschen und den Europäern die Hoffnung auf eine
Erneuerung der transatlantischen Beziehungen geweckt« habe. Und zu
Hause, in den USA, hatte Obama einen wichtigen Ritterschlag im Kampf
um sein Ziel, der 44. amerikanische Präsident zu werden, bereits im Januar
dieses Jahres erhalten, als Senator Edward Kennedy ihn zum politischen
Erben seines 1963 ermordeten Bruders John F. Kennedy ausrief.
Kein Zweifel, Kandidat Obama trifft manchen Nerv der Zeit jenseits wie
diesseits des Atlantiks.


Indizien für Zweifel allerdings, ob Obama auch der Mann ist, die Erwartungen
zu erfüllen, die in ihn gesetzt werden, sind schon jetzt nicht
zu übersehen. Da sind zum einen die Paradigmenwechsel, die Obama in
seinem Wahlkampf bereits vollzogen hat. In der Phase der Vorwahlen, in
der Auseinandersetzung mit seiner Konkurrentin Hillary Clinton, hatte er
noch mit seinem liberalen Image als Kriegsgegner, Bürgerrechtler und
Waffenkritiker gepunktet. Seit dieser Kampf entschieden ist und es nunmehr
gegen den Republikaner John McCain gilt, zeigt sich ein Obama,
der die Todesstrafe nicht grundsätzlich ablehnt, der das Recht jedes Amerikaners,
eine Waffe zu tragen, bejaht, und der im Senat für eine Ausweitung
der Telefonüberwachungen stimmte.


Da mag sich mancher sagen, daß dies ja zunächst einmal Themen
sind, die vor allem die US-Amerikaner selbst angehen. Aber ein Blick auf
die Kontroversen im transatlantischen Verhältnis der vergangenen Jahre
und auf Obamas mögliche Zugänge dazu fördert ebenfalls nicht unbedingt
Verheißungsvolles zu Tage. Zwar erklärte er in Berlin: »Wir brauchen
Verbündete, die einander zuhören, voneinander lernen und einander
vor allem vertrauen … Amerika hat keinen besseren Partner als Europa.
« Konkret aber will er zwar die US-Truppen aus dem Irak allmählich
zurückziehen, doch dafür das militärische Engagement in Afghanistan merklich intensivieren.Daß er dabei erhöhte Einsätze auch der Europäer, auch
der Deutschen, konkret der Bundeswehr, erwartet, hat er in Berlin ebenfalls
anklingen lassen – »Das afghanische Volk braucht unsere Truppen und
Ihre Truppen« –, dies ist in der allgemeinen Euphorie an der Siegessäule
jedoch etwas untergegangen.


Daß Obama im übrigen nicht für einen Bruch mit einer Auffassung
steht, nach der die Vereinigten Staaten das Recht auf militärische Alleingänge
– ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Belange – für sich reklamieren,
hat er bereits im Jahre 2007 deutlich gemacht, als er über Irak und
Afghanistan hinaus auch noch Pakistan ins Visier nahm: »Wenn wir Hinweise
auf Terror-Camps in Pakistan haben und Präsident Musharaff handelt
nicht, dann werden wir handeln.« Obama hängt offenbar ebenfalls
der Überzeugung an, daß der internationale Terrorismus militärisch besiegt
werden könnte, und es wird ihm nachgesagt, daß er selbst vor einem
Militärschlag gegen Iran und einem Krieg zur Verteidigung Israels
nicht zurückschrecken würde. Es wäre ein fundamentaler Fehler, ihn
für einen Pazifisten zu halten, obwohl die im Unterschied zu George W.
Bush deutlich anderen Akzentuierungen im außenpolitischen Instrumentarium
– hin zu mehr Kooperation und Verhandlungslösungen – bei Obama
nicht übersehen werden sollten. Was diese jedoch tatsächlich wert
sind, kann vor Obamas möglichem Amtseid aber schwerlich abschließend
beurteilt werden.


Wenn Obama zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen Stellung
nimmt, dann tritt in der Regel seine Beraterin zu diesen Themen, Susan
Rice, mit in Erscheinung. Öffentlich sehr viel weniger wahrzunehmen
ist, daß im Hintergrund auch Zbignew Brzezinski zum Beraterteam um
Obama gehört. Brzezinski, von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater von Präsident
Jimmy Carter, gilt nach wie vor neben Henry Kissinger und Samuel
P. Huntington als eine der grauen Eminenzen unter den Globalstrategen
in den USA. Zu Zeiten des Kalten Krieges war er ein militanter
Falke gegenüber der Sowjetunion, und daran scheint sich über den Zusammenbruch
der Sowjetunion hinaus nichts geändert zu haben.


Dieser Eindruck drängt sich auf, nimmt man sein 2007 veröffentlichtes
Buch Second Chance zur Hand, in dem er unter anderem Thesen und
Zielsetzungen eines vorangegangenen Buches – worum es ging, brachte
der deutsche Titel auf den Punkt: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie
der Vorherrschaft (Berlin 1997) – einer Neubewertung unterzog.
Brzezinskis Konzept, das den Vereinigten Staaten die Führungsrolle in
einer unilateralen Welt sichern soll, zielt auf amerikanische Dominanz
in Eurasien. Mittel dazu sind ihm unter anderem die Expansion der
NATO über die Ukraine und Georgien hinaus bis nach Aserbaidschan
und Usbekistan sowie die dauerhafte Ausschaltung Rußlands als Groß-macht – zum Beispiel durch dessen Aufspaltung in drei oder vier locker
konföderierte Teile.


Sollten derartige Auffassungen prägenden Einfluß auf den nächsten
Präsidenten der USA, hieße er denn Barack Obama, gewinnen, dann
könnte das Thema der Beziehungen zu Rußland zur nächsten strategischen
transatlantischen Kontroverse werden, denn an einem erneuten
oder auch nur fortgesetzten Kalten Krieg mit Rußland kann Europa nicht
gelegen sein.


Mit historischen Vergleichen ist es ja immer so eine Sache, aber wenn
der Doyen des Kennedy-Clans Obama schon zu einem der ihren adelt,
dann sei folgender abschließender Hinweis gestattet: John F. Kennedy
trat sein Präsidentenamt am 20. Januar 1961 an, und er war noch nicht
einmal drei Monate im Amt, als er einen CIA-Coup genehmigte, der am
17. April 1961 begann und zum Debakel in der Schweinebucht führte.
Am 11. Oktober 1963 hingegen unterzeichnete er das National Security
Action Memorandum 263, das das Ende des militärischen Engagements
in Vietnam einleiten sollte. (Es wurde nach Kennedys Ermordung am
22. November 1963 allerdings nicht umgesetzt.)