Das Bett im Musikzimmer

Drei Episoden vom Konsum

in (17.10.2008)

Episode #1: Funktionales Wohnen: Kleine Gesellschaft ohne Eigentum

„Die Leute bleiben in Bewegung. Sie beschäftigen sich mehr miteinander, und man bekommt ein Gefühl für die ganze Wohnung.“ So schwärmt Alex* vom Funktionalen Wohnen, womit der Student schon in mehreren Berliner Wohngemeinschaften Erfahrungen gesammelt hat. Statt vieler privater Zimmer gibt es beim FuWo nur zweckbestimmte Räume – „wie auch sonst in der Gesellschaft“, meint Alex. Es gibt zum Beispiel eine Bibliothek, ein Still­arbeitszimmer und eins, das als Büro fungiert; ein Freizeitzimmer, Strand genannt, natürlich ein Badezimmer und ein Koch- und Esszimmer – den Funktionen sind keine Grenzen gesetzt. In jedem Raum steht außerdem ein Bett. Die BewohnerInnen verhandeln jeden Abend neu, wer wo schläft. Sie haben die Zimmer gemeinsam eingerichtet und auch die Kleidung benutzen sie zusammen. „Dadurch haben wir die ‚ursprünglichen‘ Besitzverhältnisse zum Teil vergessen“, stellt Alex fest.

Entstehen da nicht Konflikte um Lieblingszimmer? Wollen nicht die gleichen Leute am liebsten in den gleichen Betten schlafen? Können manche sich mit ihren Wünschen besser durchsetzen als andere? Das Aushandeln der Schlafgelegenheiten sei immer nett und unproblematisch gewesen, betont Alex. Die Vorteile von FuWo seien eben das sozialere Miteinander und die erweiterten persönlichen Spielräume in der Wohnung. Den Nachteil macht er jedoch an genau dem Punkt fest: Da die Menschen so viel näher zusammen leben, ist Auseinandersetzung ein Muss.

Wenn mensch zusammen am Schreibtisch arbeitet, parallel telefoniert, in die gleiche Kleidung und ins selbe Bettzeug schlüpft, ist einmal die Woche Plenum das Minimum. Durch diese Erfahrungen haben sich seine Ansichten über eine Gesellschaft ohne Eigentum verändert. „Einerseits braucht die eine Ordnung, und andererseits Zeit und Raum, um über vieles zu reden. Das ist schwieriger, als ich gedacht habe. Die Anonymisierung in unserer aktuellen Gesellschaft finde ich zwar schlimm, aber sie ermöglicht auch, Probleme zu ignorieren. Wenn du alles miteinander teilst, kriegst du auch immer alles voneinander mit. Der Druck, sich um die Bedürfnisse anderer kümmern zu müssen, kann kaputt machen.“

Zur Zeit macht Alex kein FuWo mehr. Er lebt in einer WG, die das zwar probiert, aber dann doch wieder private Zimmer eingeführt hat. Enttäuschung und Überforderung klingt durch, wenn er erzählt, dass sie sich ausgemalt hatten, viel mehr politisch zusammen zu unternehmen, etwa Flyer zu entwerfen und gemeinsam auf Demos zu gehen. Dazu sei es aber nie so richtig gekommen. Manches ist Alex doch wichtig, als ‚seins‘ zu besitzen: „Mein Computer. Und mein Fahrrad! Und mein Rucksack.“

Interessant an Alex‘ FuWo-Experiment ist dennoch, dass die gemeinsame Kasse bei unterschiedlichen Einkommen nichts daran geändert hat, was wo und in welchen Mengen eingekauft wurde. Dass es möglich war, sich auf eine Musik zu einigen, die über Boxen in mehreren Räumen gleichzeitig lief. Und dass zum Videogucken am „Strand“ immer sehr viele Leute da gewesen sind.

Episode #2_ Regionalgeld: Lokale Solidarität oder Protektionismus im Kleinen?

„Wenn wir das Café wirklich aufmachen, dann tun wir Dinge, die uns am Herzen liegen: Regionalgeld, Grundgehalt, und Kunst.“ Das Café Grundgehalt liegt in einer ruhigen, kleinen Straße im Berliner Stadtteil Kreuzberg 61. Sonntags wird Tatort geguckt, mittwochs ist Computertag, und einmal im Monat trifft sich hier das „Netzwerk Grundeinkommen“. Es gibt selbstgebackenen Kuchen, Eintopf und Gemüse-Quiche.

