China unter dem Einfluss des Neoliberalismus

 

 

Seit die Ära des sogenannten Neoliberalismus begonnen hat, ist die Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse der allgemeine internationale Trend in den Lohnarbeitsverhältnissen. China bildet da keine Ausnahme. Unter dem Einfluss des Neoliberalismus haben hier in den letzten zehn Jahren die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse die gravierendste Verschlechterung seit der Gründung des Neuen China erfahren.

Gemessen am investierten Kapital in Unternehmen des primären und sekundären Wirtschaftssektors sind heute 52 Prozent der chinesischen Wirtschaft in privatem, 48 Prozent in öffentlichem Eigentum. Die Privatwirtschaft erzeugt derzeit 63 Prozent des BIP, und dieser Anteil wächst. Nur noch 32 Prozent der Beschäftigten des primären und sekundären Wirtschaftssektors arbeiten in öffentlichen Unternehmen.

 

Wachsende Kluft bei der Einkommensverteilung

Die hier skizzierten Veränderungen in der Eigentumsstruktur führen notwendigerweise auch zu Veränderungen in der Einkommensverteilung. Zur Bestimmung der Ungleichverteilung, der Kluft zwischen Reich und Arm, wird international der Gini-Koeffizient verwendet; je näher er an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit; 0,4 gilt dabei als kritische Grenze. Nach Berechnungen chinesischer Wissenschaftler und wissenschaftlicher Institutionen lag dieser Koeffizient für China 1985 bei 0,25 und stieg auf 0,435 in 1995 und 0,458 in 2000. Die Weltbank gibt ihn für 2004 mit 0,469 an. Die Gini-Koeffizienten einiger Länder werden wie folgt angegeben:

 

Land Jahr Ginikoeffizient

China 2004 0,469

Indien 2004/05 0,368

Indonesien 2002 0,343

Japan 1993 0,249

Korea 1998 0,316

Iran 1998 0,43

Thailand 2002 0,42

Ägypten 1999 / 2000 0,344

Südafrika 200 0,578

Kanada 2000 0,326

USA 2000 0,408

Brasilien 2004 0,57

Bulgarien 2003 0,292

Frankreich 2000 0,283

Deutschland 2000 0,283

Italien 2000 0,36

Niederlande 1999 0,309

Russland 2002 0,399

Großbritannien 1999 0,36

Australien 1994 0,352

Diese Zahlen zeigen: der Gini-Koeffizient unseres Landes übertrifft den der meisten Entwicklungsländer einschließlich Indiens, Indonesiens, Koreas, Irans und Ägyptens, er wird nur von wenigen Ländern, wie Brasilien und Südafrika, übertroffen. Er ist auch höher als der entwickelter kapitalistischer Länder wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien, den USA und Italien, oder ehemals sozialistischer Länder wie Russland und Bulgarien. Da mag mancher fragen: Worin liegen denn die Vorzüge unseres Sozialismus? Sind wir dem Ziel allgemeinen Wohlstands näher gekommen, oder haben wir uns von ihm nicht immer weiter entfernt?

Nach Angaben des vom United Nations Development Program erstellten „China Human Development Report in 2005" sind 59 Prozent des Eigentums in unserem Land in der Hand der obersten 20 Prozent der Bevölkerung, während den untersten 20 Prozent lediglich 3 Prozent des Eigentums gehören, das Verhältnis zwischen ihnen ist 21:1. Nach dem „Jahresbericht zur chinesischen Einkommensverteilung", der von der Staatlichen Entwicklungsplanungskommission, dem Nationalen Amt für Statistik und der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften erstellt wird, besitzen die 10 Prozent reicher Familien mit dem höchsten Einkommen 45 Prozent des Eigentums im Lande, während den 10 Prozent der armen Familien mit dem niedrigsten Einkommen lediglich 1,4 Prozent gehören. Das bedeutet ein Verhältnis zwischen den beiden von 32:1. In den letzten Jahren hat die Regierung bemerkenswerte Anstrengungen zur Umverteilung unternommen, um diesen Widerspruch zu mildern, doch kann sie die Polarisierung zwischen arm und reich nicht grundlegend ändern, da die Einkommensverteilung letztlich vom Eigentum an den Produktionsmitteln abhängt.

