"Tiere als Ware"

in (14.10.2008)

In Hannover plant der Pharma-Konzern Boehringer Ingelheim ein Tierversuchslabor. utopia sprach mit Martina und Christoph, die für den 25. Oktober eine antispeziesistische Demonstration in Hannover organisieren.

utopia: Ihr protestiert gegen ein Tierversuchslabor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Seid ihr gegen Forschung?

Martina: Nee, überhaupt nicht. Wir sind für alternative Forschung.

Christoph: Bei dem Labor von Boehringer geht es ja konkret um die Entwicklung von Impfstoffen für Krankheiten, die bei Massentierhaltung auftreten. Boehringer ist ein ziemlich großer Pharma-Konzern, der hauptsächlich Medikamente für Menschen herstellt. Mit der Forschung an Impfstoffen für Tiere will er ein neues Marktsegment erschließen.

Aber hilft er dadurch nicht den Tieren?

Christoph: Das Problem ist ja, dass Boehringer als Konzern auf dem freien Markt nur an Profit interessiert ist, und nicht an dem Wohl von Menschen und Tieren. Das heißt auch, dass er ein Interesse an der Entstehung von Krankheiten hat. Die Krankheiten, für die Impfstoffe entwickelt werden sollen, entstehen durch die Massentierhaltung. Letztendlich hilft Boehringer nicht den Tieren, sondern festigt und optimiert die Massentierhaltung und den Status der Tiere als Ware zu dienen, innerhalb dieses Systems der Tierausbeutung.

Was genau wird in den Laboren denn gemacht?

Martina: In der ersten Bauphase soll es insgesamt Kapazitäten für 1000 Schweine pro Jahr geben. Diese werden mit Viren infiziert, um dann Impfstoffe an ihnen auszuprobieren. Da das Labor mitten in der Stadt ist und die Viren nicht nach außen gelangen dürfen, werden die Schweine hinterher in Lauge aufgelöst. Das heißt auch: Am Ende jeder Versuchsreihe steht für jedes Tier der Tod. Später soll das Labor noch erweitert werden, so dass auch an Rindern experimentiert werden kann.

Ihr organisiert eine so genannte „Antispe"-Demonstration. Was ist Antispeziesismus?

Martina: Als Speziesismus bezeichne ich das Mensch-Tier-Verhältnis in unserer Gesellschaft, in dem der Mensch nichtmenschliche Tiere abwertet und dadurch deren Ausbeutung rechtfertigt. Antispeziesismus will genau das überwinden.

Christoph: In dem Wort Speziesismus steckt das Wort „Spezies", weil das der Unterschied ist, auf dem die Unterdrückung aufbaut - ähnlich wie beim Rassismus die „Rasse" oder beim Sexismus das Geschlecht. Beim Speziesismus werden Gemeinsamkeiten zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren geleugnet oder ignoriert. Zum Beispiel, dass viele nichtmenschliche Tiere Gefühle empfinden, einen Willen haben und soziale Beziehungen führen. Dagegen werden Unterschiede betont und überbewertet oder schlichtweg konstruiert. Dies ist ein sozialer Prozess, der tausende Jahre gereift ist und die heutige blutige Normalität darstellt. Diese Normalität wollen wir angreifen.

Auf eurer Homepage kritisiert ihr die „klare Grenzziehung zwischen Mensch und Tier". Seht ihr gar keine Unterschiede?

Christoph: Natürlich gibt es Unterschiede, wie zum Beispiel kognitive Fähigkeiten. Das liegt ja auf der Hand. Aber es gibt genauso Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Tieren, wie es Unterschiede zwischen verschiedenen Tieren, wie zum Beispiel Kaninchen und Affen, gibt.

Sollte man denn eurer Meinung nach alle Lebewesen gleich behandeln?

Martina: Nein, das würde keinen Sinn machen. Die Bedürfnisse sind ja auch ganz andere. Menschen haben beispielsweise ein Bedürfnis an Bildung oder an politischer Mitbestimmung. Damit können Hunde eher weniger anfangen (lacht). Man sollte Menschen und Tiere aber insofern gleich behandeln, als dass man ihnen keinen Schaden zufügt, ihnen nicht weh tut und ihre Würde nicht verletzt.

Heißt das, dass es genauso schlimm ist, einen Menschen zu töten, wie eine Fliege totzuschlagen?

