Spannungen zwischen den ungleichen Brüdern Correa und Acosta
Die letzte Juniwoche war die bislang kritischste für Ecuadors „Bürgerrevolution" - jedenfalls, was die Auseinandersetzung zwischen Präsident Rafael Correa und seinem wichtigen Verbündeten Alberto Acosta betrifft. Vordergründig ging es um den Zeitplan zur Verabschiedung der Verfassung, doch im Grunde um den Kern des linken Regierungsprojekts: das Spannungsverhältnis Caudillismo versus Partizipation.
Es ist ein Rückschlag mit noch unabsehbarer
Wirkung. Am 23. Juni kündigte Alberto Acosta den Rücktritt von seinem
Amt als Präsident der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador an. Er
wende sich dagegen, die Debatte und die Qualität des Textes dem
Zeitdruck zu opfern, sagte Acosta in Montecristi, wo der Konvent seit
November 2007 tagt. „Damals sagte ich und jetzt wiederhole ich mit
tiefster Überzeugung: Geschichte wird von den Völkern gemacht und nicht
von Einzelpersonen".
Eigentlich hatte Acosta die Gründe für seinen Rücktritt vor dem Plenum
erläutern wollen, doch stattdessen zog sich seine Fraktion Acuerdo PAIS
(AP) zu einer Klausurtagung in der nahegelegenen Hafenstadt Manta
zurück. Daraufhin berief Acosta eine Pressekonferenz ein, bei der ihn
seine Frau und Abgeordnete der regierungskritischen
Mitte-Links-Parteien begleiteten.
„Unsere Bürgerrevolution wird nicht durch eine Führungsfigur
ermöglicht, sondern nur durch die aktive Beteiligung breiter
Bevölkerungsschichten", sagte Acosta und bezeichnete den
Verfassungsprozess als historischen Einschnitt: „Vorher galten die
Gesetze einiger weniger als Begründung einer Ordnung, um die
Privilegien weniger zu sichern". Jetzt hingegen werde gemeinsam an
einem „neuen Entwicklungsmodell" gebaut, „einem kreativen,
harmonischen, friedlichen Lebensprojekt, das in Ecuador und auf der
ganzen Welt nötig ist".
Rafael Correa hingegen drängte bereits von Anfang an auf eine rasche
Verabschiedung des Textes und bezeichnete Acosta mehrmals und nur halb
im Scherz als „zu demokratisch". Als ursprünglicher Termin für die
Verabschiedung war der 24. Mai vorgesehen.
Vor Acostas Rücktritt hatte sich das Politbüro (nomen est omen?) der AP
auf Druck des Staatschefs auf den 26. Juli festgelegt. „Indem sie mir
ihre Unterstützung entzogen, haben sie mich gebeten, einer anderen
Führungsgruppe (im Verfassungskonvent, Anm. d. Red.) Platz zu machen",
sagte Acosta. Er beuge sich dieser Entscheidung und wolle nun als
einfacher Abgeordneter weitermachen.
Für Acosta handelt es sich - noch - nicht um einen endgültigen Bruch,
auch wenn die konservativen Medien Ecuadors dies in allen denkbaren
Varianten herbeischreiben wollen. Aber natürlich ist der Rücktritt ein
weiterer Schachzug in seinem monatelangen Disput mit Correa. Der
reagierte tags darauf mit einem trotzigen „Niemand ist unentbehrlich".
„Geschichte wird von den Völkern gemacht und nicht von Einzelpersonen"
Die zwei repräsentativsten Figuren der „Bürgerrevolution", beides linke
Ökonomen, waren seit Jahren freundschaftlich verbunden. In den 1990er
Jahren war der heute 59-jährige Intellektuelle Acosta mit seinen
antineoliberalen Schriften über die Auslandsverschuldung oder
Naturzerstörung eine Art Mentor für den 14 Jahre jüngeren Correa. Im
siegreichen Wahlkampf 2006 wurden die beiden zu engen Mitstreitern, und
2007 amtierte Acosta einige Monate lang als erster linker Energie- und
Bergbauminister Ecuadors. In jenen Monaten überredete er Correa dazu,
die wirklich revolutionäre Urwald-statt-Erdöl-Idee für den
Amazonas-Nationalpark Yasuní zum Regierungsprojekt zu erklären (siehe
unten). Doch in der Frage wirtschaftliche Entwicklung versus
Umweltschutz blieb Correa bis heute in traditionellem Wachstumsdenken
verhaftet.
Im Juni 2007 einigten sich Rafael Correa und Alberto Acosta auf die
Spitzenkandidatur Acostas für die AP-Liste für den Verfassungskonvent,
was beiden zupass kam: Die von vielen Kabinettskollegen und dem
Präsidenten als lästig empfundene Opposition des grünen Intellektuellen
zu neuen Bergbau- und Ölförderprojekten war weitgehend ausgeschaltet,
andererseits bekam Acosta als Präsident der Verfassunggebenden
Versammlung so etwas wie eine Traumrolle: Diskurse zu organisieren, das
sagt er ganz offen, liegt ihm viel mehr als der oft bürokratische
Regierungsalltag.
Acosta trug maßgeblich zum klaren Sieg des Regierungslagers Ende
September bei und erzielte auch noch mit Abstand das beste
Einzelergebnis. Die Probleme bei den Verfassungsprozessen in Venezuela
und Bolivien vor Augen, wo sich die bürgerliche Opposition von der
Regierungslinken an die Wand gedrückt sah und auch deswegen auf Putsch
oder Totalblockade der Länder setzte, bemühte er sich mit Erfolg um die
Einbindung reformwilliger Oppositionskräfte von SozialdemokratInnen bis
hin zu den Indígenas.