Das Café ist Ausgabe- und Annahmestelle für den Berliner: Euros können hier im Wert von 1:1 gegen Scheine von eins, fünf und zehn Berlinern, die wie Wertgutscheine funktionieren, eingetauscht werden. Das Regiogeld zirkuliert neben dem Euro und soll lokale Wirtschaftskreisläufe in der Region stärken.
Das Regiogeld für Berlin und Brandenburg verfällt nach einem halben Jahr. Das Verfallsdatum ist aufgestempelt. Beim Umtausch in neuere, gültige Berliner verliert das Geld zwei Prozent, beim Rücktausch in Euro fünf Prozent seines Nennwerts. Dieser Kniff nennt sich Umlaufsicherungsgebühr und soll gewährleisten, „dass die Scheine schnell von Hand zu Hand gehen und ihre volle Wirkung in der Region entfalten können“, wirbt die Grüne Liga. Von diesen fünf Prozent „Regionalbeitrag“ fließen zwei in den Druck der Geldscheine und drei an eine gemeinnützige Einrichtung.

Im Umlauf sind 20.000 durch ein Euro-Konto gedeckte Berliner. Bezahlen kann mensch damit in etwa 180 Geschäften, Praxen und Dienstleistungsunternehmen in Berlin und Brandenburg – die meisten sind dort, wo die ‚alternative Szene‘ lebt: in Kreuzberg um den Lausitzer Platz und im Wrangelkiez, im Prenzlauer Berg zwischen Bötzowkiez und Choriner Straße.

Das Konzept Regiogeld ist 2002 aus einem Projekt an einer Waldorf-Schule in Prien am Chiemsee entstanden. Dort sind mittlerweile 200.000 Chiemgauer im Umlauf, die im Jahr 2007 einen Umsatz von 2,3 Mio. machten. Wer am Chiemsee verkaufen will, kommt um den Chiemgauer kaum herum. Seit letztem Jahr gibt es auch eine Karte für den bargeldlosen Zahlungsverkehr in Chiemgauern und eine Bank, die Konten in der Regionalwährung führt. Der Chiemgauer wird dreimal öfter ausgegeben als reguläres Geld, das angelegt werden kann und „dorthin läuft, wo es Rendite macht“, so Heini Staudinger vom Regionalgeld Schreibverbund.

An diesem Punkt sieht der Wahl-Gastwirt und ehemalige Lehrer Meisenberg die Potenziale für eine solidarische und nachhaltige Ökonomie: „Die lokalen Geschäfte ziehen mehr an einem Strang und entwickeln gemeinsam Ideen.“ Die Transportwege sind kürzer, weil eingenommene Berliner oder Chiemgauer wieder in der Region ausgegeben werden. „Die Leute entwickeln ein Bewusstsein für Geld: Was passiert mit meinem Geld? Wie funktioniert Geld überhaupt? Viele wissen ja gar nicht, dass die Goldbarren als Gegenwert für den Euro nicht mehr wie früher vorhanden sind.“

Die Banken und die Bankenaufsicht sehen die Regiogelder, die inzwischen in 40 Regionen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien kursieren, nicht gern. Trotzdem wird der Berliner von der GLS Bank unterstützt und die Bundesdruckerei druckt ihn zum Selbstkostenpreis. Die Infrastuktur der meisten Regiogelder wird ehrenamtlich von Vereinen getragen.

Um das Projekt der Regionalwährungen haben sich illustre Gemeinden gebildet. Das Düsseldorfer Rheingold wirbt zum Beispiel auf der erste Seite seines Internetauftritts mit Ludwig Erhard und dem deutschen Wirtschaftswunder. „Wohlstand für alle mit der Betonung auf alle“ will das Projekt. Das im Ruhrgebiet gültige Coinstatt funktioniert in erster Linie als Internetforum und Kontaktbörse für Dienstleistungen. In Köln wiederum, der größten Stadt Nordrhein-Westfalens, ist ein Regiogeld gänzlich unbekannt.