 

Herausbildung einer

neuen Kapitalistenklasse

Die rasche Ausbreitung der Privatwirtschaft führt zur Formierung und Entwicklung der mit ihr verbundenen sozialen Gruppe. Von 1995 bis 2005 hat sie sich von 660.000 auf 4,3 Mio. Personen vergrößert, die Zahl ihrer Beschäftigten ist von 8,22 Mio. auf 47,15 Mio. gestiegen, ihr Kapital von 226,2 Mrd. auf 6133,1 Mrd. RMB.

Die entsprechenden Zahlen vor der Sozialistischen Reform von 1956 lauten 160.000 Personen, 2,5 Mio. Beschäftigte, 2,4 Mrd. Kapital. Wenn es damals in China, wie wir sagen, eine Kapitalistenklasse gab, dann müssen wir auch sagen, dass heute eine neue Kapitalistenklasse existiert, während die alte verschwunden ist.

Parallel zur raschen Entwicklung der Privatwirtschaft hat sich auch der politische Status der Kapitalisten verändert. Der Anteil der Mitglieder der KP Chinas unter den chinesischen Kapitalisten betrug 17,1 Prozent im Jahr 1995, 19,9 Prozent in 2000 und 29,9 Prozent in 2001 - und war damit weit höher als der Anteil der Kommunisten unter den Arbeitern und Bauern, obwohl das Parteistatut es damals Kapitalisten noch nicht erlaubt hat, Mitglied der Partei zu werden. Nachdem dies geändert wurde, hat sich der Zahl der KP-Mitglieder unter den chinesischen Kapitalisten weiter erhöht - 2004 lag ihr Anteil bei 33,9 Prozent.

 

Gravierende Verschlechterung des Status der Arbeiterklasse

Die Arbeiterklasse und die Bauern sind die Hauptkraft beim sozialistischen Aufbau und auch die Hausherren Chinas. Doch unter dem schädlichen Einfluss des Neoliberalismus wurde im letzten Jahrzehnt der größte Teil des staatlichen und Kollektiveigentums privatisiert. Die chinesische Arbeiterklasse wurde pauperisiert, geschwächt und zersplittert. Von Ausnahmen wie den Dörfern Nanjie und Huaxi abgesehen, die an der Kollektivwirtschaft festgehalten haben, um zu allgemeinem Wohlstand zu kommen, wirtschaften die meisten Bauern für sich und können deshalb auch keine fortgeschrittenen Technologien anwenden. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Wanderarbeiter sind ziemlich schlecht. Nach dem Zusammenbruch des auf staatlicher und kollektiver Wirtschaft basierenden sozialen Sicherungs- und Beschäftigungssystems wurden Probleme des Lebensunterhalts, der Ausbildung, der medizinischen Versorgung, des sicheren Arbeitsplatzes zur Hauptsorge der meisten Chinesen.

Ein Bericht des Soziologischen Instituts der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften spricht von einer Sozialstruktur Chinas in Form einer fünfstufigen Pyramide mit zehn Klassen. Arbeiter und Bauern, einschließlich entlassener Arbeiter und landloser Bauern, sind dabei ganz unten. Einer Untersuchung über Beschäftigungswünsche zufolge, die auf der Befragung von 4000 Personen in Shanghai beruht, will nur 1 Prozent der Befragten Arbeiter sein. Diese Zahl, in Verbindung mit anderen Informationen, widerspiegelt den dramatischen Abstieg der chinesischen Arbeiterklasse von der herrschenden Klasse und dem Status als Hausherr zum Tiefpunkt der Pyramide.

Und wie die skandalösen Verhältnisse in einigen Ziegeleien beweisen, die ein Reporter des Fernsehens von Henan Mai und Juni 2007 enthüllte, aber auch die Bedingungen, unter denen in vielen Sweatshops und privaten Kohlenminen gearbeitet werden muss, weist der neu entstandene kapitalistischen Zweig unserer Volkswirtschaft Züge von Wildheit und Grausamkeit auf, die durchaus an den Frühkapitalismus erinnern.

 

Aus dem Englischen übersetzt und redaktionell bearbeitet von Hermann Kopp.