Das ging auf Kosten des Zeitplans. Die Verzögerungen, die den
Präsidenten immer mehr auf die Palme brachten, waren „vielleicht mein
größter Fehler", räumt Acosta freimütig ein. Wenn er nicht gerade eine
der Interessengruppen empfing, die tagtäglich in das Städtchen
Montecristi pilgerten, leitete er die Diskussionen im Plenum oder warb
in Interviews für das Projekt einer pluralistischen, mit größtmöglicher
Transparenz und Partizipation erarbeiteten Verfassung.
Eine Hausmacht innerhalb von Acuerdo PAIS aufzubauen, konnte und wollte
er hingegen nicht - was sich jetzt rächt. An den wöchentlichen
Sitzungen des Politbüros, der einzigen und fast ausschließlich mit
Regierungsmitgliedern besetzten AP-Entscheidungsinstanz, nahm er
zuletzt kaum noch teil. Besorgte SympathisantInnen sprechen von einem
„politischen Selbstmord" Acostas.
Rückendeckung erhielt er von der indigenen Bewegung und der
unabhängigen Linken. Allerdings bedauerte Humberto Cholango von der
indigenen Kichwa-Organisation Ecuarunari den Rücktritt. Verantwortlich
seien dafür der „Druck kleiner Gruppen" und die „Intoleranz jener, die
nichts verändern wollen", meinte Cholango. Eduardo Delgado von der
Partei Demokratischer Pol befürchtete einen „Rechtsruck innerhalb der
Regierung".
Am 28. Juni erklärte Rafael Correa in seiner wöchentlichen
Rundfunkansprache, die neue Verfassung sei bereits „fast fertig" und
werde wie geplant am 26. Juli verabschiedet. Die über 400 fehlenden
Artikel seien bereits ausgearbeitet und müssten nur noch in erster und
zweiter Lesung verabschiedet werden. Den Rücktritt Acostas bezeichnete
er als „eins der härtesten Dinge, die mir widerfahren sind, der
Ausstieg eines Compañero". Das „Undemokratischste", was Ecuador
widerfahren könne, sei eine weitere Zeitverzögerung: „Demokratie
bedeutet, den Auftrag des Volkes umzusetzen".
Aber auch Alberto Acosta gab sich am gleichen Tag demonstrativ
zuversichtlich. Selbst, was die Zustimmung der EcuadorianerInnen in
einem Referendum im September oder Oktober angeht. Hier liegt das
stärkste Argument Correas: In der Bevölkerung nämlich wächst die
Unzufriedenheit, vor allem wegen der galoppierenden Inflation bei den
Lebensmitteln. In Zumbahua, einem überwiegend von Indígenas bewohnten
Dorf im Andenhochland, schwindet der Rückhalt für die Regierung gerade
deswegen. Der 42-jährige Humberto Pallo etwa, der TouristInnen zur
nahegelegenen Luguna Quilotoa chauffiert, schimpft: „Der Preis für
einen Dose Speiseöl hat sich verdoppelt, und die Regierung tut nichts
dagegen. Natürlich wollen wir mit der Korruption aufräumen, aber hier
im Dorf sehe ich da noch keine Fortschritte. Viele Leute wandern nach
Europa aus, manche sogar mit der ganzen Familie. Außerdem hat die
Regierung ein Kommunikationsproblem - wir werden einfach nicht gehört".
Für Alberto Acosta ist eine der wichtigsten Passagen der neuen
Verfassung die Erklärung Ecuadors zum „Friedensterritorium" - nächstes
Jahr läuft der Vertrag für den US-Militärstützpunkt in Manta aus.
Besonders stolz ist er jedoch auf ein weltweites Novum, das er und
seine ökologisch ausgerichteten MitstreiterInnen durchsetzen konnten:
Im ecuadorianischen Verfassungstext sind erstmals die Rechte der Natur
festgeschrieben. „So, wie die soziale Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert
die Achse der sozialen Kämpfe war, so wird dies im 21. Jahrhundert
immer mehr die Umweltgerechtigkeit sein", heißt es in seinem
Grundsatzpapier „Die Natur als Rechtssubjekt". Damit führt Ecuador die
leider nur zögerlich geführte programmatische Debatte innerhalb der
lateinamerikanischen Linken an.
Ende Juni kam für Acosta & Co. die beste Nachricht aus Deutschland,
genauer: aus dem Bundestag. Am 26. Juni wurde dort auf Initiative der
Grünen und der Koalitionsparteien einstimmig ein Antrag verabschiedet,
der die Bundesregierung zur Unterstützung des ecuadorianischen
Vorschlags zum Klimaschutz auffordert. Demnach will Ecuador auf die
Förderung von Erdöl im Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Gebiet (ITT)
verzichten, wenn sich die internationale Gemeinschaft an den dadurch
entstehenden Einnahmeausfällen beteiligt. Zugleich forderte der
Bundestag die ecuadorianische Regierung auf, die Frist für die Annahme
ihres Vorschlags bis Ende 2008 zu verlängern. Die Bundesregierung soll
sich zudem auch auf internationaler Ebene für die Unterstützung des
Projekts stark machen.
Die Details einer möglichen deutschen Unterstützung sind allerdings
noch offen, im Gespräch ist ein Schuldenerlass. Tags darauf freute sich
Alberto Acosta im Plenum von Montecristi über das Signal aus Berlin:
„Es zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir nicht nur
an Ecuador denken, sondern auch auf globaler Ebene".
Blog von Alberto Acosta: http://asambleaconstituyente.gov.ec/blogs/alberto_acosta
Text: Gerhard Dilger
Ausgabe: Nummer 409/410 - Juli/August 2008