Max* findet das nicht schade. Der Kölner Anarchist hat kein Verständnis für das Projekt: „Die Welt wird eben vom Kapitalismus dominiert. Ich weiß nicht, ob sich das jemals ändern wird, ich weiß auch keinen Weg dorthin, aber ich weiß auch nicht, warum man sich was vormachen muss. Das Regiogeld ist doch protektionistisch, ein System um den lokalen Kapitalismus zu fördern. Ein Staat im Staate!“ Selbst der Spende an gemeinnützige Einrichtungen kann er nichts Positives abgewinnen: „Diese Rücktauschgebühr ist im Prinzip eine Einführsteuer und das Verfallsdatum produziert eine künstliche Inflation – zusätzlich zu der, die es sowieso gibt!“ Dazu kommt: Derjenige, der zwei Tage vor Ablauf noch einen 50 Chiemgauer annimmt, trägt den Wertverlust, während der erste einen Eintausch-Bonus erhält. „Im Drogenmilieu nennt sich das Anfixen. The first one‘s always free...“

Offensichtlich steckt nicht hinter allen Regiogeldern das Programm, nachhaltiger und solidarischer zu wirtschaften. Helmut Meisenberg macht die Verbrauchermacht stark: „Mich interessiert, was vor meiner Tür passiert, wie hier die Kartoffel angebaut wird. Wie die Volkswirtschaft in Neuseeland funktioniert, ist mir egal. Wenn zum Beispiel ein Drittel meines Gehalts in Berlinern ausgezahlt würde und ein Geschäft akzeptierte die nicht, dann würde ich sagen, na gut, gehe ich woanders hin!“ Er bleibt dennoch verhalten, was die Zukunftsperspektive des Regiogeldes betrifft. „Ich wünsche mir, dass nicht Aldi und Lidl das große Geschäft machen, dass die Menschen Arbeit in der Nähe finden.“ Eine Welt voller florierender, regionaler Komplementärwährungen kann er sich nicht recht vorstellen: „Manche Ideen sind irgendwann überholt. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist ein ganz anderes Kaliber. Das würde eine Revolution bedeuten!“

Episode #3 _ Containern Gehen: Vom gut geschützten Müll

Container haben einen gewölbten Schiebedeckel, Deckel auf zwei Seiten oder gar keinen Deckel. Sie stehen im Hof oder am Hinterausgang von Supermärkten. Dort fährt mensch auf dem Heimweg vorbei und holt Lebensmittel raus, die von den Supermärkten weggeschmissen wurden, obwohl sie noch essbar sind. Die Ausbeute ist immer eine Überraschung: fünf Kilogramm feinste Pilze, ein Kühlschrank voller Tofu, oder ‚nur‘ Bananen und Joghurt.

„Sonst könnte ich mir meinen Lebensstil nicht leisten“, sagt René*. Er wohnt in einer WG, die durch das Containern pro Woche und Person etwa 10 Euro spart, welche sie dafür in Bio-Lebensmittel beim restlichen Einkauf investiert. René studiert Sozialwissenschaften, ist in mehreren linken Gruppen aktiv. Zählt das Containern auch zum politischen Engagement? René verneint entschieden: „Ich könnte das zwar politisch unterfüttern, mit einer Kritik an der Wegwerfgesellschaft, aber eigentlich geht es um den eigenen Konsum.“ Die Ausbeute teilt er. „Wenn ich nach einem Treffen viel finde, gehe ich oft noch mal zurück zur Gruppe und frage, wer was haben will.“ Wenn er einkaufen war, macht er das nicht. Wer kauft schon ‚zuviel‘, um es anderen abzugeben?
Florian* hat vor 15 Jahren viel containert, in einer Zeit, wo er und seine Leute kaum Geld hatten. „Vielleicht 10 Mark die Woche – da haben wir vom Containern gelebt.“ Er grinst verschmitzt: „So sind wir auch an die leckeren Sachen gekommen, Bananen und Avocados, die wir sonst nicht kaufen würden. Bio darf nicht fliegen, finde ich.“ Heute lebt Florian in einem Wohnprojekt, wo jede/r für sich selber sorgt. Wir hocken auf Sitzkissen auf dem Boden und trinken grünen Tee in mehreren Aufgüssen. Braungebrannte Haut und klare Augen leuchten, wenn Florian vom selbstorganisierten Leben in den 1980er und 1990er Jahren erzählt: Im Sommer war es oft eklig, in der Hitze zwischen stinkendem Fleisch und aufgeplatzten Milchtüten nach etwas Brauchbarem zu suchen.