Christoph: Die Frage eröffnet ein kompliziertes Gebiet: Die Frage nach der Wertigkeit von Leben. Natürlich würde ich sagen, dass ein Menschenleben mehr wert ist als das einer Fliege. Aber grundsätzlich sind wir der Meinung, dass man keinem Lebewesen, egal welchem, Schaden zufügen sollte, wenn man es nicht muss. Die Situationen, in denen man zwischen dem Leben von Menschen und Tieren entscheiden muss, werden meistens konstruiert. So werden zum Beispiel Tierversuche damit gerechtfertigt, dass sie notwendig seien um kranken Menschen zu helfen. Dabei gibt es zahlreiche Alternativmethoden. Oder die Fleischindustrie, die behauptet, dass man schlimme Mangelerscheinungen bekommt, wenn man kein Fleisch isst. Hinter der Verbreitung solcher Ansichten stecken oft mächtige Interessen. Damit einher geht die Ausblendung vom Leiden der Tiere: Die Brutalität, die sich in Schlachthöfen abspielt, kriegt der Mensch, der sich sein eingeschweißtes Kotelett aus dem Kühlregal holt, meistens nicht mit.

Auch Vegetarier, die zwar auf Fleisch verzichten, aber zum Beispiel Milch trinken, wissen oft nicht, dass die Milchindustrie stark mit der Fleischindustrie zusammenhängt. Da alle männlichen Rinder keine Milch geben, werden diese meistens direkt geschlachtet. Letztendlich greift nur der Veganismus das Gesamtsystem der Tierausbeutung an.

Kann man denn überhaupt konsequent vegan leben? Wenn man beispielsweise an Tiere denkt, die bei der Bearbeitung von Ackerland umkommen...

Martina: Naja, es gibt auch Veganer, die Alternativen dazu entwickeln. Auf der anderen Seite steckt hinter der Tötung von Hamstern oder Kaninchen, die beim Ackerbau vorkommt, keine Absicht, und die ist ja entscheidend. Letztendlich ist es in dieser Gesellschaft unmöglich, konsequent vegan zu leben. Das fängt bei Medikamenten an, die meistens in Tierversuchen getestet wurden, und hört bei Säften auf, von denen man oft nicht genau weiß, ob sie mit Gelatine, also einem tierlichem Produkt, behandelt wurden, oder nicht.

Zurück zum Tierversuchslabor: Glaubt ihr, dass ihr Chancen habt, das Labor noch zu stoppen?

Martina: Boehringer hat das sehr geschickt gemacht. Erst hat der Konzern versucht in Tübingen zu bauen. Dort hat er das Projekt von Anfang an offensiv vertreten, so dass sich frühzeitig Protest formieren konnte, der dazu führte, dass Boehringer die Pläne zurückzog. In Hannover war der Konzern vorsichtiger. Er ist erst sehr spät an die Öffentlichkeit gegangen, so dass wir auch erst Anfang des Jahres davon erfahren haben. Außerdem hat er sich früh die Unterstützung von einflussreichen Größen, wie dem Bürgermeister von Hannover und dem Ministerpräsidenten Niedersachsens, gesichert.

Christoph: Einen Skandal gab es dann doch noch: Der Vorstand einer örtlichen Kirche hat ein Grundstück an den Konzern verkauft, obwohl zahlreiche Anwohner und Kirchenmitglieder protestiert haben, und sogar mehr Geld für das Grundstück geboten haben.

Martina: Nichtsdestotrotz wollen wir Boehringer zeigen, dass sie in Hannover nicht willkommen sind. Deshalb organisieren wir die Demonstration am 25. Oktober, zu der wir Anwohner und auch überregional Tierrechtler und Antispes mobilisieren wollen. Durch den Protest wollen wir zumindest ein wenig mehr Aufmerksamkeit für das Thema erregen.

Interview: Raffi Niert

 

 

Martina ist bei der Gruppe „Tierrecht aktiv", die durch öffentliche und medienwirksame Aktionen „Aufklärung im tierrechtlichem Sinne" vorantreiben will.

Christoph ist bei den Herschaftskritischen AntispeziesistInnen Hannover (HAH) aktiv, die sich stark mit antispeziesistischer Theorie auseinandersetzen, und unter anderem dieses Jahr einen „Antispe Kongress" organisiert haben.

Mehr Infos: www.boehringerstoppen.blogsport.de

 

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