Aber Florian hat mal den Test gemacht: Ein abgelaufener Joghurt kann noch bis zu einem Jahr nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum gut sein. Sie haben sich damals an Containern verabredet, Bier mitgebracht und Straßenparties gefeiert. Mehrmals gab es auch Begegnungen mit Polizisten. „Aber als die gesehen haben, was wir da für schöne Sachen rausziehen, haben sie gestaunt und uns machen lassen.“ Einmal ist ihm auch ein Wachmann an die Gurgel gegangen.
Florian hat mit dem Containern aufgehört, als sein Sohn in den Kindergarten kam – er wollte nicht, dass er seinetwegen ins Gerede kommt. Trotzdem verrät er mir noch den alten Trick: Klebstoff rein, wenn mensch einen Container mit Vorhängeschloss gesichert vorfindet. Aufs Aufbrechen haben die Supermarktleute nicht viele Male Lust. In den letzten Jahren werden immer mehr Container umzäunt. René: „Dabei achten wir, erst recht im eigenen Interesse, darauf, die ordentlich zurückzulassen, nichts rauszuschmeißen. Es ist absurd, wie die Leute ihren Müll schützen.“

Dass Containern als Alltagspraxis so wenig bekannt ist, verwundert. Menschen, die Pfandflaschen sammeln, sind seit Beginn der Armutsdebatte 2006 als offensichtliches Elendsphänomen ins alltägliche Blickfeld gerückt. Ganze Familien leben vom Pfand aus öffentlichen Mülleimern und bessern sich dadurch das unzureichende Arbeitslosengeld II auf. Die Stadt Köln hält immer noch an ihrer Grünflächenverordnung von 2003 fest, welche in §11 Abs. 3 „(j)ede zweckwidrige Benutzung der Abfallbehälter“ untersagt: Abfallbehälter dürfen nicht durchsucht, Gegenstände daraus entnommen oder verstreut werden.“ Die 2005 mit den Maßnahmen „Wintercheck“ und „Frühlingszauber“ kurzzeitig erhobenen Bußgelder von fünf bis zehn Euro für das Durchwühlen von Mülleimern setzt das Ordnungsamt nach öffentlichen Protesten und subversiven Aktionen allerdings nicht mehr um.

Was bleibt, ist das Bewusstsein!?

Die alltagserprobten Erfahrungen zeigen: Bei dem Versuch alternativen Konsums kommt es darauf an, zu erkennen, wie eng Konsumieren mit Leben zusammenhängt. Anders zu essen bedeutet auch, in der täglichen Routine etwas zu ändern, so dass weitere ‚Lebensbereiche‘ in diese Entscheidung eingebunden sind: Wer sich vom Containern ernährt, kann nicht mit den 24h-Öffnungszeiten von Bahnhofssupermärkten rechnen. Reiserei und Überstunden im Job sind Grenzen gesetzt, wenn mensch das Leben gemeinschaftlich teilt und füreinander sorgt.

Der einzeln konsumierenden Person fordert das Regiogeld, ob es Berliner oder Chiemgauer heißt, wenig Änderung in den Gewohnheiten ab. Während sich die Einsicht aufdrängt, dass es eigentlich Großkonzerne sind, die in ihrem Einkaufsverhalten und ihrem Umgang mit Geld auf regionale Nachhaltigkeit hin sensibilisiert werden müssten, befördert das Regiogeld beim ‚Netzwerk‘ der KonsumentInnen einen lokalen Nationalismus.

In einer Zeit, in der offene soziale Räume zunehmend geräumt werden, fragt sich: Bietet eine FuWo-Wohnung eher das Potenzial, sozialer Treffpunkt zu sein, als eine Ansammlung privater Gemächer? Wollen wir das kleine Glück auf „Balkonien“ oder wollen wir den „Strand“ – und welchen? Viele weitere Konsumpraxen gibt es noch zu entdecken und zu erproben! Wir könnten gemeinsam fahren, ohne ein Ticket zu kaufen, und so einen Anspruch auf Nahverkehr als öffentliches Gut geltend machen. Warum stecken wir Leute, denen es nicht gut geht mit der Gesellschaft, in eine Klinik? Warum helfen wir uns nicht gegenseitig selbst – mit einem anderen Leben? Es kommt darauf an, Entscheidungsspielräume wahrzunehmen und sie auszubauen, sich selbst und das Lebensumfeld nicht aufzugeben.

* Namen geändert